Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.09.2017, Az. 2 WDB 4/17

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2017, 5861

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Gegenstand

Überlange Verfahrensdauer als mögliches Verfahrenshindernis; hier: 7 Jahre


Leitsatz

Die extreme Überlänge eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens kann ein Verfahrenshindernis nach § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO (juris: WDO 2002) begründen.

Tatbestand

1

Die Beschwerde der [X.] richtet sich gegen die Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens.

2

Der frühere Soldat war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im [X.] beim ... eingesetzt und betreute dort ein ... Ihm waren auch [X.] und [X.] übertragen. Ab November 2002 wurde zunächst behördenintern wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Zahlungs- und Beschaffungsvorgängen des früheren Soldaten ermittelt. Nach einer Strafanzeige im September 2004 ermittelte die Staatsanwaltschaft u.a. in Form von Durchsuchungen beim Beschuldigten und beim ... Im April 2006 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Durch rechtskräftiges Urteil des [X.] ... vom 19. März 2008 wurde der frühere Soldat unter Freistellung von [X.] wegen Urkundenfälschung in 132 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten zur Bewährung verurteilt.

3

Seit April 2004 führte die [X.] sachgleiche Vorermittlungen. Das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde im Juni 2006 eingeleitet und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt. Nach Einbeziehung weiterer Vorwürfe wegen nach der Dienstzeit begangener [X.] und Gewährung von [X.] wurde im Mai 2009 die Anschuldigungsschrift beim [X.] ... eingereicht. In der Hauptverhandlung vom 6. Oktober 2009 klammerte das [X.] die Vorwürfe wegen der nach [X.] begangenen [X.] nach § 107 Abs. 2 Satz 1 [X.] aus, setzte das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG aus und legte dem [X.] die Frage nach der Verfassungswidrigkeit von § 62 Abs. 1 Satz 3 [X.] in Verbindung mit § 58 Abs. 2 Nr. 3 [X.] vor. Im Dezember 2010 erhielt das [X.] von ihm die Auskunft, ein Entscheidungszeitpunkt sei aufgrund der Vielzahl der anhängigen Verfahren nicht absehbar. Mit Beschluss vom 3. Juli 2014 entschied das [X.], dass die Vorlage wegen einer nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründung unzulässig ist. Nach Rücksendung der Akten an das [X.] wurden auf rechtliche Hinweise des Vorsitzenden der ... Kammer des [X.]s ... schriftsätzlich prozessuale Fragen unter anderem zu einer Verfahrenseinstellung erörtert.

Entscheidungsgründe

4

Mit Beschluss vom 29. März 2017 hat der Vorsitzende der [X.] des [X.]s ... das gerichtliche [X.]isziplinarverfahren gemäß § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1, Abs. 4 [X.] eingestellt. Es bestehe das Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 [X.].

Es liege ein extremer Ausnahmefall vor, der wegen des außergewöhnlich großen Ausmaßes der Verzögerung unter Berücksichtigung der besonderen persönlichen Umstände des früheren Soldaten im Lichte des Rechtsstaatsprinzips eine sofortige Verfahrensbeendigung gebiete. Eine extreme Überlänge liege vor, weil seit den Vorfällen siebzehn Jahre, seit dem ersten Verdacht gegen den früheren Soldaten vierzehn Jahre, seit Aufnahme der Vorermittlungen mehr als dreizehn Jahre, seit Einleitung des Verfahrens fast elf Jahre und seit Einreichung der Anschuldigungsschrift beim [X.] beinahe acht Jahre vergangen seien. Ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens durch Sachentscheidung sei auch für 2017 nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Zwar würden die mit der Überlänge verbundenen Belastungen zum Teil dadurch kompensiert, dass der frühere Soldat länger höhere Bezüge erhalte, als ihm bei einer tat- und schuldangemessenen [X.]ienstgradherabsetzung zustünden. [X.]ie persönlichen Umstände des schwerkranken Soldaten, nämlich schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen und eine desolate wirtschaftliche Lage, sprächen gegen die Verhältnismäßigkeit einer Verfahrensfortführung. Auch generalpräventive Verfahrenszwecke geböten sie nicht, weil schon wegen der strafrechtlichen Verfolgung und den finanziellen und persönlichen Folgen für den Soldaten eine negative Beispielswirkung nicht zu befürchten sei. Wegen der Verfahrensdauer und der persönlichen Situation des früheren Soldaten erreichten die Besonderheiten des Falles ein Ausmaß an Zuspitzung, dass eine weitere Belastung des früheren Soldaten mit dem Verfahren auch dann nicht mehr verhältnismäßig wäre, wenn sich die Vorwürfe bestätigten.

5

Gegen den ihr am 7. April 2017 zugestellten Beschluss hat die [X.] am 5. Mai 2017 Beschwerde eingelegt. Ein Verfahrenshindernis im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1 [X.] liege nur bei einem gesetzlichen [X.] vor.

[X.]ie Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sei kein einer Sachentscheidung entgegenstehendes [X.]. [X.]er Gesetzgeber habe dem Vorsitzenden nur ausnahmsweise und nicht für Fragen, über die die Kammer entscheiden müsse eine Einzelrichterzuständigkeit übertragen. Bei einer Einstellung wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes seien aber anders als bei [X.] in die Kompetenz der Kammer fallende Fragen der materiell-rechtlichen Bewertung des Vorwurfes als [X.]ienstvergehens und seiner Schwere betroffen, über die die Kammer als [X.] entscheiden müsse. Eine Einstellung aus prozessrechtlichen Gründen erlaube bei Wegfall der Hindernisse die Neueinleitung eines Verfahrens. Bei einer Einstellung aus materiell-rechtlichen Gründen, also auch bei einer unverhältnismäßigen Verfahrensdauer, sei dies aber nicht möglich.

Selbst wenn man in einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes ein Verfahrenshindernis sehe, liege ein solches hier nicht vor. [X.]enn zum einen hätten die Ermittlungsbehörden und Gerichte das Verfahren hier nicht schuldhaft verzögert. Es sei bereits zweifelhaft, ob der Zeitraum der disziplinaren Ermittlungen in die Prüfung der Überlänge einzubeziehen sei. [X.]ie Aussetzung wegen des anhängigen Strafverfahrens dürfe nicht berücksichtigt werden. Auch die Zeit des Vorlageverfahrens dürfe nicht gänzlich eingestellt werden. [X.]er nachfolgende Schriftsatzwechsel zeige, dass das Verfahren danach kontinuierlich betrieben worden sei. Selbst wenn man von einer Überlänge ausgehe, sei die Belastung mit dem weiteren Verfahren nicht ohne weiteres unangemessen. [X.]ie Verfahrensdauer sei für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des früheren Soldaten nicht kausal. [X.]ie Erwägungen des [X.]s zu den finanziellen Belastungen des früheren Soldaten und zu generalpräventiven Verfahrenszwecken überzeugten nicht. [X.]ie für die Einstellung vom Beschluss angeführten Erwägungen sprächen zwar gegen eine [X.]isziplinarmaßnahme. Von dieser sei aber in Anwendung von § 108 Abs. 3 Satz 2 [X.] abzusehen.

6

[X.]ie Beschwerde der [X.] ist zulässig und begründet.

7

1. [X.]ie Beschwerde ist statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Für die Beschwerde gibt es ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl die [X.] sich nicht gegen die Einstellung als solche wendet und ihre gesetzlich notwendige Zustimmung zu einer Einstellung aus [X.] nicht verweigern will. [X.]enn die von ihr angestrebte Einstellung nach § 108 Abs. 3 Satz 2 [X.] verlangt die Feststellung eines [X.]ienstvergehens und ist damit geeignet, die generalpräventiven Verfahrenszwecke zu erreichen, deren Verfolgung auch der [X.] übertragen ist.

8

2. Sie ist auch begründet. [X.]ie Einstellungsvoraussetzungen nach § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 [X.] liegen nicht vor.

9

a) Zwar kann die extreme Überlänge eines gerichtlichen [X.]isziplinarverfahrens ein Verfahrenshindernis begründen. Unter dem Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 [X.] fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen [X.]isziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern. [X.]azu zählen fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen (z.B. die Verfolgbarkeit von Täter und Tat), sowie schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Juli 2004 - 2 [X.] 4.03 - [X.] 235.01 § 93 [X.] 2002 Nr. 3, vom 4. September 2013 - 2 [X.] 4.12 - juris Rn. 14 und vom 30. September 2013 - 2 [X.] 5.12 - juris Rn. 11). Wird ein gerichtliches [X.]isziplinarverfahren entgegen § 17 Abs. 1 [X.] nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben und dadurch unter Verletzung des grundgesetzlichen [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] - juris Rn. 17) und von Art. 6 Abs. 1 [X.] überlang, liegt ein Verfahrensfehler vor. [X.]ieser wiegt umso schwerer, je länger die sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung andauert. Es ist auch nicht möglich, einen derartigen Fehler nachträglich zu heilen.

[X.]aher entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass in extrem gelagerten Fällen einer Überlänge eine Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommt ([X.], Urteil vom 6. September 2012 - 2 W[X.] 26.11 - Rn. 40). [X.]iese erfolgt auf der Grundlage von § 108 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Sind Ausmaß und Folgen der Überlänge des Verfahrens hingegen nicht derart gravierend, kann eine Einstellung entsprechend § 108 Abs. 3 Satz 2 [X.] erwogen werden, wenn wegen des [X.]ienstvergehens eine pflichtenmahnende [X.]isziplinarmaßnahme im Raum steht ([X.], Urteil vom 6. September 2012 - 2 W[X.] 26.11 - Rn. 39). Nach der Gesetzessystematik sind vorrangig die zwingenden Einstellungsgründe nach § 108 Abs. 3 Satz 1 [X.] und erst wenn diese nicht vorliegen, ist die im Ermessen des Gerichts stehende Einstellung aus [X.] nach § 108 Abs. 3 Satz 2 [X.] zu prüfen. [X.] auch nach dieser Norm eine Einstellung des Verfahrens aus, ist zu prüfen, ob der Überlänge des Verfahrens bei der Verhängung pflichtenmahnender Maßnahmen im Rahmen der Bemessungsentscheidung Rechnung zu tragen ist (vgl. [X.], Urteile vom 26. September 2006 - 2 W[X.] 2.06 - [X.]E 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 - 2 W[X.] 6.07 - Rn. 116; vom 22. Oktober 2008 - 2 W[X.] 1.08 - Rn. 122; vom 4. Mai 2011 - 2 W[X.] 2.10 - [X.] 450.2 § 58 [X.] 2002 Nr. 6 Rn. 47 sowie vom 29. November 2012 - 2 W[X.] 10.12 - juris Rn. 62).

b) [X.]ie Überlänge eines gerichtlichen [X.]isziplinarverfahrens verdichtet sich allerdings nur dann zu einem Verfahrenshindernis, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre. Verlangt werden hierfür ein außergewöhnlich großes Ausmaß an Verfahrensverzögerung und damit verbundene besonders schwere Belastungen des (früheren) Soldaten ([X.], Urteil vom 6. September 2012 - 2 W[X.] 26.11 - Rn. 40 m.w.N.).

Hieran fehlt es, sodass dahingestellt bleiben kann, ob das dem Vorsitzenden durch § 108 Abs. 4 [X.] eingeräumte Ermessen, selbst wegen eines Verfahrenshindernisses durch Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung einzustellen oder darüber den Spruchkörper entscheiden zu lassen, fehlerfrei ausgeübt worden ist.

aa) [X.]ie Überlänge des Verfahrens ist mit maximal sieben Jahren zu bemessen und erreicht damit jedenfalls noch kein extremes Ausmaß.

Ob die [X.]auer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen ([X.], Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N., [X.], Urteil vom 6. September 2012 - 2 W[X.] 26.11 - Rn. 36). Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich und es ist nicht auf feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte abzustellen, unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen ([X.], Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - [X.]E 147, 146 Rn. 29). Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 6 [X.] zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - [X.]E 147, 146 Rn. 42). Bei der Verfahrensgestaltung kommt dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zu. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.

Es kann offenbleiben, ob die Verfahrensdauer eines [X.]isziplinarverfahrens ab der förmlichen Einleitung zu berücksichtigen ist (so [X.], Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 [X.]), mithin hier ab April 2006, oder aber wegen der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 [X.] erst ab Einreichung der Anschuldigungsschrift beim [X.] im Mai 2009. [X.]enn selbst unter Einbeziehung des sich an die förmliche Einleitung anschließenden [X.] ergibt sich noch keine extreme Überlänge, auch wenn das Verfahren nicht sachlich gerechtfertigte Verzögerungen aufweist.

Gegenstand des Verfahrens sind gravierende Vorwürfe, die die Fehlverwendung von Haushaltsmitteln in Höhe von mehreren Hunderttausend [X.]M betreffen. [X.]as Verfahren hat daher nicht nur für den früheren Soldaten, sondern auch für den [X.]ienstherrn hohe Bedeutung. [X.]ie Aufklärung war wegen der Vielzahl der in Rede stehenden Einzelvorgänge, der zur Verschleierung der Zahlungen eingesetzten Fälschungen, der Betroffenheit von Vorgängen eines ... und der Komplexität der Akten nicht leicht. Es waren zahlreiche Zeugen zu vernehmen. [X.]er frühere Soldat hat von der Gründlichkeit der Aufklärung im Strafverfahren auch profitiert, weil im Ergebnis eine Teilfreistellung von Betrugsvorwürfen erfolgt ist. [X.]ie mit der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens verbundene Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des sachgleichen Strafverfahrens war im Hinblick auf § 83 Abs. 1, Satz 1, § 84 Abs. 1 [X.] sachgerecht und geboten und hat daher nicht zu einer unangemessenen Verlängerung des [X.]isziplinarverfahrens geführt. Es ist auch nach Eingang des [X.] mit [X.] weiter kontinuierlich gefördert worden. Insbesondere sind Einzahlungen des früheren Soldaten aus nicht in vom Strafverfahren erfassten Zeiträumen vor 1999 und Bewegungen auf Konten des früheren Soldaten bei verschiedenen Geldinstituten zur Feststellung der Höhe des Schadens des [X.] überprüft worden. Erwogen worden war, über die im Strafverfahren angeschuldigten 132 Fälle hinaus 228 weitere Einzahlungsvorgänge anzuschuldigen. Hiervon wurde aus [X.] abgesehen. Nach Einbeziehung von Vorwürfen wegen nach [X.]ienstzeitende begangener Betrugstaten, wegen derer ein seit 2005 rechtskräftiger Strafbefehl vorlag, wurde dem früheren Soldaten zum Entwurf einer Anschuldigungsschrift im Februar und März 2009 [X.] und antragsgemäß eine Fristverlängerung bis April 2009 gewährt und die Anschuldigungsschrift beim [X.] eingereicht. [X.]ieses hat innerhalb von fünf Monaten nach Eingang der Anschuldigungsschrift die Hauptverhandlung durchgeführt, womit es sich innerhalb des ihm [X.] mehrmonatigen [X.] bewegte. Zu dem von der richterlichen Unabhängigkeit erfassten Gestaltungsspielraum gehört auch die Entscheidung des [X.]s, das Verfahren dem [X.]verfassungsgericht vorzulegen, weil es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorlegen muss, wenn es von der Verfassungswidrigkeit eines formellen nachkonstitutionellen Gesetzes überzeugt ist.

Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung trat hingegen dadurch ein, dass das [X.]verfassungsgericht über die ihm seit November 2009 vorliegende Vorlagefrage erst im Juli 2014 entschieden hat. Auch unter Berücksichtigung des wegen der Aufgaben und der Stellung des [X.] in größerem Umfang anerkannten Gestaltungsspielraums (vgl. § 97a Abs. 1 Satz 2, § 97b Abs. 1 Satz 4 [X.]) ist die [X.]auer des gerichtlichen Zwischenverfahrens jedenfalls angesichts der gemäß § 81a Satz 1 [X.] bereits als unzulässig festgestellten Richtervorlage mit annähernd fünf Jahren nicht mehr angemessen. [X.]a die Überlastung des [X.] [X.] strukturell bedingt ist (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] - juris Rn. 28), ist sie verschuldensunabhängig dem Staat zuzurechnen.

[X.]er Zeitraum dieser sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung verlängert sich dadurch, dass das Verfahren beim [X.] ... anschließend nicht weiter gefördert wurde, bis der neue Vorsitzende die Bearbeitung aufnahm und mit den Beteiligten mehrfach schriftsätzlich Verfahrensfragen erörterte, bis Ende März 2017 die Einstellung durch Beschluss erfolgte. Selbst wenn man den Zeitraum, in dem schriftsätzlich Verfahrensfragen erörtert worden sind, nicht in vollem Umfange als sachlich gebotene Förderung des Verfahrens anerkennt, ergibt sich insgesamt ein Zeitraum von maximal sieben Jahren, in denen verfahrensfördernde Aktivitäten aus in die staatliche Verantwortung fallenden Gründen nicht erfolgten. [X.]ies ist noch kein Zeitraum, der auch unter Berücksichtigung von finanziellen Kompensationen durch die Verzögerung im Rahmen einer [X.] Maßnahme nicht mehr angemessen durch eine Maßnahmemilderung aufgefangen werden könnte.

bb) Gleichwohl führt diese unangemessene Verfahrensdauer selbst bei Einbeziehung des seit der Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens verstrichenen Zeitraums nicht zu einem Verfahrenshindernis, weil damit noch keine extrem schwere Belastung des früheren Soldaten verbunden war (vgl. [X.], Urteil vom 19. Mai 2016 - 2 W[X.] 13.15 - juris Rn. 24 m.w.N.).

Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, steht ein sehr schweres [X.]ienstvergehen in Rede, dessen Gewicht wesentlich durch eine gravierende Verletzung der Vermögensinteressen des [X.]ienstherrn aus einer Vertrauensstellung heraus und unter strafrechtlich relevanter Verletzung der soldatischen Wahrheitspflicht bestimmt wird. Auch wenn der frühere Soldat hierbei nicht aus finanziellem Eigennutz gehandelt hat, steht damit zumindest eine mehrstufige [X.]ienstgradherabsetzung im Raum. Aus diesem Gewicht des [X.]ienstvergehens folgt eine hohe Bedeutung auch der generalpräventiven Verfahrenszwecke. Wegen der unterschiedlichen Zwecksetzungen von Straf- und [X.]isziplinarverfahren tut diesen Zwecken nicht bereits die vom [X.] ... verhängte Bewährungsstrafe Genüge.

[X.]en aus der [X.]auer des Verfahrens erwachsenden psychischen Belastungen stehen zugleich zumindest zum Teil wirtschaftlich kompensierende Vorteile durch die Fortzahlung der höheren Ruhestandsbezüge aus dem höher besoldeten Amt gegenüber ([X.], Urteil vom 19. März 2016 - 2 W[X.] 13.15 - Rn. 25).

Anders als ein im aktiven [X.]ienst befindlicher Soldat erwachsen dem früheren Soldaten auch keine dienstlichen Nachteile durch die [X.]auer des [X.]isziplinarverfahrens. Er ist dadurch nicht in seinem dienstlichen Fortkommen behindert und von einem faktischen Beförderungsverbot betroffen und er muss sich auch nicht im täglichen [X.]ienstbetrieb mit etwaigen, sich aus Bedenken an seiner Zuverlässigkeit ergebenden Schwierigkeiten auseinander setzen.

[X.]er den früheren Soldaten aus der [X.]auer des Verfahrens treffende Nachteil besteht in der seine Psyche belastenden Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens und aus der Beschäftigung mit gegen ihn gerichteten Vorwürfen. [X.]ie Intensität dieser Belastung wird durch das Alter und den Gesundheitszustand des früheren Soldaten beeinflusst. [X.]urch ein im sachgleichen Strafverfahren zu seiner Verhandlungsfähigkeit eingeholtes Gutachten der Zentralklinik ... aus dem August 2007 ist aktenkundig nachgewiesen, dass der frühere Soldat unter einer schweren koronaren Herzerkrankung und Bluthochdruck leidet, fünf Herzinfarkte und einen Schlaganfall erlitten hatte. Nach diesem Gutachten war er allerdings dennoch zunächst uneingeschränkt verhandlungsfähig. [X.]ie ab Mitte 2010 im gerichtlichen [X.]isziplinarverfahren aufgetretenen unangemessenen Verzögerungen können für den im Gutachten ausgewiesenen Gesundheitszustand des früheren Soldaten somit nicht kausal sein. Zu Verschlechterungen seines Gesundheitszustandes während des vorliegenden Verfahrens ist nur vage und ohne einen Nachweis etwa durch Atteste behandelnder Ärzte vorgetragen worden. [X.]ie verbleibenden Belastungen werden allerdings dadurch gemindert, dass dem früheren Soldaten ein Verteidiger beigeordnet worden ist, der seine Interessen innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung wahrnimmt. [X.]ie Hauptverhandlung kann nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 [X.] auch in Abwesenheit des früheren Soldaten stattfinden.

Hinzu kommt, dass die [X.]urchführung einer Hauptverhandlung prognostisch nicht zu einer gravierenden Verlängerung des Verfahrens führen wird. Bei bereits überlangen Verfahren ist ein Wehrdienstgericht zu besondere Beschleunigung und damit hier zu vorrangiger Terminierung verpflichtet (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2015 - 2 W[X.] 10.15 - Rn. 18). Zu den Vorwürfen, die noch Gegenstand des Verfahrens sind, liegen nach § 84 Abs. 1 Satz 1 [X.] bindende Feststellungen eines rechtskräftigen [X.] vor, was die im Rahmen der Amtsermittlung ergänzend notwendigen Beweiserhebungen des [X.]s reduziert. Auch der Prüfung eines [X.] nach § 84 Abs. 1 Satz 2 [X.] begründet keine besonderen Schwierigkeiten. Zwar kann grundsätzlich der hier behauptete unzulässige [X.]eal einen Lösungsbeschluss notwendig machen (vgl. [X.], Urteil vom 14. März 2007 - 2 W[X.] 3.06 - [X.] 128, 189 Rn. 26). [X.]a die [X.] keine "Nachprüfungsinstanz" der Strafgerichte sind, kommt ein Lösungsbeschluss nur in Betracht, wenn sich die Zweifel an der Richtigkeit aus dem Urteil selbst oder in Verbindung mit dem Protokoll der Hauptverhandlung ergeben (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juli 1981 - 2 W[X.] 16.81 - S. 12 und Beschluss vom 28. September 2011 - 2 W[X.] 18.10 - [X.] 450.2 § 84 [X.] 2002 Nr. 5 Rn. 38; [X.]au/[X.], [X.], 7. Aufl., § 84 Rn. 9 m.w.N.). [X.]as Strafurteil vom 19. März 2008 ist vor den durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 ([X.] 2009, [X.]) eingefügten § 257c, § 273 Abs. 1a StPO ergangen, sodass sich die Frage nach dem Fehlen eines "Negativattestes" und der Einhaltung der nunmehr gesetzlich geltenden Voraussetzungen nicht stellt. [X.]ass die Beweiswürdigung zur Verurteilung sich in dem Hinweis auf das glaubhafte Geständnis und die Ergebnisse der Beweisaufnahme erschöpft, ist dem Umstand geschuldet, dass es sich um ein verkürztes Urteil nach § 267 Abs. 4 StPO handelt und kein Indiz für eine Verfahrensabsprache. [X.]a hier in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung mehrere Tage lang zahlreiche Zeugen vernommen wurden, Verteidiger und Staatsanwaltschaft nicht denselben Antrag stellten und keine Seite auf Rechtsmittel verzichtet hatte, spricht nach Urteil und Protokoll nichts für einen - geschweige denn einen unzulässigen - "[X.]eal".

Hiernach ist in Abwägung der noch zu erwartenden Verfahrensdauer, der den früheren Soldaten treffenden Belastungen mit der hohen Bedeutung des Verfahrens die Fortsetzung noch nicht unzumutbar.

[X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.]. Es ist nicht unbillig, den früheren Soldaten mit den Kosten zu belasten, da die Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses auf seinen Antrag hin erfolgt ist.

Meta

2 WDB 4/17

01.09.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WDB

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 29. März 2017, Az: S 7 VL 07/09, Beschluss

§ 108 Abs 3 S 1 WDO 2002, § 108 Abs 3 S 2 WDO 2002, § 108 Abs 4 WDO 2002, Art 6 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.09.2017, Az. 2 WDB 4/17 (REWIS RS 2017, 5861)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5861

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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