Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2014, Az. X K 12/12

10. Senat | REWIS RS 2014, 3406

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Gegenstand

Anspruchspräklusion bei verspäteter Verzögerungsrüge in Übergangsfällen


Leitsatz

1. NV: Eine Verzögerungsrüge ist "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG, wenn sie innerhalb von drei Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes erhoben ist (Bestätigung der Rechtsprechung) .

2. NV: Ist die Verzögerungsrüge entgegen Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht fristgerecht erhoben, so sind alle Ansprüche zum Rügezeitpunkt präkludiert (Anschluss an die Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 10. April 2014 III ZR 335/13, NJW 2014, 1967) .

Tatbestand

1

I. Die Kläger begehren Entschädigung nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) von 7.100 €, mindestens aber 5.600 € für ein nach ihrer Ansicht überlanges Verfahren, das vor dem [X.] ([X.]) geführt wurde.

2

Streitig in diesem Verfahren war, wie der Kaufpreis einer historischen Immobilie auf Grund und Boden bzw. Gebäude aufzuteilen und wie folglich die Absetzung für Abnutzung (AfA) für das Gebäude zu berechnen war. Das [X.] ([X.]) nahm zunächst die Aufteilung im Schätzungswege vor. In der Folgezeit legten sowohl die Kläger als auch das [X.] Wertgutachten vor. Die Ende 2003 eingegangene Klage wies das [X.] mit Urteil vom 28. Juni 2006  5 K 604/03 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1747) ab. Auf die Revision der Kläger hob der [X.] ([X.]) mit Urteil vom 29. Mai 2008 IX R 36/06 ([X.]/NV 2008, 1668) das [X.]-Urteil auf und verwies die Sache zur Überprüfung der Angemessenheit der Werte an das [X.] zurück. Im zweiten Rechtsgang (5 K 3417/08) holte das [X.] ein Sachverständigengutachten ein, über dessen inhaltliche Bewertung die Beteiligten uneins waren.

3

Nach einer am 22. April 2012 erhobenen Verzögerungsrüge machte sich das [X.] zunächst über die aktuellen [X.] kundig und holte dann mit Verfügung vom 26. April 2012 eine Stellungnahme des Sachverständigen ein. Der Sachverständige reichte diese am 12. Juni 2012 beim [X.] ein. Tags darauf übermittelte das [X.] das Gutachten an die Beteiligten zu etwaiger Stellungnahme, stimmte in einem Telefonat vom 26. Juli 2012 einen Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Kläger ab und lud --absprachegemäß-- mit Verfügung vom 1. August 2012 auf den 25. September 2012. Am 17. September 2012 sandte das [X.] die von dem Berichterstatter gefertigte Darstellung des wesentlichen Inhalts der Akten und am 24. September 2012 Übersichtskarten mit fortgeschriebenen Bodenrichtwerten, die die Bewertungsstelle des [X.] vorgelegt hatte.

4

In der mündlichen Verhandlung am 25. September 2012 protokollierte das [X.] eine tatsächliche Verständigung ([X.] von 910 DM im Streitjahr 2001) sowie Erledigungserklärungen aller Beteiligten.

5

Mit Verfügung vom 4. Oktober 2012 teilte das [X.] mit, wie es über die Kosten zu entscheiden erwäge. Der Kläger erwiderte mit Schreiben vom 9. Oktober 2012, er sei nicht einverstanden, das [X.] am 12. Oktober 2012, es sei einverstanden. Mit Beschluss vom 23. Oktober 2012 traf das [X.] nach § 138 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) die angekündigte Kostenentscheidung, begründete diese auch unter Bezugnahme auf die Einwendungen der Kläger und übersandte diese am 25. Oktober 2012 den Beteiligten. Mit Schriftsatz vom 1. November 2012 widersprachen die Kläger der tatsächlichen Verständigung, beantragten ein Urteil und die Zulassung der Revision. Mit Verfügung vom 6. November 2012 bat das [X.] um Mitteilung, ob hierin ein Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens zu sehen sei, mit dem die Unwirksamkeit der Erledigungserklärungen geltend gemacht werde. Der Kläger bestätigte dies am 18. November 2012. Mit Verfügung vom 20. November 2012 lud das [X.] erneut zur mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 2012 und stellte mit Urteil von diesem Tage fest, die Beteiligten hätten wirksame übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben. Gegen die Nichtzulassung der Revision haben die Kläger Beschwerde eingelegt, die der [X.] mittlerweile zurückgewiesen hat (IX B 20/13, nicht dokumentiert).

6

In ihrer am 31. Oktober 2012 erhobenen [X.] vertreten die Kläger die Auffassung, sie hätten fristgerecht Verzögerungsrüge erhoben. Die Verfahrensdauer sei mit insgesamt 83 Monaten (31 Monate im ersten Rechtsgang, 52 Monate im zweiten Rechtsgang) nach den Maßstäben der Rechtsprechung des [X.] unangemessen lang gewesen. Hiervon seien wenigstens 56 Monate, bei einer angenommenen angemessenen Verfahrensdauer von zwölf Monaten pro Instanz sogar 71 Monate als entschädigungsrelevante Verzögerung zu betrachten.

7

Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger eine Entschädigung von 7.100 €, mindestens jedoch 5.600 € zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

9

Er hält die Klage für unzulässig, da die Kläger die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich innerhalb von zwei Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren --ÜberlVfRSchG-- ([X.], 2302) erhoben hätten. Jedenfalls aber sei die Klage unbegründet, da die Verfahrensdauer vor allem angesichts der Schwierigkeit des Verfahrens nicht unangemessen gewesen sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Kläger haben entgegen Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG die [X.] nicht unverzüglich erhoben (1.). Damit sind alle etwaigen Ansprüche bis zum Rügezeitpunkt präkludiert (2.). Nach dem Rügezeitpunkt ist keine unangemessene Verzögerung eingetreten (3.).

1. Art. 1 ÜberlVfRSchG hat dem [X.] den Siebzehnten Titel mit den §§ 198 bis 201 [X.] angefügt. Nach der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist dieses Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 [X.] vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer [X.] mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die [X.] einen Anspruch nach § 198 [X.] auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

Wie der Senat in seinem Urteil vom 7. November 2013 [X.] ([X.], 126, [X.], 179, unter [X.]) bereits entschieden hat, ist aufgrund der gebotenen normspezifischen Auslegung der Vorschrift der Begriff "unverzüglich" als Frist von drei Monaten zu verstehen. Der [X.] ([X.]) hat sich dieser Auffassung mit Urteil vom 10. April 2014 III ZR 335/13 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 1967, unter [X.] der Entscheidungsgründe) angeschlossen.

Diese Frist hat die erst im April 2012 erhobene [X.] nicht mehr gewahrt.

2. Mangels fristgerechter [X.] steht den Klägern bis zum Rügezeitpunkt weder ein Anspruch auf Entschädigung in Geld nach § 198 Abs. 2 Satz 2 [X.] noch ein Anspruch auf Feststellung nach § 198 Abs. 4 Satz 1 [X.] zu. Die Frage, ob das Verfahren vor dem [X.] bis zu jenem Zeitpunkt bereits unangemessen i.S. des § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] war, bedarf daher keiner Beantwortung.

Zwar hatte der Senat mit Urteil vom 17. April 2013 [X.] ([X.], 516, [X.], 547, Leitsatz 3 sowie unter [X.]) entschieden, dass die Feststellung unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 Satz 1 [X.] auch dann möglich sei, wenn die [X.] fehlt oder --hier einschlägig-- in den Übergangsfällen des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht rechtzeitig erhoben wurde. Indes hat zwischenzeitlich der [X.] in NJW 2014, 1967 (Leitsatz 2 sowie unter II.1.d sowie II.2. der Entscheidungsgründe) erkannt, dass bei nicht unverzüglicher [X.] Ansprüche sowohl auf Entschädigung in Geld nach § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] als auch auf Feststellung unangemessener Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 [X.] bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert sind. Mit Rücksicht auf diese Entscheidung und zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des [X.] schließt sich der erkennende Senat der Auffassung des [X.] an und hält an seiner vormaligen Rechtsansicht im Anwendungsbereich des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht mehr fest.

3. Nach dem Rügezeitpunkt hat das [X.] das Verfahren ohne Verzug dem Abschluss zugeführt, so dass ein Entschädigungsanspruch gleich welcher Art bereits dem Grunde nach nicht besteht. Das [X.] hat in diesem Stadium alle Verfahrenshandlungen nahezu an dem Tag getroffen, an dem sie veranlasst und möglich waren.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

X K 12/12

20.08.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 28. Juni 2006, Az: 5 K 604/03, Urteil

§ 198 GVG, Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 3 ÜberlVfRSchG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2014, Az. X K 12/12 (REWIS RS 2014, 3406)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3406

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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