Bundessozialgericht, Urteil vom 16.04.2013, Az. B 14 AS 55/12 R

14. Senat | REWIS RS 2013, 6595

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ersatzanspruchs nach § 34 SGB 2 aF - Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts - Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft - Inhaftierung wegen Drogenhandels - Nichtvorliegen sozialwidrigen Verhaltens - fehlerhafte Angaben zum Einkommen durch die Ehefrau - keine Haftung des Vertretenen)


Leitsatz

Die Sozialwidrigkeit eines Verhaltens ist nicht in der Strafbarkeit einer Handlung begründet, sondern darin, dass der in Anspruch Genommene in zu missbilligender Weise sich selbst oder die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in eine Lage gebracht hat, Leistungen nach dem SGB 2 in Anspruch nehmen zu müssen.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. April 2012 geändert und das Urteil des [X.] vom 23. April 2010 und der Bescheid vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2009 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen Ersatzanspruch, den der Beklagte für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]) geltend macht, die ihm (dem Kläger) und seinen Familienangehörigen während der Verbüßung einer Haftstrafe gewährt worden sind.

2

Der 1974 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei 1995 und 2006 geborene Kinder; die Familie lebte bis Jan[X.]r 2007 in einer gemeinsamen Wohnung und bestritt ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen mit seinem Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung im Schichtdienst. Der Kläger verbüßte vom 3.1.2007 bis zum 19.12.2008 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (500g Kokain) und des gewerbsmäßigen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen (Haschisch) unter Aussetzung des [X.] zur Bewährung. Ab dem 1.8.2008 war er dabei als Freigänger bei seinem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt, erzielte aber ein niedrigeres Einkommen als vor seiner Inhaftierung. Die Ehefrau teilte dem Beklagten insoweit mit, dass das Arbeitsentgelt nicht ausgezahlt werde, sondern der Justizvollzugsanstalt zustehe. Nach der Haftentlassung nahm der Kläger die ursprüngliche Tätigkeit im Schichtdienst wieder auf.

3

Auf entsprechende Anträge der Ehefrau bewilligte der Beklagte für diese und die gemeinsamen Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die Bewilligungsabschnitte vom 19.2.2007 bis zum 30.8.2007, vom [X.] bis zum 28.2.2008, vom 1.3.2008 bis zum 31.7.2008 und vom 1.8.2008 bis zum [X.]; für den zuletzt genannten Zeitraum bewilligte der Beklagte Leistungen auch für den Kläger. Daneben zahlte er die Beiträge der Ehefrau zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur [X.] Pflegversicherung. Das vom Kläger ab dem 1.8.2008 erzielte Einkommen berücksichtigte er nicht.

4

Nach seiner Haftentlassung forderte der Beklagte von dem Kläger Ersatz für die ihm, seiner Ehefrau und seinen Kindern gewährten Leistungen (einschließlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur [X.] Pflegversicherung) in Höhe von 23 823,51 Euro (Bescheid vom 30.1.2009). Im Widerspruchsverfahren setzte er den Kostenersatzanspruch auf 23 938,51 Euro fest und wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 1.7.2009).

5

Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht ([X.]) [X.] abgewiesen (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung hat das [X.] ([X.]) das Urteil des [X.] und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit ein Erstattungsbetrag von mehr als 23 538,43 Euro gefordert werde, und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es [X.] ausgeführt, der Kläger habe durch den von ihm betriebenen Drogenhandel seine Verhaftung verursacht, dadurch den Verlust seines Erwerbseinkommens bewirkt, das angesichts der sonstigen geringen Einkünfte der Familie die tragende Säule des [X.] gewesen sei, und damit für den Zeitraum bis zum 31.7.2008 die Hilfebedürftigkeit seiner Familie iS des § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.] (in der bis zum [X.] geltenden Fassung des Art 1 des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 ; alte Fassung ) herbeigeführt. Soweit die Leistungen infolge der Nichtanrechnung des Einkommens des Klägers ab dem 1.8.2008 teilweise rechtswidrig gewährt worden seien, habe der Kläger durch sein Verhalten die Zahlung von Leistungen an die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft entsprechend § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 2 [X.] aF herbeigeführt. Das leistungsverursachende Verhalten sei sozialwidrig, weil keine wirtschaftliche Notwendigkeit bestanden habe, "um jeden Preis" weiteres Einkommen zu erzielen, schon gar nicht aufgrund einer regelmäßigen illegalen Einnahmequelle. Der Höhe nach ergebe sich aber ein geringerer Ersatzanspruch.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger die Verletzung von § 34 Abs 1 [X.] aF geltend.

7

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Bayerischen [X.]s vom 26. April 2012 zu ändern und das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 23. April 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. Jan[X.]r 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2009 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat der Beklagte ihm gegenüber einen Ersatzanspruch für die während seiner Haft an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gezahlten Leistungen nach dem [X.] geltend gemacht. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 [X.] aF liegen nicht vor, weil es an einem sozialwidrigen Verhalten des [X.] im Sinne der Norm fehlt.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], soweit der Beklagte damit gegen den [X.]läger einen Ersatzanspruch in Höhe von (noch) 23 538,43 Euro für die im [X.]raum vom 19.2.2007 bis zum [X.] an ihn, seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen [X.]inder gewährten Leistungen geltend macht. Hiergegen wendet sich der [X.]läger zutreffend mit der (isolierten) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

2. Ob der angefochtene Bescheid in allen Punkten formell rechtmäßig ist, kann offen bleiben. Der Beklagte war jedenfalls berechtigt, den Anspruch auf [X.]ostenersatz durch Verwaltungsakt iS des § 31 des [X.] - ([X.]) geltend zu machen (zur Befugnis zum Erlass des Verwaltungsakts als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung [X.] in jurisP[X.]-[X.], Stand 1.12.2012, § 31 Rd[X.] 15 ff; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand Dezember 2011, [X.] § 31 Rd[X.] 13 ff; [X.] in von [X.], [X.], 7. Aufl 2010, § 31 Rd[X.] 5, jeweils mwN). Die Befugnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsaktes zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen (sog Leistungsbescheid) auch gegenüber demjenigen, der nicht selbst Empfänger der Sozialleistungen ist, kommt in den materiellen Regelungen des [X.] ausreichend zum Ausdruck. Nach § 34 Abs 3 Satz 2 [X.] (in seiner alten wie neuen Fassung) steht wegen der entsprechenden Anwendbarkeit der Verjährungsregelungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der Erlass eines Leistungsbescheides der Erhebung einer [X.]lage gleich; die Vorschrift setzt also die Befugnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsaktes voraus ([X.] in [X.], [X.]/[X.]I, Stand Juni 2009, § 34 [X.] Rd[X.]8).

Ungeachtet der Frage, ob der Verwaltungsakt auch im Übrigen formell rechtmäßig war (zu weiteren Verfahrensfragen in diesem Zusammenhang [X.] in [X.] zum [X.] , Stand Januar 2008, § 34 Rd[X.]9 ff), insbesondere ob der [X.]läger vor Erlass der angegriffenen Entscheidung gemäß § 24 Abs 1 [X.] zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen ordnungsgemäß angehört bzw ein entsprechender Verfahrensmangel gemäß § 41 Abs 1 [X.], Abs 2 [X.] durch die Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt worden ist (vgl hierzu nur B[X.] Urteil vom [X.] - B 4 [X.]/09 R - [X.] 4-1300 § 41 [X.] mwN), ist der Leistungsbescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] materiell rechtswidrig und verletzt den [X.]läger in seinen Rechten.

3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 Satz 1 [X.] aF als einzig denkbare Anspruchsgrundlage liegen nicht vor. Ein Anspruch des Beklagten auf [X.]ostenersatz scheitert daran, dass der [X.]läger nicht sozialwidrig im Sinne dieser Norm gehandelt hat. Der Bescheid und die Urteile des [X.] und des L[X.] waren deshalb aufzuheben, soweit sie den [X.]läger nicht begünstigen.

Nach § 34 Abs 1 [X.] aF ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben ([X.] 1), oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben ([X.]) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des [X.] ist abzusehen, soweit sie den [X.] künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem [X.] abhängig machen würde (Satz 2).

a) Zutreffend sind der Beklagte und die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der (volljährige) [X.]läger iS von § 34 Abs 1 Satz 1 [X.] aF mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen [X.]indern in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt hat und also als Ersatzpflichtiger für an diese gezahlte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht kommt. Der Begriff der Bedarfsgemeinschaft iS des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.] aF wird durch den in § 7 Abs 3 [X.] umschriebenen Personenkreis definiert. Ein anderes Verständnis des Begriffs der Bedarfsgemeinschaft im Zusammenhang mit § 34 Abs 1 [X.] aF widerspräche seinem Sinn und Zweck (vgl B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen = [X.] 4-4200 § 34 [X.] 1 Rd[X.] 14). Die Eheleute waren auf Grundlage der Feststellungen des L[X.] während des gesamten Leistungsbezuges, der dem Ersatzanspruch zugrunde liegt, nicht dauernd getrennt lebend iS des § 1567 Abs 1 BGB, sodass zwischen ihnen durchgehend eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 [X.] Buchst a [X.] bestand (vgl dazu B[X.] Urteil vom [X.] - B 4 AS 49/09 R - B[X.]E 105, 291 = [X.] 4-4200 § 7 [X.] 16 Rd[X.] 13 f und B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] 42 Rd[X.]3). Vermittelt über diese Partnerschaft bestand - unabhängig davon, ob der [X.]läger während der Haft (durchgehend) dem Haushalt der Familie angehörte - auch eine Bedarfsgemeinschaft mit den [X.]indern, die iS des § 7 Abs 3 [X.] 4 [X.] jedenfalls in den Haushalt der Ehefrau aufgenommen waren. Offen bleiben kann, ob eine Trennung der Eheleute Auswirkungen - und ggf welche - auf die in Rede stehende Ersatzpflicht des [X.] gehabt hätte.

b) Mit den von ihm vorsätzlich begangenen strafbaren Handlungen, die zu seiner Inhaftierung und damit zum Verlust seines Arbeitsplatzes bzw zu den nur eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten während des Freigangs geführt haben, hat der [X.]läger die Hilfebedürftigkeit seiner Angehörigen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 [X.] aF herbeigeführt.

Wegen der Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit im Sinne der [X.] 1 bzw der Herbeiführung einer Zahlung im Sinne der [X.] setzt § 34 Abs 1 Satz 1 [X.] aF als objektives Tatbestandsmerkmal ein sozialwidriges Verhalten des [X.] voraus. Diese ungeschriebene und eingrenzende Tatbestandsvoraussetzung ist erforderlich, weil es sich bei § 34 [X.] in gleicher Weise wie bei § 103 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]II) und zuvor § 92a [X.] ([X.]) um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind (dazu [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; vgl auch [X.]linge in [X.]/[X.], [X.]II, Stand Februar 2012, [X.] § 103 Rd[X.] 9). [X.] spielen bei der Feststellung eines Hilfebedarfs keine Rolle (vgl etwa B[X.] [X.] 4-4200 § 23 [X.] 5 Rd[X.] 15; B[X.] Urteil vom 19.8.2010 - [X.] [X.]/09 R - juris Rd[X.] 17). Dieser Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht konterkariert werden (B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen = [X.] 4-4200 § 34 [X.] 1 Rd[X.] 17 ff). Die "[X.]" des Verhaltens ist deshalb auch nicht (erst) eine Frage des [X.] eines wichtigen Grundes im Einzelfall ([X.] in [X.], [X.]/[X.]I, Stand Juni 2009, § 34 [X.] Rd[X.] 12; anders wohl [X.], jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2007, § 34 Rd[X.]6; Hölzer in [X.], [X.], Stand Dezember 2011, § 34 Rd[X.]9). Diesem Verständnis entspricht schließlich die Entstehungsgeschichte der Norm und die bisherige Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zu den Vorgängervorschriften (etwa [X.] Urteil vom [X.] 41.74 - [X.]E 51, 61; [X.] Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - [X.]E 118, 109), wie der 4. Senat im Einzelnen dargelegt hat (B[X.] aaO).

Das Erfordernis eines nicht nur schuldhaften, sondern objektiv "sozialwidrigen" Verhaltens gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 [X.] - jedenfalls nach dem Wortlaut - der Höhe nach nicht begrenzt ist. Die Notwendigkeit einer einschränkenden Voraussetzung hat der Gesetzgeber offenbar selbst gesehen. § 34 [X.] ist durch Art 14 Abs 3 des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.]es Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 ([X.] 453; Regelbedarfsermittlungsgesetz <[X.]>) mit Wirkung zum 1.4.2011 ausdrücklich als "Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens" bezeichnet worden und dieses Merkmal in den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ausdrücklich erwähnt worden (vgl BT-Drucks 17/3404 [X.]). Ob wegen der Höhe der möglichen Ersatzansprüche und vor dem Hintergrund ihrer nunmehr erleichterten Durchsetzung durch Aufrechnung mit laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl § 43 Abs 1 [X.] idF des [X.]) über den Wortlaut hinaus weitergehend Einschränkungen zu machen sind, kann vorliegend offen bleiben.

Zusammenfassend hat der 4. Senat das Tatbestandsmerkmal des "sozialwidrigen Verhaltens" unter Heranziehung der Rechtsprechung des [X.] für den Regelungsbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende dahingehend umschrieben, dass nur ein Verhalten umfasst wird und damit sozialwidrig ist, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw der Leistungserbringung gerichtet war bzw hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des [X.] zu [X.] bestand (B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen = [X.] 4-4200 § 34 [X.] 1 Rd[X.] 16 und 22).

Dem schließt sich der Senat an. Für die Annahme eines sozialwidrigen Verhaltens ist erforderlich, dass die Existenzgrundlage, deren Erhalt das [X.] vor allem auch mit aktiven Leistungen schützt, durch das maßgebliche Verhalten selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt. Nicht jedes strafbare Verhalten, das absehbar zu einer Inhaftierung und also regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führt, ist damit sozialwidrig. Wenn das strafbare Verhalten nicht zugleich auch den Wertungen des [X.] zuwider läuft, besteht neben der Strafe als solcher für eine (zumindest nach dem Wortlaut des § 34 Abs 1 [X.] aF) zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Haftung im Hinblick auf den dadurch verursachten Wegfall der finanziellen Lebensgrundlage keine Rechtfertigung. Eine andere Sichtweise widerspricht - wie bereits dargelegt - der vorbehaltlosen Hilfegewährung als Regelfall.

Entgegen den Grundsätzen des [X.] und damit "sozialwidrig" verhält sich der Betroffene dagegen, wenn es ihm aus [X.] möglich (gewesen) wäre, die Hilfebedürftigkeit iS des § 2 Abs 1 Satz 1, § 9 Abs 1 [X.] abzuwenden und sein Verhalten diesen Möglichkeiten zuwiderläuft. Der Vorwurf der [X.] ist daher nicht in der Strafbarkeit einer Handlung, sondern darin begründet, dass der Betreffende - im Hinblick auf die von der Solidargemeinschaft aufzubringenden Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende - in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in die Lage gebracht hat, Leistungen nach dem [X.] in Anspruch nehmen zu müssen. Verwendet der Leistungsberechtigte etwa erzielte Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und wird dadurch die (teilweise) Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch nach § 34 [X.] auslösen, wenn ein anderes Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt war (B[X.] Urteil vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] 57 Rd[X.] 17 f), obwohl ein solches Verhalten regelmäßig keinen Straftatbestand erfüllt. Diesem Verständnis von "sozialwidrigem Verhalten" entsprechen ferner die in § 31 [X.] genannten Tatbestände, die zur Absenkung bzw des Wegfalls des Arbeitslosengeldes II führen. In den dort genannten Fallgruppen drückt sich - ähnlich wie im [X.] in den § 52 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche [X.]rankenversicherung -, §§ 103 f [X.] - und § 101 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] zuwiderlaufend angesehen wird und damit sozialwidrig ist (B[X.] Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen = [X.] 4-4200 § 34 [X.] 1 Rd[X.]0 f).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Verhalten des [X.] nicht als sozialwidrig iS des § 34 [X.] aF einzustufen. Durch das hier maßgebliche Verhalten des [X.] - den Handel mit [X.]okain in nicht geringer Menge und das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Haschisch - ist seine berufliche Existenzgrundlage nicht unmittelbar beeinträchtigt worden oder weggefallen. Die Tat war zwar in verwerflicher Weise darauf gerichtet, die Einkommens- und Vermögenssituation zu verbessern; die (legale) Beschäftigung als schützenswerte Existenzgrundlage im Sinne des [X.] war aber davon nicht betroffen. Weil es nach den genannten Maßstäben allein darauf ankommt, ob durch das Verhalten selbst die Existenzgrundlage unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt, liegt kein sozialwidriges Verhalten vor. Aus dem gleichen Grunde stellt die Verbüßung der Haftstrafe als lediglich mittelbare Folge eines (strafbaren) Verhaltens von vornherein kein "Verhalten" dar, das für sich genommen als sozialwidrig gelten könnte.

c) Soweit für die [X.] ab dem 1.8.2008 Leistungen nach dem [X.] gewährt worden sind, obwohl Hilfebedürftigkeit wegen des erzielten und der Familie offenbar auch zugeflossenen, aber dem Beklagten gegenüber nicht angegebenen Einkommens teilweise nicht bestand, kann dieser Sachverhalt gegenüber dem [X.]läger keinen Ersatzanspruch auslösen. War schon sein Verhalten, das zum gänzlichen Verlust der Beschäftigung ab dem 3.1.2007 geführt hat, nicht sozialwidrig, gilt dies auch für die [X.], in der er während des Freigangs wegen der fehlenden Verdienstmöglichkeiten durch [X.] Einkommen nur in geringerem Umfang als vor der Inhaftierung erzielen konnte.

Die fehlerhaften Angaben im Hinblick auf dieses Einkommen, die nach Auffassung des L[X.] neben der Inhaftierung des [X.] kausal für die teilweise rechtswidrige Leistungsgewährung waren, sind nach den von den Beteiligten unangegriffenen und den Senat bindenden Feststellungen des L[X.] durch die Ehefrau erfolgt. [X.] Verhalten des Vertreters einer Bedarfsgemeinschaft (§ 38 [X.]) löst einen Ersatzanspruch gegenüber dem Vertretenen nicht ohne Weiteres aus; im Anwendungsbereich des § 34 Abs 1 [X.] aF, der als quasi-deliktischer Anspruch ausgestaltet ist (vgl bereits [X.] vom 23.9.1999 - 5 C 22/99 - [X.]E 109, 331 = juris Rd[X.] 12 mwN), genügt - wie im Anwendungsbereich des § 823 BGB bei natürlichen Personen - unerlaubtes Handeln des Vertreters für die Haftung des Vertretenen nicht. Eine § 831 BGB entsprechende Norm ist im [X.] nicht erkennbar.

Steht mithin ein Fehlverhalten des [X.] (zu dem der Beklagte ohnehin nicht angehört hat) insoweit nicht im Raum, ist unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen schuldhaft fehlerhafte Angaben einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] aF auslösen können. Ob diese Norm - wie das L[X.] meint - auch (oder gerade) im Falle von rechtswidrig gewährten Leistungen Anwendung finden kann (zu dieser Problematik [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand April 2008, [X.] § 34 Rd[X.]4 ff; [X.] in G[X.]-[X.], Stand Januar 2008, § 34 Rd[X.] 7; nunmehr § 34a [X.] idF des [X.]) und ob die Geltendmachung eines solchen [X.] die vorherige Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen nach Maßgabe der §§ 45, 48 [X.] voraussetzen würde (verneinend [X.] in Eicher/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 34 Rd[X.] 11a; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand April 2008, [X.] § 34 Rd[X.]9 ff; bejahend [X.] in [X.], [X.]/[X.]I, Stand Juni 2009, § 34 [X.] Rd[X.] 6 f; zu § 92a [X.], vgl [X.]E 105, 374), kann offen bleiben.

d) Da der Tatbestand des § 34 Abs 1 [X.] aF nicht erfüllt ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Höhe des geltend gemachten [X.] zutreffend ermittelt worden ist und insbesondere die [X.]ranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge zu den "gezahlten Leistungen" iS des § 34 Abs 1 [X.] aF gehören (vgl seit dem 1.4.2011 ausdrücklich § 34 Abs 1 Satz 2 [X.] idF des [X.]; verneinend für die [X.] davor [X.] in LP[X.]-[X.], 3. Aufl 2009, § 34 Rd[X.] 14).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 55/12 R

16.04.2013

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Augsburg, 23. April 2010, Az: S 6 AS 903/09, Urteil

§ 34 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 34 Abs 3 S 2 SGB 2, § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2, § 7 Abs 3 Nr 4 SGB 2, § 38 S 1 SGB 2, § 1567 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.04.2013, Az. B 14 AS 55/12 R (REWIS RS 2013, 6595)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6595

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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