Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2016, Az. 6 AZR 638/15

6. Senat | REWIS RS 2016, 10274

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Gegenstand

Einheitliches Konsultations- und Anzeigeverfahren bei mehreren Massenentlassungen - Freifrist gemäß § 18 Abs. 4 KSchG


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 21. September 2015 - 8 Sa 1585/14 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

[X.]ie Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des beklagten Insolvenzverwalters.

2

[X.]er Kläger war bei der Firma [X.] (im Folgenden Schuldnerin) seit dem 16. [X.]ugust 1982 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Bei der Schuldnerin war ein Betriebsrat gebildet. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 1. [X.]ezember 2013 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. [X.]ieser beschloss umgehend die Stilllegung des Betriebs und informierte hierüber den Betriebsrat. [X.]m 4., 12. und 19. [X.]ezember 2013 fanden Verhandlungen über einen Interessenausgleich statt. [X.]m 19. [X.]ezember 2013 wurde der Text des Interessenausgleichs ausformuliert und dem Vertreter des Betriebsrats zugeleitet. [X.]ieser bestätigte am 20. [X.]ezember 2013, dass der Interessenausgleich mit diesem Inhalt abgeschlossen werden könne. [X.]m 23. [X.]ezember 2013 wurde der Interessenausgleich unterzeichnet. Er lautet auszugsweise wie folgt:

        

Präambel

        

…       

        

Eine [X.]ufrechterhaltung der Produktion ist angesichts der Umsätze … nicht möglich. Vor diesem Hintergrund hat der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses am 01.12.2013 die Betriebsstilllegung des Unternehmensträgers [X.] im Ganzen beschlossen.

        

…       

        

§ 2 Unternehmerische Maßnahmen

        

(1)     

Gegenstand des Interessenausgleiches ist die Stilllegungsentscheidung des Insolvenzverwalters am 01.12.2013, den Betrieb des Unternehmensträgers [X.] am Standort in [X.] zu schließen.

        

(2)     

[X.]urch die Betriebsstilllegung entfallen alle [X.]rbeitsplätze in sämtlichen Betriebsteilen spätestens zum 28.02.2014. …

                 

[X.]ie [X.]uslaufproduktion- und [X.]bwicklungsarbeiten, die bis spätestens zum 28. Februar 2014 abgeschlossen sein werden, werden mit [X.]uslauf der Produktion von zurzeit 90 Mitarbeitern und 20 [X.]uszubildenden durchgeführt. Sämtliche übrigen Mitarbeiter von insgesamt 257 der [X.] sind vom Insolvenzverwalter bereits freigestellt worden. …

        

(3)     

[X.]ementsprechend wird der Insolvenzverwalter sämtlichen Mitarbeitern des Betriebes der [X.] betriebsbedingt kündigen.

        

§ 3 [X.]urchführung des Personalabbaus

        

(1)     

[X.]er Insolvenzverwalter wird sämtliche bei der [X.] beschäftigten Mitarbeiter durch betriebsbedingte Kündigungen entlassen. [X.]ie Entlassungen werden unter Einhaltung der jeweils geltenden Kündigungsfristen [X.] m. § 113 [X.] durchgeführt. …

        

(2)     

[X.]ie Parteien dieses Interessenausgleichs sind sich darüber einig, dass die Kündigungen erst ab der 52. [X.] 2013, ab dem [X.] zugestellt werden sollen.

        

…       

        

§ 4 Kündigung der [X.]rbeitsverhältnisse

        

4. 1. Namensliste gem. §§ 1 [X.]bs. 5 [X.], 125 [X.], 111 [X.]

        

[X.]ie zu kündigenden Mitarbeiter der [X.] werden in der diesem Interessenausgleich als [X.]nlage 1 beigefügten Namensliste, die vollinhaltlich Bestandteil des Interessenausgleichs ist, namentlich benannt. [X.]ie [X.] sämtlicher Mitarbeiter sowie Kündigungsfristen sind in der Namensliste enthalten. [X.]er Betriebsrat bestätigt die Vollständigkeit der Namensliste. …

        

Im Zuge der Betriebsänderung werden die betroffenen [X.]rbeitsverhältnisse nach [X.]bschluss des Interessenausgleichs zum in §§ 2, 3 vorher genannten Zeitpunkt unverzüglich unter Beachtung der jeweils einzuhaltenden Kündigungsfristen aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt. Soweit für den [X.]usspruch der Kündigung Zustimmung von Behörden eingeholt werden muss (z. B. nach SGB IX, [X.], [X.]) werden diese vor [X.]usspruch der Kündigung vom Insolvenzverwalter eingeholt.

        

4.2 Sozialauswahl

        

[X.]a es sich um eine einheitliche Schließung des Betriebes der [X.] zu einem bestimmten Zeitpunkt handelt und alle Mitarbeiter des Betriebs einheitlich betroffen sind, ist eine Sozialauswahl nicht erforderlich.

        

…       

        

§ 8 [X.]nhörung des Betriebsrates gem. § 102 [X.]

        

Im Hinblick auf die betriebsbedingten Kündigungen der Mitarbeiter besteht Einigkeit zwischen den Parteien darüber, dass der Betriebsrat im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen gem. § 102 [X.] unterrichtet und beteiligt worden ist. …

        

[X.]er Betriebsrat bestätigt, im Rahmen der Erörterung und zur Erstellung der Namensliste, [X.]nlage 1 zu diesem Interessenausgleich, zu allen Kündigungen ordnungsgemäß angehört worden zu sein.

        

Er erklärt, dass damit das Verfahren gem. § 102 [X.] abgeschlossen ist.

        

…       

        

§ 10 [X.] nach § 17 Kündigungsschutzgesetz

        

[X.]er Betriebsrat wurde im Rahmen der Verhandlungen zu diesem Interessenausgleich am 04.12.2013 rechtzeitig und vollständig nach § 17 [X.]bs. 2 Kündigungsschutzgesetz unterrichtet. Sodann haben Insolvenzverwalter und Betriebsrat am 12.12.2013 nochmals die Möglichkeit beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mindern. [X.]ie Betriebsparteien sind sich einig, dass den in der [X.]nlage 1 zu diesem Interessenausgleich aufgeführten Mitarbeitern betriebsbedingt zu kündigen ist. …

        

[X.]er Betriebsrat bestätigt die Beendigung des [X.]s und erteilt seine Zustimmung …“

3

In dem Interessenausgleich sind keine [X.]ngaben zu den Berufsgruppen der [X.]rbeitnehmer enthalten. [X.]ie Namensliste umfasst 257 Namen einschließlich des Namens des [X.].

4

[X.]m 27. [X.]ezember 2013 erstattete der Beklagte formularmäßig bei der zuständigen [X.]gentur für [X.]rbeit eine Massenentlassungsanzeige. [X.]ngezeigt wurde die Entlassung aller 257 Beschäftigten, darunter 26 Schwerbehinderte bzw. diesen Gleichgestellte. [X.]m 17. Januar 2014 erteilte die [X.]gentur für [X.]rbeit die Zustimmung zu den angezeigten 257 Entlassungen. Eine Verlängerung der Sperrfrist nach § 18 [X.]bs. 2 [X.] wurde nicht vorgenommen. [X.]ie Sperrfrist begann am 28. [X.]ezember 2013 und endete am 27. Januar 2014. Noch Ende [X.]ezember 2013 kündigte der Beklagte alle [X.]rbeitsverhältnisse, die keinem Sonderkündigungsschutz unterfielen. [X.]en Schwerbehinderten und den [X.]rbeitnehmerinnen, die sich in Mutterschutz befanden, kündigte er im Februar 2014. Es handelte sich hierbei um mehr als 30 Kündigungen.

5

[X.]er Kläger ist schwerbehindert. Mit Schreiben vom 6. Februar 2014 wurde der Betriebsrat unter [X.]ngabe der [X.] zur beabsichtigten Kündigung des [X.] angehört. Nach Zustimmung des [X.] kündigte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Februar 2014 zum 31. Mai 2014.

6

Mit seiner am 25. Februar 2014 beim [X.]rbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung seines [X.]rbeitsverhältnisses gewandt. Zur Begründung hat er zuletzt nur noch eine Verletzung des § 17 [X.]bs. 2 [X.] behauptet. [X.]er Betriebsrat sei im [X.] nicht über die betroffenen Berufsgruppen unterrichtet worden. Eine Heilung dieses Verfahrensfehlers sei nicht möglich.

7

[X.]er Kläger hat daher beantragt

        

festzustellen, dass das [X.]rbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22. Februar 2014 nicht aufgelöst worden ist.

8

[X.]er Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. [X.]ie Kündigung sei wirksam. [X.]as [X.] nach § 17 [X.]bs. 2 [X.] sei zulässigerweise mit dem Interessenausgleichsverfahren verbunden worden. [X.]er Betriebsrat sei durch den Interessenausgleich vollständig unterrichtet worden.

9

[X.]as [X.]rbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. [X.]as [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger seine Kündigungsschutzklage weiter und hat ergänzend angeführt, die Kündigung der schwerbehinderten bzw. diesen gleichgestellten [X.]rbeitnehmer sei nicht in dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zur Massenentlassungsanzeige erfolgt. [X.]en betroffenen Beschäftigten sei erst ab Februar 2014 gekündigt worden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht die Berufung des [X.] gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die streitgegenständliche Kündigung vom 22. Februar 2014 hat das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 [X.] zum 31. Mai 2014 aufgelöst.

1. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt. Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.]. 3 [X.] bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des [X.] entgegenstehen. Der Kläger hat zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt, dass der Beklagte die Stilllegung des ganzen Betriebs und damit eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] geplant hat und diesbezüglich ein formwirksamer Interessenausgleich zustande kam, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass sich der Name des [X.] auf der entsprechenden Liste befindet. Die Vorinstanzen haben rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger die daraus gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] folgende Vermutung des Kündigungsgrundes nicht widerlegt hat (vgl. hierzu [X.] 27. September 2012 - 2 [X.] - Rn. 25; 15. Dezember 2011 - 2 [X.] - Rn. 17, [X.]E 140, 169). Die Revision erhebt insoweit keine [X.]. Gleiches gilt bezüglich der nicht zu beanstandenden Auffassung der Vorinstanzen, die Kündigung sei auch nicht wegen grober Fehlerhaftigkeit der [X.] ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 3 [X.] iVm. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] (vgl. hierzu [X.] 19. Dezember 2013 - 6 [X.] - Rn. 22 ff., [X.]E 147, 89).

2. Eine Unwirksamkeit der Kündigung folgt nicht aus § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.]. Das [X.] hat die Betriebsratsanhörung wie das Arbeitsgericht als ordnungsgemäß angesehen. Dies greift die Revision nicht an. Ein Fehler ist auch nicht erkennbar.

3. Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 17 [X.] gemäß § 134 BGB nichtig.

a) Sie ist Teil einer anzeigepflichtigen Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]. Maßgeblich für die Zahl der in der Regel Beschäftigten ist im Stilllegungsfall auch bei einem sukzessiven Vorgehen des Arbeitgebers mit mehreren Entlassungswellen der Zeitpunkt, in dem zuletzt noch eine normale Betriebstätigkeit entfaltet wurde ([X.] 24. Februar 2005 - 2 [X.] - zu [X.] 1 b der Gründe; [X.]/[X.] 11. Aufl. § 17 [X.] Rn. 45; [X.]/[X.] 16. Aufl. § 17 [X.] Rn. 11). Dies war hier vor der ersten Entlassungswelle im Dezember 2013 der Fall. Von den damals 257 Beschäftigten hat der Beklagte nach den Feststellungen des [X.]s im Februar 2014 mehr als 30 Arbeitnehmer entlassen. Dies entsprach der nach dem Interessenausgleich beabsichtigten Vorgehensweise. Die im Februar 2014 erklärten Kündigungen von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse einem Sonderkündigungsschutz unterfielen, überschritten schon für sich genommen den Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.].

b) Der Beklagte hat bezüglich der im Februar 2014 erklärten Kündigungen kein eigenständiges Massenentlassungsverfahren durchgeführt. Dies war auch nicht erforderlich, da sowohl das mit den [X.] verbundene [X.] (§ 17 Abs. 2 [X.]) als auch das Anzeigeverfahren (§ 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.]) bezüglich aller wegen der beabsichtigten Betriebsstilllegung zu entlassenden Arbeitnehmer zusammengefasst im Dezember 2013 durchgeführt wurde. Entgegen der Auffassung der Revision scheitert die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nicht an einer Fehlerhaftigkeit des [X.]s.

aa) Der in § 17 [X.] geregelte besondere Kündigungsschutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei getrennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Abs. 2 [X.] normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] geregelte Anzeigepflicht gegenüber der [X.] andererseits. Das [X.] steht selbständig neben dem Anzeigeverfahren. Beide Verfahren dienen in unterschiedlicher Weise der Erreichung des mit dem Massenentlassungsschutz verfolgten Ziels ( [X.] 21. März 2013 - 2 [X.]  - Rn. 28 , [X.]E 144, 366 ; 13. Dezember 2012 -  6 [X.]  - Rn. 62 ). Dies entspricht der mit § 17 [X.] umgesetzten Richtlinie 98/59/[X.] vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ([X.] - [X.] -, ABl. [X.] vom 12. August 1998 S. 16). Jedes dieser beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar (vgl. [X.] 20. Januar 2016 - 6 [X.] - Rn. 15, 16; Mehrens/[X.] EWiR 2016, 281, 282; Wagner FA 2016, 144; [X.] 2016, 164; für das Anzeigeverfahren [X.] 22. November 2012 - 2 [X.]  - Rn. 39  ff., [X.]E 144, 47 ; für das [X.] [X.] 21. März 2013 - 2 [X.]  - Rn. 21  ff., [X.]E 144, 366 ).

bb) Sollen in einem Betrieb nacheinander mehrere Massenentlassungen iSv. § 17 Abs. 1 [X.] durchgeführt werden, kann uU das [X.] ebenso wie das Anzeigeverfahren bezogen auf alle beabsichtigten Kündigungen zusammengefasst werden. Die Massenentlassungen bedürfen nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht zwingend gesonderter Verfahren nach § 17 Abs. 2 und Abs. 3 [X.]. Im Gegenteil dient es der vollständigen Information des Betriebsrats und der [X.], wenn im Rahmen eines einzigen Konsultations- und [X.] ein vollständiger Überblick über die beabsichtigten [X.] gegeben wird. Dies entspricht § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bzw. Abs. 3 Satz 4 [X.], wonach die erforderlichen Angaben über den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, zu machen sind. Gegebenenfalls bedarf es allerdings nach § 18 Abs. 4 [X.] einer erneuten Anzeige.

cc) Die Voraussetzungen einer Erfüllung der Konsultationspflicht im Rahmen der [X.] sind hier beachtet worden.

(1) Die Konsultationspflicht ist der Sache nach regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung iSv. § 111 [X.], soweit mit ihr ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt (vgl. [X.] 13. Dezember 2012 - 6 [X.]  - Rn. 46 ; 18. September 2003 -  2 [X.]  - zu [X.]I 1 b der Gründe, [X.]E 107, 318 ). Soweit die ihm obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 [X.] mit denen nach § 111 Satz 1 [X.] übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 [X.] dienen sollen (vgl. [X.] 26. Februar 2015 - 2 [X.] - Rn. 17, [X.]E 151, 83; 20. September 2012 - 6 [X.]  - Rn. 47 , [X.]E 143, 150 ; 18. Januar 2012 -  6 [X.]  - Rn. 34 , [X.]E 140, 261 ).

(2) Die Betriebsparteien haben den Interessenausgleich in der dritten Verhandlungsrunde am 19. Dezember 2013 fertiggestellt. Der Interessenausgleich macht in § 10 die Verbindung mit dem [X.] deutlich. Spätestens am 19. Dezember 2013 war für den Betriebsrat deshalb klar, dass die [X.] auch der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 [X.] dienen sollten. Für den Betriebsrat war zweifelsfrei ersichtlich, dass sich das [X.] auch auf die einem Sonderkündigungsschutz unterfallenden Beschäftigten beziehen und diesen erst zu einem späteren, noch ungewissen Zeitpunkt gekündigt werden soll. Dies ergibt sich aus § 4 Abschnitt 4.1. des Interessenausgleichs, wonach etwaig erforderliche Zustimmungen von Behörden („zB nach [X.], [X.], MuSchG“) vor den Kündigungserklärungen vom Beklagten einzuholen waren. In Kenntnis der gesetzlichen Vorgaben, wie sie bezüglich der schwerbehinderten Menschen in §§ 85 f. [X.] enthalten sind, stand schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs fest, dass zwar alle Beschäftigten von der Betriebsstilllegung betroffen sein werden, die Kündigungen aber wegen der Abhängigkeit von [X.] nicht zeitgleich erklärt werden können. Dass die betroffenen Arbeitsverhältnisse von den Verhandlungen im Dezember 2013 schon erfasst werden sollten, ergibt sich zudem aus § 2 Abs. 2 und § 3 des Interessenausgleichs, wonach die Stilllegung die Kündigung aller 257 Beschäftigten zur Folge haben soll. Dementsprechend sind alle 257 Beschäftigten, das heißt auch die besonders geschützten Arbeitnehmer, auf der Namensliste angeführt.

(3) Der Betriebsrat wurde durch den Entwurf des Interessenausgleichs rechtzeitig iSd. § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] unterrichtet. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 9. Juni 2016 (- 6 [X.] - Rn. 24 ff.) bereits begründet. Hierauf wird verwiesen.

(4) Gleiches gilt bezüglich der Heilung eines eventuellen Verstoßes der Unterrichtung gegen das Schriftformerfordernis des § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] durch die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats in § 10 des Interessenausgleichs ([X.] 9. Juni 2016 - 6 [X.] - Rn. 27).

(5) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.] muss der Betriebsrat über die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unterrichtet werden. Entgegen der Auffassung der Revision bewirkt das Fehlen einer ausdrücklichen Unterrichtung über die betroffenen Berufsgruppen hier nicht die Unwirksamkeit der Kündigung. Die insoweit fehlerhafte Unterrichtung ist durch die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats in § 10 des Interessenausgleichs jedenfalls geheilt worden. Auch diesbezüglich nimmt der Senat auf seine Ausführungen im Urteil vom 9. Juni 2016 (- 6 [X.] - Rn. 29 ff.) Bezug und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen darauf. Die übrigen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 [X.] erforderlichen Angaben wurden gemacht. Dies stellt die Revision nicht in Frage.

(6) Eine Frist von mindestens zwei Wochen zwischen der Unterrichtung des Betriebsrats und der Erstattung der Massenentlassungsanzeige war nicht einzuhalten ([X.] 9. Juni 2016 - 6 [X.] - Rn. 36).

dd) [X.] vom 27. Dezember 2013 bezieht sich auf alle 257 Beschäftigten und damit auch auf die erst im Februar 2014 gekündigten Arbeitnehmer. Eine Fehlerhaftigkeit des [X.] nach § 17 Abs. 3 [X.] rügt die Revision nicht.

4. Es bedurfte hinsichtlich der im Februar 2014 erklärten Kündigungen keiner erneuten Massenentlassungsanzeige nach § 18 Abs. 4 [X.].

a) Gemäß § 18 Abs. 4 [X.] bedarf es unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 [X.] einer erneuten Anzeige, wenn die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] zulässig sind, „durchgeführt“ werden. Damit ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein aktives Handeln, nämlich das „Umsetzen in die Tat“ ([X.] 9. Aufl. Stichwort „Durchführung“), bspw. die „Verwirklichung“, die „Ausführung“ oder die „Bewerkstelligung“ ([X.] Das Synonymwörterbuch 5. Aufl. Stichwort „Durchführung“), gemeint. Die Regelung ist deshalb dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, die Kündigungen innerhalb der 90-Tage-Frist zu erklären (vgl. [X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 29 mwN, [X.]E 128, 256). Er muss nach Ablauf der sog. [X.] eine erneute Anzeige erstatten, wenn er von der Möglichkeit der Kündigungserklärung bis dahin keinen Gebrauch gemacht hat. Auf diese Weise werden „Vorratsanzeigen“ verhindert, die dem Zweck des Gesetzes zuwiderliefen, die [X.] über das tatsächliche Ausmaß der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen ins Bild zu setzen (vgl. [X.] 23. Februar 2010 - 2 [X.]/08 - Rn. 33, [X.]E 133, 240; zustimmend: [X.] EWiR 2010, 579, 580; Clemenz [X.]. EzA [X.] § 18 Nr. 2; [X.] [X.] 35/2010 [X.]. 4; vgl. auch [X.] 20. Januar 2016 - 6 [X.] - Rn. 33 mwN; 22. April 2010 - 6 [X.] - Rn. 21, [X.]E 134, 176; v. [X.] in [X.]/L 15. Aufl. § 18 Rn. 25; [X.]/[X.] 16. Aufl. § 18 [X.] Rn. 7; [X.]/Oberwinter in [X.]/[X.]/[X.] [X.] 3. Aufl. § 18 Rn. 21 f.; AR/[X.] 7. Aufl. § 18 [X.] Rn. 20; [X.]/[X.] ArbR-HdB 16. Aufl. § 142 Rn. 37; APS/Moll 4. Aufl. § 18 [X.] Rn. 38; [X.]/[X.]/[X.] Stand April 2016 § 18 [X.] Rn. 19; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 18 Rn. 20; [X.]/[X.] Stand 15. März 2016 [X.] § 18 Rn. 17; Stahlhacke/[X.] 11. Aufl. Rn. 1664; [X.]/[X.] 11. Aufl. § 18 [X.] Rn. 40; [X.] in [X.]/[X.] [X.] 10. Aufl. § 18 Rn. 18; [X.][X.]/Zwanziger/[X.] 9. Aufl. § 18 [X.] Rn. 17).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das [X.] zutreffend erkannt, dass die streitgegenständliche Kündigung des [X.] innerhalb der sog. [X.] des § 18 Abs. 4 [X.] erklärt wurde. Die Frist von 90 Tagen schließt sich unmittelbar an das Ende der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] an. Die Sperrfrist endete hier mit dem 27. Januar 2014, das heißt die [X.] begann am 28. Januar 2014. Die mit Schreiben vom 22. Februar 2014 erklärte Kündigung des [X.] ging diesem innerhalb der [X.] zu. Dies belegt schon der Umstand, dass er bereits am 25. Februar 2014 die vorliegende Kündigungsschutzklage erhob.

5. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel     

        

        

        

    Wollensak    

        

    C. Klar    

                 

Meta

6 AZR 638/15

09.06.2016

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Lingen, 23. Oktober 2014, Az: 3 Ca 191/14, Urteil

§ 17 Abs 1 S 1 KSchG, § 17 Abs 2 S 1 Nr 3 KSchG, § 17 Abs 2 S 1 Nr 2 KSchG, § 17 Abs 3 KSchG, § 18 Abs 4 KSchG, § 18 Abs 1 KSchG, § 134 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2016, Az. 6 AZR 638/15 (REWIS RS 2016, 10274)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10274

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Referenzen
Wird zitiert von

10 Sa 1022/18

11 Sa 986/18

3 Sa 740/18

4 Sa 971/18

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