Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.07.2018, Az. 2 WA 1/17 D

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2018, 6064

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer; Berücksichtigung im Stammverfahren; immaterielle Nachteile; Vorteilsausgleich


Leitsatz

Bei der Prüfung, ob allein die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreicht (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG), sind auch bei der Wiedergutmachung wegen eines immateriellen Nachteils die vom Beteiligten durch die Verfahrensdauer erlangten finanziellen Vorteile einzubeziehen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht einen Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens geltend.

2

1. Der Kläger war Soldat auf [X.]. Im September 2014 wurde er wegen eines Dienstvergehens vorläufig des Dienstes enthoben. Bis auf Weiteres wurde die Hälfte seiner Dienstbezüge einbehalten. Der Kläger hatte ohne militärische Verwendung den Ausgang des Disziplinarverfahrens abzuwarten.

3

2. Nach ordnungsgemäßer Anschuldigung durch die [X.] wurde sein wehrdienstgerichtliches Disziplinarverfahren ([X.]) am 23. Juli 2015 beim [X.] ... anhängig. Im [X.] hat der anwaltlich vertretene Kläger nach gerichtlich gewährter Fristverlängerung unter dem 10. September 2015 schriftsätzlich die [X.] eingeräumt. Er hat angekündigt, im [X.] ein entsprechendes Geständnis abzulegen, um kurzfristige Anberaumung eines [X.]s gebeten und auf die Ladung von Zeugen verzichtet. Nachdem vom Gericht mehr als sieben Monate nichts veranlasst worden ist, hat der Soldat unter dem 19. April 2016 eine unangemessene Verfahrensdauer gerügt. Auf Nachfrage hat der zuständige Kammervorsitzende dem Präsidenten des [X.]s im Februar 2017 berichtet, keinen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen zu können, weil noch zeitlich vorrangige ältere Verfahren zur Hauptverhandlung anstünden.

4

Am 31. August 2017 erreichte der Soldat das Ende seiner aktiven Dienstzeit; er konnte danach einer anderweitigen beruflichen Betätigung nachgehen und erhielt ab 1. September 2017 monatlich ... € - 30 vom Hundert der vorgesehenen [X.] - ausbezahlt.

5

Unter dem 19. Oktober 2017 ließ der Vorsitzende ermitteln, ob Beteiligte und Zeugen für den avisierten [X.] zur Verfügung stünden. Am 7. November 2017 hat er Termin zur Hauptverhandlung am 13. Dezember 2017 verfügt. Das in ihr verkündete Urteil gelangte am 15. Januar 2018 zur Geschäftsstelle und wurde dem Kläger am 20. Januar 2018 zugestellt. Mit ihm wurde dem Kläger das Ruhegehalt aberkannt. Das Urteil erwuchs mit Ablauf des 20. Februar 2018 in Rechtskraft, nachdem die vom Kläger verfristet eingelegte Berufung verworfen worden war.

6

In dem Urteil des [X.]s heißt es, auch wenn von einer ausschließlich dem Staat zuzurechnenden unangemessenen Verfahrensdauer in dem für die Beteiligten bedeutsamen Verfahren auszugehen sei, könne dies nicht maßnahmemildernd berücksichtigt werden, weil die [X.] auszusprechen sei.

7

3. Im Dezember 2016 hatte der Kläger ... erfolglos aufgefordert, ihm wegen der unangemessenen Verfahrensdauer des [X.]s Entschädigung zu leisten.

8

4. Zur Begründung der vor dem [X.] erhobenen und der Beklagten am 10. Februar 2017 zugestellten Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des [X.]s macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Er habe die Beklagte erfolglos zur Entschädigungszahlung aufgefordert und im [X.] sowohl gegenüber der [X.] als auch im April 2016 gegenüber dem [X.] Verzögerungsrüge erhoben. Anlass zu Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener [X.] abgeschlossen werde, habe bestanden. Die Verfahrensdauer sei nicht angemessen, weil das [X.] nach seinem Geständnis keine Schwierigkeit mehr aufgewiesen habe. Die Verfahrensdauer habe für ihn eine besondere Härte begründet, weil Bewerbungen an seiner ungewissen beruflichen Perspektive gescheitert seien und er zu [X.] gezwungen gewesen sei. Anders als von der Beklagten angenommen, sei bei der Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer auch der vorgerichtliche Verfahrenszeitraum einzubeziehen. [X.] gehe die Beklagte auch davon aus, dass er durch die bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Ruhegehalts fortgesetzte Alimentierung von der Verfahrensdauer profitiert habe. Damit bleibe unbeachtet, dass sich durch die Kürzung der Bezüge seine Lebenshaltungskosten nicht reduziert hätten.

9

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, wegen unangemessener Dauer des unter dem Aktenzeichen ... ([X.] für den Bereich ...) und ... ([X.] ...) geführten Verfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 2 100 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die pauschale Aussage des [X.], eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr sei nicht zu rechtfertigen, überzeuge angesichts der Einzelfallumstände nicht. Zwar liege ein sachgleiches Strafurteil vor; es betreffe jedoch nur den [X.] 1. Hinsichtlich der sonstigen [X.]e gebe es nur einen Strafbefehl ohne bindende Tatsachenfeststellungen. Die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe seien auch bedeutsam gewesen, weil ihm deshalb die [X.] gedroht habe. Das [X.] habe nur deshalb keinen früheren Verhandlungstermin bestimmt, weil zeitlich vorrangig zu entscheidende ältere Verfahren angestanden hätten.

5. Wegen der Einzelheiten wird auf die [X.] nebst Beiakten, die Gerichtsakten des Verfahrens ... und die Personalgrundakte des [X.] Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

1. [X.]ie Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig.

a) Sie wurde insbesondere gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.], § 90 Satz 2 VwGO am 10. Februar 2017 und somit mehr als sechs Monate nach der im April 2016 im [X.] geltend gemachten Verzögerungsrüge rechtshängig (vgl. dazu [X.], Urteil vom 21. Mai 2014 - [X.] 355/13 - NJW 2014, 2443 Rn. 17; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - [X.] ÜG 2/14 R - [X.] 4-1720 § 198 Nr. 5 Rn. 19 ff.).

b) [X.]a der Kläger vor Klageerhebung bei der Beklagten erfolglos einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht hat, kann dahingestellt bleiben, ob anderenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis deshalb zu versagen wäre, weil er nicht versucht hätte, den Anspruch auf einfachere, schnellere und billigere Art durchzusetzen (gegen ein Antragserfordernis: [X.], Beschluss vom 8. Mai 2014 - 5 B 3.14 [X.] - juris Rn. 15; [X.], Urteil vom 28. September 2015 - 13 [X.] 116/14 - juris Rn. 40 m.w.[X.]).

c) [X.]em Kläger fehlt auch nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil bereits im Urteil des [X.]s eine überlange [X.]auer anerkannt wurde. § 199 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 [X.], der aus den im Urteil des [X.]s vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 [X.] - ([X.] 450.2 § 91 W[X.]O 2002 Nr. 9 Rn. 22 ff.) dargelegten Erwägungen auch im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren Anwendung findet, versagt eine Wiedergutmachung durch das Entschädigungsgericht nur dann, wenn das Gericht nicht nur eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, sondern sie auch zugunsten des [X.] berücksichtigt hat. Gerade an einer Berücksichtigung der Verfahrensdauer hat sich das [X.] bei der Maßnahmebemessung jedoch gehindert gesehen, weil es - in Übereinstimmung mit der ständigen [X.]srechtsprechung ([X.], Urteil vom 2. November 2017 - 2 W[X.] 3.17 - juris Rn. 71 m.w.[X.]) - die disziplinarische [X.] ausgesprochen hat.

2. [X.]ie Klage ist teilweise begründet. [X.]em Kläger steht zwar kein Anspruch auf Entschädigung nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 W[X.]O i.V.m. § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, Satz 3 [X.], wohl aber nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 W[X.]O i.V.m. § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 4 [X.] auf Feststellung einer unangemessenen [X.]auer des [X.]s zu. [X.]ass er dies in der Hauptverhandlung nicht beantragt hat, schadet nicht, weil § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 [X.] eine solche Feststellung ohne Antrag zulässt.

a) [X.]ie Beklagte ist passivlegitimiert. [X.]ies folgt aus § 200 Satz 2 [X.] (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 Nr. 4 Rn. 17) i.V.m. dem Umstand, dass die [X.]e gemäß § 69 W[X.]O Gerichte des [X.] sind.

b) Ein Entschädigungsanspruch ist nicht schon nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] ausgeschlossen, weil der Kläger die Verfahrensdauer am 19. April 2016 nicht wirksam gerügt hätte (Verzögerungsrüge). Sie darf gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 [X.] erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen [X.] abgeschlossen wird. Eine noch vor dem Bestehen einer entsprechenden Besorgnis erhobene Verzögerungsrüge ist unwirksam ([X.], Urteil vom 26. Oktober 2016 - [X.] - [X.], 407 Rn. 46; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - [X.] ÜG 3/16 R - [X.] 4-1720 § 198 Nr. 4 Rn. 19).

Bei der Bestimmung des [X.]punkts, von dem ab "Anlass zur Besorgnis" i.S.v. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 [X.] besteht, verlangen Gesetzesbegründung, Rechtsprechung und rechtswissenschaftliches Schrifttum einhellig eine Situation, in der ein Verfahrensbeteiligter (§ 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.]) erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessenen zügigen Fortgang nimmt, sich folglich die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung abzeichnet (BT-[X.]rs. 17/3802 S. 20; [X.], Urteil vom 21. Mai 2014 - [X.] 355/13 - NJW 2014, 2443 Rn. 16; [X.], Urteil vom 26. Oktober 2016 - [X.] - [X.], 407 Rn. 47 ff.; [X.], in: [X.], ZPO, 7. Aufl. 2017, § 198 [X.] Rn. 18). Grundlage der Prognose haben danach objektive Gründe zu sein, die bei einer ex-ante-Betrachtung aus der Sicht eines vernünftigen Rügeführers im konkreten Einzelfall eine überlange Verfahrensdauer hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen ([X.], Urteil vom 10. Februar 2017 - 13 [X.] 36/16 - juris Rn. 19 und Beschluss vom 15. Februar 2018 - 13 [X.] 68/17 - juris Rn. 5 f. m.w.[X.]).

Nach Maßgabe dessen stand zum [X.]punkt der Rügeerhebung am 19. April 2016 berechtigter Anlass zur Besorgnis [X.]. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 [X.]. [X.]as gerichtliche Verfahren dauerte zum [X.]punkt der Rügeerhebung bereits neun Monate an, ohne dass das [X.] auf die geständige Einlassung und die Bitte des [X.] vom 10. September 2015 reagiert hatte, zeitnah zu terminieren. Insbesondere traf das [X.] keine Anstalten, einen Verhandlungstermin abzustimmen, obwohl die Sache für die Beteiligten augenscheinlich von besonderer Bedeutung und - bis zum Ausscheiden des [X.] aus dem [X.]ienst im September 2017 - auch von besonderer [X.]ringlichkeit war. Bedeutung und [X.]ringlichkeit folgten insbesondere für den Kläger aus dem Umstand, dass er bereits seit September 2014 des [X.]ienstes vorläufig enthoben worden war, seine [X.]ienstbezüge um die Hälfte gekürzt worden waren und zudem - bereits ausweislich der Verfügung über die vorläufige [X.]ienstenthebung vom 4. September 2014 - die [X.] im Raum stand ([X.], Urteil vom 19. Mai 2016 - 2 W[X.] 13.15 - [X.] 450.2 § 38 W[X.]O 202 Nr. 51 Rn. 68). [X.]amit lagen Umstände vor, die bei einem vernünftigen Verfahrensbeteiligten die Besorgnis entstehen lassen durften, dass das Verfahren nicht binnen angemessener [X.]auer entschieden werden würde.

c) [X.]as [X.] war unangemessen lang, sodass gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 [X.] ein immaterieller Vermögensnachteil des [X.] vermutet wird. Umstände, die jene gesetzliche Vermutung widerlegen, sind von der Beklagten weder geltend gemacht worden noch ersichtlich ([X.], Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - [X.]E 147, 146 Rn. 56; [X.], Urteil vom 13. April 2017 - [X.] 277/16 - NJW 2017, 2478 Rn. 20).

aa) Maßgeblicher Bezugszeitraum für die Bestimmung der auf ihre Angemessenheit zu überprüfenden Verfahrensdauer bildet gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbs. 1 [X.] der [X.]raum von der Einleitung des Verfahrens, mithin der Anhängigkeit des [X.]s am 23. Juli 2015 (§ 99 Abs. 1 Satz 4 W[X.]O), bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des truppendienstgerichtlichen Urteils am 21. Februar 2018 (zum Bezugspunkt formelle Rechtskraft: [X.], Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - [X.]E 147, 146 Rn. 19 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 [X.] - NJW 2016, 3464 Rn. 12). [X.]er [X.]raum vor Vorlage der [X.] scheidet hingegen gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 W[X.]O aus ([X.], Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 [X.] - [X.] 450.2 § 91 W[X.]O 2002 Nr. 9 Rn. 12).

bb) Ob die Verfahrensdauer unangemessen ist, bemisst sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 [X.] nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit ([X.]) und der Bedeutung des Verfahrens (bbb), dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und [X.]ritter ([X.]), sowie unter Berücksichtigung der Prozessförderung des Gerichts (ddd), ohne dass feste [X.]vorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte zugrunde zu legen wären ([X.], Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 [X.] - [X.] 450.2 § 91 W[X.]O 2002 Nr. 9 Rn. 13 m.w.[X.]).

[X.]) [X.]er Rechtsstreit war nach Abgabe der Stellungnahme des [X.] vom 10. September 2015 in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr schwer. [X.]essen geständige schriftsätzliche Einlassung ließ die Notwendigkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmungen entfallen, zumal zum [X.] 1 bereits strafgerichtlich bindende Feststellungen vorlagen. [X.]em entspricht, dass in der Hauptverhandlung nur noch zwei Zeugen - überwiegend als Leumundszeugen - vernommen wurden. Zwar hindern geständige schriftsätzliche Einlassungen den Kläger nicht, sich in der Hauptverhandlung abweichend einzulassen; Anhaltspunkte dafür bestanden bei dem anwaltlich vertretenen und beratenen Kläger indes nicht. [X.]arüber hinaus wäre ein wechselndes Aussage- und Prozessverhalten des [X.], welche eine Vertagung nach sich gezogen hätte, ihm [X.]. § 198 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 [X.] nachteilig zuzurechnen gewesen.

[X.]ie Beurteilung der Rechtslage war ebenfalls nicht schwer. [X.]er Fall warf keine bislang ungeklärten Rechtsfragen auf. Wie dem Urteil des [X.]s zu entnehmen ist, war insbesondere der Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen durch die [X.]srechtsprechung geklärt (vgl. dazu [X.], Urteil vom 12. Januar 2017 - 2 W[X.] 12.16 - [X.]okBer 2017, 211 Rn. 41).

bbb) [X.]ie Sache war für den Kläger zudem aus den bereits dargelegten Gründen von besonderer Bedeutung. Ebenso war sie es für die Beklagte, die ihn während der [X.]auer des [X.]s weiter (teil-)alimentieren musste.

[X.]) Weder der Kläger noch sein Verteidiger haben im [X.] prozessordnungswidrig agiert oder das Verfahren verzögert. [X.]er Antrag auf Verlängerung der [X.] bis zum 10. September 2015 ist dem Kläger nicht nachteilig anzurechnen (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - [X.]E 147, 146 Rn. 48). Zum einen ist ihm vom [X.] stattgegeben worden; zum anderen wurde der [X.]raum vom Verteidiger prozessfördernd dazu genutzt, die Komplexität des Streitstoffs durch eine geständige Einlassung des [X.] zu reduzieren. Auch nach [X.] hat der Verteidiger auf Anfragen des [X.]s konstruktiv reagiert und zu keiner Verfahrensverzögerung beigetragen. Er war zudem nicht gehalten, das Gericht zusätzlich zur Verzögerungsrüge durch Aufforderungen zum zeitnahen Abschluss des Verfahrens anzuhalten ([X.], Urteil vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 [X.] - [X.] 300 § 198 [X.] Nr. 4 Rn. 37).

[X.]anach liegt ein [X.]raum gerichtlicher Untätigkeit von annähernd 26 Monaten vor, der ausschließlich aus der gerichtlichen Sphäre herrührt. Er beginnt mit dem Eingang der geständigen Einlassung des [X.] am 10. September 2015 zu laufen, da die Sache damit "ausgeschrieben" war. [X.]anach förderte der Vorsitzende der Truppendienstkammer das Verfahren erstmals wieder am 19. Oktober 2017 durch die Aufnahme von Ermittlungen zu etwaig zu ladenden Zeugen und Beteiligten. [X.]a sich dem am 7. November 2017 zeitnah die Ladung zur Hauptverhandlung am 13. [X.]ezember 2017 anschloss, das dort gefällte Urteil innerhalb der nach § 91 Abs. 1 Satz 1 W[X.]O i.V.m. § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StPO maßgeblichen Absetzungsfrist am 15. Januar 2018 zur Geschäftsstelle gegeben und dem Soldaten unverzüglich am 20. Januar 2018 zugestellt wurde, lagen keine weiteren [X.]räume gerichtlicher Untätigkeit vor.

ddd) [X.]as Gericht hat allerdings seine Pflicht, den Prozess zu fördern und auf eine Entscheidung in angemessener [X.] hinzuwirken, nicht in den gesamten 26 Monaten verletzt. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und dass ihm - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - ein Gestaltungsspielraum zusteht, wann und wie es eine Sache in Abstimmung mit anderen Sachen terminiert oder sonst fördert. Mit ihm wird des Weiteren dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache für deren rechtliche [X.]urchdringung [X.] benötigt, um dem rechtsstaatlichen Postulat gerecht zu werden, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen ([X.], Urteil vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 [X.] - NJW 2016, 3464 Rn. 24). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen deshalb nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind ([X.], Urteile vom 14. September 2017 - 2 W[X.] 4.17 - [X.] 2018, 39 <43> m.w.[X.] und vom 15. [X.]ezember 2017 - 2 W[X.] 1.17 - [X.] 450.2 § 38 W[X.]O 2002 Nr. 55 Rn. 89 ff.).

Verzögerungszeiten, die der hohen Belastung einer [X.]skammer und damit strukturellen Mängeln geschuldet sind, rechtfertigen es allerdings nicht, einen Soldaten länger als nötig den Belastungen eines gerichtlichen [X.]isziplinarverfahrens auszusetzen. [X.]ies gilt auch für [X.]en, in denen ein Verfahren wegen einer vakanten Richterplanstelle nicht gefördert werden kann ([X.], Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 [X.] - [X.] 450.2 § 91 W[X.]O 2002 Nr. 9 Rn. 14 m.w.[X.]).

Hiernach stand dem [X.] ab der mit der geständigen Einlassung des Soldaten am 10. September 2015 sowie dem Ablauf der dazu eingeräumten [X.] beginnenden Entscheidungsreife ein Gestaltungsspielraum von gut fünf Monaten zu. [X.]er darüber hinausreichende [X.]raum war bei Einbeziehung der unter [X.]) bis [X.]) dargelegten Abwägungsparameter sachlich nicht mehr zu rechtfertigen. [X.]er nach der geständigen Einlassung des [X.] in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr und in rechtlicher Hinsicht von vornherein nicht komplexe Rechtsstreit war für den zum [X.]punkt der Anhängigkeit des [X.]s noch im aktiven [X.] stehenden Kläger von besonderer Bedeutung, weil ihm seine [X.]ienstbezüge gekürzt worden waren und er vorläufig des [X.]ienstes enthoben worden war. Ihm war dadurch einerseits die Möglichkeit genommen, sich beim [X.]ienstherrn nachzubewähren, und andererseits der Weg versperrt, sich beruflich neu zu orientieren. Insbesondere diese massiven Belastungen hätten veranlassen müssen, dessen Verfahren vorzuziehen und die Bearbeitung älterer Verfahren, bei denen für die Kläger weniger einschneidende Auswirkungen verbunden waren, zurückzustellen.

d) Zur Wiedergutmachung der mit der überlangen Verfahrensdauer verbundenen Nachteile ist im vorliegenden Fall gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 [X.] die Feststellung ausreichend, dass das Verfahren unangemessen lang gedauert hat. Eine finanzielle Entschädigung der erlittenen immateriellen Nachteile ist hier nicht erforderlich.

Ob eine Feststellung zur Wiedergutmachung ausreicht, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ([X.], Urteile vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 [X.] - [X.] 300 § 198 [X.] Nr. 3 Rn. 34 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 [X.] - NJW 2016, 3464 Rn. 45; [X.], [X.]ie Kompensation der verlorenen [X.], 1. Aufl. 2017, S. 1016 ff. m.w.[X.]). In den [X.] ist namentlich einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, weitergehende immaterielle Schäden erlitten wurden oder die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt. [X.]arüber hinaus kann einzustellen sein, welches Ausmaß die Unangemessenheit der Verfahrensdauer aufweist und ob das Ausgangsverfahren eine besondere [X.]ringlichkeit hatte oder sie entfallen ist ([X.], Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - [X.]E 147, 146 Rn. 57). Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen. [X.]enn das im Entschädigungsrecht allgemein anerkannte Prinzip des Vorteilsausgleichs findet auch im Rahmen der §§ 198 ff. [X.] Anwendung (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 [X.] - [X.] 300 § 198 [X.] Nr. 2 Rn. 55).

[X.]abei kann es dahingestellt bleiben, ob sich aus der [X.] des § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.] eine gesetzliche Wertung dahingehend ableitet, dass die Entschädigung den Regel- und die Feststellung den Ausnahmefall bildet (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - [X.], 75 Rn. 44 ff.; [X.], Urteil vom 20. November 2013 - 23 [X.] 3/13 - NJW-RR 2014, 889 <890>; a.A.: [X.], [X.]ie Effektivität des Rechtsschutzes gegen überlange Verfahrensdauer, 1. Aufl. 2016, [X.] ff.) oder § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.] ein lediglich negatives Tatbestandsmerkmal bildet ([X.], Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - NVwZ 2013, 1095 Rn. 31; vgl. auch [X.], [X.]ie Kompensation der verlorenen [X.], 1. Aufl. 2017, [X.]). [X.]enn auch wenn eine gesetzliche Vermutung für die Entschädigung als Regelfolge bestünde, bleibt die Feststellung ausreichend.

[X.]er [X.] verkennt zwar nicht, dass das Ausgangsverfahren vor allem für den Kläger wegen der im Raum stehenden [X.] bedeutsam und für ihn mit erheblichen Belastungen verbunden war und er auch nicht zur unangemessenen Verfahrensdauer beigetragen hat. In den Blick nimmt der [X.] des Weiteren, dass der [X.]raum gerichtlicher Untätigkeit weit über ein Jahr hinausreichte. [X.]er [X.] geht auch nicht davon aus, dass der Kläger nach seiner vorläufigen [X.]ienstenthebung durch die hälftige Fortzahlung seiner Bezüge einen anrechenbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat. Mit Recht macht der Soldat insoweit geltend, dass er bis zum Ende seiner aktiven [X.]ienstzeit am 31. August 2017 durch das fortbestehende [X.] zumindest faktisch bei seinen Bewerbungen um andere Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht zum Zuge kam und dass der Staat mit der Fortzahlung der hälftigen Bezüge nur seiner Alimentationspflicht nachkam. [X.]aher lag darin kein verzögerungsbedingter finanzieller Vorteil, der die mit der überlangen Verfahrensdauer verbundenen immateriellen Nachteile aufgewogen hätte.

[X.]ie mit dem unsicheren dienstrechtlichen Status verbundenen [X.] erledigten sich für den Kläger jedoch zum September 2017, weil er seinerzeit regulär aus dem [X.]ienst ausschied und eine andere Arbeitsstelle antrat. [X.]ie [X.]ringlichkeit des Verfahrens reduzierte sich dadurch erheblich. Hinzu tritt, dass dem Kläger nach seinem Ausscheiden aus dem [X.]ienstverhältnis bis zur Rechtskraft des truppendienstgerichtlichen Urteils noch [X.] von monatlich ... € netto zuflossen. Sie hätten ihm bei einer angemessenen Verfahrensdauer und bei einem somit wesentlich früheren Abschluss des [X.]isziplinarverfahrens, in dem auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt wurde, nicht mehr zugestanden. [X.]iesen verzögerungsbedingten wirtschaftlichen Vorteilen standen in dem gut fünfmonatigen [X.]raum zwischen regulärem Ausscheiden aus dem [X.]ienst und [X.] keine wirtschaftlichen Nachteile mehr entgegen. [X.]em Kläger flossen damit etwa ... € und damit mehr zu, als ihm nach § 198 Abs. 2 Satz 3 [X.] als Entschädigungsanspruch zugestanden hätte.

[X.]ieser finanzielle Vorteil ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, zumal Schadenseintritt und Vorteil einen adäquaten Ursachenzusammenhang aufweisen (vgl. [X.], Urteil vom 16. März 2016 - [X.] - NJW 2016, 1961 Rn. 24 f.). Einen Vorteilsausgleich vorzunehmen widerspricht auch nicht dem Charakter des wegen eines immateriellen Schadens geltend gemachten Klagebegehrens. [X.]er Gesetzgeber hat auch bei einem immateriellen Schaden nicht zwingend eine finanzielle Entschädigung vorgesehen, sondern die Entschädigungsgerichte durch § 198 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 [X.] ermächtigt, wegen einzelfallbezogener Umstände davon abzuweichen. [X.]en mit einer unangemessen langen Verfahrensdauer verbundenen finanziellen Vorteilen kompensatorische Bedeutung beizumessen, widerspricht daher nicht der ratio legis. [X.]em entspricht, dass sie bereits in wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren bei der Gewichtung einer unangemessenen Verfahrensdauer eingestellt werden (vgl. etwa [X.], Urteile vom 23. April 2015 - 2 W[X.] 7.14 - [X.] 450.2 § 38 W[X.]O 2002 Nr. 48 Rn. 59 und vom 24. Januar 2018 - 2 W[X.] 11.17 - juris Rn. 45).

3. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 [X.]. Es entsprach der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens ... aufzuerlegen. Wird - wie hier - auf Wiedergutmachung durch Feststellung der überlangen Verfahrensdauer erkannt, ist die gleichzeitige Freistellung des [X.] von den Kosten die Regel (vgl. BT-[X.]rs. 17/3802 S. 16). [X.]avon abzuweichen, besteht kein Anlass. [X.]er Kläger hat keine den Streitwert unangemessen hoch treibenden unverhältnismäßigen Entschädigungsforderungen geltend gemacht (BT-[X.]rs. 17/3802 S. 26). Zudem sind die zum Fortfall des [X.] führenden Vorteile erst nach Erhebung der [X.] eingetreten.

Meta

2 WA 1/17 D

12.07.2018

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Urteil

Sachgebiet: WA

Art 97 Abs 1 GG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 2 GVG, § 198 Abs 3 S 1 GVG, § 198 Abs 4 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, § 199 Abs 3 S 1 GVG, § 200 S 2 GVG, § 201 Abs 4 GVG, § 91 Abs 1 S 3 WDO 2002, § 99 Abs 1 S 4 WDO 2002, § 90 S 2 VwGO, § 275 Abs 1 S 2 StPO, § 198 Abs 2 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 3 GVG, § 198 Abs 3 S 2 GVG, § 198 Abs 5 S 1 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.07.2018, Az. 2 WA 1/17 D (REWIS RS 2018, 6064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6064

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 WA 2/17 D (Bundesverwaltungsgericht)

Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens


2 WD 16/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Höchstmaßnahme wegen mehrmonatiger, eigenmächtiger Abwesenheit während Berufsförderungsmaßnahme trotz einschlägiger Vorstrafe


2 WDB 4/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Überlange Verfahrensdauer als mögliches Verfahrenshindernis; hier: 7 Jahre


2 WD 20/21 (Bundesverwaltungsgericht)

Kürzung der Dienstbezüge wegen verbaler sexueller Belästigung einer Kameradin


2 WD 9/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Einstellung des Verfahrens bei rechtswidriger Inanspruchnahme dienstlichen Personals und Materials


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

III ZR 355/13

X K 2/15

III ZR 277/16

XII ZR 148/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.