Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.05.2014, Az. III R 21/12

3. Senat | REWIS RS 2014, 5738

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Gegenstand

(Kindergeld - Wohnsitz einer natürlichen Person i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 8 AO)


Leitsatz

Ein angemietetes Zimmer kann nur dann der Wohnsitz einer natürlichen Person i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 8 AO sein, wenn es sich hierbei um eine auf Dauer zum Bewohnen geeignete Räumlichkeit handelt, die der Betreffende --wenn auch in größeren Zeitabständen-- mit einer gewissen Regelmäßigkeit tatsächlich zu Wohnzwecken nutzt. Ob diese Voraussetzungen bei einem Gewerbetreibenden vorliegen, lässt sich im Allgemeinen nicht aus der Höhe der im Inland erzielten Einkünfte folgern .

Tatbestand

1

I. [X.]s ist streitig, ob dem [X.]läger und [X.] ([X.]läger), einem [X.] Staatsangehörigen, [X.] [X.]indergeld für seine beiden minderjährigen [X.]inder (nachfolgend [X.] und [X.]) für den Zeitraum September 2007 bis März 2008 (Streitzeitraum) in voller Höhe zusteht.

2

Die [X.]indsmutter von [X.] ist Frau L, die [X.]indsmutter von [X.] die [X.]hefrau ([X.]) des [X.]lägers. [X.]eide [X.]inder leben bei [X.] in [X.]olen. Der [X.]läger erhielt für [X.] und [X.] [X.] Familienleistungen für den Zeitraum Juni 2006 bis Mai 2007. Die für den Zeitraum Februar 2007 bis Mai 2007 bezogenen [X.] Familienleistungen zahlte er später zurück.

3

Der [X.]läger meldete im Juni 2006 einen Wohnsitz und ein Gewerbe in der [X.] ([X.]) in der [X.] [X.] an. Im Februar 2007 meldete er dieses Gewerbe ab und im Juli 2007 wieder ein Gewerbe für eine GbR in der [X.] [X.] an. Nach den vorgelegten [X.]inkommensteuerbescheiden für 2006 und für 2007 erzielte der [X.]läger im Jahr 2006 ein zu versteuerndes [X.]inkommen in Höhe von 10.271 € und im Jahr 2007 in Höhe von 13.379 €. Laut dem [X.]escheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von [X.]esteuerungsgrundlagen für das [X.] erzielte er im [X.] [X.]inkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 12.968,63 €. Ausweislich dieses [X.]escheids waren an der Gesellschaft eine Vielzahl von [X.]ersonen --u.a. der [X.]läger mit der laufenden Nr. 19-- beteiligt. Der [X.]läger legte einen von [X.] (Untervermieter) und ihm (Untermieter) unterzeichneten --inhaltlich kurz gefassten-- Untermietvertrag vom 1. Juni 2006 vor, der mit den Worten "Mietvertrag über [X.] und [X.]etriebsstätte" überschrieben war. Zudem legte er einen von Frau O (Vermieterin) und [X.] unterzeichneten Hauptmietvertrag vom 25. April 2005 sowie eine von einer weiteren [X.]erson (nicht der Vermieterin) --im [X.] unterzeichnete [X.]rklärung vom 30. März 2006 vor, mit welcher [X.] die Untervermietung des von ihm angemieteten [X.]infamilienhauses gestattet wurde.

4

Der [X.]läger war in den Jahren 2006 bis 2008 weder in der [X.] noch in der [X.] Sozialversicherung erfasst. Seit 31. Oktober 2008 lebt der [X.]läger wieder in [X.]olen und erhält dort seit März 2009 wieder [X.] Familienleistungen.

5

Im April 2007 beantragte der [X.]läger bei der [X.]eklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) [X.]indergeld für [X.] und [X.]. [X.]r gab an, in [X.] nicht sozialversichert zu sein. Weder er noch seine [X.]hefrau hätten in den letzten fünf Jahren Familienleistungen für die [X.]inder beantragt oder erhalten. Nach Auskunft des [X.] Leistungsträgers übte [X.] seit 1. Februar 2007 (Vordruck [X.] 411 vom 24. Juli 2007) bzw. seit 1. Juni 2006 (Vordruck [X.] 411 vom 16. November 2009) und die [X.]indsmutter von [X.], mit der die [X.]ehörde keinen [X.]ontakt hatte, ebenfalls seit 1. Juni 2006 (Vordruck [X.] 411 vom 16. November 2009) keine berufliche Tätigkeit aus.

6

Die Familienkasse entsprach dem [X.]indergeldantrag nur teilweise. Sie setzte mit [X.]escheid vom 8. November 2007 [X.] [X.]indergeld für [X.] und [X.] ab Juni 2006 in jeweils hälftiger Höhe (77 € pro [X.]ind und Monat) fest. Zur [X.]egründung führte die Familienkasse aus, dass zwar die nationalen Ansprüche zweier [X.] aufeinandertreffen würden, aber ein gesamter Ausschluss des [X.] [X.]indergeldanspruchs nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des [X.]inkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.]StG) nicht gerechtfertigt sei. In Anwendung des Art. 12 Abs. 2 der Verordnung ([X.]WG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern, in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.] 1408/71) und des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung ([X.]WG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern, in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.] 574/72), sei [X.]indergeld in hälftiger Höhe zu gewähren. Der [X.]inspruch, mit dem der [X.]läger [X.]indergeld in voller Höhe begehrte, blieb erfolglos ([X.]inspruchsentscheidung vom 18. März 2008).

7

Nachdem der [X.]läger im erstinstanzlichen Verfahren die [X.]lage für den Zeitraum Juni 2006 bis August 2007 zurückgenommen hatte, war vor dem Finanzgericht ([X.]) nur noch streitig, ob der [X.]läger das [X.]indergeld für [X.] und [X.] für den Streitzeitraum in voller Höhe beanspruchen kann. Die [X.]lage hatte mit den in [X.]ntscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1943 veröffentlichten Gründen [X.]rfolg. Zur [X.]egründung führte das [X.] im Wesentlichen aus, dass im Streitfall der persönliche Anwendungsbereich der [X.] 1408/71 nicht eröffnet sei. Die Rechtslage beurteile sich daher allein nach den §§ 62 ff. [X.]StG. Dabei bestünden --anders als die Familienkasse meine-- keine [X.]edenken, einen inländischen Wohnsitz des [X.]lägers zu bejahen. Der dem [X.]läger zustehende [X.]indergeldanspruch sei nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG ausgeschlossen, weil nach dem einschlägigen [X.] Gesetz über Familienleistungen vom 28. November 2003 (FamLstgG-[X.]L) kein Anspruch auf [X.] Familienleistungen bestanden habe.

8

Mit der Revision macht die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG geltend. Nach dieser Vorschrift werde kein [X.]indergeld für ein [X.]ind gezahlt, für welches im Ausland Leistungen gezahlt werden oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem [X.]indergeld vergleichbar seien. Indem das [X.] eigenständig die [X.] Rechtsvorschriften geprüft und unter Zugrundelegung der Steuerbescheide des [X.]lägers einen Anspruch auf [X.] Familienleistungen verneint habe, habe es gegen den Regelungsinhalt des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG verstoßen. Zur Feststellung eines Anspruchs auf [X.] Familienleistungen seien verschiedene Vorschriften des FamLstgG-[X.]L zu prüfen. Hiernach sei fraglich, ob der [X.]läger die einzige [X.]erson sei, die zur [X.]rzielung des Familieneinkommens beitrage. Weiter stelle sich die Frage, ob nicht auch Sozialversicherungs- oder [X.]rankenversicherungsbeiträge anderer Familienmitglieder vom [X.]inkommen des [X.]lägers abzuziehen seien. Außerdem erscheine es nicht ausgeschlossen, dass der [X.]läger gegenüber der --von ihm getrennt lebenden-- Mutter des [X.] unterhaltspflichtig sei. Aufgrund dieser [X.]omplexität des [X.] Rechts sei es den Familienkassen nicht möglich, die --nach [X.]m Recht-- erforderliche [X.]inkommensberechnung durchzuführen. [X.]ine solche Verpflichtung lasse sich weder dem § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG entnehmen noch wäre sie umsetzbar. Vielmehr sei es Aufgabe des [X.]lägers durch geeignete Mittel (z.[X.]. durch den Vordruck [X.] 411) nachzuweisen, dass im Ausland kein Anspruch auf vergleichbare Leistungen bestehe. Diese Vordrucke und die Zusammenarbeit mit ausländischen [X.] wären überflüssig, wenn die [X.]rüfung von möglichen ausländischen Ansprüchen durch die Familienkasse selbst erfolgen müsse. Im Übrigen hätten auch bereits verschiedene [X.] entschieden, dass in solchen Fällen den [X.]läger eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) treffe. Danach sei es weder Aufgabe der Familienkasse noch des [X.] festzustellen, ob bei entsprechender Antragstellung Leistungen im Ausland zu zahlen wären.

9

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die [X.]lage abzuweisen.

Der [X.]läger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Familienkasse ... der [X.] ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der [X.] Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der [X.], Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen [X.]arteiwechsels in die Beteiligtenstellung der [X.] eingetreten (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 22. August 2007 [X.], [X.], 533, [X.], 109, unter II.1.).

III.

Die Revision ist begründet. Das [X.] ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob der [X.]läger im Streitzeitraum nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG anspruchsberechtigt ist.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist anspruchsberechtigt, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das [X.] hat entschieden, dass der [X.]läger über einen inländischen Wohnsitz verfügt hat. Diese Annahme hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil es hierfür an einer tragfähigen Tatsachengrundlage fehlt.

a) Seinen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten oder benutzen wird (§ 8 [X.]).

Hiernach setzt ein Wohnsitz eine Wohnung, d.h. eine stationäre Räumlichkeit voraus, die auf Dauer zum Bewohnen geeignet ist. Dies wiederum erfordert eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Inhabers entsprechende Bleibe ([X.]-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, [X.], 296, [X.] 1997, 447). Eine nur vorübergehende oder notdürftige Unterbringungsmöglichkeit reicht allerdings nicht aus (Buciek in [X.], [X.] § 8 Rz 16), ebenso nicht eine bloße Schlafstelle in Betriebsräumen (vgl. [X.]-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 23/82, [X.], 217, [X.] 1985, 331). Innehaben der Wohnung bedeutet, dass der Anspruchsteller tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit --wenn auch in größeren [X.] aufsucht ([X.]-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, [X.], 558, [X.] 2001, 294). Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken reicht nicht aus (Buciek in [X.], a.a.O., [X.] § 8 Rz 27), ebenso nicht ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken ([X.]-Urteil in [X.], 558, [X.] 2001, 294). Schließlich muss das Innehaben der Wohnung unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die [X.]erson die Wohnung beibehalten wird. Hierin kommt u.a. ein Zeitmoment zum Ausdruck. Dabei kann im Rahmen des § 8 [X.] zur Bestimmung des Zeitmoments als Anhaltspunkt auf die in § 9 Satz 2 [X.] normierte Sechsmonatsfrist zurückgegriffen werden (Senatsurteil vom 22. August 2007 III R 89/06, [X.], 351).

b) Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 [X.] ist nach den objektiv erkennbaren Umständen zu beurteilen (Senatsurteil vom 22. August 2007 III R 89/06, [X.], 351, m.w.N.). Ob der Anspruchsteller i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG im Inland einen Wohnsitz hat, müssen die Familienkasse und das [X.] ohne Bindung an die im [X.] vom zuständigen [X.] getroffenen Feststellungen selbständig entscheiden (Senatsurteile vom 20. November 2008 III R 53/05, [X.], 564, unter [X.]; vom 18. Juli 2013 III R 9/09, [X.], 170, Rz 19). Im Finanzgerichtsverfahren obliegt die Würdigung derjenigen tatsächlichen Umstände, die im Einzelfall für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Wohnsitzes sprechen, dem [X.] (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010 III B 141/10, [X.], 576). Dies gilt namentlich für die Abwägung der Faktoren, die für und gegen ein Innehaben der Wohnung und die Absicht der weiteren Benutzung sprechen (Buciek in [X.], a.a.O., [X.] § 8 Rz 11). Das [X.] hat die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).

c) An diese Tatsachenwürdigung ist der [X.] gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden, soweit keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben wurden. Im Übrigen kann das Revisionsgericht die Würdigung des [X.] nur auf Rechtsfehler bzw. nur auf Verstöße gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze hin überprüfen ([X.]-Urteil vom 30. August 1989 I R 215/85, [X.]E 158, 118, [X.] 1989, 956).

2. Die vom [X.] im Streitfall vorgenommene Würdigung ist auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten [X.] zu beanstanden. Das [X.] enthält keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Annahme eines inländischen Wohnsitzes des [X.] (zum Fehlen einer tragfähigen Tatsachengrundlage vgl. [X.]-Urteil vom 26. Mai 2009 VII R 28/08, [X.]E 225, 543; Senatsurteil vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, [X.]E 208, 531, [X.] 2005, 483). Hierin liegt ein Rechtsfehler, den der erkennende Senat auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten hat (vgl. [X.]-Urteil vom 25. Mai 1988 I R 225/82, [X.]E 154, 7, [X.] 1988, 944). Das [X.] hat die Annahme eines inländischen Wohnsitzes aus den vom [X.]läger vorgelegten Mietverträgen, aus seiner Meldung beim Einwohnermeldeamt, aus den von ihm im Zeitraum von 2006 bis 2008 in [X.] in nicht unerheblicher Höhe erzielten Einkünften und aus dem Einkommensteuerbescheid für 2007 abgeleitet, dem zu entnehmen sei, dass der [X.]läger im Jahr 2007 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei.

Diese tatsächlichen Umstände sind aber weder einzeln noch in ihrer Zusammenschau geeignet, nachvollziehbar einen inländischen Wohnsitz des [X.] zu begründen. So bleibt bereits unklar, ob das vom [X.]läger mit Untermietvertrag vom 1. Juni 2006 angemietete Zimmer überhaupt eine zu Wohnzwecken geeignete Bleibe dargestellt hat. Der --inhaltlich sehr knappe-- Untermietvertrag enthält keine Angaben zur Ausstattung des Zimmers. Sonstige diesbezügliche Feststellungen enthält das [X.] nicht. Daneben hat das [X.] keine Feststellungen dazu getroffen, für welche Zwecke [X.] tatsächlich genutzt wurde. Anlass hierzu hätte gerade auch deshalb bestanden, weil der genannte Untermietvertrag als "Mietvertrag über [X.] und Betriebsstätte" überschrieben ist und es im ersten Satz heißt, es werde [X.] für Wohnen und für Erledigung von anfallende Büro– und Geschäftsbedingte Arbeiten" vermietet. Weiter bleibt im Verborgenen, in welcher Häufigkeit und über welche Dauer der [X.]läger [X.] tatsächlich bewohnt hat; Feststellungen hierzu fehlen.

Für den Zeitraum September 2007 bis Dezember 2007 ergibt sich ein inländischer Wohnsitz des [X.] auch nicht aus dem Einkommensteuerbescheid für 2007. Selbst wenn das Finanzamt im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 2007 von einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des [X.] nach § 1 Abs. 1 EStG ausgegangen sein sollte, ergibt sich hieraus keine Bindung für die Familienkasse (vgl. Senatsurteile in [X.], 564, unter [X.]; in [X.], 170, Rz 19). Eine solche Bindung ließe sich für den Zeitraum Januar 2008 bis März 2008 auch nicht aus dem Bescheid für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ableiten. Einem solchen Grundlagenbescheid kommt für die [X.]indergeldfestsetzung --anders als für die Einkommensteuerfestsetzung (vgl. § 171 Abs. 10, § 182 [X.])-- keine Bindungswirkung zu. Ebenso lässt sich die Annahme eines Wohnsitzes nicht darauf stützen, dass der [X.]läger --wie vom [X.] ausgeführt-- beim Einwohnermeldeamt gemeldet war. Für die Annahme eines Wohnsitzes ist es ohne Bedeutung, wo jemand polizeilich gemeldet ist (z.B. Senatsurteil vom 27. April 1995 III R 57/93, [X.]/NV 1995, 967). Schließlich lässt sich ein Wohnsitz des [X.] auch nicht auf die im Juli 2007 erfolgte Gewerbeanmeldung stützen. Die Anzeige eines Gewerbes nach § 14 der Gewerbeordnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. Urteil des [X.] vom 14. Juli 2003  6 [X.] 10/03, [X.] 2003, 482), die als solche nicht geeignet ist, eine nach den tatsächlichen Umständen zu beurteilende Wohnsitzbegründung i.S. des § 8 [X.] zu ersetzen.

Nach alledem bleibt im Ergebnis offen, ob der [X.]läger --ggf. auch in größeren [X.] eine auf Dauer zum Bewohnen geeignete Räumlichkeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich im Allgemeinen auch nicht aus der Höhe der vom [X.]läger im Inland erzielten Einkünfte folgern. Insbesondere ergibt sich hieraus nicht, in welcher Häufigkeit und über welche Dauer der [X.]läger die Räumlichkeit genutzt hat. Insoweit erschiene es bei einem Gewerbetreibenden näher liegend, auf die den Einkünften zugrundeliegenden Geschäftsvorfälle abzustellen. So könnten sich aus Art und Dauer der Aufträge Hinweise auf die Verweildauer und Häufigkeit der Nutzung ergeben.

Das [X.] hat die fehlenden tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

3. Außerdem weist der erkennende Senat für den zweiten Rechtsgang auf Folgendes hin:

a) Sollte sich ein inländischer Wohnsitz des [X.] nicht feststellen lassen, bleibt zu prüfen, ob der [X.]läger während des [X.] seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 [X.] im Inland hatte. Dabei hat derjenige, der mehr als sechs Monate zusammenhängend im Inland arbeitet und seinen Inlandsaufenthalt jeweils nur kurzfristig für Heimfahrten nach [X.] unterbricht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (vgl. Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 89/08, [X.], 1324).

b) Soweit sich keine Anspruchsberechtigung des [X.] aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergeben sollte, muss geprüft werden, ob eine Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.]. § 1 Abs. 3 EStG besteht (vgl. dazu z.B. Senatsurteil vom 18. Juli 2013 III R 59/11, [X.]E 242, 228).

c) Sollte der [X.]läger nach den §§ 62 ff. EStG anspruchsberechtigt sein, bleibt schließlich zu prüfen, wie eine [X.]onkurrenz des [X.] nach dem EStG zu etwaigen Ansprüchen des [X.] oder Dritter auf [X.] Familienleistungen aufzulösen ist.

aa) Insoweit ist das [X.] im ersten Rechtsgang in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass im Streitfall der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 nicht eröffnet ist. Es hat festgestellt, dass der [X.]läger weder in [X.] noch in [X.] in einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert war. Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 über den anderen Elternteil von [X.] oder [X.] eröffnet sein könnte. Danach greifen vorliegend --wie vom [X.] zutreffend entschieden-- nicht die gemeinschaftsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften (Art. 76 der VO Nr. 1408/71, Art. 10 der VO Nr. 574/72), sondern die nationale [X.]onkurrenzvorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ein.

bb) Dabei hat das [X.] § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu Recht so ausgelegt, dass es im Grundsatz verpflichtet ist, eigenständig zu prüfen, ob dem [X.]läger oder einem Dritten nach ausländischem (hier [X.]m) Recht ein Anspruch auf Gewährung dem [X.]indergeld vergleichbarer Leistungen für [X.] und [X.] zusteht. Im Streitfall sind auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass eine das [X.] ggf. bindende --den Streitzeitraum betreffende-- (positive oder negative) Entscheidung/Bescheinigung einer [X.]n Behörde über einen Anspruch auf [X.] Familienleistungen vorliegt. Wegen der bei [X.]rüfung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu beachtenden Grundsätze verweist der erkennende Senat auf seine Urteile vom 13. Juni 2013 III R 10/11 ([X.]E 241, 562) und [X.] ([X.]E 242, 34). Sollte hiernach kein Anspruch auf [X.] Familienleistungen bestehen, ist das [X.] [X.]indergeld gegenüber dem [X.]läger in voller Höhe festzusetzen.

Meta

III R 21/12

08.05.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 13. März 2012, Az: 12 K 1369/08, Urteil

§ 8 AO, § 1 Abs 1 EStG, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002, EWGV 1408/71, EWGV 574/72, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, Art 76 EWGV 1408/71, Art 10 EWGV 574/72, § 96 Abs 1 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.05.2014, Az. III R 21/12 (REWIS RS 2014, 5738)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5738

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