Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.07.2013, Az. VI R 67/11

6. Senat | REWIS RS 2013, 4199

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Gegenstand

Kindergeldanspruch bei gleichzeitig bestehendem Anspruch auf Familienleistungen nach irischem Recht


Leitsatz

1. NV: Die Familienkasse setzt hinsichtlich der Gewährung von Kindergeld nur dann einen Vertrauenstatbestand, wenn ihrem Verhalten die konkludente Zusage zu entnehmen ist, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht.

2. NV: Eine sog. Tatbestandswirkung, derentwegen die Familienkasse die Entscheidung über das Bestehen eines Kindergeldanspruchs nach ausländischem Recht zu übernehmen hätte, setzt jedenfalls die Mitteilung einer Entscheidung der für kindergeldähnliche Leistungen zuständigen Behörde voraus, dass für das Kind ein anderweitiger Anspruch besteht.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung nach [X.] und Glauben ausgeschlossen ist und ob für ein im Inland wohnhaftes Kind ein Kindergeldanspruch auch dann besteht, wenn für das Kind zugleich nach [X.] Recht Familienleistungen gewährt werden.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) besitzt die [X.] Staatsangehörigkeit und wohnt im Inland. In ihrem Haushalt wohnt seit September 2004 ihr während des [X.] Dezember 2006 bis August 2008 minderjähriges Enkelkind, für das ihr das Sorgerecht zusteht.

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) gewährte der Klägerin für das Enkelkind seit September 2004 Kindergeld. Auch die in [X.] wohnende Kindesmutter erhielt für das Kind von dem für die Zahlung [X.] Familienleistungen zuständigen Träger Familienleistungen in der [X.] von Dezember 2006 bis August 2008. Nachdem dieser Träger die Familienkasse über die Gewährung der [X.] Familienleistungen informiert hatte, hob diese die bisherige Kindergeldfestsetzung für diesen [X.]raum auf. Zur Begründung führte die Familienkasse aus, der Kindesmutter stehe im Streitzeitraum aufgrund einer Erwerbstätigkeit in [X.] ein Anspruch auf Gewährung von Familienleistungen nach [X.] Recht zu, sodass der Anspruch der Klägerin auf Kindergeld ruhe. Das daher zu Unrecht gewährte Kindergeld sei zurückzuzahlen.

4

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage hat das Finanzgericht ([X.]) mit Urteil vom 25. Mai 2011  12 K 3538/10 --veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 627-- stattgegeben. Zwar gelte zugunsten der Klägerin keine gemeinschaftsrechtliche [X.]. Die Familienkasse sei jedoch nach [X.] und Glauben an einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gehindert.

5

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.

6

Sie beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Rechtsausführungen des [X.], wonach der Rückforderung des Kindergeldes der Grundsatz von [X.] und Glauben entgegenstehe, halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die finanzgerichtlichen Feststellungen erlauben keine abschließende Prüfung, ob der Klägerin für den Streitzeitraum ein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld zusteht.

9

1. Eine Aufhebung oder Änderung der Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist vorliegend nicht nach [X.] und Glauben ausgeschlossen.

Ob im Rahmen des § 70 Abs. 2 EStG unter bestimmten Voraussetzungen Vertrauensschutz gewährt werden kann, lässt der Senat dahinstehen (ebenso etwa Urteil des [X.] --BFH-- vom 11. März 2003 VIII R 108/01, [X.] 2004, 16; Senatsbeschluss vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, [X.], 559, [X.] 1999, 231). Denn die Familienkasse hat vorliegend keinen Vertrauenstatbestand gesetzt.

a) Dazu bedarf es eines Verhaltens der Familienkasse, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen kann, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (vgl. BFH-Urteile vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, [X.], 472, [X.] 2004, 123; vom 3. März 2011 III R 11/08, [X.], 41, [X.] 2011, 722; vom 22. September 2011 III R 82/08, [X.], 336, [X.] 2012, 734). Insoweit ist ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falles von einem Fortbestehen des [X.] ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem [X.] nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der [X.] mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 2004 VIII R 23/04, [X.] 2005, 499, m.w.N.).

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Es ist schon nicht erkennbar, durch welches Verhalten die Familienkasse einen Vertrauenstatbestand gegenüber der Klägerin geschaffen haben soll. Die Familienkasse hat lediglich das Kindergeld auf das ihr von der Klägerin benannte Konto geleistet. Außerdem reicht die Weiterzahlung des Kindergeldes --selbst bei Kenntnis der Behörde von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldes führen-- allein nicht zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes aus (vgl. [X.] vom 27. Mai 2005 III B 197/04, [X.] 2005, 1486). Die übrigen vom [X.] angeführten (vermeintlich) besonderen Umstände stellen keine Gesichtspunkte dar, die ein Vertrauen hätten begründen können. Denn sie haben ihren Ursprung nicht in einem Verhalten der Familienkasse gegenüber der Klägerin und betreffen damit das zwischen diesen Beteiligten bestehende Steuerschuldverhältnis nicht.

2. Da die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG mithin hier nicht von vornherein nach [X.] und Glauben ausgeschlossen ist, ist entgegen der Vorentscheidung eine Prüfung erforderlich, ob und gegebenenfalls inwieweit der Klägerin ein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld zusteht.

a) Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG. Denn sie hatte nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 [X.]O) Feststellungen des [X.] einen Wohnsitz im Inland und das Enkelkind, für das sie Kindergeld beantragt hat, in ihren Haushalt aufgenommen.

b) Der Kindergeldanspruch könnte jedoch nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen sein.

aa) Der Ausschluss des [X.] gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG greift, wenn für ein Kind Leistungen im Ausland zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären und diese Leistungen dem Kindergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind. Allerdings kann der Senat aufgrund fehlender Feststellungen des [X.] nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls für welche Monate des [X.] für das Enkelkind nach [X.] Recht tatsächlich ein Anspruch auf Familienleistungen bestand und ob diese dem [X.] Kindergeld vergleichbare Leistungen sind.

bb) Es ist schon zweifelhaft, ob der Kindesmutter --wie die Familienkasse meint-- hier nach [X.] Recht Familienleistungen zu gewähren waren.

Denn nach dem --den Senat nicht bindenden-- Schreiben des Bundeszentralamts für Steuern vom 7. Dezember 2011 [X.] 2-S 2280-PB/11/00014 (BStBl I 2012, 18) verlangt das [X.] Recht für einen Anspruch auf Gewährung von Familienleistungen an die Mutter zumindest die Aufnahme des Kindes in ihren Haushalt. Dies ist aufgrund der Feststellungen des [X.] vorliegend fraglich.

Der [X.] Träger für die Gewährung von Familienleistungen hat insoweit auch nicht mit [X.] festgestellt, der Kindesmutter stehe ein Anspruch auf Familienleistungen nach [X.] Recht zu. Eine solche [X.], derentwegen die Familienkasse die Entscheidung über das Bestehen eines [X.] zu übernehmen hätte, setzt jedenfalls die Entscheidung der für kindergeldähnliche Leistungen zuständigen Behörde voraus, dass für das Kind ein anderweitiger Anspruch besteht ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 65 EStG Rz 6; [X.], in: [X.][X.], EStG, § 65 Rz A 22, jeweils m.w.N.; zur [X.] allgemein vgl. etwa BFH-Urteil vom 15. März 2012 III R 82/09, [X.], 539, [X.] 2013, 226). An der Mitteilung einer solchen Entscheidung des für die Gewährung [X.]r Familienleistungen zuständigen Trägers fehlt es. Denn nach den mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen und daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] stellte der Träger hier selbst in Frage, ob die Kindesmutter einen solchen Anspruch hatte und teilte in diesem Zusammenhang lediglich die Höhe der von ihr geleisteten Zahlungen mit.

c) Sollte ein Anspruch auf Gewährung von Familienleistungen nach [X.] Recht bestehen, könnte die Konkurrenz zu dem Kindergeldanspruch statt nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch abweichend davon aufzulösen sein.

aa) Dies könnte zum einen folgen aus der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 ([X.] Nr. 1408/71) des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern sowie durch die Verordnung ([X.]) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung ([X.]) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (Amtsblatt der Europäischen [X.]en 1997 Nr. L 28, S. 1 vom 30. Januar 1997) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung ([X.]) Nr. 647/2005 des [X.] und des Rates vom 13. April 2005 ([X.] 2005 Nr. L 117, S. 1 vom 4. Mai 2005; zur Anwendung der [X.] Nr. 1408/71 sowie der [X.] Nr. 574/72 vgl. im Einzelnen BFH-Urteile vom 26. Juli 2012 III R 97/08, [X.], 120, [X.] 2013, 24; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, [X.], 87; jeweils m.w.N.).

bb) Zum anderen könnte unter Beachtung der vom [X.] in den Urteilen vom 20. Mai 2008 [X.]/06, [X.] (Slg. 2008, [X.]), vom 12. Juni 2012 [X.]/10, [X.] und [X.]/10, [X.] ([X.]/Entscheidungsdienst 2012, 999) aufgestellten Grundsätze [X.] zu gewähren sein (vgl. dazu auch das Senatsurteil vom heutigen Tage VI R 68/11, [X.], 206).

Meta

VI R 67/11

11.07.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 25. Mai 2011, Az: 12 K 3538/10, Urteil

§ 70 Abs 2 EStG 2002, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 1 Nr 3 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2002, § 65 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002, EWGV 1408/71, EWGV 574/72, EStG VZ 2006, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.07.2013, Az. VI R 67/11 (REWIS RS 2013, 4199)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4199

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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