Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.06.2015, Az. V ZB 34/13, V ZB 78/13

5. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 9972

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Gegenstand

Streitigkeit einer Wohnungseigentümergemeinschaft über Zuordnung von Sondereigentum: Sachlich zuständiges Gericht; Verwerfung der Berufung durch ein sachlich unzuständiges Gericht


Tenor

Die Verfahren über die Rechtsbeschwerden des Beklagten gegen die Beschlüsse der 7. Zivilkammer des [X.] vom 27. Februar 2013 ([X.]) und der 13. Zivilkammer des [X.] vom 26. April 2013 ([X.]) werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; das Verfahren [X.] führt.

Auf die Rechtsbeschwerden des Beklagten werden die vorbezeichneten Beschlüsse aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der verbundenen Rechtsbeschwerdeverfahren, an das [X.] zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt einheitlich 4.600 €.

Gründe

I.

1

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Der Kläger verlangt von dem [X.] die Räumung und Herausgabe des näher bezeichneten größeren Teils eines Raums im [X.] der Anlage, der ihm nach seiner Ansicht in der Teilungserklärung in diesem Umfang mit seinem Sondereigentum als Abstellraum zugewiesen ist, Verschaffung eines dauerhaften Zugangs zu diesem Raum sowie Zahlung von 600 € Nutzungsentgelt für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2008 nebst Zinsen. Der Beklagte beansprucht den gesamten Raum für sich und gewährt dem Kläger keinen Zugang. Das Amtsgericht hat den [X.] mit diesem am 2. November 2012 zugestelltem Urteil unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Räumung und Herausgabe des beanspruchten Teils des [X.]raums sowie zur Zahlung des Nutzungsentgelts nebst Zinsen verurteilt. Dagegen hat der Beklagte bei dem [X.] mit am 30. November 2012 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Das [X.] hat die Berufung mangels fristgerechter Einlegung bei dem für [X.] zuständigen [X.] durch dem [X.] am 8. März 2013 zugestellten Beschluss als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat daraufhin mit am 11. März 2013 eingegangenem Schriftsatz bei dem [X.] erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das [X.] hat die Berufung seinerseits mangels Zuständigkeit als unzulässig verworfen. Mit [X.] gegen beide Beschlüsse möchte der Beklagte eine Sachentscheidung über seine Berufung erreichen.

II.

2

Das [X.] hält sich für unzuständig, weil es sich bei dem Streit über die Zuordnung des [X.] im [X.] der [X.] eine um Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] handele. Hierfür sei nach § 72 Abs. 2 GVG das [X.] als das für den Sitz des [X.] zuständig. Dieses wiederum verweist auf das Urteil des Senats vom 30. Juni 1995 ([X.], [X.], 159, 164), wonach ein Streit über den Gegenstand und den Umfang des Sondereigentums keine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] sei und deshalb von dem allgemein für die Berufung zuständigen Landgericht, hier dem [X.], zu entscheiden sei.

III.

3

Die verbundenen Rechtsmittel des [X.] haben Erfolg.

4

1. Die [X.] sind nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des [X.] über beide [X.] ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das zuerst angerufene, allgemein für die Berufung zuständige [X.] hat nicht erkannt, dass der Streit um den Umfang des Sondereigentums nach der Rechtsprechung des Senats keine Wohnungseigentumssache nach § 43 Nr. 1 [X.] ist (vgl. Urteil vom 30. Juni 1995 - [X.], [X.], 159, 164 f.). Das als zweites angerufene, für [X.] zuständige [X.] hat die Berufung verworfen, obwohl sie bei dem nach seiner Ansicht zuständigen [X.] form- und fristgerecht eingelegt und begründet und über die Verwerfung noch nicht rechtskräftig entschieden worden war. Es hat dadurch dem [X.] den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - [X.], [X.], 488 Rn. 7 mwN).

5

2. Die [X.] sind auch begründet. Die Berufung des [X.] durfte nicht nach § 522 Abs. 1 ZPO verworfen werden, weil sie bei dem zuerst angerufenen [X.] form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist.

6

a) Das [X.] ist für die Entscheidung über die Berufung zuständig, weil der Streit der Parteien keine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 [X.] ist.

7

aa) Zu den [X.] gehören nach dieser Vorschrift Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander. Hier streiten die Parteien nicht um die Ausübung ihrer Rechte aus dem Sondereigentum oder um die Nutzung des Gemeinschaftseigentums, sondern darüber, ob der streitige Teil des [X.]s im Sondereigentum des [X.] oder in dem des [X.] steht. Das Sondereigentum ist indes kein Recht aus dem [X.], sondern Teil seiner [X.] Grundlagen.

8

bb) Der Streit über die [X.] Grundlagen der Wohnungseigentümergemeinschaft gehört nach der Rechtsprechung des Senats nicht zu den [X.] nach § 43 Nr. 1 [X.]; er ist vielmehr eine allgemeine Zivilsache (Urteile vom 30. Juni 1995 - [X.], [X.], 159, 164 f., vom 26. Oktober 2012 - [X.], [X.] 2013, 377 Rn. 8 und vom 19. Dezember 2013 - [X.], [X.] 2014, 255 Rn. 6). Dafür macht es keinen Unterschied, ob abstrakt über den Inhalt des Sondereigentums gestritten wird oder über die sich aus dem Sondereigentum ergebenden Ansprüche (Urteil vom 30. Juni 1995 - [X.], [X.], 159, 164 f.). Diese Rechtsprechung hat fast einhellige Zustimmung gefunden (KG, NJW-RR 2002, 590; [X.], [X.] 2011, 222; [X.], [X.], 295, 296; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 43 [X.] Rn. 11; [X.] in Bärmann, [X.], 12. Aufl., § 43 Rn. 55; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., § 43 [X.] Rn. 3; Jennißen/Suilmann, [X.], 4. Aufl., § 43 Rn. 11; [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 43 [X.] Rn. 21; MüKo[X.]/[X.], 6. Aufl., § 43 [X.] Rn. 6; [X.] in [X.]/Kümmel/Vandenhouten, [X.], 11. Aufl., § 43 Rn. 56; NK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 43 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.]/Abramenko, [X.], 4. Aufl., § 43 Rn. 10; Sauren, [X.], 6. Aufl., § 43 Rn. 7; [X.]/Then, [X.], 2. Aufl., § 43 Rn. 9 f. - Stichwort sachenrechtliche Grundlagen; [X.]/[X.], [X.] [2005], § 43 [X.] Rn. 20; [X.], Wohnungseigentumsrecht, 3. Aufl., Rn. 1732; [X.]: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 43 Rn. 139 - Stichwort: sachenrechtliche Grundlagen; [X.]/Mansel, [X.] 9. Aufl., § 43 Rn. 8 Abs. 2). Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung, die Anlass geben könnten, die Rechtsprechung zu überdenken, haben sich auch nach der Umstellung des Verfahrens in [X.] auf das Verfahren nach der Zivilprozessordnung und nach der Verlagerung der [X.] auf die in § 72 Abs. 2 GVG bezeichneten Landgerichte nicht ergeben.

9

b) Das nach der Verwerfung der zuerst eingereichten Berufung als zweites angerufene, für [X.] zuständige [X.] war für die Entscheidung über die Berufung zwar nicht zuständig. Es durfte sie aber dennoch nicht verwerfen.

aa) Dem [X.] steht gegen das Urteil des Amtsgerichts ein einziges Rechtsmittel, nämlich die Berufung zu. Auch wenn er dieses Rechtsmittel mehrmals und bei verschiedenen Gerichten einlegt, ändert das nichts daran, dass es sich um ein einheitliches Rechtsmittel handelt. Dieses einheitliche Rechtsmittel darf nur verworfen werden, wenn keine der Einlegungen erfolgreich war.

bb) Das später angerufene Gericht darf deshalb eine mehrfach eingelegte Berufung nicht schon dann verwerfen, wenn sie bei ihm selbst nicht form- und fristgerecht eingelegt worden ist. Es muss vielmehr prüfen, ob eine frühere Einlegung der Berufung erfolgreich war. Vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die erste Einlegung der Berufung durfte es über die zweite Einlegung jedenfalls nicht entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juni 1966 - [X.], [X.]Z 45, 380, 383).

Stresemann                               [X.]t-Räntsch                               [X.]

                         Brückner                                            Göbel

Meta

V ZB 34/13, V ZB 78/13

11.06.2015

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 26. April 2013, Az: 2-13 S 47/13

§ 43 Nr 1 WoEigG, § 522 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.06.2015, Az. V ZB 34/13, V ZB 78/13 (REWIS RS 2015, 9972)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9972

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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