Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.11.2011, Az. II B 105/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 1594

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Gegenstand

Willkürliche Beweiswürdigung; Überraschungsentscheidung


Leitsatz

1. NV: Offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer objektiv willkürlichen und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbaren Entscheidung können die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begründen.

2. NV: Eine Beweiswürdigung ist willkürlich, wenn sie so schwerwiegende Fehler aufweist, dass sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft, so dass ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung besteht.

3. NV: Die Frage der Beweislast ist erst dann aufgeworfen, wenn entscheidungserhebliche Umstände unter Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Beweismittel nicht zu dem im Einzelfall erforderlichen Grad der Gewissheit aufgeklärt werden können.

4. NV: Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen [X.]rfolg.

2

1. Aus der von den [X.] und Beschwerdeführerinnen ([X.]) --als Rechtsnachfolgerinnen ihrer verstorbenen [X.]utter ([X.])-- gerügten fehlerhaften Tatsachen- und Beweiswürdigung des Finanzgerichts ([X.]) ergibt sich kein sog. qualifizierter [X.], der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) erfordert.

3

a) Für diesen Zulassungsgrund kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des [X.] im Sinne einer objektiv willkürlichen und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbaren [X.]ntscheidung in Betracht (Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 13. Oktober 2003 [X.]/02, [X.], 404, [X.], 25; vom 7. Juli 2004 [X.], [X.], 226, [X.], 896; vom 1. September 2008 [X.], [X.], 35; vom 25. [X.]ärz 2010 [X.]/08, [X.], 1455; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 68 ff., m.w.N.). [X.]ine Beweiswürdigung ist willkürlich, wenn sie so schwerwiegende Fehler aufweist, dass sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft, so dass ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden [X.]ntscheidung besteht ([X.] vom 27. Dezember 2007 [X.], [X.], 781; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 70, m.w.N.). In der Beschwerdebegründung muss bei Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes substantiiert dargelegt werden, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. [X.] vom 12. Dezember 2002 [X.]/02, [X.] 2003, 496; vom 3. November 2005 [X.], [X.] 2006, 248). Derartige Rechtsfehler sind teilweise nicht substantiiert dargetan und liegen im Übrigen nicht vor.

4

b) [X.]it der Rüge, das [X.] habe die [X.] verkannt, ist ein qualifizierter [X.] nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerdebegründung verkennt, dass die Frage der Beweislast erst dann aufgeworfen ist, wenn entscheidungserhebliche Umstände unter Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Beweismittel nicht zu dem im [X.]inzelfall erforderlichen Grad der Gewissheit aufgeklärt werden können (vgl. z.B. Gräber/ Stapperfend, a.a.[X.], § 96 Rz 50; Lange in [X.]/[X.]/ [X.], § 96 [X.]O Rz 148 f.). Demgemäß ist für die Anwendung der [X.] kein Raum, wenn das [X.] --wie hier-- die Überzeugung vom Vorliegen der steuerbegründenden Tatsachen gewonnen hat.

5

c) Auch für die Rüge, die Urteilsgründe der Vorentscheidung (unter [X.] und [X.]) widersprächen "offensichtlich den Gesetzen der Logik", fehlt es an schlüssigen Darlegungen. Nach der Beschwerdebegründung soll der Verstoß gegen die Gesetze der Logik darin liegen, dass das [X.] die Herkunft des Betrags von 620.000 D[X.] einerseits den noch vom verstorbenen [X.]hemann der [X.] --dem [X.]rblasser ([X.])-- eingelösten Inhaberschuldverschreibungen zuordne und andererseits annehme, dieser Betrag stamme aus den erst nach dem Tod des [X.] eingelösten Fondsanteilen.

6

Der gerügte Verstoß gegen die Gesetze der Logik besteht indes offensichtlich nicht; die Vorentscheidung geht hinsichtlich des Betrags von 620.000 D[X.] nicht von widersprüchlichen Annahmen aus. Das [X.] hat unter [X.] der Urteilsgründe ausgeführt, dass sich die nach dem Tod des [X.] verbliebenen 8 800 "…-Anteile" in dem der [X.] zur Verfügung stehenden Nachlass befunden hätten. Die Urteilsgründe unter [X.] betreffen indes nicht den [X.]rwerb der vorgenannten [X.] sowie die Verwendung eines durch deren Veräußerung erzielten [X.]rlöses durch [X.], sondern ausschließlich den 620.000 D[X.] "übersteigenden restlichen Betrag". Dieser restliche Betrag umfasste jedoch, wie in der Vorentscheidung näher ausgeführt, ausschließlich die seinerzeit von [X.] erworbenen und noch zu seinen Lebzeiten teilweise eingelösten Inhaberschuldverschreibungen. Damit hat das [X.] hinsichtlich dieses restlichen Betrags, entgegen der Annahme der [X.], keinen Bezug zu den erst nach dem Tod des [X.] eingelösten 8 800 "…-Anteilen" hergestellt.

7

d) Die Vorentscheidung ist entgegen der Auffassung der [X.] auch nicht deshalb "evident unrichtig" und "objektiv willkürlich", weil das [X.] für den noch zu Lebzeiten des [X.] erzielten [X.]inlösungsbetrag für seine Inhaberschuldverschreibungen in Höhe von 795.918 D[X.] angenommen hat, dieser sei wertmäßig im [X.] des [X.] verblieben, verzinslich angelegt worden und zuzüglich sämtlicher Kapitalerträge nach dem Tod des [X.] auf [X.] übergegangen.

8

Zwar kann, wie bereits dargelegt (oben 1.a), auch eine Beweiswürdigung im [X.]inzelfall so offensichtliche Fehler von erheblichem Gewicht aufweisen, dass sie jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft und ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden [X.]ntscheidung bestehen kann ([X.] vom 30. [X.]ärz 2007 [X.], [X.] 2007, 1340; in [X.], 781; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 70). [X.]in solcher Verstoß ist jedoch im Streitfall nicht ersichtlich.

9

Schon das Vorbringen der [X.], die Vorentscheidung enthalte keinerlei Ausführungen zur Überzeugungsbildung des [X.], trifft nicht zu. Das [X.] hat zunächst ausdrücklich berücksichtigt, dass die Steuerfahndung die Verwendung des von [X.] erzielten [X.]inlösungsbetrags aus der teilweisen [X.]inlösung seiner Inhaberschuldverschreibungen nicht ermitteln konnte. [X.]s hat sodann im [X.]inzelnen dargelegt, welche tatsächlichen Umstände und Indizien für einen wertmäßigen Verbleib des [X.]inlösungsbetrags von 795.918 D[X.] zuzüglich sämtlicher Kapitalerträge im [X.] des [X.] sprechen. Dazu hat das [X.] zunächst ausgeführt, dass [X.] selbst den [X.]mpfang eines aus [X.] stammenden Betrags von 620.000 D[X.] eingeräumt habe. Hinsichtlich des weiteren Betrags von mindestens 175.918 D[X.] hat das [X.] unter Würdigung der persönlichen Lebensverhältnisse des [X.], seines [X.] sowie seiner [X.]inkommensverhältnisse einen [X.]ittelabfluss zu seinen Lebzeiten in nachvollziehbarer Weise als völlig unwahrscheinlich angesehen. [X.]s hat dazu mit eingehenden [X.]rwägungen insbesondere eine Schenkung dieses Betrags durch [X.] an seine Töchter --die [X.]-- oder eine Geliebte und ferner einen Verlust des Kapitals durch finanzielle Fehlmaßnahmen oder einen Verbrauch der [X.]ittel für die eigene Lebensführung des [X.] ausgeschlossen. Diese Gesamtwürdigung des [X.] enthält keine offensichtlichen Fehler von einigem Gewicht und erscheint rechtlich vertretbar.

2. Die [X.] haben auch den geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), das [X.] habe eine Überraschungsentscheidung getroffen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) oder seine Hinweispflichten (§ 76 Abs. 2, § 93 Abs. 1 [X.]O) verletzt, nicht schlüssig dargelegt.

[X.]ine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht seine [X.]ntscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. z.B. [X.]-[X.]ntscheidungen vom 24. April 1990 [X.]/83, [X.][X.] 160, 256, [X.] 1990, 539; vom 16. November 2009 [X.], [X.], 450; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 119 Rz 10a und 16, Stichwort "Überraschungsentscheidung", m.w.N.).

Wird das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung gerügt, so ist in der [X.] auszuführen, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag zu einer anderen [X.]ntscheidung hätte führen können ([X.] vom 30. [X.]ai 2007 [X.], [X.] 2007, 1697, m.w.N.). Solche Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.

Im Streitfall ist auch keine Überraschungsentscheidung ergangen. Für die rechtskundig vertretenen [X.] musste es auf der Hand liegen, dass das [X.] eine [X.]ntscheidung in Bezug auf die Gesamthöhe des in dem angefochtenen [X.]rbschaftsteuerbescheid zugrunde gelegten steuerpflichtigen [X.]rwerbs --und damit auch in Bezug auf den [X.]inlösungsbetrag der noch von [X.] zu seinen Lebzeiten eingelösten [X.] treffen werde. Hinsichtlich des Verbleibs dieses [X.]inlösungsbetrags besteht auch der von den [X.] hergestellte Zusammenhang mit der Aussage des [X.] nicht. Denn gemäß Beweisbeschluss vom 1. Juli 2010 war Beweisthema dieser Zeugenvernehmung allein die Finanzierung des [X.]inzahlungsbetrags von 600.000 D[X.] auf das von [X.] nach dem Ableben des [X.] eröffneten Kontos. Im Übrigen trifft das [X.] auch keine Verpflichtung, den Beteiligten einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung zu geben ([X.] vom 25. [X.]ai 2000 [X.]/00, [X.] 2000, 1235; vom 16. Dezember 2008 [X.], [X.], 574; vom 7. [X.]ai 2009 [X.], [X.], 1266, jeweils m.w.N.) oder seine vorläufige Beweiswürdigung bzw. das [X.]rgebnis einer Gesamtwürdigung zahlreicher [X.]inzelumstände offen zu legen (z.B. [X.] vom 10. September 2003 [X.], [X.] 2004, 495; Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 76 Rz 56, m.w.N.).

Meta

II B 105/10

09.11.2011

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 1. Juli 2010, Az: 4 K 2742/06, Urteil

§ 96 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.11.2011, Az. II B 105/10 (REWIS RS 2011, 1594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1594

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