Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2017, Az. VI ZB 24/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 15689

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Gegenstand

Kostenfestsetzung: Auslegung eines Prozessvergleichs über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge


Leitsatz

Zur Auslegung eines Prozessvergleichs über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des [X.] vom 25. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Beklagten zu 1 und 2 zu 55 Prozent als Gesamtschuldner, die Beklagte zu 1 zu weiteren 45 Prozent allein.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 45.952,28 €.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten über die Reichweite eines Vergleichs über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge.

2

Die [X.] nahmen die Beklagten wegen eines Brandschadens in Anspruch. Mit Grund- und Teilschlussurteil erklärte das [X.] die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die von den Beklagten geführten Rechtsmittel der Berufung und der Revision blieben im Ergebnis erfolglos. Die Kosten der Rechtsmittelzüge erlegte der erkennende Senat mit Urteil vom 1. Oktober 2013 den Beklagten auf. Auf Antrag der [X.] setzte die Rechtspflegerin des [X.]s mit Beschluss vom 27. März 2014 die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz gegen die Beklagten fest, die diese beglichen. In dem sodann vor dem [X.] geführten [X.] verglichen sich die Parteien am 17. Februar 2015. Der Vergleichstext lautet auszugsweise:

"Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die [X.] als Gesamtschuldner 25 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 75 %."

3

Auf Antrag der [X.] hat die Rechtspflegerin des [X.]s am 26. Januar 2016 die Gerichtskosten der Revisionsinstanz und am 3. März 2016 die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz im vollen Umfang gegen die Beklagten festgesetzt. Der Beklagte zu 3 beglich sämtliche Kosten.

4

Die von den Beklagten zu 1 und 2 gegen die Beschlüsse vom 26. Januar und vom 3. März 2016 geführten sofortigen Beschwerden hat das [X.], soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch relevant, zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 1 und 2 mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

[X.].

5

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

6

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Maßgeblich für die Verteilung der Kosten des [X.] sei die Kostenentscheidung des [X.] vom 1. Oktober 2013 und nicht die im [X.] vom 17. Februar 2015 getroffene Kostenvereinbarung. Zwar seien unter "Kosten des Rechtsstreits" dem Wortlaut nach grundsätzlich die in allen Instanzen entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu verstehen. Vor dem Hintergrund einer bereits vorliegenden rechtskräftigen Grundentscheidung über die Kosten des [X.] sei die Formulierung aber auslegungsbedürftig. Nach dem maßgeblichen [X.] hätten die Beklagten nicht davon ausgehen können, dass sich die [X.] mit dem von ihnen formulierten Vergleichsvorschlag dieser ihnen günstigen Rechtsposition begeben wollten. Auch nach der gesetzlichen Auslegungsregel des § 98 Satz 2 ZPO sei ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht davon auszugehen, dass die Parteien von rechtskräftigen Kostenentscheidungen abweichende Regelungen treffen wollen.

7

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend hat das Beschwerdegericht die Kostenentscheidung des Senats vom 1. Oktober 2013 als Grundlage der begehrten Kostenfestsetzung herangezogen. Der [X.] der Parteien im [X.] vor dem [X.] vom 17. Februar 2015 ist dagegen insoweit nicht maßgeblich. Er erstreckt sich nicht auf die bereits von der genannten rechtskräftigen Kostengrundentscheidung erfassten - gerichtlichen und außergerichtlichen - Rechtsmittelkosten (vgl. [X.], [X.] 82, 61; [X.], [X.] 1982, 760; [X.], [X.] 1989, 1108; [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2008 - VI-W (Kart) 2/08, juris Rn. 8 f.; [X.], [X.], 752; [X.], [X.] 2014, 366; entgegen [X.], [X.] 1996, 593; [X.], [X.] 2006, 357; [X.] 2012, 428; [X.], Beschluss vom 29. Januar 2013 - 9 W 45/13, juris Rn. 3).

8

a) Ob die tatrichterliche Auslegung eines [X.]s im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden kann, ob anerkannte Auslegungsgrundsätze, gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind oder ob, weil es sich (auch) um eine Prozesshandlung handelt, die Auslegung eines [X.]s auch hinsichtlich seines materiell-rechtlichen Teils unbeschränkt überprüft und damit selbständig vorgenommen werden kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet (vgl. für eine uneingeschränkte Überprüfbarkeit: [X.], 244, 249 f.; dagegen: [X.], Urteil vom 4. April 1968 - [X.], [X.] 1968, 576; offenlassend: [X.], Urteile vom 11. Mai 1995 - [X.], NJW-RR 1995, 1201, 1202; vom 8. Dezember 1999 - [X.], NJW-RR 2001, 614, 619; vom 22. Juni 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1323, 1324; vom 15. Januar 2013 - [X.], NJW 2013, 1519 Rn. 34 [jeweils zum Revisionsverfahren]; [X.]; Beschluss vom 29. September 2011 - [X.] 241/10, juris Rn. 13). Die Frage bedarf hier aber keiner Entscheidung, weil die tatrichterliche Auslegung auch bei deren voller Überprüfbarkeit nicht zu beanstanden wäre.

9

b) Im Ausgangspunkt zutreffend beruft sich die Rechtsbeschwerde darauf, dass die Auslegung vom Wortlaut der Erklärung auszugehen hat und die Formulierung "Kosten des Rechtsstreits" auf eine Vereinbarung über die Kosten aller Instanzen hindeutet. Die Rechtsbeschwerde verkennt jedoch, dass der Wortlaut wegen der hier gegebenen rechtskräftigen Grundentscheidung über die Kosten der Rechtsmittelzüge sowie der auf dieser Grundlage bereits erfolgten Festsetzung und Bezahlung eines Teils der Rechtsmittelkosten nicht eindeutig ist und sich die Vereinbarung nach ihrem Wortlaut auch auf den nach § 308 Abs. 2 ZPO überhaupt noch zur Entscheidung stehenden Teil der Kosten des Rechtsstreits beschränken kann. In einem zweiten [X.] sind daher die außerhalb des [X.] liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Vereinbarung zulassen (vgl. [X.], Urteile vom 19. Januar 2000 - [X.], [X.], 1002, 1003; vom 22. April 2016 - [X.], [X.], 640 Rn. 15). Als solche für die Auslegung maßgeblichen Begleitumstände kommt vorliegend neben der Interessenlage der Beteiligten ([X.]/[X.], [X.], 76. Aufl., § 133 Rn. 18 mwN) auch ihr späteres Verhalten in Betracht ([X.], Urteil vom 22. Juni 2005, - [X.], NJW-RR 2005, 1323, 1324; [X.]/[X.], [X.], Stand 1.11.2016, § 133 Rn. 25). Danach ist vorliegend von einem engen Verständnis der Kostenvereinbarung auszugehen.

aa) Zunächst trägt der Zweck eines Vergleichs, Streit oder Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben im Sinne des § 779 Abs. 1 [X.] zu beseitigen, nicht die Annahme, von den "Kosten des Rechtsstreits" seien die möglichem Streit und möglicher Ungewissheit durch rechtskräftige Entscheidung bereits entzogenen Kosten des [X.] erfasst.

Im konkreten Fall war weiter zu berücksichtigen, dass die Kostengrundentscheidung des Senats vom 1. Oktober 2013 auf der in § 97 Abs. 1 ZPO niedergelegten Entscheidung des Gesetzgebers beruhte, dass derjenige die Kosten des Rechtsmittels trägt, der es ohne Erfolg eingelegt hat. Die Beklagten waren im Rechtsmittelzug des Grundverfahrens in vollem Umfang unterlegen. Bei einer vergleichsweisen Einigung im [X.] konnte ein objektiver Erklärungsempfänger (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 1967 - [X.], [X.]Z 47, 75, 78; [X.], Urteil vom 1. März 2011 - [X.], NJW 2011, 1666 Rn. 10) bei vernünftiger Beurteilung der den Beklagten bekannten oder erkennbaren Umstände die von den [X.] angebotene Kostenvereinbarung nicht auf die diesen bereits rechtskräftig zuerkannten Kosten des [X.] beziehen, weil diese eine von zwei möglichen Auslegungen für die Erklärenden wirtschaftlich wenig Sinn machte (vgl. [X.], Urteil vom 21. Mai 2008 - [X.], [X.], 2702 Rn. 30).

bb) Für die vom Beschwerdegericht angenommene Notwendigkeit einer - hier gerade nicht vorliegenden - ausdrücklichen Einbeziehung streitet zudem die Wertung des § 98 Satz 2 ZPO ([X.], [X.] 82, 61; [X.], [X.] 1989, 1108; [X.], Beschluss vom 16. Dezember 2008 - VI-W (Kart) 2/08, juris Rn. 8 f.; [X.], [X.] 2010, 45; [X.], [X.] 2014, 366). Danach werden im Fall eines Vergleichsschlusses Kosten, über die bereits rechtskräftig erkannt ist, von der (zur Parteidisposition stehenden) [X.] nicht erfasst. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung fördert die Rechtssicherheit. Ansprüche aus vollstreckbaren [X.] sollen nicht ohne ausdrückliche Vereinbarung aufgegeben werden können.

Dies deckt sich mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz, dass Parteien zwar auf ihre Ansprüche, also auch auf solche aus einer rechtskräftigen Kostengrundentscheidung, verzichten können. Ein Angebot auf Abschluss eines hierfür erforderlichen Erlassvertrages muss jedoch unmissverständlich erklärt sein. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind hierbei strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden (Senatsurteil vom 7. März 2006 - [X.], [X.], 1511 Rn. 10; [X.], Urteil vom 3. Juni 2008 - [X.], [X.], 2842 Rn. 20; konkret zum Verzicht auf Rechte aus einer Kostengrundentscheidung [X.], [X.] 1982, 760; [X.], [X.], 752 f.).

cc) Für das Auslegungsergebnis des [X.] sprechen zudem der Stand der Kostenfestsetzung bei Abschluss des [X.]s sowie dessen Detaillierungsgrad. Die mit - hier nicht streitgegenständlichem - Beschluss der Rechtspflegerin des [X.]s vom 27. März 2014 festgesetzten außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz waren bei Abschluss des [X.]s bereits beglichen, so dass aus Sicht der [X.] eine rückwirkende Abänderung der Kostenregelung fernlag. Zudem hätte der detaillierte, sogar das Innenverhältnis der Beklagten zu 1 bis 3 ausführlich regelnde Vergleichstext, wenn man die Ansicht der Beschwerdeführer zugrunde legt, konsequenterweise einen Rückabwicklungsanspruch berücksichtigen müssen. Dies war nicht der Fall.

Gegen die Annahme einer stillschweigenden Einbeziehung spricht außerdem, dass die Parteien bei Berücksichtigung der bereits rechtskräftig erkannten Kosten einen werterhöhenden [X.] geschlossen hätten. Es ist nicht ersichtlich, dass dies beabsichtigt gewesen wäre. Insbesondere ist ein Vergleichsmehrwert nicht ausgewiesen worden.

dd) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 3, der sich dem Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angeschlossen hat, zwischenzeitlich sämtliche [X.] der [X.] beglichen hat. Der Beklagte zu 3 ist folglich offensichtlich von demselben Verständnis der Kostenvereinbarung ausgegangen wie die [X.] und das Beschwerdegericht. Das nachträgliche Verhalten der Parteien kann zwar den objektiven Vereinbarungsinhalt nicht mehr beeinflussen, hat aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten; insoweit ist es bei der Auslegung einzubeziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 1993 - [X.], [X.], 267 unter [X.]I; Urteile vom 16. Oktober 1997 - [X.], NJW-RR 1998, 259, unter [X.] 3 b; vom 26. November 1997 - X[X.] ZR 308/95, NJW-RR 1998, 801, 803; vom 22. Juni 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1323, 1324).

Galke      

        

Wellner      

        

von Pentz

        

Müller      

        

[X.]      

        

Meta

VI ZB 24/16

14.02.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 25. Mai 2016, Az: I-21 W 8/16

§ 98 S 2 ZPO, § 103 Abs 1 ZPO, § 779 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2017, Az. VI ZB 24/16 (REWIS RS 2017, 15689)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1887 REWIS RS 2017, 15689

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17 W 144 u. 145/09 (Oberlandesgericht Köln)


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