Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.04.2019, Az. 4 StR 442/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 7855

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Gegenstand

Gefährliche Körperverletzung durch Anfahren eines Fußgängers mit Kraftfahrzeug


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 28. Februar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbenannte Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm für die Dauer von vier Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Das zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom [X.] vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Nach dem Ende eines Hoffests in [X.].   am 7. September 2015 setzte sich der Angeklagte um 0.25 Uhr ans Steuer seines Pkw [X.], um nach Hause zu fahren, obgleich er zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,91 Promille und höchstens 1,23 Promille aufwies. Seine Freunde      M.    und     H.     nahmen auf dem Beifahrersitz und im [X.]. Der Angeklagte beabsichtigte, einen nahen Verkehrskreisel zu durchfahren, um sodann in der Gegenrichtung den Heimweg antreten zu können. Zu diesem Zeitpunkt kamen immer wieder Taxis, um wartende Festbesucher aufzunehmen. Die später getötete    [X.].    und ihr Verlobter     [X.]  , die ebenfalls das Hoffest besucht hatten, standen in diesem Moment am Eingang des [X.] im Bereich eines mit Zebrastreifen versehenen Fußgängerüberweges ein Stück weit in der Fahrbahn, um ein Taxi anhalten zu können. Als sich der Angeklagte mit seinem Pkw dem Pärchen näherte, bedeutete ihm     [X.]   mit einer Armbewegung, dass er um ihn und seine Partnerin herumfahren solle, was dem Angeklagten unter teilweiser Benutzung der Gegenfahrbahn auch möglich gewesen wäre.

4

Der Angeklagte verstand diese Geste nicht ausschließbar dahingehend, dass er anhalten solle, und stoppte sein Fahrzeug. Die Fahrzeugfront befand sich zu diesem Zeitpunkt zwischen eineinhalb und zwei Meter von    [X.].    und     [X.]   entfernt. Als    [X.].    und     [X.]   stehen blieben, reagierte der Angeklagte gereizt und ließ sein Fahrzeug langsam vorrollen. Unmittelbar vor    [X.].    und     [X.]   stoppte er erneut ab, wobei die Fahrzeugfront jetzt die Beine von     [X.]   berührte, was der Angeklagte jedoch nicht wahrnahm. Dadurch wollte der Angeklagte    [X.].    und     [X.]  dazu bewegen, zur Seite zu gehen. Beide blieben jedoch eng umschlungen mittig vor dem Fahrzeug stehen, während      M.    und     H.     den Angeklagten aufforderten, sich zu beruhigen und „mit sowas“ aufzuhören.

5

Der Angeklagte fuhr nun „mit normaler Startgeschwindigkeit“ an und erfasste das Paar. Dies hatte er auch so vorausgesehen, wobei er davon ausging, dass sich beide als Folge des Zusammenstoßes mit dem Fahrzeug auch schwer verletzen könnten. Damit fand er sich ab. Ihm war auch bewusst, dass aus dem Zusammenstoß auch tödliche Folgen resultieren konnten, vertraute jedoch darauf, dass dies nicht geschehen würde.

6

    [X.]   wurde durch den Anstoß nach links abgewiesen und kam auf der Fahrbahn zu liegen.    [X.].    wurde auf die Motorhaube aufgeladen und saß etwa mittig auf der Haube mit dem Rücken zur Frontscheibe. Sie versuchte, sich mit den Händen neben dem Körper abstützend auf dem Fahrzeug zu halten. Der Angeklagte erkannte dies, fuhr gleichwohl in den [X.]eisel ein und durchfuhr ihn sodann, wobei er auf eine Geschwindigkeit von höchstens 25 km/h beschleunigte. Nach einer Fahrstrecke von ca. 30 Metern - einer Viertel Umrundung des [X.]eisels - und einer Fahrzeit von mindestens fünf und maximal sieben Sekunden konnte sich die laut schreiende Geschädigte nicht mehr halten, rutschte von der Motorhaube herunter und kam vor dem Fahrzeug auf der Fahrbahn zu liegen. Sie gelangte sofort unter das bis dahin in gleicher Geschwindigkeit fahrende Fahrzeug, das dadurch eine wippende Auf- und Abbewegung machte.

7

Zwar bemerkte der Angeklagte diese Bewegung, ging aber davon aus, dass    [X.].    nach rechts von der Motorhaube heruntergerutscht und ohne tödliche Verletzungen zu Boden gefallen war. Weil er die Wippbewegung wahrgenommen hatte, nahm er an, dass sie dabei mit seinem Fahrzeug jedenfalls in Berührung gekommen war. Trotzdem ging er nicht davon aus, dass sich die Geschädigte hierdurch tödlich verletzt haben könnte. Er erkannte jedoch, dass    [X.].    in einer solchen Situation auf vielfältige Art (sofortiges Überfahren, Hängenbleiben an oder unter dem Fahrzeug und anschließende Weiterfahrt) zu Tode kommen könnte. Seine Mitfahrer forderten ihn zum sofortigen Anhalten auf und warfen ihm vor, die Frau angefahren oder überfahren zu haben.

8

Der Angeklagte fuhr dennoch, ohne zu bremsen oder seine Fahrt zu verlangsamen, weiter durch den [X.]eisel. Die [X.] und Schreie seiner Mitfahrer hielt er für Unfug. Danach beschleunigte er auf eine Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h. Als er eine Bewegung im Lenkrad bemerkte, hielt er an. Die gesamte von ihm ab der [X.] am Eingang des [X.]eisels in etwa 30 bis 40 Sekunden zurückgelegte Fahrstrecke belief sich auf etwa 400 Meter.    [X.].    war nach dem Absturz von der Motorhaube unter das Fahrzeug geraten und die gesamte weitere Fahrstrecke über mitgeschleift worden. Sie erstickte infolge einer durch den Fahrzeugboden ausgelösten Brustkorbkompression.

9

2. Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten als Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) zum Nachteil von    [X.].    , vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zum Nachteil von     [X.]   und vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gewertet.

Einen (versuchten) Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB hat es sowohl in Bezug auf    [X.].    als auch hinsichtlich     [X.]   verneint. Eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil des [X.]     [X.]   hat es ebenso abgelehnt wie den [X.] des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a und Nr. 2 StGB.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes in Bezug auf die Getötete    [X.].    und die Nichtannahme einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB zum Nachteil des [X.]     [X.]   halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Schließlich hat das [X.] auch den [X.] des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB rechtsfehlerhaft verneint.

1. Soweit die [X.] hinsichtlich der Herbeiführung des Todes von    [X.].    lediglich ein bewusst fahrlässiges Handeln angenommen und einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, genügen die Urteilsgründe nicht den Anforderungen, die unter den hier gegebenen Umständen an die Begründung der inneren Tatseite zu stellen sind.

a) Die [X.] hat ihre Annahme, der Angeklagte habe weder in dem Moment, als er am Fußgängerüberweg anfuhr, „noch im weiteren Verlauf der Tat“ mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, auf die folgenden Erwägungen gestützt:

Es sei nicht erwiesen, dass der Angeklagte das Mitschleifen von    [X.].    unter seinem Fahrzeug während der Fahrt wahrgenommen habe. Für die Annahme des Willenselementes spreche zwar, dass er von seiner Persönlichkeit her zu Aggressivität im Straßenverkehr neige und die Aufforderungen seiner Mitfahrer ignoriert habe. Auch habe er seine Weiterfahrt fortgesetzt, nachdem er bemerkt habe, dass    [X.].    von der Motorhaube gerutscht sei und sein Fahrzeug eine Wippbewegung vollzogen habe. Dies sei ein Indiz dafür, dass ihm das weitere Schicksal des Opfers „einerlei“ gewesen sei und er sich auch mit dessen Tod abgefunden habe. Gegen die Annahme des Willenselementes spreche aber, dass der Angeklagte die Geschädigten ohne [X.] aus dem Stand angefahren und sodann - bis zum Abrutschen von    [X.].    - sein Fahrzeug nur auf höchstens 25 km/h beschleunigt habe, der Nebenkläger     [X.]   bei der Kollision zur Seite abgewiesen worden sei und keine tödlichen Verletzungen erlitten habe, dem Angeklagten Delikte gegen die körperliche Integrität oder gar das Leben anderer Menschen wesensfremd seien, ein Tötungsmotiv nicht sicher habe festgestellt werden können, der [X.] spontan gefasst worden sei, die Tat in Anwesenheit vieler neutraler Zeugen begangen worden sei und der Angeklagte danach panisch aufgeregt gewirkt habe. Bei einer „gewichtenden Würdigung“ dieser Umstände blieben erhebliche Restzweifel daran, dass der Angeklagte den Tod von    [X.].    billigend in Kauf genommen oder sich mit ihm abgefunden habe.

b) Diese Erwägungen sind lückenhaft, weil sie die festgestellten objektiven Tatumstände und das damit einhergehende Verhalten des Angeklagten nicht in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen und unter dem Gesichtspunkt der Gleichgültigkeit gegenüber dem als möglich erkannten Todeseintritt einer Gesamtwürdigung unterziehen. Auch werden einzelne vorsatzkritische Umstände nicht erschöpfend erörtert.

aa) [X.] Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und auf deren Ausbleiben vertraut, während der bedingt vorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des schädlichen Erfolges um des erstrebten Zieles willen billigend in Kauf nimmt oder sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (vgl. nur [X.], Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621, 1622 f.; Urteil vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, [X.], 79, 80, jeweils mwN). Dabei kann schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht angestrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 11. Oktober 2016 - 1 StR 248/16, [X.], 25, 26; Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 [X.], NJW 1960, 1821, 1822, weitere Nachweise bei [X.] in [X.] z. StGB, 3. Aufl., § 212 Rn. 73). Dazu ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich (vgl. [X.], Urteil vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, [X.], 204 f. mwN).

bb) Danach hätte sich das [X.] auf der Grundlage einer zusammenfassenden Würdigung des Verhaltens des Angeklagten und der von ihm wahrgenommenen Tatumstände mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ihm der als möglich erkannte Eintritt des Todes von    [X.].    gleichgültig war.

Der Angeklagte hat das Geschehen durch ein bewusstes Anfahren des [X.] und der später Getöteten    [X.].    eingeleitet, wobei er schon an dieser Stelle in Kauf nahm, dass sich beide als Folge des Zusammenstoßes mit seinem Fahrzeug auch schwer verletzen könnten. Bereits zu diesem Zeitpunkt war er von seinen Mitfahrern dazu aufgefordert worden, jede weitere Eskalation zu unterlassen. Nachdem er    [X.].    infolge des von ihm herbeigeführten Anstoßes aufgeladen hatte, fuhr er, ohne seine Fahrt zu verlangsamen, weiter und beschleunigte im [X.] an ihren Absturz sein Fahrzeug zuletzt auf 40 bis 50 km/h. Mit dieser Geschwindigkeit setzte er seine Fahrt auch noch fort, obgleich er erkannt hatte, dass    [X.].    beim Absturz mit seinem Fahrzeug in Berührung gekommen war und in einer solchen Situation auf vielfältige Art und Weise zu Tode kommen konnte. Unmittelbar nach dem Absturz des [X.] nahm er die Wippbewegung seines Fahrzeugs wahr, die auch aus Sicht des Angeklagten nicht durch einen Anstoß an den [X.] erklärbar war. Zudem wurde er von seinen Mitfahrern weiterhin und mit zunehmender Intensität (Schreie) zum Anhalten aufgefordert, weil er die Frau angefahren oder überfahren habe. Dieses durch eine fortschreitende Risikoverschärfung einerseits und ein gleichbleibendes Ignorieren immer intensiver werdender Warnungen andererseits gekennzeichnete Verhalten hat die [X.] nicht in seiner Gesamtheit in den Blick genommen und bewertet. Dabei hätte insbesondere erörtert werden müssen, ob darin in der Gesamtschau eine Haltung zum Ausdruck gekommen ist, die durch eine Gleichgültigkeit gegenüber dem als möglich erkannten Tod der Geschädigten gekennzeichnet ist. Soweit das [X.] darauf abgestellt hat, dass die Weiterfahrt des Angeklagten nach dem Abrutschen von    [X.].    darauf hindeute, dass ihm ihr Schicksal „einerlei“ gewesen sei, greift dies unter den hier gegebenen Umständen zu kurz, weil damit nur ein Teilaspekt des Tatgeschehens erfasst wird.

cc) Auch werden mehrere von der [X.] herangezogene vorsatzkritische Umstände nicht erschöpfend erörtert.

(1) Soweit die [X.] darauf abgehoben hat, dass sich ein Tötungsmotiv nicht habe feststellen lassen, hat sie zutreffend erkannt, dass dies der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes für sich genommen nicht entgegensteht, weil mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter kein Tötungsmotiv haben und es stattdessen auf die Stärke des anderweitigen Handlungsantriebes ankommt (vgl. [X.], Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, [X.], 147, 149; Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, [X.], 443, 445). Dabei hat sie jedoch nur einen Bezug zu der ersten [X.] (Anfahren der dem Angeklagten unbekannten Geschädigten auf dem Zebrastreifen) und deren Vorgeschichte hergestellt und darauf verwiesen, dass der Angeklagte die Geschädigten nicht gekannt habe und das Fest friedlich verlaufen sei. Dass aufgrund der dramatischen Entwicklung in den sich anschließenden [X.]n gewichtige weitere [X.] (Flucht, Angst vor den Folgen oder Übergriffen umstehender Personen nach dem Anfahren von    [X.].    und dem Nebenkläger etc.) entstanden sein und die Inkaufnahme schwerster Folgen bedingt haben könnten, ist [X.] geblieben, obwohl sich dies hier nach den Umständen aufgedrängt hat.

(2) Schließlich hat das [X.] die „panische Aufregung“ des Angeklagten bei seinem Notruf nach dem Geschehen als weiteren vorsatzkritischen Gesichtspunkt in die Abwägung eingestellt, ohne zu erörtern, ob dieser Umstand nicht auch von der Sorge um das eigene Wohl geleitet gewesen sein konnte und deshalb keinen Rückschluss auf seine innere Haltung in den [X.] zuließ (vgl. dazu [X.], Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, [X.], 443, 444 mwN). Nach den Feststellungen war der Angeklagte zuvor um sein Fahrzeug herumgegangen und hatte die Beine der Geschädigten aus dem Radkasten herausragen sehen. Bei seinem anschließenden Notruf gab er einen unzutreffenden, ihn entlastenden Tatablauf an (eine Person sei vor sein Auto gelaufen etc.). Danach liegt es nahe, dass seine „Panik“ eher der unmittelbaren Wahrnehmung der dramatischen Tatfolgen und einem dadurch hervorgerufenen Ernüchterungseffekt geschuldet war.

2. Die unterbliebene Prüfung einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zum Nachteil des [X.]     [X.]   und die Ablehnung einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB halten revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.

a) Eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt vor, wenn der Täter in einer Weise vorgeht, die nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juni 2006 - 4 [X.], [X.], 34, 35, weitere Nachweise bei [X.] in [X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 12) und er die Umstände kennt, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit seines Tuns in der konkreten Situation ergibt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 [X.]/08, [X.], 92, 93). Danach hätte das [X.] hier in eine Prüfung der Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB eintreten müssen. Denn nach den Feststellungen wurde der Nebenkläger von dem Angeklagten in einer Weise angefahren, dass sogar tödliche Verletzungen möglich waren ([X.]). Auch nahm er dabei an, dass aus dem Zusammenstoß tödliche Folgen resultieren könnten.

b) Eine gefährliche Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (vgl. [X.], Beschluss vom 25. April 2012 - 4 StR 30/12, [X.], 697, 698 mwN). Ein fahrendes [X.]aftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ist in der Regel als ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 2011 - 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, [X.], 405). Wird eine Person durch ein gezieltes Anfahren zu Fall gebracht, kann darin eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist.

Das [X.] hat zwar zutreffend erkannt, dass danach erst durch den Sturz des [X.] verursachte Verletzungen den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht erfüllen können (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 2011 - 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, [X.], 405). Es hätte aber auch prüfen müssen, ob nicht bereits durch den Anstoß des Fahrzeugs eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des [X.] ausgelöst wurde, die den objektiven Tatbestand einer körperlichen Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB erfüllte.

3. Schließlich hat das [X.] auch die Voraussetzungen des § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB rechtsfehlerhaft für nicht gegeben erachtet.

Für die nach § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB erforderliche Absicht reicht es aus, dass der Täter einen Unglücksfall durch einen verkehrsfremden (verkehrsfeindlichen) Eingriff gezielt herbeigeführt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2001 - 4 StR 25/01, [X.], 298, 299; [X.] in [X.], 4. Aufl., § 315 Rn. 16 mwN). Dies ist hier der Fall, denn der Angeklagte fuhr nach den Feststellungen auf die mittig vor seinem Fahrzeug stehenden Geschädigten zu, wobei er davon ausging, dass diese sicher von seinem Fahrzeug erfasst würden.

4. Im Übrigen weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

a) Soweit das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz in Bezug auf den Nebenkläger     [X.]   in der ersten [X.] verneint hat, zeigt die Revision keinen Rechtsfehler auf (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 [X.], [X.], 37, 38 f.).

b) Die Verneinung der Qualifikation des § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB hält ebenfalls rechtlicher Überprüfung stand. Dass es bei der Geschädigten zwischen dem mit dem Anfahren beginnenden gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und dem Todeseintritt durch Ersticken infolge einer Brustkorbkompression zu einer schweren Gesundheitsschädigung mit eigenständiger Bedeutung (vgl. dazu [X.] in [X.] Kommentar z. StGB, 12. Aufl., § 315 Rn. 120; [X.] in [X.], 4. Aufl., § 315 Rn. 18) kam, ergeben die Feststellungen nicht. Die Verursachung des Todes ist im Gegensatz zu den vergleichbaren Regelungen in § 306b Abs. 1 i.V.m. § 306c, § 308 Abs. 2 und 3, § 309 Abs. 3 und 4, § 312 Abs. 3 und 4, § 318 Abs. 3 und 4 StGB nicht tatbestandsmäßig (vgl. [X.] in [X.] Kommentar z. StGB, 12. Aufl., § 315 Rn. 122; [X.] in [X.], 4. Aufl., § 315 Rn. 18; [X.], StGB, 66. Aufl., § 315 Rn. 24; [X.] in [X.], 5. Aufl. § 315 Rn. 67).

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es bei der Erörterung eines bedingten Tötungsvorsatzes auch angezeigt sein kann, gegebenenfalls in Bezug auf alle drei [X.]n (Anfahren des [X.] und der später getöteten    [X.].    auf dem Zebrastreifen, Weiterfahrt mit der aufgeladenen    [X.].    durch den [X.]eisel, Weiterfahrt nach dem Abwurf und Mitschleifen von    [X.].    ) im Einzelnen zu erörtern, von welchen Risiken der Angeklagte für das Leben der Geschädigten jeweils ausging.

III.

Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Das [X.] hat zu Lasten des Angeklagten in seine Bewertung eingestellt, dass es ihm in jedem Fall möglich und zumutbar gewesen wäre, auf die Freigabe der Fahrbahn in anderer Weise hinzuwirken. Seine Entscheidung, stattdessen in dem sicheren Wissen loszufahren, dass er die Geschädigten erfassen werde, offenbare eine besonders verkehrswidrige Gesinnung.

2. Diese Strafzumessungserwägung begegnet mit Blick auf § 46 Abs. 3 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Zwar hat sich die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessung am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatrichters zu orientieren und nicht an dessen möglicherweise missverständlichen Formulierungen (vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349 f.). Das [X.] hat hier aber auch darauf abgestellt, dass der Angeklagte von der Tat hätte absehen können und müssen. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des Umstandes dar, dass die Tat überhaupt begangen wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 2018 - 4 [X.], [X.], 8 [[X.]]; Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 119/13, [X.], 512 ff.; Beschluss vom 9. November 2010 - 4 StR 532/10, [X.], 224 f.).

b) Der Senat kann unter den hier gegebenen Umständen nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Strafbemessung auf diesem Rechtsfehler beruht. Der [X.] bleibt hiervon unberührt.

Sost-Scheible     

        

Ri[X.] Cierniak ist im Urlaub
und daher gehindert zu
unterschreiben.

        

Quentin

                 

Sost-Scheible

                 
        

Feilcke     

        

     Bartel     

        

Meta

4 StR 442/18

25.04.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 28. Februar 2018, Az: 5/21 Ks 15/16

§ 212 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 315 Abs 3 Nr 1a StGB, § 315 Abs 3 Nr 2 StGB, § 315b Abs 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.04.2019, Az. 4 StR 442/18 (REWIS RS 2019, 7855)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7855

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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