Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2020, Az. B 13 R 7/19 BH

13. Senat | REWIS RS 2020, 12147

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Personen, bei denen als zwischengeschlechtliches Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen sowie medikamentöse Behandlungen vorgenommen wurden - keine Bemessung des Zahlbetrags der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Durchschnittswerten aller Versicherten eines Jahrgangs


Tenor

Der Antrag der klagenden Person, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 5. März 2019 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe

1

Die klagende Person, die auch den Vornamen "A." verwendet, hat zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom [X.] mit einem von ihr selbst unterzeichneten, am [X.] beim BSG eingegangenen Schreiben vom [X.] sowie ergänzendem Schreiben vom [X.] die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ([X.]) beantragt. Vor dem [X.] hatte die 1972 geborene klagende Person sinngemäß beantragt, den beklagten Rentenversicherungsträger zu verurteilen, den monatlichen Zahlbetrag der ihr für die [X.] vom 1.1.2012 bis 28.2.2014 befristet zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der durchschnittlichen Rente eines 1972 geborenen Menschen statt mit anfänglich 231,93 Euro festzusetzen. Die Zahlbetragsfestsetzung nach Durchschnittswerten solle als Ausgleich für an ihr als zwischengeschlechtlichem Kleinkind im [X.] vorgenommene geschlechtsangleichende Operationen sowie die Behandlung mit dem Medikament [X.] dienen. Das [X.] hat ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des [X.] vom [X.] zurückgewiesen.

2

Der [X.] der klagenden Person ist abzulehnen.

3

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann [X.] bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es im Falle der klagenden Person. Das gegen die angefochtene Berufungsentscheidung zulässige und von der klagenden Person angestrebte Rechtsmittel ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 160a [X.]). Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 [X.] nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Durchsicht der Akten und unter Würdigung des Vortrags der klagenden Person ist das hier nicht der Fall.

4

Es ist nicht ersichtlich, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 2 und 4 [X.]) erfolgreich geltend machen könnte, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 [X.]) zukommt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte für eine derartige Rechtsfrage sind im Fall der klagenden Person nicht vorhanden.

5

Zwar hat das BSG noch nicht über die von der klagenden Person in den Vordergrund gestellte Frage entschieden, ob eine intersexuelle Person, an der als Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen vorgenommen worden sind und die mit dem Medikament [X.] behandelt worden ist, Anspruch darauf hat, dass der monatliche Zahlbetrag einer ihr zuerkannten Rente der gesetzlichen Rentenversicherung abweichend von den Berechnungsvorschriften des [X.] nach der durchschnittlichen Rentenhöhe aller Versicherten ihres Jahrgangs festgesetzt wird. Eine Rechtsfrage ist aber auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder - auch ohne Vorliegen einer unmittelbar einschlägigen Entscheidung - bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das [X.] diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom [X.] - [X.] 3-1500 § 160 [X.]; BSG Beschluss vom [X.] - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4).

6

Die von der klagenden Person aufgeworfene Rechtsfrage ist im vorstehenden Sinne geklärt. Die Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus dem geltenden Bundesrecht und der ständigen Rechtsprechung des [X.] sowie der obersten Bundesgerichte zum nationalen Geltungsanspruch völkerrechtlicher Verträge. Eine [X.] für den von der klagenden Person geltend gemachten Anspruch auf einen Rentenzahlbetrag nach den Durchschnittswerten aller Versicherten ihres Jahrgangs ist im [X.] nicht vorhanden, was sie auch nicht bestreitet.

7

Der geltend gemachte Anspruch kann auch nicht unmittelbar auf Art 14 des [X.], unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 ([X.]; Zustimmungsgesetz vom 6.4.1990, [X.]; in [X.] getreten am 31.10.1990, [X.] 1993, 715) gestützt werden. Art 14 [X.] vermittelt den Opfern einer Folterhandlung keinen unmittelbaren Anspruch gegen einen der Konventionsstaaten. Es entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass subjektive Rechte auch aufgrund von in das Bundesrecht transformierten völkerrechtlichen Verträgen (vgl hierzu zB [X.] Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - [X.]E 111, 307 - juris Rd[X.]0 ff mwN) nur dann entstehen, wenn der Vertrag solche Rechte vermitteln will (vgl zB [X.] vom [X.] - 7 [X.]/85 - [X.], 230 = [X.] 6100 Allg Nr 1 - juris Rd[X.]7 ff; [X.] vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - [X.], 194 = [X.] 4-1100 Art 3 [X.], Rd[X.] f; [X.] Urteil vom 13.10.1969 - [X.] - [X.]Z 52, 371 - juris RdNr 57). Anderenfalls sind solche Normen "[X.]", weshalb es zu ihrer Umsetzung einer Ausführungsgesetzgebung bedarf (vgl zB [X.] vom 15.10.2014 - [X.] KR 17/12 R - [X.], 117 = [X.] 4-2500 § 5 [X.], Rd[X.]7; vgl auch [X.] Urteil vom 13.10.1969 - [X.] - [X.]Z 52, 371 - juris RdNr 57). Ebenso ist anerkannt, dass die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags gemäß Art 31 Abs 1 des [X.] über das Recht der Verträge vom [X.] ([X.] - [X.]I 1985, 926 und [X.]I 1987, 757) nach [X.] und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks erfolgt ([X.] vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - [X.], 194 = [X.] 4-1100 Art 3 [X.], Rd[X.] mwN). Danach folgt aus Art 14 Abs 1 Satz 1 [X.] lediglich die Verpflichtung der Vertragsstaaten, in ihrer Rechtsordnung sicherzustellen, dass das Opfer einer Folterhandlung Wiedergutmachung erhält und ein einklagbares Recht auf eine gerechte und angemessene Entschädigung einschließlich der Mittel für eine möglichst vollständige Rehabilitation hat. Ein unmittelbar einklagbarer Anspruch auf Wiedergutmachung kann hieraus offensichtlich nicht abgeleitet werden, was auch der von der Regierung der [X.] bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu Art 3 [X.] abgegebenen Erklärung entspricht: Danach begründet Art 3 [X.] ebenso wie die anderen Bestimmungen des Übereinkommens ausschließlich [X.]verpflichtungen, die die [X.] nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt ([X.] 1993, 715).

8

Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der klagenden Person hervorgehobenen Zuordnung des Folterverbots zum völkerrechtlichen ius cogens, also dem Kanon des zwingenden, von allen [X.] zu achtenden Völkerrechts, gegen dessen Inhalt nach Art 53 [X.] auch völkerrechtliche Verträge nicht verstoßen dürfen (vgl allgem [X.]/[X.]/[X.], Völkerrecht, [X.]/3, 2. Aufl 2002, 707 ff; [X.] in Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl 2001, 333 f). Zwar kann es als anerkannt gelten, dass neben der Achtung elementarer Menschenrechte auch das Verbot der Folter zum Bestand des ius cogens gehört ([X.]/[X.]/[X.], Völkerrecht, [X.]/3, 2. Aufl 2002, 716, 1099 f; [X.] in Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl 2001, 334). Hieraus folgt aber keinesfalls, dass im Falle einer Missachtung solcher Menschenrechte ein unmittelbarer zwingender Anspruch auf eine Entschädigung in Form eines rentenrechtlichen Ausgleichs besteht.

9

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass selbst für den Fall, dass aufgrund der von der klagenden Person erlittenen medizinischen Behandlung ein Entschädigungsanspruch bestünde, dieser systematisch dem Staatshaftungsrecht oder aber dem Entschädigungsrecht zuzuordnen wäre. Entschädigungsrechtliche Elemente sind dem Rentenversicherungsrecht grundsätzlich fremd (zu einer Ausnahme vgl [X.] vom [X.] R 9/19 R - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen). Demgegenüber ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass unter sehr engen Voraussetzungen ein als Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff einen tätlichen Angriff iS des § 1 OEG darstellen kann, wenn er aus Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohle des Patienten dient ([X.] vom [X.] [X.] - [X.] 106, 91 = [X.] 4-3800 § 1 Nr 17).

Dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) vorliegt, ist ebenfalls nicht erkennbar. Denn die angefochtene Entscheidung des [X.] ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.

Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.] zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere sind im Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags der klagenden Person auf [X.] für das Berufungsverfahren sowie ihrer Ablehnungsgesuche gegen eine Richterin und [X.] des 3. Senats des [X.] keine rügefähigen Verfahrensmängel erkennbar. Dies gilt auch für die vom [X.] gewählte Form der Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]. Dass das [X.] nicht der Rechtsansicht der klagenden Person gefolgt ist und sie das Berufungsurteil inhaltlich für unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von [X.] entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der [X.] (§ 73a Abs 1 [X.] iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Meta

B 13 R 7/19 BH

01.07.2020

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hamburg, 18. April 2017, Az: S 33 R 1064/13, Urteil

SGB 6, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a SGG, Art 14 FoltKonv, Art 31 Abs 1 VtrRKonv, Art 53 VtrRKonv, OEG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.07.2020, Az. B 13 R 7/19 BH (REWIS RS 2020, 12147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 12147

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2 BvR 1481/04

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