Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.10.2019, Az. B 14 AS 7/19 B

14. Senat | REWIS RS 2019, 2059

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Ermessensentscheidung - Berufung gegen einen Gerichtsbescheid - Feststehen einer mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 26. November 2018 - L 8 AS 557/17 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 26.11.2018 ist zulässig, denn er hat mit ihr eine Verletzung von § 158 Satz 2 [X.]G und zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Die Beschwerde ist auch begründet.

2

Nach § 158 Satz 2 [X.]G kann die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ergehen. Damit ist dem Berufungsgericht - insoweit vergleichbar der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G - Ermessen eingeräumt, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung kann im Revisionsverfahren zwar nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht, dh etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde gelegt hat. Allerdings verbietet es im Regelfall das Gebot fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 158 Satz 2 [X.]G zu entscheiden, wenn diese sich gegen einen Gerichtsbescheid richtet (vgl B[X.] vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - [X.] 4-1500 § 158 [X.] RdNr 7 ff; B[X.] vom 12.7.2012 - [X.] [X.]/12 B - [X.] 4-1500 § 105 [X.] RdNr 5; B[X.] vom [X.] [X.] 22/14 B - RdNr 6 f; zuletzt [X.], jurisPR-[X.] 18/2019 Anm 4).

3

Vorliegend hat das [X.] in Verletzung dieses Grundsatzes durch Beschluss nach § 158 Satz 2 [X.]G entschieden, obwohl sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid gerichtet hat. Zwar ist in der Rechtsprechung des B[X.] anerkannt, dass eine Entscheidung nach § 158 Satz 2 [X.]G in einer solchen Konstellation ausnahmsweise zulässig sein kann. Dies ist etwa der Fall, wenn sicher feststeht, dass in der Sache noch eine mündliche Verhandlung vor dem [X.] stattfinden wird (so für den vorrangigen Antrag des Gegners auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 Satz 3 [X.]G: B[X.] vom 12.7.2012 - [X.] [X.]/12 B - [X.] 4-1500 § 105 [X.]). Ob durch Beschluss entschieden werden kann, wenn ein Beteiligter von seiner Möglichkeit, mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 Satz 2 [X.]G zu beantragen, keinen Gebrauch macht, hat der Senat seinerzeit offengelassen (B[X.] aaO RdNr 13 mwN zum [X.]). Jedenfalls im vorliegenden Fall ist kein Raum für eine solche Ausnahme: Das [X.] hatte in seinem dem Kläger am 27.10.2017 zugestellten Gerichtsbescheid ausdrücklich nur über das Rechtsmittel Berufung belehrt. Erstmals hingewiesen auf eine mögliche Unzulässigkeit der Berufung hat das [X.] in seinem [X.] vom 16.10.2018. Davon ausgehend, dass wegen der - bei Unzulässigkeit der Berufung - falschen Rechtsmittelbelehrung des [X.] die mündliche Verhandlung vor dem [X.] noch binnen einer Frist von einem Jahr hätte beantragt werden können (§§ 105 Abs 2 Satz 1 und 2, 66 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 [X.]G), wäre dem Kläger hierfür ein deutlich zu kurzer Zeitraum von nur einigen Tagen verblieben.

4

Hinzu kommt, dass das [X.] zur Begründung seiner Auffassung in dem [X.] allein auf einen Änderungsbescheid vom [X.] Bezug genommen hat, der im Verfahren bisher keine Rolle spielte. Es erschließt sich auch nicht ohne Weiteres, worauf der Kläger zu Recht hinweist, warum eine auf Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides über einen Betrag von ca 2000 Euro gerichtete Klage durch eine spätere Leistungsbewilligung, bei der nicht problematisiert wird, ob und in welcher Weise sie Bedeutung für den Gegenstand des Klageverfahrens haben kann, den Wert des [X.] von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]G einschränken soll. Diese Fragen hätten in einer - vom [X.] auch zunächst anberaumten - mündlichen Verhandlung möglicherweise einer Klärung zugeführt werden können.

5

Bei seiner Entscheidung über die Berufung des [X.] durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung [X.] war das [X.] nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine Verletzung des § 158 Satz 2 [X.]G führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 [X.]G), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl letztens etwa B[X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/16 B - juris RdNr 4). Dieser die angefochtene Entscheidung des [X.] insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 [X.]G).

6

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 7/19 B

30.10.2019

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Neubrandenburg, 20. Oktober 2017, Az: S 13 AS 565/17, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 S 1 SGG, § 158 S 2 SGG, § 105 Abs 2 S 2 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.10.2019, Az. B 14 AS 7/19 B (REWIS RS 2019, 2059)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2059

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