Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.07.2017, Az. 6 AZR 701/16

6. Senat | REWIS RS 2017, 7251

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Gegenstand

Stufenzuordnung im Rahmen des TV-N-Thüringen


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 13. September 2016 - 1 [X.]/15 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die tarifliche [X.] des [X.].

2

Dieser ist bei der Beklagten seit dem 1. November 2004 als sog. „[X.]“ im Bus- und Straßenbahnbetrieb beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der [X.] [X.] (TV-N-[X.]) Anwendung. Dieser enthielt in der bis zum 28. Februar 2014 geltenden Fassung ua. folgende Regelungen:

        

„§ 6   

        

Eingruppierung, Zulagen für höherwertige Tätigkeit

        

(1)     

Der Beschäftigte ist entsprechend seiner mindestens zur Hälfte regelmäßig auszuübenden Tätigkeiten in eine [X.] nach der Anlage 1 eingruppiert. …

        

(2)     

Jede [X.] ist in vier Stufen aufgeteilt. Beginnend mit der Stufe 1 erreicht der Beschäftigte die jeweils nächste Stufe innerhalb seiner [X.] unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit (§ 5) nach folgenden [X.]en:

                 

Stufe 2 nach drei Jahren in Stufe 1,

                 

Stufe 3 nach vier Jahren in Stufe 2,

                 

Stufe 4 nach fünf Jahren in Stufe 3.

                 

Förderliche [X.]en können für die [X.] berücksichtigt werden. Bei Leistungen, die erheblich über dem Durchschnitt liegen, kann die erforderliche [X.] in den Stufen verkürzt werden. Bei Leistungen, die erheblich unter dem Durchschnitt liegen, kann die erforderliche [X.] in jeder Stufe einmal bis zur Hälfte verlängert werden. …

        

(3)     

Neu eingestellte Beschäftigte, mit Ausnahme der Beschäftigten in der [X.] 1, sind in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung eine [X.] niedriger eingruppiert. …“

3

Am 1. März 2014 trat der TV-N-[X.] in der Fassung vom 17. April 2014 (nF) in [X.]. Er lautet auszugsweise wie folgt:

        

„§ 6   

        

Eingruppierung, Zulagen für höherwertige Tätigkeit

        

…       

        

(2)     

Jede [X.] ist in vier Stufen aufgeteilt. Beginnend mit der Probezeitstufe erreicht der Beschäftigte die jeweils nächste Stufe innerhalb seiner [X.] unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit (§ 5) nach folgenden [X.]en:

                 

Stufe 1 nach 6 Monaten in der Probezeitstufe,

                 

Stufe 2 nach vier Jahren in Stufe 1,

                 

Stufe 3 nach fünf Jahren in Stufe 2.

                 

Förderliche [X.]en können für die [X.] berücksichtigt werden. Bei Leistungen, die erheblich über dem Durchschnitt liegen, kann die erforderliche [X.] in den Stufen verkürzt werden. Bei Leistungen, die erheblich unter dem Durchschnitt liegen, kann die erforderliche [X.] in jeder Stufe einmal bis zur Hälfte verlängert werden. …

        

…       

        

Protokollerklärung zu Absatz 2:

        

Beschäftigte, die am 01.03.2014 z.B. bereits zwei Jahre in der bisherigen Stufe 1 (jetzt Probezeitstufe) erreicht haben, werden mit Inkrafttreten dieses Tarifvertrages der neuen Stufe 1 (bisherige Stufe 2) zugeordnet.“

4

Die bisher in § 6 Abs. 3 TV-N-[X.] enthaltene Regelung für neu eingestellte Beschäftigte wurde gestrichen.

5

Bis zum 1. März 2014 war der Kläger Stufe 3 der [X.] 5 TV-N-[X.] zugeordnet. Ab dem 1. März 2014 wurde der Kläger nach Stufe 2 der [X.] 5 TV-N-[X.] nF vergütet.

6

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe ab dem 1. Mai 2014 Anspruch auf Entgelt nach Stufe 3 der [X.] 5 TV-N-[X.] [X.] Die Neuregelung der [X.] nach § 6 Abs. 2 TV-N-[X.] nF sei ohne Einschränkung zum 1. März 2014 in [X.] getreten. Für die zu diesem [X.]punkt bereits Beschäftigten gelte daher ebenso wie für künftige Beschäftigte die Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit von 12 auf 9 ½ Jahre, welche aus der Reduzierung der Laufzeit in der Eingangsstufe (bisher Stufe 1, nunmehr Probezeitstufe) folge. Eine Beibehaltung der bisherigen Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren für die „[X.]“ lasse sich dem Tarifvertrag mangels eines entsprechenden Überleitungsrechts nicht entnehmen. Vielmehr gelte der TV-N-[X.] in der Fassung vom 17. April 2014 ausnahmslos für alle Beschäftigten. Gegenteiliges lasse sich auch der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-[X.] nF nicht entnehmen. Diese sei erst nach der Tarifeinigung am 17. April 2014 in einer redaktionellen Sitzung am 20. Mai 2014 aufgenommen worden und habe keine inhaltliche Änderung des Tarifvertrags bewirkt. Zudem gehe die Protokollerklärung davon aus, dass die Neuregelung für alle bereits Beschäftigten gelten soll. Sie führe als Beispiel die bereits in der Stufe 1 Beschäftigten an. Jedenfalls lasse sich der Protokollerklärung nicht entnehmen, dass die bislang der Stufe 2 oder 3 zugeordneten Beschäftigten nicht der Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit unterfallen sollen. Die tarifschließende [X.] hätte auch nicht akzeptiert, dass nur künftig Beschäftigte in den Genuss einer 9 ½-jährigen Gesamtstufenlaufzeit kommen, denn dies hätte bedeutet, dass neu eingestellte Beschäftigte dienstältere Kollegen beim Stufenaufstieg hätten „überholen“ können. Eine solche Spaltung der Belegschaft wäre nicht zu rechtfertigen.

7

Entscheidend sei daher nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs. 2 TV-N-[X.] nF bei unveränderter Eingruppierung allein die Betriebszugehörigkeit. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TV-N-[X.] nF sei Betriebszugehörigkeit die bei demselben Arbeitgeber ununterbrochen in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte [X.]. Bei einem Beginn des Arbeitsverhältnisses am 1. November 2004 sei eine Betriebszugehörigkeit von 9 ½ Jahren folglich am 1. Mai 2014 erreicht worden.

8

Der Kläger hat daher beantragt

        

festzustellen, dass der Kläger ab dem 1. Mai 2014 Vergütung nach der [X.] 5 Stufe 3 des [X.] Nr. 1 vom 17. April 2014 zum [X.] vom 17. April 2014 zu beanspruchen hat.

9

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit dem Fehlen einer Anspruchsgrundlage begründet. Die Verkürzung der Stufenlaufzeit betreffe nur die Eingangsstufe. Damit sollte ebenso wie durch die Streichung des bisherigen § 6 Abs. 3 TV-N-[X.] die Gewinnung neuer Beschäftigter erleichtert werden. Die übrigen Stufenlaufzeiten von vier bzw. fünf Jahren seien unverändert geblieben. Die ehemaligen Stufen 2, 3 und 4 seien lediglich umbenannt worden. Die bislang diesen Stufen zugeordneten Beschäftigten seien ab dem 1. März 2014 bei unveränderter Stufenlaufzeit den neuen Stufen 1, 2 oder 3 zugeteilt. Es bleibe für diese Beschäftigten damit bei einer entgeltgruppenbezogenen Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren. Dies gelte auch im Fall des [X.], der angesichts des Beginns seines Arbeitsverhältnisses am 1. November 2004 im alten Zuordnungssystem nach drei Jahren, dh. zum 1. November 2007 die Stufe 2 und nach weiteren vier Jahren zum 1. November 2011 die Stufe 3 erreicht hatte. Zum 1. März 2014 sei er durch die tarifliche Neuregelung der Stufe 2 zugeordnet worden. Bei einer Stufenlaufzeit von fünf Jahren habe er die neue Stufe 3 am 1. November 2016 erreicht.

Die Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-[X.] nF betreffe nur Beschäftigte, die sich am 1. März 2014 in der bisherigen Stufe 1 befunden hätten. Bei diesen sei zu unterscheiden. Bei einer Stufenzugehörigkeit von weniger als sechs Monaten seien sie nach § 6 Abs. 2 Satz 1 TV-N-[X.] nF der neuen Probezeitstufe unterfallen. Die anderen Beschäftigten der bisherigen Stufe 1 seien nach der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-[X.] nF unabhängig von ihrer bisherigen Verweildauer der neuen Stufe 1 (bisherige Stufe 2) zugeordnet worden. Die Protokollerklärung führe klarstellend als Beispiel eine [X.] von zwei Jahren in der bisherigen Stufe 1 an. Die Betroffenen hätten daher die Stufenlaufzeit, die sie in der alten Stufe 1 für einen Aufstieg in die frühere Stufe 2 noch zu absolvieren gehabt hätten, nicht mehr zurücklegen müssen, um in die neue Stufe 1 (bisherige Stufe 2) zu gelangen. Allerdings habe die Stufenlaufzeit in der neuen Stufe 1 zum 1. März 2014 neu begonnen. Die bisherige Stufenlaufzeit sei nicht „mitgenommen“ worden.

Die vom Kläger angenommene Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre für alle Beschäftigten sei nicht das Ergebnis der Tarifverhandlungen gewesen. Eine rückwirkende Neuzuordnung aller Beschäftigten sei nicht vereinbart worden. Das Tarifverständnis des [X.] hätte zudem für Beschäftigte der höheren Stufen zum Teil Gehaltssteigerungen zur Folge, denen die Arbeitgeberseite aus wirtschaftlichen Gründen niemals hätte zustimmen können.

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, den Kläger bereits seit dem 1. Mai 2014 nach [X.] 5 Stufe 3 [X.] nF zu vergüten. Der Kläger kann eine solche Vergütung erst seit dem 1. November 2016 beanspruchen.

I. Die Klage ist nach der gebotenen Auslegung des gestellten Antrags als Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig.

1. Der Klageantrag zielt mit der Formulierung „zu beanspruchen hat“ auf die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem 1. Mai 2014 nach [X.] 5 Stufe 3 [X.] nF zu vergüten (vgl. [X.] 9. April 2008 - 4 [X.] - Rn. 13).

2. Hinsichtlich des streitgegenständlichen [X.]raums bedarf der Antrag der Auslegung, da er keine zeitliche Begrenzung vorsieht, obwohl die Beklagte ausgehend von ihrem Tarifverständnis nicht in Abrede gestellt hat, dass der Kläger jedenfalls seit dem 1. November 2016 nach [X.] 5 Stufe 3 [X.] nF zu vergüten ist. Die Parteien streiten daher nur über die [X.] in der [X.] vom 1. Mai 2014 bis zum 1. November 2016. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Der Antrag ist folglich dahingehend zu verstehen, dass die streitgegenständliche Feststellung sich auf die [X.] vom 1. Mai 2014 bis zum 1. November 2016 beziehen soll.

3. Mit diesem [X.] liegt das nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse vor. Durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag wird der Streit über die [X.] des [X.] insgesamt beseitigt (vgl. [X.] 27. August 2014 - 4 [X.]  - Rn. 15 ). Der verlangte Gegenwartsbezug wird dadurch hergestellt, dass der Kläger gegenwärtige rechtliche Vorteile in Form eines höheren Entgelts aus einem in der Vergangenheit liegenden [X.]raum erstrebt (vgl. [X.] 12. April 2016 - 6 [X.] - Rn. 20; 16. April 2015 - 6 [X.] - Rn. 22).

II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann keine Reduzierung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre in Anspruch nehmen. Dies ergibt die Auslegung der [X.] in § 6 Abs. 2 [X.] nF in Verbindung mit der hierzu verfassten Protokollerklärung.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom [X.] auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen ([X.] 2. November 2016 - 10 [X.] - Rn. 14; kritisch bezüglich der Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte [X.] 19. Oktober 2016 - 4 [X.] - Rn. 28). Bei der Auslegung eines ablösenden Tarifvertrags kann neben dem ablösenden Tarifvertrag selbst auch der abgelöste Tarifvertrag mit herangezogen werden. Dies folgt schon aus dem insoweit unmittelbar ersichtlichen tariflichen Regelungszusammenhang ([X.] 14. Juli 2015 - 3 [X.] - Rn. 17).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ergeben sich bei der hier vorzunehmenden Auslegung der [X.] des § 6 Abs. 2 [X.] nF in Verbindung mit der hierzu ergangenen Protokollerklärung keine Zweifel, welche eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags erforderlich machen würden. Der zwischen den Parteien umstrittene Ablauf der Tarifverhandlungen kann schon deshalb dahingestellt bleiben.

a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der [X.] in seiner jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis des [X.] Anwendung findet. Gemäß § 25 Abs. 1 [X.] nF trat die Neufassung vom 17. April 2014 ausnahmslos am 1. März 2014 in [X.]. Bezüglich der Mitglieder der tarifvertragsschließenden Parteien stellt § 1 Abs. 1 [X.] nF klar, dass der Tarifvertrag grundsätzlich für alle Beschäftigten in den [X.] in [X.] gilt. Da der [X.] nF für die zum [X.]punkt seines Inkrafttretens am 1. März 2014 bereits Beschäftigten keine besonderen Regelungen vorsieht, erfolgt auch deren [X.] ab dem 1. März 2014 nach den Vorgaben der Neufassung des [X.].

b) Die Neuregelung der [X.] in § 6 Abs. 2 [X.] nF hat für die am 1. März 2014 bereits Beschäftigten, die bisher den Stufen 2 bis 4 zugeordnet waren, keine Veränderung der Stufenlaufzeit, sondern nur eine Umbenennung der jeweiligen Stufen bewirkt. Folglich hat der Kläger erst seit dem 1. November 2016 einen Anspruch auf Vergütung nach Stufe 3 der [X.] 5 [X.] [X.]

aa) Die [X.] der am 1. März 2014 bereits Beschäftigten ergibt sich aus § 6 Abs. 2 [X.] nF in Verbindung mit der hierzu ergangenen Protokollerklärung. Bei der Protokollerklärung handelt es sich um eine normative Regelung und nicht nur um eine Auslegungshilfe (vgl. hierzu [X.] 13. November 2014 - 6 [X.] 1102/12 - Rn. 29, [X.]E 150, 36; 26. September 2012 - 4 [X.] 689/10 - Rn. 27). Ihr Zustandekommen im Rahmen einer redaktionellen Sitzung steht dem nicht entgegen. Sie ist Teil des unterzeichneten [X.] geworden (vgl. [X.] 27. November 2008 - 6 [X.] 632/08 - Rn. 14, [X.]E 128, 317).

bb) Die Protokollerklärung beinhaltet nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine Zuordnungsregelung bezüglich der sich am 1. März 2014 in der bisherigen Stufe 1 befindlichen Beschäftigten. Diese ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

(1) Die Protokollerklärung betrifft nach ihrem Wortlaut nur Beschäftigte, die bisher der Stufe 1 zugeordnet waren und nicht auch Beschäftigte der bisherigen Stufen 2, 3 oder 4. Das in der Protokollerklärung genannte Beispiel bezieht sich auf die Dauer der Zugehörigkeit zur bisherigen Stufe 1 und nicht auf die Stufe als solche, denn der Einschub „z.B.“ müsste dann vor dem Passus „in der bisherigen Stufe 1“ stehen. Die Protokollerklärung führt als Beispiel aber Beschäftigte an, die am 1. März 2014 „z.B. bereits zwei Jahre in der bisherigen Stufe 1“ erreicht hatten. Dem entspricht, dass die Protokollerklärung als Rechtsfolge ohne weitere Differenzierung oder Beispielsbezeichnung die Zuordnung zur neuen Stufe 1 vorgibt.

(2) Beschäftigte, die bisher der Stufe 1 zugeordnet waren, sind demnach mit Inkrafttreten der Neuregelung der neuen Stufe 1 zugeordnet, wenn sie nicht wegen einer erst bis zu sechs Monate dauernden [X.]nzugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] nF der Probezeitstufe unterfallen. Da die Protokollerklärung keine Anrechnung der in der bisherigen Stufe 1 zurückgelegten Stufenlaufzeit vorsieht, beginnt die Stufenlaufzeit in der neuen Stufe 1 ab dem 1. März 2014.

(3) Die betroffenen Beschäftigten müssen folglich ab dem 1. März 2014 eine Stufenlaufzeit von vier Jahren absolvieren, um nach § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] nF die neue Stufe 2 zu erreichen. Dies führt zu einer unterschiedlichen Behandlung dieser am 1. März 2014 in der früheren Stufe 1 Beschäftigten im Verhältnis zu neu eingestellten Beschäftigten und zu anderen in der bisherigen Stufe 1 bereits Beschäftigten. Ob die Neuregelung sich im Verhältnis zu anderen Beschäftigten als vorteilhaft erweist oder nicht, hängt von der Vergleichsperson ab.

(a) Im Falle eines Beschäftigten, der entsprechend dem in der Protokollerklärung angeführten Beispiel im abgelösten [X.]ssystem in der bisherigen Stufe 1 bereits zwei Jahre zurückgelegt hatte, bedeutet die Nichtanrechnung der bisher zurückgelegten Stufenlaufzeit eine Schlechterstellung gegenüber einem neu eingestellten Beschäftigten, der bereits nach sechs Monaten in der Probezeitstufe in die neue Stufe 1 aufsteigt und für den anschließend ebenfalls die vierjährige Laufzeit bis zur neuen Stufe 2 beginnt. Ein neu eingestellter Beschäftigter erhält damit nach sechs Monaten in der Probezeitstufe dieselbe Vergütung wie der als Beispiel benannte Beschäftigte derselben [X.].

(b) Auch im Vergleich zu anderen am 1. März 2014 bereits Beschäftigten kann eine Benachteiligung eines am 1. März 2014 in derselben [X.] bereits zwei Jahre Beschäftigten bestehen. So hat ein Beschäftigter, der am 1. März 2014 eine [X.]nzugehörigkeit von zB erst sieben Monaten aufzuweisen hat, nur die Nichtanrechnung dieser Beschäftigungszeit im Umfang von einem Monat hinzunehmen.

(c) Andererseits ist ein bereits zwei Jahre Beschäftigter im Vorteil gegenüber einem zB bereits seit 2 ½ Jahren Beschäftigten derselben [X.], da er diesen mit der beiderseitigen Zuordnung zur neuen Stufe 1 am 1. März 2014 gleichsam „einholt“.

(4) Diese Ausgestaltung der Überleitung der bisher der Stufe 1 zugeordneten Beschäftigten liegt innerhalb des den Tarifvertragsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums.

(a) Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen ([X.] 22. März 2017 - 4 [X.] - Rn. 25; 15. Dezember 2015 - 9 [X.] 611/14 - Rn. 27). Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den [X.] im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine [X.] zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen ([X.] 22. September 2016 - 6 [X.] 432/15 - Rn. 22 mwN). Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt ([X.] 26. April 2017 - 10 [X.] 856/15 - Rn. 28).

(b) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 [X.] nF die Überleitung der Beschäftigten aus der bisherigen Stufe 1, die von der Verkürzung der Stufenlaufzeit betroffen ist, pauschal geregelt und die geschilderten Ungleichbehandlungen dabei bewusst angestrebt bzw. in Kauf genommen. Dies ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

(aa) Die Besserstellung der neu eingestellten oder erst bis zu sechs Monate Beschäftigten ist durch das Ziel der Gewinnung neuer Beschäftigter gerechtfertigt. Die Verkürzung der Laufzeit der Eingangsstufe (bisher Stufe 1, jetzt Probezeitstufe) von drei Jahren auf sechs Monate belegt diese Zielsetzung der Tarifvertragsparteien ebenso wie die Streichung des bis zum 28. Februar 2014 geltenden § 6 Abs. 3 [X.], wonach neu eingestellte Beschäftigte, mit Ausnahme der Beschäftigten in der [X.] 1, in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung eine [X.] niedriger eingruppiert waren. Durch diese beiden Änderungen sollte nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Attraktivität des Dienstes in den erfassten [X.] erhöht werden. Für die Tarifauslegung ist ohne Bedeutung, welche Entgeltdifferenzen zur Privatwirtschaft tatsächlich bestanden oder bestehen und ob die Einschätzung der Konkurrenzsituation durch die Tarifvertragsparteien zutreffend war.

(bb) Die mit der Nichtanrechnung der bisherigen Stufenlaufzeit in der früheren Stufe 1 verbundene Ungleichbehandlung der zum 1. März 2014 bereits Beschäftigten untereinander ist im Zuge einer pauschalen Überleitung zulässig. Die generelle Zuordnung zur neuen Stufe 1 hatte im Vergleich zum früheren System für alle betroffenen Beschäftigten den Vorteil, dass die in der alten Stufe 1 für einen Aufstieg in die frühere Stufe 2 erforderliche dreijährige Stufenlaufzeit nicht mehr vollständig zurückgelegt werden musste. Die vierjährige Laufzeit der nächsthöheren Stufe begann damit früher. Der Umstand, dass dieser Vorteil je nach absolvierter Stufenlaufzeit unterschiedlich ins Gewicht fällt, macht die Regelung nicht verfassungswidrig. Die Tarifvertragsparteien durften diese Konsequenz der Pauschalisierung als zumutbar einstufen, denn keinesfalls wurde für die „[X.]“ die Stufenlaufzeit verlängert und damit eine Verschlechterung herbeigeführt.

cc) Mit diesem Verständnis der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 [X.] nF war für die Beschäftigten, die am 1. März 2014 bereits die bisherigen Stufen 2 oder 3, aber noch nicht die Endstufe 4, erreicht hatten, kein eigenes Überleitungsrecht erforderlich. Die Beibehaltung der bisherigen Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren ergibt sich für diese Beschäftigtengruppe aus der Gesamtsystematik der Neuregelung.

(1) Die Tarifvertragsparteien haben sich wie dargelegt dafür entschieden, das neue [X.]ssystem ab dem 1. März 2014 für alle Beschäftigten zur Anwendung zu bringen, wobei die am Stichtag der bisherigen Stufe 1 zugeordneten Beschäftigten nach der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 [X.] nF ohne Mitnahme ihrer Stufenlaufzeit in das neue Tarifsystem integriert werden sollten. Eine Verkürzung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre erfolgte für die mehr als sechs Monate in der bisherigen Stufe 1 Beschäftigten nicht. Dies spricht dafür, dass auch die bislang den Stufen 2 und 3 zugeordneten Beschäftigten eine solche Verkürzung nicht erhalten sollten. Anderenfalls hätten die von der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 [X.] nF erfassten Beschäftigten durch die Änderung des § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] einen gravierenden Nachteil, weil für sie die Einführung einer Gesamtstufenlaufzeit von 9 ½ Jahren nicht gilt, wohingegen die Beschäftigten der höheren Stufen von einer Reduzierung der Gesamtstufenlaufzeit auf 9 ½ Jahre profitieren würden. Eine solche Ungleichbehandlung der „[X.]“ kann weder § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] nF noch der einschlägigen Protokollerklärung entnommen werden. Sie entspricht auch nicht der mit der Änderung des § 6 Abs. 2 [X.] verfolgten Zielsetzung. Die Tarifvertragsparteien wollten die Nachwuchsgewinnung erleichtern und nicht die Bedingungen für die länger Beschäftigten verbessern. Dies zeigt sich auch in der Beibehaltung der Stufenlaufzeiten von vier bzw. fünf Jahren in den höheren Stufen.

(2) Die am 1. März 2014 den bisherigen Stufen 2 oder 3 zugeordneten Beschäftigten wurden folglich unter Beibehaltung einer Gesamtstufenlaufzeit von 12 Jahren in das neue System übergeleitet. Letztlich bewirkt die Neuregelung für diese Beschäftigten nur, dass sich die Benennung ihrer Stufe ändert (zB Stufe 2 statt Stufe 3). Im Übrigen verbleibt es gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] nF nicht nur bei der Maßgeblichkeit der [X.]nzugehörigkeit („innerhalb seiner [X.]“), sondern auch bei der zwingenden Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit iSd. § 5 [X.] [X.] Die Frage, welche Bedeutung der Regelung der Betriebszugehörigkeit im Zusammenhang mit einem Überleitungsrecht zukommt (vgl. zum TV-N-Hessen [X.] 15. Januar 2015 - 6 [X.] 650/13 - Rn. 20), stellt sich nicht. Im Ergebnis werden die bisher den Stufen 2 und 3 zugeordneten Beschäftigten durch die Änderung des § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht schlechtergestellt als bisher.

dd) Demnach hat der Kläger erst seit dem 1. November 2016 einen Anspruch auf Vergütung nach Stufe 3 der [X.] 5 [X.] [X.] Sein Arbeitsverhältnis begann am 1. November 2004. Seitdem ist er unstreitig in die [X.] 5 [X.] eingruppiert. Im abgelösten Zuordnungssystem des § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] hatte er nach drei Jahren, dh. zum 1. November 2007, die Stufe 2 und nach weiteren vier Jahren zum 1. November 2011 die Stufe 3 der [X.] 5 [X.] erreicht. Zum 1. März 2014 wurde er unter Berücksichtigung seiner Betriebszugehörigkeit der neuen Stufe 2 zugeordnet (Umbenennung der Stufe). Bei einer Stufenlaufzeit von fünf Jahren in dieser Stufe hat er folglich nach § 6 Abs. 2 Satz 2 [X.] nF die neue Stufe 3 am 1. November 2016 erreicht. Auf eine Verkürzung der Stufenlaufzeit nach § 6 Abs. 2 Satz 4 [X.] nF hat er sich nicht berufen.

3. Auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an. Sie bezieht sich zudem auf ausdrücklich nicht entscheidungserhebliche Ausführungen des [X.]s.

III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosenRevision zu tragen.

      

    Fischermeier    

        

  Gallner  

        

    Krumbiegel     

        

      

        

   Wollensak     

        

   Steinbrück    

                 

Meta

6 AZR 701/16

27.07.2017

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Gera, 2. September 2015, Az: 7 Ca 305/14, Urteil

§ 1 TVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.07.2017, Az. 6 AZR 701/16 (REWIS RS 2017, 7251)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7251

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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