Bundessozialgericht, Urteil vom 21.07.2021, Az. B 14 AS 99/20 R

14. Senat | REWIS RS 2021, 3924

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - absoluter Revisionsgrund - Grundsatz des gesetzlichen Richters - Verwerfung der Berufung - Entscheidung durch Beschluss nach einem Gerichtsbescheid - keine Beantragung der mündlichen Verhandlung durch den Kläger


Leitsatz

Hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen, schließt dies eine Verwerfung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nicht aus, wenn der Kläger von seinem Recht, vor dem Sozialgericht eine mündliche Verhandlung zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht hat.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 11. April 2019 - L 31 AS 262/19 - wird im Hinblick auf den Antrag zu 1) zurückgewiesen und im Hinblick auf den Antrag zu 2) als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich im Überprüfungsverfahren gegen drei Sanktionsbescheide aufgrund von Meldeversäumnissen.

2

Das beklagte Jobcenter forderte den Kläger ua mit Schreiben vom 4.9.2015, 27.10.2015 und vom 29.12.2015 auf, zu Terminen zu erscheinen. Nachdem der Kläger diesen Meldeaufforderungen nicht nachkam, stellte der Beklagte eine Minderung des [X.] jeweils für die Dauer von drei Monaten iHv 10 % des Regelbedarfs fest (Bescheid vom 11.12.2015 für den Zeitraum Januar bis März 2016 über 39,90 Euro im Monat; weiterer Bescheid vom 11.12.2015 ebenfalls für den Zeitraum Januar bis März 2016 über 39,90 Euro im Monat; Bescheid vom 16.3.2016 für den Zeitraum April bis Juni 2016 über 40,40 Euro im Monat). Die hiergegen erhobenen Klagen blieben erfolglos (zuletzt B[X.] vom [X.] AS 256/17 B; B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B; B[X.] vom [X.] [X.]/17 B). Der Kläger stellte daraufhin Überprüfungsanträge (zwei Schreiben vom [X.] sowie Schreiben vom [X.]), die der Beklagte ablehnte (zwei Bescheide vom 12.2.2018 sowie Bescheid vom 30.8.2018; zwei Widerspruchsbescheide vom 4.5.2018 sowie Widerspruchsbescheid vom 17.9.2018).

3

Das [X.] hat die Klagen verbunden und abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.1.2019). Die Berufung hat es nicht zugelassen. Mit der angefügten Rechtsmittelbelehrung hat es den Kläger darüber belehrt, er könne wahlweise mündliche Verhandlung beantragen oder Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung einlegen. Der Kläger hat ausdrücklich Berufung (L 31 AS 262/19) und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt (L[X.] vom [X.] - L 31 AS 1099/19 [X.]). Das L[X.] hat - nach Anhörung zu einer Entscheidung nach § 158 Satz 2 [X.]G - die Berufung als unzulässig verworfen (Beschluss vom [X.]). Eine Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil das [X.] durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Sie könne auch dann ergehen, wenn eine mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 Satz 2 [X.]G nicht beantragt worden sei. Dem stehe das Gebot eines fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 [X.]) nicht entgegen. Die Berufung sei unzulässig. Streitgegenstand seien drei Sanktionsbescheide wegen Meldeversäumnissen. Der [X.] betrage 360,60 Euro (119,70 [X.] 119,70 [X.] 121,20 Euro) und überschreite die Schwelle von 750 Euro (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G) nicht.

4

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Es liege ein absoluter Revisionsgrund vor, denn das L[X.] habe zu Unrecht durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G und nicht aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil unter Mitwirkung [X.] entschieden (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG), nachdem bereits das [X.] durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Im Übrigen sei die Berufung zulässig und begründet gewesen. Die Sanktionsbescheide seien nichtig. Hilfsweise hätten die Gerichte das klägerische Begehren zugleich als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der zugrunde liegenden Meldeaufforderungen auslegen müssen. Eine solche Feststellungsklage sei mangels Bezifferbarkeit stets berufungsfähig.

5

Der Kläger beantragt,

1)    

den Beschluss des [X.] vom 11. April 2019 - L 31 AS 262/19 - und den Gerichtsbescheid des [X.] vom 31. Januar 2019 - [X.] AS 5314/18 - sowie die Bescheide vom 12. Februar 2018 und vom 30. August 2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 4. Mai 2018 und vom 17. September 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Sanktionsbescheide vom 11. Dezember 2015 und 16. März 2016 aufzuheben,
hilfsweise

2)    

unter Aufhebung der unter 1) genannten gerichtlichen Entscheidungen festzustellen, dass die den Sanktionsbescheiden vom 11. Dezember 2015 und 16. März 2016 zugrunde liegenden Meldeaufforderungen rechtswidrig waren.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des [X.] ist im Hinblick auf den Antrag zu 1) unbegründet (1.) und im Hinblick auf den hilfsweise gestellten Antrag zu 2) unzulässig (2.).

8

1. Die im Hinblick auf den Hauptantrag zulässige Revision des [X.] ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Die von ihm angegriffene Berufungsentscheidung beruht nicht auf einem Verfahrensfehler in der Form des Entzugs des gesetzlichen [X.]s als absoluter Revisionsgrund (a). Zutreffend ist das [X.] zudem davon ausgegangen, dass die Berufung des [X.] unzulässig war (b).

9

a) Der Senat hat die Sache nicht schon deshalb an das [X.] zurückverweisen müssen, weil die angegriffene Entscheidung an einem Fehler im Hinblick auf die Anzahl der mitwirkenden [X.] leidet. Die Revision rügt insoweit einen Entzug des gesetzlichen [X.]s, der als absoluter Revisionsgrund (§ 202 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO) von Amts wegen zu berücksichtigen wäre (vgl nur B[X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a [X.] 3/06 R - [X.], 189 = [X.]-1500 § 155 [X.] 2, Rd[X.] 11 ff; B[X.] vom 17.8.2011 - B 6 KA 32/10 R - [X.], 34 = [X.]-2500 § 89 [X.] 5, Rd[X.] 12), hier aber nicht vorliegt. Das [X.] hat den Anspruch des [X.] auf seinen gesetzlichen [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 [X.]) nicht dadurch verletzt, dass es durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G entschieden hat, obwohl bereits das [X.] durch Gerichtsbescheid entschieden hatte; denn der Kläger hat von seinem Recht, vor dem [X.] eine mündliche Verhandlung zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht.

aa) Nach § 158 Satz 2 [X.]G "kann" die Entscheidung (über die Verwerfung der Berufung als unzulässig) durch Beschluss ergehen. Damit ist dem Berufungsgericht - insoweit vergleichbar der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G - Ermessen eingeräumt, mit dem Ziel der Entlastung der eigenen Rechtsprechungstätigkeit durch Beschluss zu entscheiden. In dieser Ermessensentscheidung liegt zugleich die Entscheidung, eine mündliche Verhandlung nicht durchzuführen (vgl § 124 Abs 3 [X.]G), weil ansonsten die Entlastungswirkung nicht eintreten kann. Die Ermessensentscheidung nach § 158 Satz 2 [X.]G kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, dh etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde gelegt hat (stRspr; vgl nur B[X.] vom 30.10.2019 - [X.] [X.]/19 B - Rd[X.] 2). Die Möglichkeit, nach § 158 Satz 2 [X.]G ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, ist eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Insoweit strahlt Art 6 Abs 1 [X.], wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre "zivilrechtlichen" Ansprüche und Verpflichtungen, die die vorliegenden [X.] Rechte umfassen (vgl nur B[X.] vom [X.] [X.] 22/14 B - [X.]-1500 § 158 [X.] 7 Rd[X.] 7), öffentlich verhandelt wird, auf die Ermessensentscheidung nach § 158 Satz 2 [X.]G aus. Diese Regelung gilt deshalb nur mit Einschränkungen in solchen Fällen, in denen erstinstanzlich ein Gerichtsbescheid ergangen ist (ausführlich B[X.] vom 8.11.2005 - [X.] KR 76/05 B - [X.]-1500 § 158 [X.] 2 Rd[X.] 7 ff mwN; vgl auch B[X.] vom 9.12.2008 - B 8 [X.] 13/08 B - Rd[X.] 8 und B[X.] vom 9.12.2008 - B 8 [X.] 17/08 B - Rd[X.] 6 - alle Entscheidungen für den Fall, dass gegen einen Gerichtsbescheid allein die Berufung und kein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft war).

bb) Das B[X.] hat in seiner Rechtsprechung folgende Ausnahmen anerkannt, in denen eine Entscheidung nach § 158 Satz 2 [X.]G revisionsrechtlich auch dann nicht zu beanstanden ist, wenn das [X.] durch Gerichtsbescheid entschieden hat: Dies betraf zum einen den Fall, dass der Gerichtsbescheid nur wegen der Kostenentscheidung angegriffen wird (B[X.] vom [X.] [X.] 22/14 B - [X.]-1500 § 158 [X.] 7). Zum anderen betraf dies den Fall, dass mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid durch einen Beteiligten feststeht, dass in der Sache noch eine mündliche Verhandlung vor dem [X.] stattfinden wird (B[X.] vom 12.7.2012 - [X.] [X.]/12 B - [X.]-1500 § 105 [X.] 3).

cc) Darüber hinaus ist eine Entscheidung nach § 158 Satz 2 [X.]G revisionsrechtlich grundsätzlich dann nicht zu beanstanden, wenn der Kläger - wie hier - von seinem Recht, vor dem [X.] eine mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 Satz 2 [X.]G zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht hat (so zuletzt auch B[X.] vom [X.] KR 56/20 B - noch nicht veröffentlicht; offengelassen noch von B[X.] vom 12.7.2012 - [X.] [X.]/12 B - [X.]-1500 § 105 [X.] 3 Rd[X.] 13 und B[X.] vom 25.3.2021 - [X.] KR 51/20 B - Rd[X.] 10; dafür vor allem die obergerichtliche Rechtsprechung: [X.] Baden-Württemberg vom 17.4.2020 - L 11 R 3832/19 - juris Rd[X.] 15; Bayerisches [X.] vom 10.5.2019 - [X.] 11/19 - juris Rd[X.] 6; [X.] Nie[X.]achsen-Bremen vom [X.] - L 11 AS 13/19 - juris Rd[X.] 15; [X.] Nordrhein-Westfalen vom [X.] AS 1062/13 - juris Rd[X.] 12; [X.] Berlin-Brandenburg vom [X.] [X.]79/10 - juris Rd[X.] 14; geteilt dagegen die Ansichten in der Kommentarliteratur: dafür [X.] in [X.], [X.]G, 6. Aufl 2021, § 158 Rd[X.] 8; [X.] in [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, [X.], Rd[X.] 77; Jungeblut in BeckOK [X.], § 158 [X.]G Rd[X.] 6, Stand 1.3.2021; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 158 Rd[X.] 6; [X.] in jurisPR-[X.] 3/2013 [X.] 4; [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 3. Aufl 2020, § 158 Rd[X.] 6; dagegen [X.] in [X.], [X.]G, § 158 Rd[X.] 20, Stand Oktober 2017; [X.] in Zeihe, [X.]G, § 158 Rd[X.] 13, Stand [X.]; [X.] in [X.], § 158 [X.]G Rd[X.] 10, Stand 1.5.2021).

dd) Dies entspricht der konventionsrechtlichen Rechtslage. Die Verpflichtung des Gerichts nach Art 6 Abs 1 [X.], über die Streitigkeit öffentlich zu verhandeln, korrespondiert, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung ergibt, mit einem Recht des Betroffenen (vgl hierzu nur aus letzter [X.] allgemein [X.] vom 16.3.2017 - [X.] 23621/11 - [X.] - juris Rd[X.] 34 mwN). Auf dieses Recht kann ein Kläger grundsätzlich durch ausdrückliches oder stillschweigendes Handeln verzichten (stRspr; vgl nur [X.] vom 23.6.1981 - [X.] 6878/75, 7238/75 - [X.] ua vs Belgien - Rd[X.] 59; [X.] vom 21.2.1990 - [X.] 11855/85 - [X.] und [X.] - Rd[X.] 66 ff; [X.] vom 2.10.2018 - [X.] 40575/10, 67474/10 - Mutu und [X.] - Rd[X.] 180, alle zitiert nach https://hudoc.echr.coe.int), indem ein im nationalen Verfahrensrecht vorgesehener Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht gestellt wird ([X.] vom 12.11.2002 - [X.] 38629/97 - Lundevall vs [X.] - Rd[X.] 34; so auch [X.]/[X.] in Dörr/[X.]/Marauhn, [X.]/[X.], 2. Aufl 2013, [X.] Rd[X.] 132; vgl allgemein zur Vereinbarkeit von § 105 [X.]G mit Art 6 Abs 1 [X.] [X.]/[X.]/König in [X.]/[X.]/von [X.], [X.], 4. Aufl 2017, Art 6 Rd[X.] 173).

Der Gesetzgeber, dem es zunächst obliegt, das Spannungsverhältnis zwischen den bundesgesetzlichen Regelungen zur Entlastung der Rechtspflege [X.] und der ebenfalls im Rang eines förmlichen Bundesgesetzes stehenden [X.] (ausführlich zum Rang [X.] vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - [X.]E 111, 307) andererseits aufzulösen, ging ebenfalls davon aus, mit der Einfügung dieser Wahlmöglichkeit im Rahmen der Zulassungsberufung seine konventionsrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Das Wahlrecht nach § 105 Abs 2 Satz 2 [X.]G bei fehlender Berufungsmöglichkeit geht zurück auf das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 ([X.]), das die entsprechenden Regelungen aus der VwGO in das sozialgerichtliche Verfahren übernahm (BT-Drucks 12/1217 [X.]). Eine entsprechende Regelung wurde in die VwGO eingefügt durch § 84 Abs 2 [X.] 2 VwGO idF des 4. [X.] vom 17.12.1990 ([X.]) und - im Hinblick auf die grundsätzliche Zulassungsbedürftigkeit der Berufung seit dem 6. [X.] - angepasst (§ 84 Abs 2 [X.] 1 VwGO idF des 6. [X.] vom 1.11.1996, [X.] 1626). Nach den entsprechenden Entwurfsbegründungen trage die Ausgestaltung der Rechtsbehelfe dem Umstand Rechnung, dass die Beteiligten Anspruch auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in mindestens einer Instanz hätten (BT-Drucks 11/7030 [X.] zu einem 4. [X.]) und verlange Art 6 Abs 1 [X.], dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne, wobei es dem Kläger freistehe, stattdessen die Zulassung der Berufung zu beantragen (BT-Drucks 13/3993 [X.] zu einem 6. [X.]). Hierüber entscheidet das Berufungsgericht durch Beschluss in der Regel ohne mündliche Verhandlung (§ 124a Abs 5 Satz 1 iVm § 101 Abs 3 VwGO; vgl für die sozialgerichtliche Nichtzulassungsbeschwerde § 145 Abs 4 Satz 1 iVm § 124 Abs 3 [X.]G).

Zuletzt spricht für die grundsätzliche Möglichkeit, in Fallgestaltungen wie der vorliegenden die Berufung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G als unzulässig zu verwerfen, dass sich der Antrag auf mündliche Verhandlung und die zulassungsfreie Berufung im Grundsatz gegenseitig ausschließen (vgl § 105 Abs 2 Satz 2 [X.]G; hierzu B[X.] vom 31.1.2017 - [X.]3 R 33/16 BH - Rd[X.] 18; vgl auch B[X.] vom 12.7.2012 - [X.] [X.]/12 B - [X.]-1500 § 105 [X.] 3 Rd[X.] 6; B[X.] vom 17.11.2015 - [X.] KR 130/14 B - Rd[X.] 12). Daraus folgt zugleich, dass Gegenstand der Entscheidung des [X.] bei durch das Gesetz eingeräumter Möglichkeit, vor dem [X.] eine mündliche Verhandlung zu beantragen, grundsätzlich nur die prozessuale Rechtsfrage nach der [X.] der Berufung sein kann. In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass ein solcher Prüfungsgegenstand ein legitimer Belang sein kann, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten ([X.] vom 29.10.1991 - [X.] 11826/85 - [X.] vs [X.] - Rd[X.] 36; ferner [X.] vom 9.6.2016 - [X.] 44164/14 - [X.] vs [X.] - juris Rd[X.] 24 mwN).

ee) Handelt das [X.] bei seiner Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G im Grundsatz nicht (erkennbar) ermessenswidrig, wenn das [X.] durch Gerichtsbescheid mit der Möglichkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung entschieden hat, kann diese Vorgehensweise gleichwohl im Einzelfall fehlerhaft sein und zu einem revisionsrechtlich erheblichen Verfahrensmangel führen. Ob dies der Fall ist, kann nur auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung des Verfahrens beurteilt werden. Danach kann die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in solchen Fallgestaltungen aus Gründen der prozessualen Fürsorge- und Hinweispflicht geboten sein, wenn die abgegebenen prozessualen Erklärungen auslegungsbedürftig sind, wovon wiederum die [X.] der Berufung abhängt (so zuletzt B[X.] vom 25.3.2021 - [X.] KR 51/20 B - Rd[X.] 11 f). Die Entscheidung, durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G zu entscheiden, kann ferner dann ermessenswidrig sein, wenn der Kläger vor dem [X.] keine echte Wahlmöglichkeit im Hinblick auf sein Recht, mündliche Verhandlung zu beantragen, hatte (vgl Beschluss des [X.] [X.] [X.]/19 B - Rd[X.] 3 f für den Fall, dass das [X.] in seinem Gerichtsbescheid fehlerhaft nur über das Rechtsmittel Berufung belehrt hat und der Kläger erst kurz vor Ablauf der deshalb laufenden Jahresfrist mit unklarem Schreiben des [X.] darauf hingewiesen wurde, er könne stattdessen mündliche Verhandlung beantragen).

Der vorliegende Fall bietet keine Anhaltspunkte, von einer Ermessenswidrigkeit auszugehen. Der Kläger ist der Ansicht, seine Berufung sei aus Rechtsgründen zulassungsfrei. Gleichwohl hat er zeitgleich mit seiner Berufung eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Das [X.] hat ihn über seine Rechtsbehelfe zutreffend belehrt. Die Prozesshandlungen des [X.] waren, soweit hier erheblich, nicht auslegungsbedürftig.

b) Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass die Berufung des [X.] unzulässig war, weil der Wert des [X.] 750 Euro nicht überstieg. Die Klage betrifft Verwaltungsakte, die auf eine Geldleistung gerichtet sind (§ 144 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 [X.]G; vgl - den ebenfalls den Kläger betreffenden - Beschluss des Senats vom [X.] - [X.] [X.]/18 B - Rd[X.] 5). [X.] sind mehrere Sanktionsbescheide, die eine Leistungsminderung iHv insgesamt 360,60 Euro zum Gegenstand hatten. Mit dem Revisionsantrag zu 1) begehrt der Kläger eine Aufhebung dieser Bescheide im Überprüfungsverfahren. Soweit der Kläger geltend macht, die Sanktionsbescheide seien nichtig, ändert dies am Wert des [X.] nichts.

2. Soweit der Kläger mit seinem hilfsweise gestellten Revisionsantrag zu 2) beantragt hat festzustellen, dass die den Sanktionsbescheiden zugrunde liegenden Meldeaufforderungen rechtswidrig waren, ist die Revision als unzulässig zu verwerfen. Es handelt sich insoweit um eine Klageänderung, die im Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 168 Satz 1 [X.]G) und zur Verwerfung der Revision führt (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], 13. Aufl 2020, § 168 Rd[X.] 2d). Die Meldeaufforderungen, bei denen es sich um (inzwischen erledigte) Verwaltungsakte handelt, deren Rechtmäßigkeit als Vorfrage für die Feststellung eines [X.] inzident zu überprüfen ist (vgl nur B[X.] vom 29.4.2015 - [X.] AS 19/14 R - B[X.]E 119, 17 = [X.]-4200 § 31a [X.] 1, Rd[X.] 30 mwN), waren bislang nicht Streitgegenstand im Verfahren. Aus den Anträgen des [X.] vor dem [X.] und dem [X.] ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte. Im Übrigen würde sich durch einen solchen Feststellungsantrag an dem Nichterreichen des notwendigen Werts des [X.] nichts ändern (vgl nur B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/18 B - Rd[X.] 4 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 99/20 R

21.07.2021

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 31. Januar 2019, Az: S 213/5314/18, Gerichtsbescheid

§ 158 S 1 SGG, § 158 S 2 SGG, § 105 Abs 2 S 2 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.07.2021, Az. B 14 AS 99/20 R (REWIS RS 2021, 3924)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3924

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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