Bundespatentgericht, Beschluss vom 07.04.2011, Az. 30 W (pat) 23/10

30. Senat | REWIS RS 2011, 7773

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "JURAWERK" - Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 070 077.7

hat der 30. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Hacker sowie der Richterinnen Winter und Hartlieb

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des [X.] vom 16. März 2009 und vom 12. November 2009 aufgehoben.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Bezeichnung

2

JURA[X.]

3

ist am 4. November 2008 für die Dienstleistungen

4

„Unternehmensberatung; Einziehung von [X.] (Inkasso); Rechtsberatung und -vertretung; juristische Dienstleistungen“

5

zur Eintragung als Wortmarke in das Markenregister angemeldet worden.

6

Die Markenstelle für Klasse 45 des [X.] hat die Anmeldung in zwei Beschlüssen - einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergangen - wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Die Zusammensetzung aus den Wörtern „JURA“ (= Rechtswissenschaft) und „[X.]“ (= Synonym für Arbeit, Beschäftigung, Tätigkeit, Firma, Unternehmen) habe die Bedeutung „juristische Angebots- und [X.], juristisches Unternehmen“ und benenne lediglich den Gegenstand, mit dem sich die angemeldeten Dienstleistungen beschäftigten.

7

Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, der Verkehr sehe in der Bezeichnung „JURA[X.]“ einen unmittelbaren Herkunftshinweis auf die Anmelderin. So gebe auch eine entsprechende Internetrecherche nur Hinweise auf die Anmelderin. Die Wortneuschöpfung „JURA[X.]“ sei nicht unmittelbar beschreibend für die beanspruchten Dienstleistungen, in den angefochtenen Beschlüssen sei bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit der angemeldeten Bezeichnung „JURA[X.]“ eine unzulässige zergliedernde Betrachtungsweise vorgenommen worden. Im Übrigen verweist die Anmelderin auf Voreintragungen mit dem Bestandteil „werk“ bzw. „jura“.

8

Die Anmelderin beantragt (sinngemäß),

9

1. die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des [X.] vom 16. März 2009 und vom 12. November 2009 aufzuheben sowie

2. die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin hat zu 1. auch in der Sache Erfolg. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Eintragungshindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 [X.] bestehen.

Insbesondere kann der angemeldeten Bezeichnung nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] abgesprochen werden.

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden (vgl. [X.] [X.], 228 Rn. 33 - [X.] (Vorsprung durch Technik); [X.], 220 Rn. 27 - BioID; [X.], 935 Rn. 8 - [X.]; [X.], 138 Rn. 23 - [X.]; [X.], 850, 854 Rn. 18 - [X.]; [X.] 2004, 39 - City Service). Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. [X.] GRUR 2008, 608 - [X.]; [X.] 2004, 99 - Postkantoor; [X.], 411 - [X.]).

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann ([X.] GRUR 2005, 417, 418 - [X.]; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch) oder wenn es sich um beschreibende Angaben handelt, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. [X.], 1100 Rn. 23 - [X.]!; [X.], 411 Rn. 9 - [X.]; [X.], 850 Rn. 19 - [X.]; [X.], 465, 468 - Bonus).

Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des [X.] von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. [X.] GRUR 2001, 1151 - marktfrisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden, sondern sie muss vielmehr gründlich und vollständig ausfallen (vgl. [X.] WRP 2003, 735 - Libertel-Orange; a. a. [X.] - Postkantoor).

2. Nach diesen Grundsätzen verfügt die angemeldete Bezeichnung „JURA[X.]“ über die erforderliche Unterscheidungskraft.

Die Markenstelle ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die angemeldete Marke aus den Elementen „JURA“ und „[X.]“ zusammengesetzt ist. Das Wort „Jura“ (Pluralform des [X.] Wortes „ius“ = Recht) bedeutet „Rechtswissenschaft als Studienfach“, das Wort „Werk“ bedeutet u. a. „einer bestimmten (größeren) Aufgabe dienende Tätigkeit; Produkt (schöpferischer) Arbeit; Gesamtheit dessen, was jmd. in schöpferischer Arbeit hervorgebracht hat; technische Anlage, Fabrik, (größeres) industrielles Unternehmen“ (vgl. [X.], [X.], 6. Auflage 2006 [CD-ROM]). Der Bestandteil „Werk“ bezeichnet in Kombination mit einem anderen Substantiv die Gesamtheit von etwas, z. B. Blätter-, Karten- bzw. Mauerwerk, oder ein Werk, das etwas darstellt oder herbeiführt, als groß, umfangreich, z. B. ein [X.], Reform- oder Vertragswerk (vgl. [X.] a. a. [X.]).

Der angesprochene Verkehr wird den jeweiligen Sinngehalt der beiden Wortbestandteile verstehen und insoweit einen beschreibenden Bezug zu den beanspruchten Dienstleistungen herstellen. Dies allein reicht aber nicht aus, um der angemeldeten Bezeichnung die Schutzfähigkeit abzusprechen. Das Vorliegen des Schutzhindernisses bemisst sich nämlich nicht nur danach an, ob etwaige Wortbestandteile für sich betrachtet unterscheidungskräftig sind; entscheidend ist vielmehr, ob dem durch die Verbindung der Bestandteile entstandenen Gesamtzeichen die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. [X.] GRUR 2004, 674, 678 (Nr. 99) - Postkantoor; GRUR 2004, 680, 681 (Nr. 40) - [X.]; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 8 Rdn. 120). Insoweit ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung so weit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. [X.] GRUR 1995, 408, 409 - [X.]; [X.], 639, 640 - [X.]; [X.] (pat) 50/05 - linguadict, 24 W (pat) 124/06 - derma fit, 24 W (pat) 95/07 - [X.], jeweils auf der Internetseite des Gerichts). Dies ist vorliegend zu bejahen.

Durch die ungewöhnliche Verbindung des Wortes „Jura“ mit dem Wort „Werk“ entsteht eine neuartige Wortkombination, die aus sich heraus originell und insoweit ohne Weiteres individualisierend wirkt. Da „Jura“ die Rechtswissenschaft als Studienfach bezeichnet, sind entsprechende Zusammensetzungen üblich wie z. B. „Jurastudium, Juraausbildung, [X.]“. In diesem Zusammenhang ist die Verbindung „[X.]“ ungewöhnlich und ohne Aussagegehalt, da eine Bedeutung „Rechtswissenschaftswerk“ - entsprechend der oben genannten Bedeutungen des Wortes „Werk“ in Kombination mit anderen Substantiven - weder als „Gesamtheit der Rechtswissenschaft“ noch als „umfangreiches Rechtswissenschaftswerk“ einen Sinn ergibt, soweit es um die vorliegend allein beanspruchten Dienstleistungen geht (anderes könnte etwa im Bereich der [X.] 16 gelten). Auch für ein Verständnis im Sinne eines „juristischen Unternehmens“ ergeben sich nach Auffassung des Senats keine Anhaltspunkte. Es ist fernliegend, dass der Verkehr hierfür das Wort „Jura“, das die Studienrichtung Rechtswissenschaft bezeichnet, mit dem Wort „Werk“, das ein (größeres) industrielles Unternehmen bezeichnet, kombiniert. Nach den Feststellungen des Senats ist es zum einen nicht üblich, eine Rechtsdienstleistung mit dem Wort „Jura“ zu bezeichnen, zum anderen wird in möglichen vergleichbaren Zusammensetzungen mit dem Bestandteil „Werk“ entweder die Bezeichnung eines Produkts oder die eines Anbieters zur Konkretisierung des Werks vorangestellt. Daher lag auch den von der Markenstelle herangezogenen Kombinationen mit dem Bestandteil „Werk“ eine abweichende Wortbildung zugrunde. Es ist daher davon auszugehen, dass der ungewöhnliche sprachliche Gesamteindruck der angemeldeten Bezeichnung hinreichende Unterscheidungskraft verleiht.

Im Hinblick auf ihre fantasievolle Wortbildung unterliegt die angemeldete Marke ungeachtet etwaiger beschreibender Anklänge auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

Die Beschwerde hat daher insoweit Erfolg.

Billigkeitsgründe, die die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gem. § 71 Abs. 3 [X.] rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

Meta

30 W (pat) 23/10

07.04.2011

Bundespatentgericht 30. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 07.04.2011, Az. 30 W (pat) 23/10 (REWIS RS 2011, 7773)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7773

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