Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 28.09.2013, Az. 1 BvQ 42/13

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2013, 2349

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: eigene Folgenabwägung nur bei voller Kenntnis der maßgeblichen Umstände - hinreichende Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Grundsätze durch Verwaltungsbehörde und Fachgerichte - hier: Verbot einer Konzertveranstaltung im Wege der Ordnungsverfügung (§ 13 OBG BB) - Gefahr von Straftaten nach §§ 86a, 130 StGB


Gründe

1

Der Antragsteller ist Mitglied einer Musikband. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet er sich gegen ein unter Anordnung sofortiger Vollziehung ausgesprochenes Verbot einer angemeldeten Konzertveranstaltung dieser Musikband.

2

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

3

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf [X.] hat jedoch keinen Erfolg, wenn im Hauptsacheverfahren vor dem [X.] eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. [X.] 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, einer Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).

4

2. Danach fehlt es hier an den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

5

Dabei kann offen bleiben, ob eine Verfassungsbeschwerde im vorliegenden Fall von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. Denn angesichts der Kürze der [X.] ist der Kammer jedenfalls eine eigene Folgenabwägung nicht möglich. Eine verantwortliche Abwägung ist im Rahmen der Entscheidung über eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 [X.] nur in voller Kenntnis der hierfür maßgeblichen Umstände möglich. Fehlt es an einer realistischen Möglichkeit, sich diese zu verschaffen, und ist insbesondere in der zur Verfügung stehenden [X.] feststellbar, dass die Ausgangsentscheidungen die verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht verkannt haben, die für eine solche Abwägung gelten, sieht sich das [X.] zu einer abweichenden Beurteilung außerstande (vgl. [X.] 56, 244 <246>; 72, 299 <301>; 83, 158 <161>).

6

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ging am Tag der geplanten Konzertveranstaltung, einem Samstag, um 9:24 Uhr bei der zentralen Faxstelle des [X.]s ein; aus organisatorischen Gründen bat der Antragsteller um eine Entscheidung bis 13:00 Uhr. Das Gericht kann sich unter den aufgezeigten zeitlichen Bedingungen kein hinreichend zuverlässiges Bild darüber machen, welche Gefahren bei Durchführung des Konzerts zu besorgen und welche Maßnahmen zu deren Verhinderung geboten und noch möglich sind.

7

Die Ausgangsentscheidungen lassen im Übrigen erkennen, dass die Verwaltungsbehörde und die Fachgerichte die einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht verkannt haben. Sie gelangten zu der Einschätzung, dass die geplante Durchführung des Konzerts eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von § 13 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz - [X.] -) begründet, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Verletzung von Strafvorschriften (insbesondere §§ 86a, 130 StGB) zu rechnen sei. Diese Gefahrenprognose war nicht auf bloße Vermutungen, sondern auf umfangreiche Tatsachenfeststellungen gestützt.

8

Die Verwaltungsbehörde und das Oberverwaltungsgericht haben zugunsten des Antragstellers angenommen, das [X.] stelle einen Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete Kunstfreiheit dar. Die Kunstfreiheit ist nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. [X.] 30, 173 <193>; 83, 130 <139>; 119, 1 <23>). In allen Fällen, in denen andere [X.] mit der Ausübung der Kunstfreiheit in Widerstreit geraten, muss ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung gefunden werden (vgl. [X.] 81, 278 <292 f.>); der Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ist also im Wege fallbezogener Abwägung zu lösen (vgl. [X.] 77, 240 <253>; 119, 1 <28 f.>).

9

Die im Eilverfahren getroffene Entscheidung des [X.] lässt hinreichend erkennen, dass eine solche Abwägung vorgenommen wurde. Seine Einschätzung, die zu besorgende Begehung von Straftaten nach §§ 86a und 130 StGB stelle eine Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats dar, die auch im Lichte der Kunstfreiheit nicht hingenommen werden könne, verkennt die Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 42/13

28.09.2013

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 27. September 2013, Az: OVG 1 S 245.13, Beschluss

Art 5 Abs 3 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 32 Abs 5 S 2 BVerfGG, § 13 Abs 1 OBG BB, § 86a StGB, § 130 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 28.09.2013, Az. 1 BvQ 42/13 (REWIS RS 2013, 2349)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2349

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 2211/15 (Bundesverfassungsgericht)

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: Voraussetzungen eines Versammlungsverbots wegen polizeilichen Notstandes - Maßgeblichkeit der …


1 BvR 928/21 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde gegen inzidenzabhängige Schließung von Kultureinrichtungen gem § 28b Abs 1 S 1 Nr …


2 BvR 480/14 (Bundesverfassungsgericht)

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung - Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit rechtfertigt Weisung zum Tragen einer …


2 BvR 636/12 (Bundesverfassungsgericht)

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung - Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit rechtfertigt Weisung zum Tragen einer …


1 BvR 2519/13 (Bundesverfassungsgericht)

Ablehnung des Erlasses einer eA: Ausstrahlung einer Fernsehsendung - fehlende Möglichkeit zur Folgenabwägung - hier: …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.