Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.01.2010, Az. I ZB 97/08

1. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 10462

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Fehlende Plausibilität der Glaubhaftmachung - Aktenzeichen des Verfügungsverfahrens


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.], 5. Zivilsenat, vom 8. Oktober 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

[X.]: 60.000 €.

Gründe

1

I. Das [X.] hat die Beklagte aufgrund markenrechtlicher Ansprüche zur Unterlassung und Auskunft verurteilt sowie ihre Verpflichtung zur Schadensersatzleistung festgestellt. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte fristgerecht Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 17. Dezember 2007 ab. Die Berufungsbegründung ging erst am 28. Dezember 2007 beim Berufungsgericht ein; zugleich hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2

Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, dass in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten für jede einzutragende Frist zusätzlich eine Vorfrist von einer Woche notiert werde, zu der die jeweilige Akte dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgelegt werde. Mit Ablauf dieser Vorfrist am 10. Dezember 2007 sei dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt [X.] von der Auszubildenden S. Si. indes nicht die Akte zum vorliegenden Verfahren (mit dem internen Aktenzeichen H/E 559-07), sondern diejenige zum parallelen Verfügungsverfahren (mit dem internen Aktenzeichen H/E 1413/06/AH) vorgelegt worden. Rechtsanwalt [X.] habe diesen Irrtum bemerkt und die Akte mit der schriftlichen Anweisung an seine Chefsekretärin [X.] zurückgegeben, ihm die Hauptsacheakte vorzulegen. [X.] sei eine langjährige Mitarbeiterin, die stets sehr sorgfältig arbeite und noch niemals einen Fehler begangen habe. [X.] habe daraufhin noch am selben Tag die richtige Akte aus der Registratur geholt. Sie habe jedoch festgestellt, dass sich in der Akte ein Schreiben der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts vom 19. November 2007 befunden habe, mit dem der Eingang der Berufung bestätigt worden sei. Auf diesem sei allerdings das falsche interne Aktenzeichen in dem Feld "Ihr Zeichen" eingefügt gewesen, nämlich das Aktenzeichen zum Verfügungsverfahren. [X.] habe sich daraufhin - in der Hauptsacheakte - das Urteil des [X.]s vom 12. Oktober 2007 angesehen und dabei bemerkt, dass auch dort das interne Aktenzeichen der für die Beklagte tätigen Prozessbevollmächtigten für das Verfügungsverfahren angegeben gewesen sei. [X.] habe nun in die Akte des [X.] gesehen und festgestellt, dass dort längst eine Berufungsbegründung eingereicht gewesen sei. Deshalb habe [X.] gedacht, dass die notierte Frist mit Ablauf 17. Dezember 2007 längst erledigt sei. Sie habe eigenmächtig diese Frist gestrichen, ohne Rechtsanwalt [X.] darauf hinzuweisen. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Akte Rechtsanwalt [X.] nicht wieder vorgelegt, dass er am Tage des [X.] hierauf nicht aufmerksam gemacht und dass die Frist nicht mehr überwacht worden sei.

3

Mit dem angefochtenen [X.]uss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag der [X.] zurückgewiesen und ihre Berufung verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe keinen Ablauf glaubhaft gemacht, nach dem sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Es sei nicht vorstellbar, dass der Mitarbeiterin D. die von der [X.] vorgetragene Kette höchst gravierender Fehler unterlaufen sei. Selbst wenn man die Schilderung der [X.] als zutreffend unterstelle, liege jedoch ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten vor. Wenn zu einer wichtigen Frist die falsche Akte vorgelegt werde und der Anwalt sodann anordne, ihm sogleich die richtige Akte vorzulegen, gebiete es anwaltliche Sorgfalt, die ausstehende Vorlage dieser Akte wenigstens für den Zeitraum im Kopf zu behalten, der üblicherweise ausreichend sei, um diese Anweisung auszuführen, und alsbald nachzuhaken, wenn die Akte nicht innerhalb dieses Zeitraums vorgelegt werde.

4

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der [X.].

5

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V. mit § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden [X.]uss gewahrt sein müssen ([X.], Urt. v. 22.3.2005 - [X.], NJW-RR 2005, 865 m.w.N.), sind nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des [X.] erforderlich. Der angefochtene [X.]uss verletzt nicht die Ansprüche der [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs und wirkungsvollen Rechtsschutz.

6

1. Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, der von [X.] geschilderte Ablauf sei nicht plausibel und daher nicht glaubhaft, beruht nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der [X.]. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht nicht [X.] des Vorbringens der [X.] durch die Annahme unrichtig erfasst, [X.] habe das vorliegende Hauptsacheverfahren und das vorgeschaltete Verfügungsverfahren für ein und dieselbe Sache gehalten.

7

Aus dem Gesamtzusammenhang der [X.] ergibt sich vielmehr deutlich, dass das Berufungsgericht entsprechend dem Vortrag der [X.] davon ausgegangen ist, [X.] habe gewusst, dass es Verfügungs- und Hauptsacheverfahren mit identischen Rubren gab. Soweit der Würdigung des Vortrags der [X.] durch das Berufungsgericht zu entnehmen sein sollte, [X.] müsse angenommen haben, Verfügungs- und Hauptsacheverfahren seien dieselbe Sache, könnte damit allein gemeint sein, sie habe nicht erkannt, dass das Urteil des [X.]s vom 12. Oktober 2007 nicht das Verfügungsverfahren betraf und insofern nicht zwischen den verschiedenen Verfahren unterschieden. Diese tatrichterliche Folgerung verletzte schon deshalb kein Verfahrensgrundrecht der [X.], weil die irrtümliche Zuordnung des landgerichtlichen Urteils nach dem Vortrag der [X.] Ursache der fehlerhaften Streichung der Vorfrist war.

8

2. Der angefochtene [X.]uss beeinträchtigt auch nicht den Anspruch der [X.] auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Das Berufungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz verstoßen, dass sich die Beklagte keine Fehler der Büroangestellten ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss ([X.], [X.]. v. 12.8.1997 - [X.], NJW 1997, 3243). Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe kein mangelndes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, weil der von [X.] geschilderte Ablauf nicht plausibel sei; die Beklagte habe demnach keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, nach dem sie ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Diese Ausführungen lassen keinen zulassungsrelevanten Rechtsfehler erkennen.

9

Nach dem Vortrag der [X.] zur Kanzleiorganisation ihres Prozessbevollmächtigten hätte weder die Berufungsbegründungsfrist noch die entsprechende Vorfrist gestrichen werden dürfen. Wird die Schilderung von [X.] für nicht glaubhaft gehalten, fehlt es an einem Vorbringen, das erklärt, wie es zu dem Fristversäumnis kommen konnte. Das Berufungsgericht hat die Beklagte auf diese Einschätzung hingewiesen. Eine andere Erklärung für die Fristversäumung hat die Beklagte nicht gegeben.

3. Es kann deshalb dahinstehen, ob der vom Berufungsgericht bei Unterstellung des von der [X.] vorgetragenen Ablaufs hilfsweise angenommene Grund für die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags zutrifft, den Prozessbevollmächtigten treffe an dem Fristversäumnis ein Verschulden, weil er nach den konkreten Umständen Anlass gehabt habe, wegen der ausbleibenden Vorlage der richtigen Akte bei seinem Personal nachzufragen.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Bornkamm                             Pokrant                             Büscher

                        Bergmann                         [X.]

Meta

I ZB 97/08

14.01.2010

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 8. Oktober 2008, Az: 5 U 5/08, Beschluss

§ 233 ZPO, § 238 Abs 2 S 1 ZPO, § 522 Abs 1 S 4 ZPO, § 574 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 574 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.01.2010, Az. I ZB 97/08 (REWIS RS 2010, 10462)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10462

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