Bundespatentgericht, Beschluss vom 05.11.2020, Az. 30 W (pat) 525/19

30. Senat | REWIS RS 2020, 241

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Springsafe" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2018 106 192.3

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des [X.] in der Sitzung vom 5. November 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Hacker sowie [X.] Meiser und Merzbach

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 des [X.] vom 23. September 2019 aufgehoben.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Zeichen

2

Springsafe

3

ist am 5. Juni 2018 für die folgenden Waren

4

"Klasse 9: Sicherheitsgeräte; Sicherheitsnetze (Unfallschutz)

5

Klasse 19: Sicherheitsumzäunungen und -absperrungen, nicht aus Metall;

6

Klasse 28: Sportartikel und -ausrüstung; Spiele und Spielsachen"

7

zur Eintragung als Wortmarke in das beim [X.] geführte Register angemeldet worden.

8

Mit Beschluss vom 23. September 2019 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 9 des [X.]s die Markenanmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, "Springsafe" bedeute "sprungsicher, springsicher". Im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren beinhalte das Anmeldezeichen einen Hinweis darauf, dass diese "sprungsicher" seien bzw. der "Sprungsicherheit" dienen könnten.

9

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Sie trägt vor, bei dem Anmeldezeichen in seiner Gesamtheit handele es sich um ein Phantasiewort, dem weder im [X.] noch im [X.] eine feststehende Bedeutung zukomme. Auch die von der Markenstelle unterstellte Bedeutung "sprungsicher" bzw. "springsicher" gebe es in der [X.] nicht. Das Anmeldezeichen bilde sich entweder aus dem [X.] Substantiv "spring" (= Frühling, Feder, Quelle) und dem [X.] Adjektiv "safe" (= sicher, ungefährlich) oder aus dem [X.] Imperativ des [X.] "springen" und dem [X.] "safe". Somit handele es sich um eine mehrdeutige Wortneuschöpfung, die zudem unter Verstoß gegen grammatikalische Regeln gebildet worden sei. Ein Gesamtsinn lasse sich dem Markenwort allenfalls in mehreren gedanklichen Schritten im Rahmen einer analysierenden Betrachtungswiese entnehmen, was aber bereits die Unterscheidungskraft begründe.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

1. den Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 des [X.]s vom 23. September 2019 aufzuheben;

2. die Rückerstattung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

A. Die zulässige Beschwerde der Anmelderin hat auch in der Sache Erfolg. Der angegriffene Beschluss war aufzuheben, da der Eintragung des [X.] kein Schutzhindernis gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 [X.] entgegensteht. Insbesondere fehlt dem Zeichen Springsafe für die beanspruchten Waren weder jegliche Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.], noch unterliegt es einem Freihaltungsbedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. [X.] [X.], 1198 ([X.]) – [X.]; [X.], 610 ([X.]) – [X.]; [X.] 2008, 608 ([X.]) – [X.]; [X.], 1167 (Nr. 13) – [X.]; [X.], 581 (Nr. 16) – [X.]; [X.], 173 (Nr. 15) – for you; [X.] 2014, 565 (Nr. 12) – smartbook; [X.] 2013, 731 (Nr. 11) – [X.]; [X.], 1143 (Nr. 7) – [X.], jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa [X.] [X.], 1198 ([X.]) – [X.]; [X.] 2014, 373 (Nr. 20) – [X.]; 2010, 1008, 1009 ([X.]) – [X.]; [X.] 2008, 608, 611 ([X.]) – [X.]; [X.] 2006, 233, 235, Nr. 45 – Standbeutel; [X.], 1167 (Nr. 13) – [X.]; [X.] 2016, 934 ([X.]) – [X.]; [X.], 581 (Nr. 16) – [X.]; BGH [X.], 173, 174 (Nr. 15) – for you; [X.] 2009, 949 (Nr. 10) – [X.]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des [X.] ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH [X.] 2017, 186 (Nr. 29) – [X.]; [X.] 2016, 1167 (Nr. 13) – [X.]; [X.], 581 ([X.]) – [X.]; [X.], 173, 174 (Nr. 15) – for you; [X.] 2014, 565, 567 (Nr. 12) – smartbook; [X.], 1143 (Nr. 7) – [X.]; [X.], 270 (Nr. 8) – Link economy). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen [X.] bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. [X.] [X.] 2006, 411, 412 (Nr. 24) – Matratzen Concord/Hukla).

Hiervon ausgehend besitzen Marken insbesondere dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH [X.] 2013, 1143, Nr. 15 – [X.] werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. [X.] [X.] 2013, 519 (Nr. 46) – [X.]; [X.] 2004, 674 ([X.]) – Postkantoor; BGH [X.] 2017, 186 (Nr. 30, 32) – [X.]; 2014, 1204 (Nr. 12) – [X.]; [X.], 270 (Nr. 11) – Link economy; [X.] 2009, 952 (Nr. 10) – [X.]). Darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung auch solchen Zeichen keine Unterscheidungskraft zu, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH [X.] 2017, 186 (Nr. 32) – [X.]; [X.] 2014, 1204 (Nr. 12) – [X.]; [X.], 1143 ([X.]) – [X.]; [X.] 2010, 1100 (Nr. 23) – [X.]!; [X.] 2006, 850 (Nr. 28 f.) – FUSSBALL WM 2006).

2. Nach diesen Grundsätzen verfügt das Anmeldezeichen Springsafe über die erforderliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.].

a) Die Markenstelle ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass sich die angemeldete Marke aus den Elementen "Spring" und "safe" zusammensetzt.

Das Element "Spring" ist im [X.] die Imperativform des [X.] "springen". Im [X.] steht es als einfaches Wort des Grundwortschatzes substantivisch für "Frühling". Soweit die Markenstelle daneben die verbische Bedeutung "springen, federn, schnellen, sprießen, quellen" (vgl. die Anlage "www.dict.cc" in der [X.]) ermittelt hat, dürfte diese dem inländischen Verkehr allerdings weniger geläufig sein. [X.] Übersetzungen des [X.] Verbs "springen" ins [X.] sind vielmehr "to jump" oder "to bounce".

Das zum [X.] Grundwortschatz gehörende Wort "safe" bedeutet als Substantiv "Safe, Geldschrank" und als Adjektiv "gefahrlos, sicher" (DUDEN-OXFORD, Großwörterbuch, [X.], [X.] 1990, Stichwort: safe), wobei dem inländischen Verkehr auch die im vorliegenden [X.] alleine naheliegende adjektivische Bedeutung geläufig ist (vgl. u. a. [X.] PROMA, 29 W (pat) 535/15 – Safe@Work; 30 W (pat) 518/12 – SAFELINK).

b) Ausgehend hiervon wird der angesprochene Verkehr zwar – entgegen den teilweise fernliegenden Ausführungen der Anmelderin – den jeweiligen Sinngehalt der beiden Wortbestandteile verstehen und insoweit auch einen beschreibenden Bezug zu den beanspruchten Waren in dem Sinne herstellen, dass diese ein sicheres, gefahrloses Springen, etwa auf einem Trampolin, ermöglichen. Dies allein reicht aber nicht aus, um der angemeldeten Bezeichnung die Schutzfähigkeit abzusprechen. Das Vorliegen des Schutzhindernisses bemisst sich nämlich nicht nur danach, ob etwaige Wortbestandteile für sich betrachtet unterscheidungskräftig sind; entscheidend ist vielmehr, ob dem durch die Verbindung der Bestandteile entstandenen [X.] die Eignung zur betrieblichen Herkunftskennzeichnung fehlt (vgl. [X.] [X.] 2004, 674 ([X.]9) – Postkantoor; [X.] 2004, 680 (Nr. 40) – [X.]; [X.] 2010, 534 ([X.]) – [X.]; BGH [X.], 270 (Nr. 16) – Link economy; [X.] 2014, 1204 (Nr. 16) – Düsseldorf Congress; [X.] 2017, 186 (Nr. 30) – [X.]; siehe auch m. w. N. Ströbele/Hacker/ Thiering, [X.], 12. Aufl., § 8 Rn. 201, 217-218). Insoweit ist anerkannt, dass ein beschreibender Sinngehalt eines Markenwortes im Einzelfall durch eine hinreichend fantasievolle Wortbildung so weit überlagert sein kann, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abzusprechen ist (vgl. z. B. BGH [X.] 2017, 520 (Nr. 49) – [X.]; [X.] 1995, 408, 409 – [X.]; [X.] PROMA 30 W (pat) 23/10 – [X.]; BPatG [X.] 1997, 639, 640 – [X.]). Dabei kann eine die bloße Summenwirkung der beschreibenden Einzelbestandteile übersteigende und damit schutzbegründende Wirkung vor allem in syntaktischer oder semantischer Art durch eine besondere sprachliche Ausgestaltung oder durch die Ungewöhnlichkeit der Kombination erzielt werden (vgl. m. w. N. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 219).

So liegt der Fall hier. Bei dem [X.] Springsafe handelt es sich, wie die Anmelderin mit Recht vorbringt, um ein weder im [X.] noch im [X.] vorhandenes Fantasie- und Kunstwort mit eigenschöpferischem Gehalt, dem auch bei bestehenden beschreibenden Anklängen nicht jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] versagt werden kann (vgl. BGH [X.] 2017, 520 (Nr. 49) – [X.]).

Der angesprochene Verkehr wird innerhalb des [X.]s das Element "Spring" nicht naheliegend als [X.] Wort auffassen; die substantivische Übersetzung "Frühling" ist dem Verkehr zwar bekannt, ergibt im vorliegenden [X.] aber keinen Sinn. Eine Kenntnis der verbischen Bedeutung ("to spring") kann aus den dargelegten Gründen nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

Ausgehend hiervon wird der inländische Verkehr das Zeichenelement naheliegend als Imperativform des [X.] Wortes "springen" verstehen. Dann aber kombiniert das Anmeldezeichen den [X.] Imperativ "Spring" sprachregelwidrig mit dem [X.] Begriff "safe", was einen ungewöhnlichen Gesamteindruck bewirkt. Deshalb wirkt das Anmeldezeichen in seiner Gesamtheit aus sich heraus noch hinreichend originell und individualisierend, so dass ihm die notwendige Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden kann.

3. Im Hinblick auf ihre fantasievolle Wortbildung unterliegt die angemeldete Marke auch keinem Freihaltebedürfnis im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

4. Die Beschwerde hat daher Erfolg.

B. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 71 Abs. 3 [X.] ist dagegen unbegründet.

Die Rückzahlung ist nur anzuordnen, wenn die Einbehaltung der Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und bei Abwägung der Interessen des Beschwerdeführers einerseits und der Staatskasse andererseits unbillig wäre. Billigkeitsgründe für die Rückzahlung können sich aus Verfahrensfehlern oder einer völlig unvertretbaren Rechtsanwendung ergeben (vgl. u. a. BPatG 30 W (pat) 20/08 – [X.] und Silber; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 71 Rn. 51, 53 mwN). Die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts rechtfertigt die Rückzahlung an sich noch nicht. Diese kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsanwendung als völlig unvertretbar erscheint, z. B. weil eindeutige gesetzliche Vorschriften oder eine gefestigte [X.] bzw. eine ständige Rechtsprechung unbeachtet geblieben sind (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 71 Rn. 53 mwN). Anhaltspunkte für eine derart fehlerhafte Sachbehandlung vor dem Patentamt ergeben sich nicht. Auch die Beschwerdeführerin zeigt solche nicht auf.

Meta

30 W (pat) 525/19

05.11.2020

Bundespatentgericht 30. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG, § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 05.11.2020, Az. 30 W (pat) 525/19 (REWIS RS 2020, 241)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 241

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