Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2013, Az. 2 StR 324/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2385

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2
StR 324/13
vom
26. September 2013
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Totschlags
u.a.

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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 26.
September 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. März 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags so-wie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheits-strafe von drei Jahren
verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge [X.].

I.
Das [X.] hat folgendes festgestellt: Der an einer schweren de-pressiven Erkrankung leidende Angeklagte wollte sich selbst töten. Da er [X.] aufgrund vorangegangener gescheiterter Suizidversuche zweifelte, ob ihm dies gelingen würde, fasste er den Plan, Polizeibeamte zu seinem Büro zu [X.] und sodann mit Nägeln aus einem [X.] zu beschießen. Diese 1
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sollten ihn daraufhin zum Eigenschutz gezielt mit ihren Dienstwaffen beschie-ßen und töten. Bei einem [X.] handelt es sich um ein pneumatisches Werkzeug, mit dem Nägel verschossen und in verschiedene Materialien getrie-ben werden können. Bei einer Schussentfernung von einem Meter dringt der Nagel ca. 7 cm tief in menschliches Weichteilgewebe ein. Beim Auftreffen im Augen-
oder Schläfenbereich kann ein aus dieser Entfernung verschossener Nagel schwere und unter Umständen tödliche Verletzungen hervorrufen. Grundsätzlich gilt das auch für eine Entfernung von drei bis vier Metern, wenn der Nagel -
was jedoch nicht sicher ist -
mit der Spitze voraus auftrifft. Die Wir-kungsweise des [X.] war dem Angeklagten bewusst.
Nachdem er seine von
ihm getrennt lebende Ehefrau unter einem [X.] zu seinem Büro gelockt hatte, begab er sich zum geöffneten Fenster, hielt sich den [X.] an den Kopf und brüllte: "Schaut her, wie ich [X.] um-bringe". Die daraufhin von [X.] verständigten Polizeibeamten konnten bei ihrem Eintreffen die Lage nicht überblicken, da der Angeklagte zwischenzeitlich die Rollläden heruntergelassen hatte. Als die Zeugen [X.] M.

und POK P.

den Rollladen eines der Außenfenster zum Büro ca. 1 Meter hoch-schoben, schoss der Angeklagte aus einer Entfernung von maximal 2 Metern gezielt einen Nagel in Richtung Oberkörper des Zeugen M.

. Dabei hoffte er entsprechend seinem Plan, dieser werde aufgrund der vermeintlich unklaren Lage zum Eigenschutz sofort Gebrauch
von seiner Dienstwaffe machen. [X.] prallte der Nagel an der [X.] ab, ohne sie
zu durchschlagen. Der Zeuge M.

ließ den Rollladen dadurch erschrocken zunächst fallen, schob ihn nach kurzer Zeit jedoch wieder hoch. Der Angeklagte schoss nunmehr aus einer Entfernung von maximal 1,2 Metern mehrere Nägel gezielt in Richtung des Zeugen. Er nahm dabei "zumindest billigend in Kauf, dass aufgrund der geringeren Entfernung die Nägel die Fensterscheibe durchdringen und [X.]
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zungen bei dem Zeugen M.

verursachen könnten" (UA S.
12). Auch diese
Nägel durchschlugen jedoch die Glasscheibe nicht, sondern führten lediglich zu Rissen im Glas. Der Angeklagte hielt sich nunmehr unter den Blicken der Poli-zeibeamten M.

und D.

die Nagelpistole an die rechte Schläfe und drückte ab, worauf er zusammensackte und hinter dem Schreibtisch zu Boden fiel.
Der Polizeibeamte D.

zerstörte daraufhin die Gitterverglasung an der Eingangstür und erlangte so Zutritt zum Gebäude. [X.] M.

schlug sei-nerseits die Fensterscheibe zum Büroraum ein, um dem Angeklagten erste [X.] zu leisten. Als die [X.] großflächig eingeschlagen war, richtete sich der Angeklagte plötzlich wieder auf und schoss jetzt aus einer Entfernung von ma-ximal 1,2 Metern auf den nunmehr nicht mehr durch die Fensterscheibe ge-schützten Zeugen M.

, wobei er einen tödlichen Ausgang zumindest billi-gend in Kauf nahm. Er verfehlte den Zeugen jedoch knapp. Daraufhin zog der Zeuge M.

seine Dienstwaffe und zielte auf den Angeklagten, steckte die Waffe jedoch wieder zurück, da der Angeklagte sich nunmehr dem von der an-deren Seite nähernden Beamten P.

zuwandte und auf ihn aus einer Entfer-nung von etwa 1,2 Metern gezielt schoss, ihn jedoch ebenfalls verfehlte. [X.] M.

setzte
nun Pfefferspray gegen den Angeklagten ein, der sich daraufhin in die hintere Ecke des Büros zurückzog. Nachdem ballistische Schutzdecken zum Einsatzort gebracht worden waren, stellte sich die [X.]'in B.

mit einer Schutzdecke vor [X.] M.

. Der Angeklagte schoss gezielt auf [X.] M.

und [X.]'in B.

, die die Schutzdecke hielt, an der die Nägel abprallten. [X.] begaben sich die Beamten P.

und D.

, gleichfalls von einer Schutzdecke abgeschirmt, durch die Eingangstür in das
Büro. Der Angeklagte schoss auch auf sie. Als keine Nägel mehr im Magazin waren, wurde der Ange-klagte von den Beamten überwältigt.
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II.
Das [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte sich der ver-suchten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 22, 23 StGB) schuldig gemacht habe, indem er bei noch geschlossenem Fenster mit dem [X.] auf den Polizeibeamten M.

schoss. Den Tatbestand der versuchten Tötung (§§ 212, 22, 23 StGB) habe er erfüllt, als er durch die [X.] zerstörte [X.] des Fensters gezielt auf den Oberkörper des Zeugen schoss, diesen jedoch verfehlte.

III.
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Annahme des [X.], dass der Angeklagte sich -
auch
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ei-ner versuchten gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht hat, unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen erfolgten die Schüsse des Angeklagten auf [X.] M.

in Verfolgung des Entschlusses des Angeklagten, die Beamten zum -
nach der Vorstellung des Angeklagten tödli-chen
-
Einsatz ihrer Dienstwaffen gegen ihn zu veranlassen. Insofern lag die Annahme nahe, dass die Angriffe auf [X.] M.

ein einheitliches Geschehen im Sinne natürlicher Handlungseinheit darstellen. In diesem Fall wäre die abge-urteilte versuchte gefährliche Körperverletzung zu seinem Nachteil lediglich als [X.] zu dem vom [X.] angenommenen versuchten [X.] (dazu noch anschließend 2.) zu werten und träte gegenüber diesem als subsidiär zurück.

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2. Die Annahme des [X.], der Angeklagte habe einen versuch-ten Totschlag zum Nachteil des Zeugen M.

begangen, ist ebenfalls nicht frei von [X.]. Zwar unterliegt es keinen rechtlichen Bedenken, dass das [X.] bei seinen gezielten Schüssen aus maximal 1,2 Metern Entfer-nung auf den nicht mehr durch die Fensterscheibe geschützten Zeugen einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat. Das [X.] hat sich jedoch rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte vom Versuch der Tötung des Zeugen strafbefreiend zurückgetreten ist. Dazu [X.] aber nach den Feststellungen Anlass. Denn der Angeklagte schoss nicht weiter auf den Zeugen, obwohl er erkannt hatte, dass er ihn nicht getroffen [X.]. Den Feststellungen ist insoweit nicht zu entnehmen, dass es dem Angeklag-ten in dieser Situation nach seiner Einschätzung nicht mehr möglich gewesen sein soll, noch weitere Schüsse auf [X.] M.

abzugeben. Es liegt auch fern, dass der Angeklagte davon ausgegangen sein könnte, die Tat mit den bereits eingesetzten Mitteln nicht mehr vollenden zu können, der Versuch aus seiner Sicht mithin fehlgeschlagen war. Wie das weitere Geschehen zeigt, standen ihm zu diesem Zeitpunkt noch eine Vielzahl von Nägeln im Magazin zur Verfü-gung, die er verschießen konnte. Dass [X.] M.

zwischenzeitlich die Waffe auf ihn gerichtet hatte, spricht hier ebenfalls nicht für einen Fehlschlag des [X.], da es gerade das Ziel des Angeklagten war, mit seinen Attacken den Einsatz der Dienstwaffe zu provozieren.
Auch ist nicht festgestellt -
und liegt auch nicht nahe -, dass der Angeklagte bei seinen später abgegebenen Schüs-sen auf den nunmehr mit einer Schutzdecke geschützten Beamten davon [X.], diesen möglicherweise tödlich zu verletzen, und dass er dies billigend in Kauf nahm.

Zwar hat der Angeklagte nach den Feststellungen aus kurzer Entfernung auch gezielt auf den -
zu diesem Zeitpunkt nicht geschützten
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Polizeibeamten 8
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7
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P.

geschossen, wobei es
nahe liegt, dass er auch hierbei einen tödlichen Ausgang billigend in Kauf nahm. Allerdings hat das [X.] einen versuch-ten Totschlag zum Nachteil des Zeugen P.

nicht in Erwägung gezogen. Die Beurteilung des Gesamtgeschehens unter konkurrenzrechtlichen Gesichts-punkten erweist sich daher insgesamt
als rechtsfehlerhaft.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte die [X.] zu dem Ergebnis gelangen, dass der Angeklagte vom [X.] zum Nachteil des Zeugen [X.] M.

strafbefreiend zurückge-treten ist, wäre insoweit eine versuchte gefährliche Körperverletzung in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich einer denkbaren Strafbarkeit wegen versuchten [X.]s zum Nachteil des Zeugen P.

wäre die Frage zu prüfen, ob der 10
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Angeklagte (auch) hiervon strafbefreiend zurückgetreten ist. Dabei ist zu be-rücksichtigen, dass [X.] M.

unmittelbar nach diesem Angriff Pfefferspray gegen den Angeklagten eingesetzt hat, woraufhin dieser sich in die hintere Ecke des Büros zurückzog.

Fischer

Schmitt Krehl

Ott [X.]

Meta

2 StR 324/13

26.09.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2013, Az. 2 StR 324/13 (REWIS RS 2013, 2385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2385

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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