Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.09.2021, Az. X ZR 79/20

10. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2518

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung: Verfügbarkeit eines vergünstigten Tarifs für die Öffentlichkeit


Leitsatz

Ein vergünstigter Tarif, den ein Luftfahrtunternehmen für Geschäftsreisen von Mitarbeitern eines Unternehmens gewährt, das eine entsprechende Rahmenvereinbarung geschlossen hat, ist im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 FluggastrechteVO für die Öffentlichkeit verfügbar.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden unter Zurückweisung der weitergehenden Revision das Urteil der 11. Zivilkammer des [X.] vom 24. Juli 2020 im nachfolgend ersichtlichen Umfang aufgehoben und das Urteil des [X.] vom 29. April 2019 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 250,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz - jedoch nicht mehr als vier Prozentpunkte über dem jeweiligen Bezugszinssatz der [X.] ([X.]) - seit dem 16. Februar 2018 zu bezahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch.

2

Die Klägerin war für den 5. März 2018 auf zwei von der Beklagten durchzuführende Flüge von [X.] über [X.] nach [X.] gebucht. Der Buchung lag ein gegenüber den veröffentlichten Preisen um etwa 5 % ermäßigter Tarif zugrunde. Diesen gewährt die Beklagte aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit der Unternehmensgruppe, bei der die Klägerin beschäftigt ist.

3

Die Klägerin wurde ordnungsgemäß nach [X.] befördert, ihr Anschlussflug nach [X.] wurde annulliert. Die Klägerin wurde mit einem Ersatzflug befördert und erreichte [X.] mit einer Verspätung von drei Stunden und vierzehn Minuten.

4

Die Klägerin hat zuletzt die Zahlung von 250 Euro zuzüglich Zinsen seit 16. Februar 2018 begehrt.

5

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

6

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung.

8

I. Das Berufungsgeri[X.]ht hat seine Ents[X.]heidung im Wesentli[X.]hen wie folgt begründet:

9

Das Amtsgeri[X.]ht habe zu Re[X.]ht ents[X.]hieden, dass die Fluggastre[X.]hteverordnung im Streitfall gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ni[X.]ht anwendbar sei.

Als Reduzierung im Sinne dieser Vors[X.]hrift sei zwar au[X.]h ein geringfügiger Preisna[X.]hlass gegenüber dem [X.] anzusehen. Der im Streitfall gebu[X.]hte [X.] sei aber ni[X.]ht unmittelbar oder mittelbar für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar, sondern nur für Mitarbeiter eines mit der Beklagten vertragli[X.]h verbundenen Unternehmens. Abwei[X.]hend von der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung seien keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 [X.] nur [X.] für Mitarbeiter der Fluggesells[X.]haften und Touristikunternehmen erfassen solle. Ansonsten wäre die Rü[X.]kausnahme in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] unnötig. Zwar könne es genügen, wenn ein Tarif nur einer bestimmten Teilöffentli[X.]hkeit zugängli[X.]h sei. Dies setze aber voraus, dass der begünstigte Kreis der Fluggäste dur[X.]h ein persönli[X.]hes Merkmal bestimmt werde, etwa ihr Alter oder ihre Eigens[X.]haft als S[X.]hüler oder Student. Bei einem [X.] werde die Gruppenzugehörigkeit ni[X.]ht dur[X.]h ein sol[X.]hes persönli[X.]hes Merkmal ausgelöst, sondern dur[X.]h ein Vertragsverhältnis des Arbeitgebers mit dem Luftfahrtunternehmen. Unabhängig davon sei der Tarif au[X.]h deshalb ni[X.]ht frei zugängli[X.]h, weil er allein für dienstli[X.]h veranlasste Flüge verfügbar sei.

Der im Streitfall gebu[X.]hte [X.] falle ni[X.]ht unter die Rü[X.]kausnahme in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.]. Unstreitig erfasse diese Vors[X.]hrift sogenannte Vielflieger- und Meilenprogramme. Die weitergehende Auffassung, dass au[X.]h [X.]e der Kundenbindung und -werbung dienten, sei unzutreffend. Sie hätte zur Folge, dass letztli[X.]h kein reduzierter Tarif, der an Personen außerhalb eines Unternehmens vergeben werde, unter Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 [X.] fallen würde.

II. Die angefo[X.]htene Ents[X.]heidung hält der re[X.]htli[X.]hen Überprüfung ni[X.]ht stand. Die zu beurteilenden Flüge sind ni[X.]ht gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] aus dem Anwendungsberei[X.]h der Verordnung ausgenommen.

1. Zu Re[X.]ht ist das Berufungsgeri[X.]ht davon ausgegangen, dass die Flüge zu einem reduzierten Tarif im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] gebu[X.]ht worden sind.

a) Na[X.]h dem Wortlaut der Verordnung rei[X.]ht es aus, wenn Fluggäste zu einem reduzierten Tarif reisen. Dies erfordert, wie das Berufungsgeri[X.]ht zutreffend ausgeführt hat, grundsätzli[X.]h nur, dass ein Entgelt vereinbart ist, das geringer ist als das übli[X.]herweise geforderte Entgelt.

Entgegen der Auffassung der Revision ergibt si[X.]h aus einem Verglei[X.]h mit der früher geltenden Regelung na[X.]h der Verordnung ([X.]) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausglei[X.]hsleistungen bei Ni[X.]htbeförderung im Linienflugverkehr keine abwei[X.]hende Beurteilung. Der in Art. 8 dieser Verordnung verwendete Begriff "Niedrigtarif" setzt ebenfalls nur voraus, dass ein geringeres als das übli[X.]he Entgelt vereinbart ist. Dies wird bestätigt dur[X.]h andere Spra[X.]hfassungen der beiden Verordnungen, die insoweit denselben Begriff verwenden wie die Fluggastre[X.]hteverordnung, etwa die [X.] (redu[X.]ed fare/[X.]) oder die [X.] Fassung ([X.]/tarifs réduits).

b) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt si[X.]h aus dem Umstand, dass der reduzierte Tarif neben der kostenlosen Beförderung genannt wird, ni[X.]ht die S[X.]hlussfolgerung, dass nur sol[X.]he Tarifreduzierungen erfasst sind, die einer kostenlosen Beförderung nahekommen.

Der Auss[X.]hluss für kostenlose Flüge und der Auss[X.]hluss für Flüge zu reduziertem Tarif beruhen auf unters[X.]hiedli[X.]hen Erwägungen. Deshalb kann der eine Tatbestand ni[X.]ht ohne weiteres zur Auslegung des anderen herangezogen werden.

Bei einer kostenlosen Beförderung ist die Verordnung au[X.]h dann ni[X.]ht anwendbar, wenn si[X.]h die Entgeltfreiheit aus einem für die Öffentli[X.]hkeit verfügbaren Tarif ergibt ([X.], Urteil vom 17. März 2015 - [X.], NJW-RR 2015, 823 = [X.] 2015, 182 Rn. 9 ff.). In dieser Konstellation greift der Gedanke, dass nur sol[X.]hen Fluggästen Ansprü[X.]he aus der Verordnung zustehen sollen, die die Beförderung mit einem Entgelt "erkauft" haben ([X.] NJW-RR 2015, 823 = [X.] 2015, 182 Rn. 13).

Bei einer Beförderung zu einem reduzierten Tarif liegt die zuletzt genannte Voraussetzung vor. Folgeri[X.]htig ist der Auss[X.]hluss in dieser Konstellation an ein weiteres Tatbestandsmerkmal geknüpft. Anhaltspunkte dafür, dass denno[X.]h eine strukturelle Ähnli[X.]hkeit zum Tatbestand der kostenlosen Beförderung bestehen muss, ergeben si[X.]h daraus ni[X.]ht.

[X.]) Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgeri[X.]ht die im Streitfall gewährte Reduzierung um 5 % zu Re[X.]ht als ausrei[X.]hend angesehen.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgeri[X.]hts ist der im Streitfall zu beurteilende [X.] jedo[X.]h für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar.

a) Für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar ist ein Tarif, wenn er si[X.]h an eine unbestimmte Zahl von Personen ri[X.]htet, die ni[X.]ht in einer besonderen, über ein (potentielles) Kundenverhältnis hinausgehenden Beziehung zum Luftfahrtunternehmen stehen. Eine besondere Beziehung in diesem Sinne besteht nur, wenn die Vergünstigung ni[X.]ht allein zum Zwe[X.]ke der Absatzsteigerung, Werbung oder Kundenbindung gewährt worden ist, sondern mit Rü[X.]ksi[X.]ht auf ein Kooperations- oder sonstiges Näheverhältnis.

aa) Na[X.]h dem allgemeinen Verständnis bezei[X.]hnet der Begriff der Öffentli[X.]hkeit eine unbestimmte Zahl von Personen, die ni[X.]ht in besonderer Weise miteinander verbunden sind (vgl. etwa für das Urheberre[X.]ht [X.], Urteil vom 15. März 2012 - [X.]/10, [X.], 593 Rn. 84 ff. - [X.]; Urteil vom 19. Dezember 2019 - [X.]/18, [X.], 179 Rn. 44 - NUV).

Na[X.]h diesen Kriterien ist ein Tarif au[X.]h dann für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar, wenn ni[X.]ht jeder potentielle Kunde ihn wahrnehmen kann. Auss[X.]hlaggebend ist, ob die Zahl der in Frage kommenden Personen hinrei[X.]hend genau bestimmt werden kann und ob diese Personen in ausrei[X.]hender Weise miteinander verbunden sind.

Jedenfalls bei [X.]en, die ihrer Art na[X.]h für eine Vielzahl von Unternehmen verfügbar sind, sofern diese die dafür maßgebli[X.]hen Kriterien erfüllen, ergibt si[X.]h eine insoweit hinrei[X.]hende Bes[X.]hränkung ni[X.]ht s[X.]hon aus der Zahl der begünstigten Personen. Auss[X.]hlaggebend ist deshalb, ob der begünstigte Personenkreis aufgrund anderer Umstände so miteinander verbunden ist, dass er als ges[X.]hlossener Kreis gegenüber der Öffentli[X.]hkeit abgrenzbar ist.

bb) Für eine sol[X.]he Verbindung rei[X.]ht im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 3 [X.] die Einbeziehung in einen Rahmenvertrag oder eine ähnli[X.]he Vereinbarung, die Vergünstigungen für die Mitarbeiter eines Unternehmens vorsieht, ni[X.]ht aus.

Eine sol[X.]he Vereinbarung ist ni[X.]ht geeignet, das begünstigte Unternehmen und dessen Mitarbeiter von sonstigen potentiellen Kunden abzugrenzen, denen ebenfalls Vergünstigungen gegenüber dem [X.] angeboten werden.

(1) In der Literatur werden häufig vier Kriterien für eine Preisdifferenzierung unters[X.]hieden (so etwa [X.], [X.] Fluggastre[X.]hte im Fall der Ni[X.]htbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen - Verordnung ([X.]) 261/2004, [X.] 2012, [X.]; [X.]/Keiler, Fluggastre[X.]hte-Verordnung, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 16 ff.; Be[X.]kOGK [X.]/Steinrötter, Stand 1. August 2021, Art. 3 Rn. 35 ff.):

- personenbezogene Merkmale, etwa das Alter des Fluggastes (Kleinkinder, Kinder, Jugendli[X.]he, Senioren) oder die Eigens[X.]haft als S[X.]hüler oder Student;

- die Bu[X.]hungszeit oder die Reisezeit, etwa bei [X.] oder Last-Minute-Angeboten;

- die abgenommene Menge, etwa bei [X.], [X.], [X.] oder bei Bu[X.]hung von Hin- und Rü[X.]kflug statt nur eines einzelnen Fluges;

- bestimmte Absatz- und Produktionsfunktionen für das Luftfahrtunternehmen.

(2) In den beiden ersten Fallgruppen fehlt es an einer hinrei[X.]hend engen Verbindung zwis[X.]hen den begünstigten Personen.

Die Angebote sind zwar ni[X.]ht für jedermann verfügbar. Der begünstigte Personenkreis hat aber nur gemeinsam, dass er die vorgegebenen Kriterien erfüllt.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgeri[X.]hts knüpfen diese Kriterien ni[X.]ht allein an persönli[X.]he Eigens[X.]haften an. In der zweiten Fallgruppe geht es vielmehr um die Umstände, unter denen die Bu[X.]hung oder die Beförderung stattfindet.

(3) In der vierten Fallgruppe ist der begünstigte Personenkreis dur[X.]h die Zugehörigkeit zum Betrieb oder zur Vertriebsorganisation des Luftfahrtunternehmens von der Öffentli[X.]hkeit abgegrenzt. Folgeri[X.]htig besteht weitgehend Einigkeit, dass sol[X.]he Tarife grundsätzli[X.]h ni[X.]ht für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar sind.

(4) In der dritten Fallgruppe fehlt es an einer verglei[X.]hbaren Verbindung zwis[X.]hen den begünstigten Personen.

Diese heben si[X.]h zwar dadur[X.]h vom Kreis der übrigen potentiellen Kunden ab, dass ihr Arbeitgeber die Leistungen des Luftfahrtunternehmens in besonders großem Ausmaß in Anspru[X.]h nimmt. Sie gehören denno[X.]h au[X.]h ni[X.]ht in einem weiteren Sinne zur [X.], sondern stehen diesem als Kunden gegenüber.

Diese Zuordnung wird dur[X.]h die Regelung in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] bestätigt, wona[X.]h die Verordnung anwendbar ist, wenn der Flugs[X.]hein im Rahmen eines [X.] oder anderer Werbeprogramme ausgegeben wurde. Entgegen der Auffassung des Berufungsgeri[X.]hts stehen die beiden Teilregelungen in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] ni[X.]ht in einem Verhältnis gegenseitiger Exklusivität. Sie beruhen vielmehr im Ansatz auf denselben Wertungen und ergänzen si[X.]h gegenseitig. Wenn Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] Fluggäste mit Flugs[X.]heinen, die im Rahmen eines [X.] ausgegeben worden sind, in den Anwendungsberei[X.]h der Verordnung einbezieht, spri[X.]ht dies folgli[X.]h ni[X.]ht dagegen, sondern gerade dafür, Kunden, denen ein Mengenrabatt oder eine verglei[X.]hbare Vergünstigung eingeräumt wird, ebenfalls in den Anwendungsberei[X.]h einzubeziehen.

(5) Eine Preisreduzierung mit Rü[X.]ksi[X.]ht auf einen Großkundenvertrag oder ein damit verglei[X.]hbares Re[X.]htsverhältnis ist dieser dritten Fallgruppe zuzure[X.]hnen.

Die vertragli[X.]he Regelung, auf der die Preisreduzierung in sol[X.]hen Fällen beruht, begründet zwar ein besonderes Verhältnis zum Vertragspartner und mittelbar au[X.]h zu den Fluggästen, die in diese Regelung einbezogen sind. Sie hat aber ni[X.]ht zur Folge, dass der Vertragspartner in den Betrieb oder die Vertriebsorganisation eingebunden ist. Er steht dem Luftfahrtunternehmen vielmehr ebenfalls nur als Kunde gegenüber.

Die Einräumung von Rabatten hat in dieser Konstellation verglei[X.]hbare Wirkungen wie die Einräumung eines Mengenrabatts. Sie ist zuglei[X.]h ein Mittel der Kundenbindung, weil sie eine gewisse Wahrs[X.]heinli[X.]hkeit dafür begründet, dass der Vertragspartner und dessen Mitarbeiter von den günstigen Konditionen Gebrau[X.]h ma[X.]hen und ni[X.]ht auf Angebote anderer Anbieter auswei[X.]hen (vgl. dazu [X.] aaO, [X.]; [X.]/Keiler, Fluggastre[X.]hte-Verordnung, 1. Aufl. 2016, Art. 3 Rn. 19; Be[X.]kOGK [X.]/Steinrötter, Stand 1. August 2021, Art. 3 Rn. 37).

[X.][X.]) Dieses Verständnis steht in Einklang mit den - für den Senat ni[X.]ht bindenden, aber als wertvolle Auslegungshilfe bedeutsamen - Leitlinien der [X.] ([X.]) Nr. 261/2004 vom 10. Juni 2016 ([X.]) 3502 final).

In Nr. 2.2 der Leitlinien wird ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 3 [X.] Sondertarife erfasst, die Luftfahrtunternehmen ihrem Personal anbieten. Diese Ums[X.]hreibung ist zwar, wie das Berufungsgeri[X.]ht im Ansatz zutreffend ausgeführt hat, ni[X.]ht abs[X.]hließend. Sie zeigt aber ein für die Abgrenzung maßgebli[X.]hes Kriterium auf und bestätigt damit das oben aufgezeigte Verständnis der Vors[X.]hrift.

dd) Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung ([X.] [X.]/S[X.]hmid, Stand 1. Juli 2021, [X.] Art. 3 Rn. 77 und 84) ist in diesem Zusammenhang unerhebli[X.]h, zu wel[X.]hem Zwe[X.]k die Flüge gebu[X.]ht werden können.

Der Zwe[X.]k der Reise ist in Art. 3 Abs. 3 [X.] ni[X.]ht als Kriterium angeführt. Die Fluggastre[X.]hteverordnung ma[X.]ht den S[X.]hutz der Fluggäste au[X.]h in anderen Beziehungen ni[X.]ht von diesem Kriterium abhängig.

Die Vors[X.]hriften der Fluggastre[X.]hteverordnung haben das Ziel, ein hohes S[X.]hutzniveau für Fluggäste si[X.]herzustellen und den Erfordernissen des Verbrau[X.]hers[X.]hutzes im Allgemeinen Re[X.]hnung zu tragen, da die Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen für die Fluggäste ein Ärgernis sind und ihnen große Unannehmli[X.]hkeiten verursa[X.]hen. Sol[X.]he Unannehmli[X.]hkeiten entstehen grundsätzli[X.]h allen betroffenen Fluggästen in glei[X.]her Weise ([X.], Urteil vom 10. Januar 2006 - [X.]/04, [X.], 351 Rn. 69 und 98 - [X.]). Au[X.]h unter diesem Gesi[X.]htspunkt kommt eine Differenzierung na[X.]h dem Zwe[X.]k der Reise grundsätzli[X.]h ni[X.]ht in Betra[X.]ht.

ee) Entgegen der Auffassung des Berufungsgeri[X.]hts führt diese Auslegung ni[X.]ht dazu, dass kein nennenswerter Anwendungsberei[X.]h für die Regelung in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] verbleibt.

Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] greift jedenfalls in allen Fällen, in denen die Beförderung kostenlos erfolgt. Dass die Verordnung insoweit zwis[X.]hen Kundenbindungsprogrammen und anderen Formen des Mengenrabatts differenziert, ist s[X.]hon deshalb folgeri[X.]htig, weil ein Mengenrabatt von 100 % eher ungewöhnli[X.]h ist.

b) Bei Anlegung dieses Maßstabs war der von der Klägerin gebu[X.]hte Tarif für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar, weil er allen Mitarbeitern von Unternehmen zur Verfügung stand, die einen entspre[X.]henden Rahmenvertrag mit der Beklagten ges[X.]hlossen haben.

III. Für ein Vorabents[X.]heidungsersu[X.]hen an den Geri[X.]htshof der [X.]n Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.

1. Der Geri[X.]htshof der [X.]n Union hat mehrfa[X.]h ents[X.]hieden, dass Vors[X.]hriften der Verordnung, mit denen den Fluggästen Ansprü[X.]he eingeräumt werden, weit auszulegen sind (dazu [X.], Urteil vom 19. November 2009 - [X.]/07, NJW 2010, 43 = [X.] 2009, 282 Rn. 45 - Sturgeon), während Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von einem Grundsatz oder spezifis[X.]her von gemeins[X.]haftsre[X.]htli[X.]hen Verbrau[X.]hers[X.]hutzvors[X.]hriften darstellt, grundsätzli[X.]h eng auszulegen sind (dazu [X.], Urteil vom 22. Dezember 2008 - [X.]/07, [X.], 347 = [X.] 2009, 35 Rn. 17 - Wallentin-Hermann). Dies ergibt si[X.]h aus den Erwägungsgründen 1 bis 4 der Fluggastre[X.]hteverordnung, die das Ziel definieren, ein hohes S[X.]hutzniveau für Fluggäste si[X.]herzustellen und den Erfordernissen des Verbrau[X.]hers[X.]hutzes Re[X.]hnung zu tragen.

Dadur[X.]h ist hinrei[X.]hend geklärt, dass der Ausnahmetatbestand der fehlenden öffentli[X.]hen Verfügbarkeit eines Tarifs ni[X.]ht s[X.]hon dann bejaht werden darf, wenn die Reduzierung des Entgelts an Kriterien geknüpft ist, die nur bei einem Teil der potentiellen Kunden erfüllt sind und si[X.]h ni[X.]ht in persönli[X.]hen Merkmalen ers[X.]höpfen, sondern als maßgebli[X.]hes Kriterium die in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 [X.] angespro[X.]hene Kundenbeziehung anzusehen ist.

2. Dass die Frage in der Instanzre[X.]htspre[X.]hung unters[X.]hiedli[X.]h beurteilt wird, begründet für si[X.]h gesehen keine hinrei[X.]henden Zweifel an der Ri[X.]htigkeit dieses Verständnisses.

3. Die aufgezeigte Auslegung steht au[X.]h in Einklang mit der Re[X.]htspre[X.]hung des Geri[X.]htshofs, wona[X.]h die Fluggastre[X.]hteverordnung ni[X.]ht für Flüge gilt, die im Rahmen des Sponsorings einer Sportveranstaltung von ausgewählten Personen unter eins[X.]hränkenden Voraussetzungen gebu[X.]ht werden konnten.

Der Geri[X.]htshof sieht sol[X.]he Tarife insbesondere deshalb als ni[X.]ht für die Öffentli[X.]hkeit verfügbar an, weil sie die Teilnahme an einer bestimmten Veranstaltung und eine individuelle Genehmigung für jeden begünstigten Fluggast voraussetzen ([X.], Bes[X.]hluss vom 26. November 2020 - [X.]/20, Rn. 17 - [X.] - [X.]). In dieser Konstellation ist der Kreis der begünstigten Personen übers[X.]haubar und diese sind dur[X.]h ihre Teilnahme an der Veranstaltung enger miteinander verbunden als sonstige Kunden. Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen gerade ni[X.]ht vor.

IV. Der Senat kann abs[X.]hließend ents[X.]heiden, weil die Sa[X.]he zur Endents[X.]heidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1. Die Voraussetzungen für einen Ausglei[X.]hsanspru[X.]h in der geltend gema[X.]hten Höhe wegen großer Ankunftsverspätung in entspre[X.]hender Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.], Art. 7 Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.], Abs. 2 Bu[X.]hst. [X.] [X.] sind erfüllt.

a) Da die Klägerin ihren ersten Flug und ihren Ans[X.]hlussflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaats antrat, ist na[X.]h Art. 3 Abs. 1 Bu[X.]hst. a [X.] der Anwendungsberei[X.]h der Fluggastre[X.]hteverordnung eröffnet.

b) Die Klägerin wurde weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterri[X.]htet. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] Nr. iii der Verordnung hätte ihr die Beklagte ein Alternativangebot unterbreiten müssen, das es ihr ermögli[X.]hte, den Zielort innerhalb von zwei Stunden na[X.]h der planmäßigen Ankunftszeit zu errei[X.]hen. Dies ist ni[X.]ht ges[X.]hehen, die Klägerin errei[X.]hte [X.] vielmehr mehr als drei Stunden na[X.]h der planmäßigen Ankunftszeit.

[X.]) Anhaltspunkte dafür, dass die Annullierung auf außergewöhnli[X.]hen Umständen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 [X.] beruht, bestehen ni[X.]ht.

d) Im Streitfall verfügte die Klägerin na[X.]h den ni[X.]ht angegriffenen Feststellungen des Landgeri[X.]hts über eine einheitli[X.]he Bu[X.]hung. Die beiden von der Beklagten dur[X.]hgeführten Teilflüge sind daher als Einheit zu betra[X.]hten und [X.] ist das Endziel der Flugreise, die in [X.] begonnen hat.

e) Die Entfernung von [X.] na[X.]h [X.] beträgt weniger als 1.500 km.

Damit hat die Klägerin einen Anspru[X.]h auf eine Ausglei[X.]hszahlung in Höhe von 250 Euro.

2. Die Hauptforderung der Klägerin ist wie ausgespro[X.]hen zu verzinsen.

a) Bei dem geltend gema[X.]hten Verzugss[X.]haden handelt es si[X.]h um einen weitergehenden S[X.]haden im Sinne von Art. 12 [X.], der grundsätzli[X.]h na[X.]h dem jeweils für die Bu[X.]hung anwendbaren nationalen Vertragsre[X.]ht zu beurteilen ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. November 2009 - [X.], NJW 2010, 1070 = [X.] 2010, 34 Rn. 16 ff.).

b) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist die Zinsforderung gemäß Art. 5 Abs. 2 Rom-I-VO na[X.]h rumänis[X.]hem Re[X.]ht zu beurteilen.

Mangels einer Re[X.]htswahl ist an den gewöhnli[X.]hen Aufenthalt der Klägerin in [X.] anzuknüpfen, da si[X.]h dort au[X.]h ihr Abgangsort befand. Bei einer aus mehreren Flügen bestehenden Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt auf den [X.] ist auf den Beginn der Personenbeförderung, mithin den Abflugsort der ersten Teilstre[X.]ke abzustellen (vgl. Senat, Urteil vom 28. August 2012 - [X.], [X.], 378 Rn. 30).

[X.]) Der Senat kann die eins[X.]hlägigen Bestimmungen des rumänis[X.]hen Re[X.]hts selbst auslegen.

Das Revisionsgeri[X.]ht kann ausländis[X.]hes Re[X.]ht selbst ermitteln und einer Ents[X.]heidung zu Grunde legen, wenn das Berufungsgeri[X.]ht dieses Re[X.]ht außer Betra[X.]ht gelassen und infolgedessen ni[X.]ht gewürdigt hat ([X.], Urteil vom 12. November 2009 - [X.], NJW 2010, 1070 Rn. 34). Dies ist vorliegend der Fall.

d) Na[X.]h Art. 1535 Abs. 1 des rumänis[X.]hen Zivilgesetzbu[X.]hs (Cod Civil) sind bei verspäteter Zahlung einer Gelds[X.]huld Zinsen zu zahlen.

Der Anspru[X.]h der Klägerin auf die Ausglei[X.]hszahlung ist sofort fällig geworden und die Beklagte befand si[X.]h na[X.]h Art. 1523 Abs. 2 Bu[X.]hst. d Cod Civil im Verzug. Mit S[X.]hreiben des von ihr einges[X.]halteten Dienstleisters vom 1. Februar 2018 hat die Klägerin zudem die Zahlung des fälligen Anspru[X.]hs bis zum 15. Februar 2018 verlangt.

Dur[X.]h diese befristete Mahnung ist die Beklage spätestens mit Ablauf des 15. Februar in Verzug geraten. Die Klägerin kann deshalb ab dem 16. Februar 2018 Zinsen in der gesetzli[X.]hen Höhe verlangen.

e) Der gesetzli[X.]he Zinssatz beträgt na[X.]h Art 1535 Abs. 1 Cod Civil und Art. 3 Abs. 2 des [X.]/2011 über gesetzli[X.]he Vergütungs- und Strafzinsen auf Zahlungsverpfli[X.]htungen und zur Regelung bestimmter finanzieller und fiskalis[X.]her Maßnahmen im Bankensektor vier Prozentpunkte über dem jeweiligen Bezugszinssatz der Nationalbank von [X.] (Ban[X.]a Națională a României).

Dem auf Verzinsung mit fünf Prozent über dem deuts[X.]hen Basiszinssatz geri[X.]hteten Klagebegehren kann deshalb nur mit der Eins[X.]hränkung entspro[X.]hen werden, dass die Beklagte ni[X.]ht mehr als den genannten, na[X.]h rumänis[X.]hem Re[X.]ht maßgebli[X.]hen Zinssatz zu zahlen hat.

V. Die Kostenents[X.]heidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

[X.]     

        

Grabinski     

        

Hoffmann

        

Dei[X.]hfuß      

        

Rensen      

   

Meta

X ZR 79/20

21.09.2021

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Köln, 24. Juli 2020, Az: 11 S 195/19

Art 3 Abs 3 S 1 EGV 261/2004, Art 3 Abs 3 S 2 EGV 261/2004

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.09.2021, Az. X ZR 79/20 (REWIS RS 2021, 2518)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 3659 MDR 2022, 296 REWIS RS 2021, 2518


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 79/20

Bundesgerichtshof, X ZR 79/20, 21.09.2021.


Az. 11 S 195/19

Landgericht Köln, 11 S 195/19, 24.07.2020.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X ZR 50/22 (Bundesgerichtshof)

Haftung des Luftfahrtunternehmens bei Flugannullierung: Recht auf eine anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt


X ZR 35/14 (Bundesgerichtshof)

Fluggastrechte: Ausgleichsanspruch eines kostenlos beförderten Kleinkindes


X ZR 76/16 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der Brüssel-Ia-VO: Erfüllungsort bei Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der …


X ZR 84/22 (Bundesgerichtshof)

Haftung des ausführenden Luftfahrtunternehmens für große Ankunftsverspätung: Nichterreichen eines direkten Anschlussflugs


X ZR 35/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

IX ZR 91/22

Zitiert

X ZR 35/14

X ZR 128/11

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.