Bundessozialgericht, Urteil vom 08.02.2017, Az. B 14 AS 3/16 R

14. Senat | REWIS RS 2017, 16012

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten - Anwendbarkeit des § 34 Abs 1 S 1 SGB 2 in der seit dem 1.4.2011 geltenden Fassung auf vorhergehende Lebenssachverhalte - Ausschluss durch Sanktionierung des Verhaltens nach den §§ 31 ff SGB 2 - Herbeiführung der Leistungsvoraussetzungen - Aufrechterhaltung der Hilfebedürftigkeit)


Leitsatz

1. Die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten ist nicht ausgeschlossen durch eine Leistungsminderung bei Pflichtverletzung ("Sanktion"), die an dasselbe Verhalten anknüpft.

2. Das Aufrechterhalten ist kein Herbeiführen der Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II und begründete nach dem bis zum 31.7.2016 geltenden Recht keinen Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 [X.].

2

Der Kläger bezog mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Während des Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Februar bis Juni 2011) schloss der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab dem 14.2.2011 mit einer Zeitarbeitsfirma als Schweißer, nach dem ihm auch vorübergehend andere Tätigkeiten zugewiesen werden konnten. Am 23.2.2011 wurde dem Kläger zum 28.2.2011 gekündigt, weil er - nach Angaben der Zeitarbeitsfirma - am 22.2.2011 mitgeteilt habe, er wolle die Arbeit bei dem Entleiher nicht fortsetzen, da er nicht als Schweißer eingesetzt werde, und weil er trotz Aufforderung, die Arbeit fortzusetzen, diese nicht wieder aufgenommen habe. Hierauf stellte der [X.] eine Pflichtverletzung des [X.] fest und minderte dessen [X.] um 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs ab Juni 2011 für drei Monate (Bescheid vom 12.5.2011). Der Kläger nahm während des fortdauernden Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2011) zum 31.8.2011 eine Arbeit auf, worauf der [X.] die Leistungsbewilligung für die Bedarfsgemeinschaft ab Oktober 2011 wegen bedarfsdeckenden Einkommens ganz aufhob.

3

Nach Anhörung des [X.] und seiner Ehefrau machte die vom [X.]n herangezogene [X.] gegenüber beiden einen Ersatzanspruch nach § 34 [X.] in Höhe von 7520,97 Euro für die an die Bedarfsgemeinschaft von April bis September 2011 gezahlten Leistungen geltend (Bescheid vom 18.5.2012). Durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.2.2011 aufgrund arbeitsvertragswidrigen Verhaltens des [X.] sei der Anspruch der [X.] auf Leistungen nach dem [X.] durch sozialwidriges Verhalten verursacht worden. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des [X.] und seiner Ehefrau wies der [X.] zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.9.2012).

4

Im Klageverfahren des [X.] und seiner Ehefrau vor dem [X.] stellte der [X.] klar, dass sich der Ersatzanspruch allein gegen den Kläger richte, und er anerkannte in der mündlichen Verhandlung vom [X.] den [X.] gegenüber dessen Frau, was diese annahm. Das [X.] hat die Klage des [X.] abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat auf die Berufung des [X.] das Urteil des [X.] und den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 und in der Fassung des [X.] vom [X.] aufgehoben (Urteil vom 10.12.2015): Der Kläger habe die Voraussetzungen für den Leistungsbezug nicht iS des § 34 [X.] herbeigeführt, weil das Herbeiführen nicht auch das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit umfasse; Hilfebedürftigkeit habe bereits zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Verhaltens des [X.] bestanden.

5

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision macht der [X.] die Verletzung von § 34 [X.] geltend. Für das Herbeiführen bzw das "Aufrechterhalten" sei auf den Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen; hierdurch sei bereits die Hilfebedürftigkeit entfallen.

6

Der [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2015 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 28. April 2014 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Sein angefochtener Bescheid über einen Ersatzanspruch gegen den [X.]läger ist vom [X.] zu Recht aufgehoben worden.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des [X.], durch das auf die Berufung des [X.] das klageabweisende Urteil des [X.] und der vom [X.]läger angefochtene Bescheid des Beklagten aufgehoben wurden, und damit das Begehren des Beklagten, unter Aufhebung des Urteils des [X.] die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] zurückzuweisen. Durch dieses war seine [X.]lage gegen den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 abgewiesen worden, durch die der Beklagte einen Ersatzanspruch nach § 34 [X.]B II gegen den [X.]läger geltend gemacht hatte.

2. Hiergegen wendet sich zutreffend allein der [X.]läger mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 [X.]G; vgl B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - B[X.]E 112, 135 = [X.]-4200 § 34 [X.], Rd[X.]1). Der angefochtene Bescheid regelt die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nur noch gegenüber dem [X.]läger und nicht mehr gegenüber seiner Ehefrau, nachdem der Beklagte vor dem [X.] ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben und die zunächst klagende Ehefrau dieses angenommen hat.

Zutreffend auch richtet sich die Anfechtungsklage gegen das Jobcenter des beklagten [X.] Zwar ist der Bescheid vom 18.5.2012 von der [X.] erlassen worden, doch liegt dem weder eine abweichende Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch eine Wahrnehmungszuständigkeit der Samtgemeinde zugrunde (vgl zu einer solchen B[X.] Urteil vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 117, 186 = [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 9 f). Nur der beklagte [X.] ist ein zugelassener kommunaler Träger nach § 6a [X.]B II (Anlage zu § 1 der [X.]). Die Samtgemeinde ist vom Beklagten zur Durchführung der diesem als zugelassenen kommunalen Träger obliegenden Aufgaben nur in dessen Namen herangezogen worden (vgl § 3 Abs 1 [X.] zur Ausführung des [X.] und des § 6b des Bundeskindergeldgesetzes vom 16.9.2004 ).

3. Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Geltendmachung eines Ersatzanspruchs kommt allein § 34 [X.]B II in Betracht, der eine Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Erlass eines Verwaltungsakts iS des § 31 [X.]B X vorsieht (vgl B[X.] Urteil vom 16.4.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.]-4200 § 34 [X.] Rd[X.]2). § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]; im Folgenden: aF) bestimmt: Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet.

Diese am 1.4.2011 in [X.] getretene Fassung findet hier Anwendung, obwohl der in 2012 geltend gemachte Ersatzanspruch an einen Lebenssachverhalt - die arbeitgeberseitige [X.]ündigung des Arbeitsvertrags mit dem [X.]läger im Februar 2011 - vor dem 1.4.2011 anknüpft. Denn weder § 34 [X.]B II aF noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 77 [X.]B II ist zu entnehmen, dass die am 1.4.2011 in [X.] getretene Fassung des § 34 [X.]B II nicht auf vorherige Lebenssachverhalte Anwendung findet. Dies unterscheidet § 34 [X.]B II aF von § 31 [X.]B II (idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]), dessen Neufassung ebenfalls am 1.4.2011 in [X.] getreten ist, denn insoweit ist in § 77 Abs 12 [X.]B II bestimmt, dass § 31 [X.]B II in der bis zum [X.] geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist für Pflichtverletzungen, die vor dem 1.4.2011 begangen worden sind. Verfassungsrecht steht dem unter dem Gesichtspunkt einer Rückwirkung nicht entgegen, weil schon nicht erkennbar ist, dass insoweit ein Vertrauen auf den Fortbestand der vorherigen Rechtslage sachlich gerechtfertigt und daher schutzwürdig ist (zur Unterscheidung von unechter Rückwirkung als tatbestandlicher Rückanknüpfung und echter Rückwirkung als Rückbewirkung von Rechtsfolgen sowie zur Schutzwürdigkeit von Vertrauen vgl letztens etwa [X.] Beschluss vom 16.12.2015 - 2 BvR 1958/13 - juris RdNr 43 f, 51 f). Zudem enthielt auch § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II in der bis zum [X.] geltenden Fassung ([X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954) eine Rechtsgrundlage für einen Ersatzanspruch, deren Tatbestandsmerkmale trotz teils abweichender Formulierungen mit denen des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF übereinstimmen, insbesondere das Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit erfordern.

Der Anwendung des § 34 [X.]B II aF steht auch nicht entgegen, dass § 34 [X.]B II im [X.]punkt der Revisionsentscheidung nicht mehr in dieser, sondern in der am [X.] in [X.] getretenen Fassung gilt ([X.] - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom [X.], [X.] 1824). Denn in Rechtsstreitigkeiten über in der Vergangenheit liegende [X.]räume bzw über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen [X.]punkt geltende Recht anzuwenden.

Zwar ist eine frühere, durch eine Änderung des Gesetzes abgelöste alte Fassung des Gesetzes kein aktuell geltendes Recht mehr. Aufgrund der gesetzlichen [X.]onzeption der Übergangsvor-schriften im [X.]B II, die Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 GG folgenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes auch bei Rechtsänderungen sind, ist jedoch im [X.]B II vom sog [X.] auszugehen, nach dem das Recht anzuwenden ist, das zu der [X.] galt, in der die maßgeblichen Rechtsfolgen eingetreten sind, wenn es an einer speziellen Regelung mangelt (B[X.] Urteil vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - Rd[X.]5). Die Anordnung einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen für vergangene [X.]räume lässt sich indes weder § 34 [X.]B II noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 80 [X.]B II entnehmen, weshalb es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 allein auf das Recht ankommt, das der Beklagte noch im [X.]punkt seines Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 anzuwenden hatte.

4. In formeller Hinsicht ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Der [X.]läger ist angehört worden (§ 24 Abs 1 [X.]B X). Auch ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 [X.]B X), zumal der Beklagte anerkannt hat, dass der Bescheid eine Regelung nur gegenüber dem [X.]läger enthält.

5. Der angefochtene Bescheid ist materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF liegen nicht vor, denn der [X.]läger hat nicht im Sinne dieser Vorschrift die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt.

a) Die Anwendbarkeit des § 34 [X.]B II ist nicht deshalb gesperrt, weil der Beklagte wegen des dem Ersatzanspruch zugrunde liegenden [X.] - die arbeitgeberseitige [X.]ündigung des Arbeitsvertrags mit dem [X.]läger im Februar 2011 - bereits eine Pflichtverletzung des [X.] festgestellt und dessen [X.] gemindert hatte (Bescheid vom 12.5.2011). Denn ein "Sanktionsbescheid" nach §§ 31 ff [X.]B II schließt eine an dasselbe Verhalten anknüpfende Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 [X.]B II nicht aus. Weder lässt sich eine solche Anwendungssperre dem Wortlaut und der Systematik der gesetzlichen Regelungen entnehmen. Noch ist sie durch deren je eigenständigen Sinn und Zweck geboten. Während die "Sanktionen" (so Unterabschnitt 5 in [X.]apitel 3 Abschnitt 2) nach §§ 31 ff [X.]B II an näher bestimmte Pflichtverletzungen anknüpfen und auf diese in ausdifferenzierter Weise mit künftigen Leistungsminderungen reagieren, knüpft § 34 [X.]B II an die "Verpflichtung Anderer" (so Unterabschnitt 6 in [X.]apitel 3 Abschnitt 2) wegen der Herbeiführung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung durch sozialwidriges Verhalten an und ermöglicht durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs die nachträgliche Wiederherstellung des Nachrangs der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In einem Abhängigkeitsverhältnis stehen §§ 31 ff [X.]B II und § 34 [X.]B II nur insoweit, als Leistungsminderungen einen Ersatzanspruch mindern, weil dieser nur die gezahlten Leistungen erfasst.

b) Zum Ersatz der gezahlten Leistungen ist - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - nur verpflichtet, wer die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt hat.

"Herbeiführen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch "etwas bewirken" (durch gezieltes Handeln bewirken, dass etwas geschieht, dass es zu etwas kommt; vgl [X.], [X.], 10. Aufl 2002, 467; [X.]. Das große Wörterbuch der [X.], 3. Aufl 1999, [X.], 1748; [X.]. Das [X.], 4. Aufl 2010, 485). Das Herbeiführen unterscheidet sich vom "Aufrechterhalten"; etwas aufrechterhalten ist kein Synonym zu etwas herbeiführen (Synonyme zu herbeiführen sind: anrichten, auslösen, bedingen, bewirken, entstehen lassen, erregen, erreichen, erwecken, erzeugen, erzwingen, geschehen lassen, heraufbeschwören, hervorbringen, hervorrufen, in Gang setzen, stiften, veranlassen, vermitteln, verursachen, wachrufen, wecken, zustande bringen; vgl [X.]. Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl 2010, 497).

Dem entspricht der besondere Gebrauch des Wortes "Herbeiführen" in der Rechtssprache. Nach den Gesetzesmaterialien zur Erstfassung des § 34 [X.]B II ist zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, wer die Hilfebedürftigkeit "verursacht hat" (BT-Drucks 15/1516 [X.]). Das B[X.] hat unter der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit iS des § 34 [X.]B II (idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954) die "Schaffung" einer Leistungsvoraussetzung des [X.]B II verstanden (B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - B[X.]E 112, 135 = [X.]-4200 § 34 [X.], Rd[X.]4).

Der Begriff des [X.] der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung findet sich im Existenzsicherungsrecht auch außerhalb des [X.]B II in § 103 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII (idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.], [X.] 3022), der im Wesentlichen inhaltsgleich den § 92a Abs 1 Satz 1 [X.] (in der bis zum 31.12.2004 gegoltenen Fassung) übertragen hat (BT-Drucks 15/1514 [X.] zu § 98 der Entwurfsfassung). Unter "Herbeiführen" iS des § 92a Abs 1 Satz 1 [X.] hat das [X.] verstanden, dass der Ersatzpflichtige sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen "in die Lage gebracht hat, Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen" ([X.] Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4.02 - [X.]E 118, 109, juris Rd[X.]6).

Soweit sich der Begriff des [X.] im Sozialversicherungsrecht (§§ 103, 105 [X.]B VI, § 101 Abs 1 [X.]B VII) und im Privatversicherungsrecht (§ 162 [X.]) findet, wird dieser verstanden im Sinne des "etwas bewirken" durch aktives Handeln, was hier schon deshalb nahe liegt, weil jeweils ein Leistungsausschluss an die Herbeiführung einer eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigung oder des Todes eines Dritten anknüpft (vgl Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004, 160 ff). Auch soweit sich der Begriff des [X.] im Unterhaltsrecht findet (§ 1579 [X.]) und eine Beschränkung oder Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit vorsieht, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, wird dieser Begriff in der Weise verstanden, dass mit ihm die Schaffung einer Bedürftigkeit gemeint ist und nicht deren bloße Aufrechterhaltung (vgl [X.] Urteil vom [X.] - [X.]Z 146, 391, juris Rd[X.]9).

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem [X.]B II hat danach nur der iS des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF herbeigeführt, der diese Voraussetzungen geschaffen bzw sie bewirkt hat. Wer diese Leistungsvoraussetzungen bereits erfüllt und deren Vorliegen nicht beseitigt, führt die Voraussetzungen nicht erst herbei, sondern erhält sie aufrecht. Das Aufrechterhalten der Leistungsvoraussetzungen wird vom Begriff des [X.] der Leistungsvoraussetzungen nicht umfasst (wie hier: [X.] in [X.]/[X.], [X.] § 34 RdNr 30, Stand Juni 2014; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B II, 4. Aufl 2015, § 34 Rd[X.]1; [X.] in [X.], [X.]B II, 3. Aufl 2013, § 34 Rd[X.]1; [X.] in [X.], Handbuch der Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2014, Stichwort "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" Rd[X.]0; [X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B III, § 34 [X.]B II Rd[X.]1, Stand Juni 2009).

Dagegen, das Herbeiführen der Voraussetzungen für die Gewährung von [X.]B II-Leistungen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF weiter als vorstehend beschrieben zu verstehen, sprechen nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch und der besondere Gebrauch in der Rechtssprache. Für das wortlautnahe Verständnis des [X.] als "etwas bewirken" spricht vielmehr auch, dass es sich bei dem Ersatzanspruch um eine eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz handelt, dass der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen unabhängig von der Ursache der Hilfebedürftigkeit und einem Verschulden besteht (vgl B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - B[X.]E 112, 135 = [X.]-4200 § 34 [X.], Rd[X.]7 ff; vgl auch B[X.] Urteil vom 16.4.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.]-4200 § 34 [X.] Rd[X.]8).

Etwas anderes folgt nicht aus der Neufassung des § 34 Abs 1 [X.]B II mit Wirkung zum [X.] ([X.] 1824). Nach dessen Satz 2 gilt als Herbeiführung iS des Satzes 1 auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Bei dieser gesetzlichen Fiktion ("gilt auch") handelt es sich nach dem Vorstehenden um eine echte Rechtsänderung, selbst wenn die Gesetzesmaterialien den neuen § 34 Abs 1 Satz 2 [X.]B II lediglich als [X.]larstellung bezeichnen (BT-Drucks 18/8041 [X.]). Sie stellt nicht bloß klar, was schon immer galt. Dies zeigt schon der Vergleich der Wörter „herbeiführen“ und „aufrechterhalten“; auch geht die Neufassung über die Auslegung des § 34 [X.]B II in der bisherigen Rechtsprechung des B[X.] hinaus (zweifelnd an einer bloßen [X.]larstellung auch [X.]/Siebel-Huffmann, NJW 2016, 3404, 3408).

c) Ausgehend hiervon hat der [X.]läger im Februar 2011 die Voraussetzungen für die Gewährung von [X.]B II-Leistungen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF herbeigeführt, weil er und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits zuvor diese Voraussetzungen erfüllten, insbesondere hilfebedürftig waren, und deshalb vom Beklagten auch laufend Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts bewilligt und gezahlt erhielten. Diese bestehende Hilfebedürftigkeit blieb durch das im Februar 2011 begonnene und sogleich wieder beendete Arbeitsverhältnis unverändert aufrechterhalten. An dieses bloße Aufrechterhalten kann nach § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF nicht mit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch den Beklagten angeknüpft werden.

d) Entgegen dem [X.] lässt sich vorliegend ein Herbeiführen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF nicht damit begründen, dass die Hilfebedürftigkeit des [X.] und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits durch den Abschluss des Arbeitsvertrags im Februar 2011 entfallen und deshalb durch die Aufgabe der Arbeitstätigkeit im Februar 2011 neu entstanden sei. Denn für das Entfallen der Hilfebedürftigkeit kommt es nicht auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags, sondern auf den Zufluss bereiter Mittel zur Deckung des Lebensunterhalts im jeweiligen Monat an (zu bereiten Mitteln zur Existenzsicherung vgl nur B[X.] Urteil vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/14 R - [X.]-4200 § 11 [X.] Rd[X.]5 f; zum im [X.]B II maßgebenden Monatsprinzip vgl nur B[X.] Urteil vom 9.4.2014 - [X.] [X.]/13 R - [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.]7 sowie B[X.] Urteil vom 28.10.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 117, 179 = [X.]-4200 § 37 [X.], Rd[X.]5). Auch nach dem Vorbringen des Beklagten war indes ein Zufluss von Einkommen beim [X.]läger aus dem im Februar 2011 begründeten Arbeitsverhältnis erst im Folgemonat zu erwarten.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 3/16 R

08.02.2017

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Osnabrück, 28. April 2014, Az: S 22 AS 926/12, Urteil

§ 34 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 13.05.2011, § 34 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 34 Abs 1 S 2 SGB 2 vom 26.07.2016, § 31 SGB 2, §§ 31ff SGB 2, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.02.2017, Az. B 14 AS 3/16 R (REWIS RS 2017, 16012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16012

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 1958/13

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