Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.10.2012, Az. X B 161/11

10. Senat | REWIS RS 2012, 2012

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Gegenstand

(Berichtigung gem. § 107 Abs. 1 FGO - Rechtmittelfrist mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses - Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung)


Leitsatz

NV: Ergeht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ein Urteil, wird den Beteiligten aber stattdessen ein Gerichtsbescheid zugestellt, dann kann dies im Fall des Vorliegens eines mechanischen Versehens nach § 107 Abs. 1 FGO berichtigt werden. Eine solche Berichtigung wird nicht dadurch gehindert, dass ein Beteiligter im Hinblick auf den Gerichtsbescheid bereits einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat .  

Tatbestand

1

I. Die nicht postulationsfähige Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb vor dem [X.] ([X.]) ein Klageverfahren. In diesem Verfahren führte der zuständige Einzelrichter am 31. August 2011 eine mündliche Verhandlung durch, an der die Klägerin nicht teilnahm. Die Verhandlung wurde mit dem Beschluss geschlossen, dass die Entscheidung am Schluss der Sitzung verkündet werde. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung ist vermerkt: "Nach Beratung des Gerichts wurde um 10:25 das folgende Urteil verkündet: Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens".

2

Im [X.] hieran setzte der Einzelrichter unter dem Datum vom 31. August 2011 einen Gerichtsbescheid mit dem vorstehend genannten Tenor ab. Nach der Rechtsmittelbelehrung konnte innerhalb eines Monats nach Zustellung des [X.] mündliche Verhandlung beantragt werden. Dieser Gerichtsbescheid wurde der Klägerin am 9. September 2011 zugestellt. Hierauf beantragte sie am 7. Oktober 2011 beim [X.] mündliche Verhandlung.

3

Bereits am 15. September 2011 hatte das [X.] den vorstehend genannten Gerichtsbescheid dahingehend berichtigt, "dass die Bezeichnung der Entscheidung als Gerichtsbescheid durch die Bezeichnung Urteil ersetzt wird und dass der 1. Senat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31.08.2011 durch [X.] am [X.] X als Einzelrichter für Recht erkannt hat." Zudem wurde die Rechtsmittelbelehrung "Antrag auf mündliche Verhandlung" dahingehend berichtigt, dass die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden konnte. Die hierfür geltenden Voraussetzungen hat das [X.] in dem [X.] im Einzelnen ausgeführt. Die den [X.] selbst betreffende Rechtsmittelbelehrung weist darauf hin, dass der Beschluss innerhalb von zwei Wochen angefochten werden könne.

4

Am 12. Oktober 2011 wurde der Klägerin der [X.] zugestellt. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin wandte sich hierauf mit [X.] vom 26. Oktober 2011 an das [X.]. In diesem führte der Rechtsanwalt unter Hinweis auf das Aktenzeichen des beim [X.] in der Streitsache anhängigen Verfahrens aus, er lege das erforderliche Rechtsmittel ein. Ihm sei nicht bekannt, ob und wann welche Entscheidungen ergangen und welche Rechtsmittel hiergegen möglich seien. Vorsorglich stelle er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem [X.]-Schreiben war ein an den Rechtsanwalt gerichtetes Schreiben der Klägerin vom 26. Oktober 2011 beigefügt. In diesem führt die Klägerin aus, der [X.] und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) habe gegen sie zu Unrecht eine Steuerschuld festgesetzt. Der Rechtsanwalt solle sie vor dem [X.] vertreten. Allerdings laufe die Beschwerdefrist mit Ablauf des heutigen Tags ab. Mit einem nachfolgenden ebenfalls per [X.] eingereichten Schreiben vom 26. Oktober 2011 legte der Rechtsanwalt namens der Klägerin gegen den Beschluss vom 15. September 2011 beim [X.] Beschwerde ein und beantragte, die Revision zuzulassen. Das [X.] hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

5

Mit dem beim [X.] ([X.]) eingereichten Schriftsatz vom 18. November 2011 macht die Klägerin geltend, der [X.] sei rechtswidrig. Da sie Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe, gelte der Gerichtsbescheid als nicht ergangen. Er wirke deshalb nicht mehr als Urteil und könne daher nicht nach § 107 der [X.]sordnung ([X.]O) berichtigt werden. Das [X.] könne den durch mündliche Verhandlung zu überprüfenden Gerichtsbescheid nicht in ein Urteil umwandeln. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung gehe einem Berichtigungsverfahren vor. Diese Möglichkeit habe das [X.] der Klägerin genommen, weil es ohne gesetzliche Grundlage einen [X.] erlassen habe. Damit sei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, auf dem das Urteil beruhe, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich bei der erneuten mündlichen Verhandlung durch ergänzenden Sachvortrag die Entscheidungsgrundlage geändert hätte.

6

Die Klägerin beantragt,
den Rechtsstreit zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung an das [X.] zurückzuverweisen, damit dieses die mündliche Verhandlung anberaumen kann;
hilfsweise für den Fall, dass dem vorstehenden Antrag nicht stattgegeben wird, das Beschwerdeverfahren durchzuführen mit dem Antrag, die Revision zuzulassen.

7

Das [X.] hat sich zu dem klägerischen Begehren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

8

II. Das Begehren der Klägerin hat insgesamt keinen Erfolg. Ihrem Antrag, den Rechtsstreit an das [X.] zwecks Erledigung des gegen den Gerichtsbescheid vom 31. August 2011 gerichteten Antrags auf mündliche Verhandlung zurückzuverweisen, kann nicht entsprochen werden (unten 2.). Auch der hilfsweise von ihr eingelegten Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ist nicht zu entsprechen (unten 3.).

9

1. Das klägerische Begehren kann nicht als eine gegen den Berichtigungsbeschluss nach § 107 [X.]O gerichtete Beschwerde i.S. des § 128 Abs. 1 [X.]O ausgelegt werden. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat zunächst mit ihrem am 26. Oktober 2011 um 10.19 h an das [X.] übersandten Schreiben lediglich das "erforderliche Rechtsmittel" eingelegt, ohne darzutun, gegen welche gerichtliche Entscheidung des [X.] sich dieses Rechtsmittel richten soll. Am gleichen Tag hat der Klägervertreter mit dem um 17.47 h an das [X.] übersandten Schreiben klargestellt, dass sich das Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 15. September 2011 richtet. Beantragt wurde jedoch nicht die Änderung oder Aufhebung des [X.] vom 15. September 2011, sondern die Zulassung der Revision. Da die Erklärung von einem Angehörigen der rechtsberatenden Berufe stammt, kann die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 1 [X.]O) nicht in eine gegen den Berichtigungsbeschluss gerichtete Beschwerde gemäß § 128 [X.]O umgedeutet werden (vgl. zur Auslegung von Verfahrenserklärungen, die von Angehörigen von rechts- und steuerberatenden Berufen abgegeben werden [X.] vom 21. Juli 2005 VIII B 77/05, [X.] 2005, 1861, und BFH-Urteil vom 26. April 2006 II R 35/06, [X.] 2006, 1800).

2. Dem klägerischen Antrag, den Rechtsstreit zwecks Durchführung einer mündlichen Verhandlung an das [X.] zurückzuverweisen, kann nicht entsprochen werden.

a) Das klägerische Begehren beruht auf der Annahme, es sei vom [X.] eine mündliche Verhandlung durchzuführen, weil die Klägerin rechtzeitig nach Zustellung des ihr gegenüber ergangenen Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt habe (§ 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O). Wegen der in diesem Fall gegebenen Rechtsfolge des § 90a Abs. 3 Halbsatz 2 [X.]O, wonach der Gerichtsbescheid nicht als ergangen gelte, gehe der Berichtigungsbeschluss des [X.] ins Leere und sei damit gegenstandslos.

b) Diese Rechtsauffassung teilt der beschließende Senat nicht. Ergeht in einem Finanzrechtsstreit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ein Urteil, dann wird dieses als solches mit der Verkündung gemäß § 104 Abs. 1 [X.]O und nicht erst mit der Zustellung wirksam und bindend (BFH-Urteil vom 23. Oktober 2003 V R 24/00, [X.], 523, [X.], 89). Weicht die später zugestellte schriftliche Urteilsfassung von der verkündeten Entscheidung ab, dann ist die schriftliche Fassung im Falle des Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit gemäß § 107 Abs. 1 [X.]O zu berichtigen (BFH-Urteil vom 17. Dezember 2008 IV R 11/06, [X.] 2009, 937).

Nichts anderes kann gelten, wenn den Beteiligten statt des verkündeten Urteils in der schriftlichen Fassung ein Gerichtsbescheid i.S. des § 90a Abs. 1 [X.]O zugestellt wird. In einem solchen Fall ist eine Berichtigung gemäß § 107 Abs. 1 [X.]O durchzuführen, denn diese Vorschrift erfasst grundsätzlich auch Gerichtsbescheide ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 107 [X.]O Rz 1). Ein solcher Berichtigungsbeschluss ist unabhängig davon zulässig, ob vor Ergehen eines solchen [X.] oder --wie im [X.] erst danach, aber noch vor dessen Zustellung gegen den schriftlich zugestellten Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist.

c) Ein Berichtigungsverfahren nach § 107 Abs. 1 [X.]O dient der Beseitigung von Schreib- und Rechenfehlern und von ähnlichen mechanischen Versehen. Dementsprechend muss es sich um einen Irrtum in der Erklärung handeln; ein Fehler in der gerichtlichen Willensbildung muss ausgeschlossen sein ([X.] in [X.], [X.]O, § 107 Rz 5, m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung des BFH).

Liegt ein solches mechanisches Versehen i.S. des § 107 [X.]O vor, dann ist die Berichtigung weder antrags- noch fristgebunden; die Unrichtigkeit ist vielmehr jederzeit vom Gericht zu berichtigen. Sie kann von Amts wegen sowie nach Einlegung von Rechtsmitteln und auch nach Eintritt der Rechtskraft vorgenommen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Juli 1991 [X.] 164/90, [X.] 1992, 120). Auch steht der Berichtigung nicht entgegen, dass gegen die zu berichtigende gerichtliche Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt worden ist und infolge der durchzuführenden Berichtigung der Erfolg des Rechtsmittels entfallen kann ([X.] vom 18. Juli 1985 VI B 124/84, [X.] 1986, 167). Dementsprechend kann durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung i.S. des § 90a Abs. 2 Satz 1 [X.]O eine erforderliche Berichtigung nach § 107 [X.]O nicht gehindert werden.

d) Durch diese Auslegung wird entgegen der klägerischen Auffassung die Möglichkeit eines Beteiligten auf Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung nicht in unzulässiger Weise beschränkt. Zwar hat eine Berichtigung zur Folge, dass der Berichtigungsbeschluss auf die Zeit des Wirksamwerdens der gerichtlichen Entscheidung, hier also auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung, zurückwirkt.

Auch hat die Durchführung eines [X.] grundsätzlich keinen Einfluss auf den Lauf der für das (berichtigte) Urteil geltenden Rechtsmittelfrist ([X.] in Tipke/ [X.], a.a.[X.], § 107 [X.]O Rz 7, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Anders ist es hingegen dann, wenn sich erst auf Grund der berichtigten Entscheidung die zutreffende Grundlage für das weitere Handeln der Beteiligten ergibt (Beschluss des [X.] --BGH-- vom 23. April 1955 VI ZB 4/55, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1955, 989, und [X.] vom 10. Juli 1996 XI B 134/95, [X.] 1997, 48). Dies ist bei der hier zu beurteilenden Konstellation der Fall: Denn erst auf Grund des [X.] werden die Verfahrensbeteiligten darüber belehrt, dass das (berichtigte) Urteil mittels der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann. Der Lauf der Rechtsmittelfrist beginnt mithin erst mit der Zustellung des [X.] ([X.] in NJW 1955, 989; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 55 [X.]O Rz 38).

e) Im Streitfall hat ein Versehen i.S. des § 107 Abs. 1 [X.]O vorgelegen. Auf Grund der Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung (§ 94 [X.]O i.V.m. § 160 Abs. 3 Nrn. 6 und 7 und § 165 der Zivilprozessordnung) steht fest, dass der Einzelrichter des [X.] am 31. August 2011 im Streitfall ein klageabweisendes Urteil verkündet hat. Es ist daher offensichtlich, dass der nachfolgend schriftlich abgefasste Gerichtsbescheid auf einem eindeutigen Versehen und damit auf einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 [X.]O beruht. Dass der Fehler nicht allein aus der zu berichtigenden gerichtlichen Entscheidung, sondern erst mittels Heranziehung des Protokolls feststellbar ist, spielt keine Rolle (vgl. dazu auch [X.] vom 21. August 2003 XI B 239/02, [X.] 2004, 67).

3. Die von der Klägerin hilfsweise eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Frage, ob die Darlegungsanforderungen des § 116 [X.]O beachtet worden sind, scheitert die Beschwerde daran, dass der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O nicht gegeben ist. Wie oben (unter 2.) ausgeführt, konnte das [X.] ungeachtet des von der Klägerin gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung den Berichtigungsbeschluss erlassen. In der fehlenden Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung liegt daher kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.

Meta

X B 161/11

24.10.2012

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 31. August 2011, Az: 1 K 830/10, Urteil

§ 90a Abs 2 FGO, § 90a Abs 3 FGO, § 94 FGO, § 107 Abs 1 FGO, § 160 Abs 3 Nr 6 ZPO, § 160 Abs 3 Nr 7 ZPO, § 165 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.10.2012, Az. X B 161/11 (REWIS RS 2012, 2012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2012

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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