Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2016, Az. V ZB 188/14

5. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 14741

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Gegenstand

(Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger: Anordnungen von Haft zur Sicherung der Zurückweisung oder des Verbleibs im Transitbereich des Flughafens zur Sicherung der Abreise nach Verweigerung unerlaubter Einreise; Europarechtskonformität)


Leitsatz

§ 15 AufenthG ist eine mitgliedstaatliche Vorschrift im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie, welche die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und 6 AufenthG (Anordnungen von Haft zur Sicherung der Zurückweisung oder des Verbleibs im Transitbereich des Flughafens zur Sicherung der Abreise nach Verweigerung unerlaubter Einreise) ausschließt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des [X.] vom 13. Oktober 2014 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein kongolesischer Staatsangehöriger, wurde nach seiner Ankunft mit dem Flugzeug am 27. August 2014 von der beteiligten Behörde in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des [X.] untergebracht. Sein Asylantrag wurde durch das [X.] abgelehnt und der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.

2

Das Amtsgericht hat auf den Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 25. September 2014 die weitere Unterbringung des Betroffenen zur Sicherung seiner Abreise in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des Flughafens bis zum 13. November 2014 angeordnet. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Ihm ist am 28. Oktober 2014 die Einreise gestattet worden, nachdem die für eine Außerlandesbringung erforderlichen Papiere nicht beschafft werden konnten. Mit seinem Rechtsmittel beantragt er die Feststellung, durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des [X.] in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II

3

Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei auf Grund der nicht unmittelbar vollziehbaren Zurückweisungsentscheidung zu Recht in Haft genommen worden (§ 15 Abs. 5 Satz 1 [X.]). Die Haftanordnung verstoße nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mildere Mittel als die Unterbringung im Transitbereich des Flughafens stünden nicht zur Verfügung, da der Betroffene keinesfalls in den [X.] zurückkehren wolle. Es sei auch zu erwarten, dass es innerhalb des [X.] zu einer Zurückweisung komme. Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz sei nicht ersichtlich.

III.

4

Die mit dem Feststellungsantrag gemäß § 62 Abs. 1 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

5

1. Die Auffassung des [X.], dass die Erforderlichkeit des [X.] des Ausländers auf dem Flughafen nach § 15 Abs. 6 Satz 5 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 [X.] keiner weiteren Nachweise, insbesondere nicht der Feststellung des Vorliegens eines Haftgrunds nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 [X.] bedarf, entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 20. Juni 2011 - [X.], [X.] 2011, 315 Rn. 16). Diese beruht darauf, dass das geltende Recht nach der Verweigerung der Einreise die richterliche Anordnung von [X.] oder des weiteren Verbleibs des Ausländers im Transitbereich eines Flughafens als gesetzliche Regelfälle vorsieht. Mit diesen Bestimmungen, die durch Art. 1 Nr. 12 Buchstabe c des [X.] zur Umsetzung von aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der [X.] vom 18. August 2007 ([X.]) in das [X.] eingefügt worden sind, hat der Gesetzgeber eine eigenständige Regelung für die Freiheitsentziehungen und -beschränkungen als Folge einer Zurückweisung an der Grenze bzw. im Transitbereich eines Flughafens geschaffen (BT-Drucks. 16/5065, [X.]). Die Vorschriften sind an die Stelle der vormaligen allgemeinen Verweisung in § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] aF auf die für die Abschiebungshaft geltende Regelung (§ 62 [X.]) getreten, die eine Feststellung des Vorliegens einer der in § 62 Abs. 3 [X.] genannten Haftgründe erforderlich machte.

6

Die - ungeachtet dessen zu prüfende - Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die persönliche Freiheit des Betroffenen durch eine über 30 Tage nach seiner Ankunft auf dem Luftweg hinausgehende Aufenthaltsbeschränkung auf den Transitbereich des Flughafens mit dem von der Vorschrift verfolgten Zweck, im Allgemeininteresse die Einreise des Ausländers zu verhindern und die Durchführung der Zurückweisung zu sichern (vgl. [X.], NVwZ-RR 2009, 82, 83), hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei angenommen. Die Rechtsbeschwerde erhebt diesbezüglich auch keine Einwände.

7

2. Sie wendet sich vielmehr gegen die bisherige Auslegung der Vorschriften über die [X.] (§ 15 Abs. 5 [X.]) und den [X.] auf dem Flughafen zur Sicherung der Abreise (§ 15 Abs. 6 [X.]). Sie meint, dass die Auslegung dieser Vorschriften gemäß ihrem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG des [X.]n Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ([X.]. Nr. L 348 S. 98 - im Folgenden: [X.]) widerspreche. [X.] und [X.] nach einer verweigerten Einreise dürften wie die [X.] und die Abschiebungshaft gegen eingereiste Ausländer nur bei Vorliegen der in Art. 15 Abs. 1 Buchstaben a und b bezeichneten Voraussetzungen (Fluchtgefahr und Umgehung oder Behinderung der Abschiebung) angeordnet werden. Freiheitsentziehungen, bei denen das nicht festgestellt sei, verletzten den Ausländer in seinen Rechten.

8

3. Damit hat sie keinen Erfolg. Der Betroffene kann sich nicht auf Art. 15 der [X.] berufen, weil sie auf ihn keine Anwendung findet. Dass es sich so verhält, ist nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie und der Rechtsprechung des Gerichtshofes der [X.] zu ihrer Umsetzung eindeutig zu beantworten, so dass es keines [X.] nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V bedarf (sog. acte claire, [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 - [X.]. 283/81 [X.], [X.]:C:1982:335 Rn. 14, f., 16; [X.], [X.] Methodenlehre, 3. Aufl., § 23 Rn. 27, 29).

9

a) Nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a Halbsatz 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten beschließen, die Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftwege aufgegriffen bzw. abgefangen werden und die nicht anschließend die Genehmigung und das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten. Die Vorschrift erlaubt es, den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie durch mitgliedstaatliches Gesetz einzuschränken (vgl. [X.], Urteil vom 19. September 2013 - [X.]/12 [X.] und [X.], [X.]:C:2013:569 Rn. 52 ff., [X.], 527). § 15 [X.] ist eine mitgliedstaatliche Vorschrift im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der [X.], welche die Anwendung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie auf die Tatbestände des § 15 Abs. 5 und 6 [X.] (Anordnungen von Haft zur Sicherung der Zurückweisung oder des Verbleibs im Transitbereich des Flughafens zur Sicherung der Abreise nach Verweigerung unerlaubter Einreise) ausschließt.

b) Die [X.] ist in [X.] durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der [X.] und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den [X.]-Visakodex vom 22. November 2011 ([X.]) in das nationale Recht umgesetzt worden. Der Betroffene ist erst zu einem späteren Zeitpunkt (im August 2014) bei dem Versuch der Einreise im Transitbereich eines Großflughafens aufgegriffen worden. Auf ihn findet § 15 [X.] Anwendung. Die Vorschrift bedurfte bei der Umsetzung der [X.] keiner inhaltlichen Änderung. Die Frage, ob sich ein Mitgliedstaat auf nationale Vorschriften, die inhaltlich eine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der [X.] darstellen, auch dann berufen kann, wenn er die Richtlinie noch nicht umgesetzt hat (vgl. [X.], Urteil vom 28. April 2011 - [X.]/11 PPU [X.], Rn. 49, [X.]:C:2011:268 Rn. 49 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Generalanwalts vom 1. April 2011, [X.]:[X.] Rn. 28), stellt sich hier schon deshalb nicht.

c) Dass die Vorschriften über die [X.] und den [X.] (§ 15 Abs. 5, 6 [X.]) mitgliedstaatliche Regelungen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der [X.] sind, wird zudem bekräftigt durch Art. 8 Abs. 3 Buchstabe c der neu gefassten Richtlinie 2013/33/[X.] des [X.]n Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen ([X.]. Nr. L 180 S. 96 - im Folgenden: [X.]). Danach kann ein Asylbewerber in Haft genommen werden, um im Rahmen eines Verfahrens über sein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet zu entscheiden. Bei einer Heranziehung der neuen Richtlinie auf die Auslegung der früheren [X.] (zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche der beiden Richtlinien bei Stellung eines Asylantrags bis zu dessen Bescheidung: vgl. [X.], Urteil vom 30. Mai 2013 - [X.]/[X.], [X.]:C:2013:343 Rn. 49, NVwZ 2013, 1142) ergibt sich, dass mitgliedstaatliche Gesetze, die eine Inhaftierung zur Verhinderung einer illegalen Einreise und zur Sicherung der Zurückweisung auch der Drittstaatsangehörigen ermöglichen, die keinen Asylantrag gestellt haben oder deren Antrag abgelehnt worden ist, nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der [X.] zulässig sind.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann                     Schmidt-Räntsch                       Czub

                      Kazele                                   [X.]

Meta

V ZB 188/14

10.03.2016

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 13. Oktober 2014, Az: 2-29 T 245/14

§ 15 Abs 5 AufenthG, § 15 Abs 6 AufenthG, Art 2 Abs 2 Buchst a EGRL 115/2008, Art 15 Abs 1 EGRL 115/2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2016, Az. V ZB 188/14 (REWIS RS 2016, 14741)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14741

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