Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2014, Az. X K 9/13

10. Senat | REWIS RS 2014, 3415

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Gegenstand

Unangemessene Verfahrensdauer bei 77-monatiger Dauer des finanzgerichtlichen Klageverfahrens; Präklusionswirkung der nicht "unverzüglich" erhobenen Verzögerungsrüge bei Altfällen; Vererblichkeit der Entschädigung


Leitsatz

1. Bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, dessen Schwierigkeit schon als überdurchschnittlich anzusehen ist und bei dem das FG trotz wiederholter Sachstandsanfragen und Erhebung einer Verzögerungsrüge erst rund sechs Jahre nach Klageeingang mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, ist von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen .

2. Eine nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhobene Verzögerungsrüge präkludiert sowohl einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG als auch die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG (Anschluss an die Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 10. April 2014 III ZR 335/13, NJW 2014, 1967) .

3. Die Regelung des § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG, die die Nichtübertragbarkeit der Entschädigung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Klage regelt, betrifft nicht die Vererblichkeit des Anspruchs .

Tatbestand

1

A. Die Klägerin begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) [X.]ntschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 10. November 2006 (Klageeingang beim Finanzamt --[X.]--) bis zum 26. März 2013 (Zustellung des Urteils) vor dem [X.] ([X.]) anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der im Klageverfahren verstorbene [X.]hemann ([X.]) der Klägerin war als Bürgermeister einer Stadt im Jahre 1987 wegen versuchter umweltgefährdender Abfallbeseitigung angeklagt worden. [X.]r wurde [X.]nde 1996 durch ein Urteil des zuständigen [X.] verwarnt und mit einer Geldbuße in Höhe von 3.000 DM belegt. Nach seiner Verurteilung legte er wegen der langen Verfahrensdauer zunächst Verfassungsbeschwerde beim [X.] ([X.]) und anschließend Beschwerde beim [X.] ([X.]) ein. [X.] entschied der [X.], neun Verhandlungsjahre seien im Vergleich zum Strafmaß nicht zu rechtfertigen und stellten folglich einen Verstoß gegen Art. 6 § 1 der [X.] zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten dar. [X.] wurde deshalb neben einem Betrag von 10.000 DM für immaterielle Schäden ein Betrag von weiteren 15.000 DM für Auslagen und Gerichtskosten zugesprochen.

3

Für die Vertretung im Verfahren vor dem [X.] entstanden Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen in Höhe von 28.681 DM und im Verfahren vor dem [X.] solche in Höhe von 20.050,72 DM, wovon 12.518,72 [X.] in Rechnung gestellt und bezahlt wurden.

4

Die Klägerin und der mit ihr zusammen zur [X.]inkommensteuer veranlagte [X.] machten unter Anrechnung des vom [X.] ausgeurteilten Betrages von 15.000 DM die Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen in ihrer [X.]inkommensteuererklärung für das [X.] geltend. Das [X.] erkannte diese Aufwendungen weder als außergewöhnliche Belastungen noch als Werbungskosten bei den [X.]inkünften aus nichtselbständiger Arbeit des [X.] an.

5

Nach erfolglosem Vorverfahren reichten die Klägerin und [X.] die Klageschrift am 10. November 2006 beim [X.] ein, die an das [X.] weitergeleitet wurde. Bis zum 19. Februar 2008 wurden Schriftsätze der Beteiligten ausgetauscht.

6

Am 5. November 2008 bat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin um Mitteilung, wann mit einem Fortgang des Verfahrens zu rechnen sei. Der Berichterstatter verfügte unter Verwendung eines entsprechenden Formulars, dass aufgrund zahlreicher vorrangig zu bearbeitender anderer Streitsachen derzeit leider noch nicht absehbar sei, wann im Ausgangsverfahren eine [X.]ntscheidung anstehe. [X.]ine erneute Sachstandsanfrage der Prozessbevollmächtigten vom 8. Dezember 2009 wurde entsprechend formularmäßig beantwortet.

7

Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2010 verzichteten die Klägerin und [X.] aufgrund eines Telefonats ihres Prozessbevollmächtigten mit dem Berichterstatter des [X.] vom gleichen Tag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Am 12. Oktober 2010 ging die Verzichtserklärung des [X.] beim [X.] ein, die dem Prozessbevollmächtigten am 13. Oktober 2010 übersandt wurde.

8

Mit Schreiben vom 18. Juli 2011 wies das [X.] die Beteiligten auf die geänderte Rechtsprechung des [X.]. Senats des [X.] ([X.]) zur Abziehbarkeit von [X.] als außergewöhnliche Belastungen hin. Der sich hieran anschließende Schriftwechsel der Beteiligten endete mit Übersendung des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten vom 31. Oktober 2011 an das [X.] am 8. November 2011.

9

Mit Schreiben vom 22. November 2011 erhoben die Klägerin und [X.] "vorsorglich die [X.] (§ 198 Abs. 3 [X.])". Gleichzeitig übersandten sie eine Kopie des Beschlusses des [X.] vom 13. Februar 1997  2 BvR 135/97, den das [X.] bereits mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 angefordert hatte. Am 6. Dezember 2011 ergänzten die Prozessbevollmächtigten ihre bisherigen Stellungnahmen.

Am 4. Juni 2012, beim [X.] eingegangen am 6. Juni 2012, wiederholten die Prozessbevollmächtigten ihre "bereits geltend gemachte [X.]" und erkundigten sich am 14. Dezember 2012 beim [X.] erneut nach dem Stand des Verfahrens.

Das [X.] teilte den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 21. Dezember 2012 mit, mit einer [X.]ntscheidung sei voraussichtlich im 1. Quartal 2013 zu rechnen. Mit Urteil vom 19. März 2013, das den Prozessbevollmächtigten am 26. März 2013 zugestellt worden ist, wies das [X.] die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zwischenzeitlich zurückgewiesen worden ([X.]-Beschluss vom 11. Oktober 2013 [X.] B 41/13, nicht veröffentlicht).

Am 3. Mai 2013 haben die Klägerin und [X.] die vorliegende [X.]ntschädigungsklage erhoben. Sie weisen darauf hin, die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Finanzgerichtsverfahren betrage nach einer Statistik des [X.] durchschnittlich 17,5 Monate. Im vorliegenden Verfahren hätten die Klägerin und [X.] gerade unter dem [X.]indruck der zu Gunsten des [X.] ergangenen [X.]ntscheidung des [X.] und des hohen Alters der Kläger eine zügige [X.]ntscheidung erwarten können.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, ihr, auch als Alleinerbin des verstorbenen [X.], wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen [X.] 12 K 3431/06 eine [X.]ntschädigung in Höhe von 8.400 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Verfahren habe zwar insgesamt fünf Jahre und vier Monate keine Förderung durch das Gericht erfahren. Allerdings sei die [X.] nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen [X.]rmittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) erhoben worden. Relevant sei allein die am 6. Juni 2012 beim [X.] eingegangene [X.]. Somit sei die [X.] vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 ohne Belang. [X.]. könne eine Rückwirkung dieser [X.] bis zum Inkrafttreten angenommen werden. Deswegen komme allenfalls eine [X.]ntschädigung in Höhe von 1.200 € für die neun Monate ab Zugang der [X.] am 6. Juni 2012 und die Hälfte der sechs Monate bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG in Frage.

Entscheidungsgründe

B. [X.]ie zulässige Klage ist teilweise begründet.

I.

[X.]ie Klage ist zulässig, da sie mehr als sechs Monate nach der (letzten) [X.] vom 4. Juni 2012, aber noch vor Rechtskraft der finanzgerichtlichen [X.]ntscheidung (§ 198 Abs. 5 Satz 2 GVG) erhoben worden ist. [X.]as Urteil wurde mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 Abs. 5 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) mit Beschluss vom 11. Oktober 2013 rechtskräftig.

II.

[X.]ie [X.]auer des [X.] war unangemessen. Soweit diese unangemessene [X.]auer des [X.] den Zeitraum vor [X.]rhebung der [X.] vom 4. Juni 2012 betrifft, kann weder eine [X.]ntschädigung in Geld noch die Feststellung der Unangemessenheit ausgesprochen werden, da es an der nach Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nötigen unverzüglichen Rügeerhebung fehlt (dazu unter 1.). Für den Zeitraum ab der Rügeerhebung vom 4. Juni 2012 steht der Klägerin auch als Alleinerbin ihres verstorbenen [X.]hemanns ein [X.]ntschädigungsanspruch in Höhe von 1.200 € zu (dazu unter 3.).

1. Für den Zeitraum bis zur [X.]rhebung der [X.] vom 4. Juni 2012 steht der Klägerin --auch als Alleinerbin des [X.]-- weder ein [X.]ntschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG noch eine Feststellung der überlangen Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu, da eine unverzüglich i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhobene Rüge nicht vorliegt. [X.]iese Ansprüche sind deshalb präkludiert.

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. [X.]ezember 2011) bereits anhängig waren. Für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG bereits verzögert waren, gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die [X.] "unverzüglich" nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). Weder die Rüge vom 22. November 2011 (unter aa) noch die vom 4. Juni 2012 erhobene Rüge (unter bb) werden dieser Voraussetzung gerecht. [X.]er [X.] kann demzufolge eine [X.]ntschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG für den Zeitraum bis zum 6. Juni 2012 (unter [X.]) nicht aussprechen.

aa) [X.]ie am 22. November 2011 erhobene "vorsorgliche [X.]" kann nicht als [X.] i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- noch nicht in [X.] getreten. [X.]as genannte Gesetz ist am Tag nach seiner Verkündung --d.h. am 3. [X.]ezember 2011-- in [X.] getreten. [X.]ine bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes erhobene [X.] erfüllt diese Voraussetzung nicht (so auch [X.]surteil vom 7. November 2013 [X.], [X.], 126, [X.], 179, unter [X.]).

bb) [X.]ie [X.] vom 4. Juni 2012 wurde nicht mehr "unverzüglich nach Inkrafttreten" i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhoben.

[X.]er [X.] hat bereits entschieden, dass im Rahmen der gebotenen normspezifischen Auslegung des in Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG verwendeten Begriffs "unverzüglich" ein Zeitraum von drei Monaten als sachgerecht anzusehen ist (so schon [X.]surteil in [X.], 126, [X.], 179, unter [X.]; insoweit folgend auch Urteil des [X.] --[X.]-- vom 10. April 2014 III ZR 335/13, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 1967; ebenso [X.] vom 17. Juli 2014 III ZR 228/13, NJW 2014, 2588). [X.]ieser Zeitraum ist vorliegend überschritten.

b) Folge der nicht "unverzüglich nach Inkrafttreten erhobenen" [X.] ist nach Ansicht des [X.]s, dass zunächst die Zuerkennung einer Geldentschädigung vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG entfällt (vgl. [X.]surteil in [X.], 126, [X.], 179, unter [X.]). Nach Ansicht des [X.] in NJW 2014, 1967, unter [X.] aa soll darüber hinaus ein solcher Anspruch nach § 198 GVG für den Zeitraum, der vom Inkrafttreten bis zur [X.]rhebung einer solchen [X.] verstrichen ist, ausgeschlossen sein; dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss aus Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG. Mit Rücksicht auf diese [X.]ntscheidung und zur Wahrung der [X.]inheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des [X.] schließt sich der [X.] dieser Rechtsansicht an und hält an seiner im [X.]surteil vom 17. April 2013 [X.] ([X.], 516, [X.], 547) geäußerten Rechtsansicht im Anwendungsbereich des Art. 23 ÜberlVfRSchG nicht weiter fest.

Folglich ist hier eine ggf. vorliegende Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer für die Zeit vor der [X.]rhebung der [X.] vom 4. Juni 2012 nicht möglich.

2. Bezogen auf den Zeitraum ab [X.]rhebung der [X.] war die [X.]auer des [X.] unangemessen. [X.]ie Verzögerung beläuft sich auf sechs Monate.

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des [X.]inzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der [X.]en und [X.]ritter. [X.]iese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des [X.] und des [X.] (vgl. hierzu und zum Begriff der Angemessenheit im Finanzgerichtsverfahren ausführlich [X.]surteil in [X.], 126, [X.], 179, unter II.2.).

b) Nach diesen Grundsätzen ist das Ausgangsverfahren für den Zeitraum nach [X.]rhebung der [X.] um sechs Monate in unangemessener Weise verzögert worden.

aa) [X.]ie Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

[X.] war als eher überdurchschnittlich anzusehen. [X.]inerseits waren Aufwendungen im Zusammenhang mit Rechtsanwaltskosten bei einem Verfahren vor dem [X.] zu beurteilen, für die eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vorlag. Zum anderen befand sich die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen, wenn auch den Zivilprozess betreffend, im Fluss.

[X.]ie Bedeutung des [X.] war für die Klägerin und [X.] erheblich. Zum einen waren beide [X.]heleute bei Klageerhebung im Ausgangsverfahren hoch betagt und zum anderen hatten sie bereits ein Verfahren vor dem [X.] wegen eines überlangen Strafverfahrens anstrengen müssen. Verständlicherweise war ihr Wunsch nach endgültiger Klärung der Streitigkeiten groß, zu denen aus ihrer Sicht auch der [X.] um die Anerkennung der Rechtsanwaltsgebühren als Annex zu dem vorangegangenen Strafverfahren und den Verfahren vor dem [X.] und dem [X.] zu zählen ist.

bb) [X.]ie Würdigung, dass die Verfahrensdauer in Bezug auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach [X.]rhebung der [X.] vom 4. Juni 2012 unangemessen ist, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

Im Juni 2012 hatte das Ausgangsverfahren bereits fünfeinhalb Jahre gedauert. Faktisch hat es bis zu diesem Zeitpunkt geruht und wurde --trotz der [X.] am 4. Juni 2012-- erst dadurch aufgenommen, dass das [X.] im [X.]ezember 2012 eine [X.]ntscheidung im 1. Quartal 2013 in Aussicht stellte. [X.]emgemäß ist im Zeitraum von Juni 2012 bis November 2012 (insgesamt sechs Monate) eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens eingetreten.

3. Für die Verzögerung des Verfahrens von der [X.]rhebung der [X.] vom 4. Juni 2012 bis zum November 2012 ist der Klägerin eine [X.]ntschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 1.200 € zuzusprechen.

a) [X.]as [X.]ntstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet (vgl. auch [X.]surteil in [X.], 516, [X.], 547, unter III.6.a).

b) [X.]ine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG wäre im Streitfall für die unangemessenen Verzögerungszeiträume ab Inkrafttreten des Gesetzes nicht ausreichend. [X.]afür spricht vor allem, dass das [X.] auf die zahlreichen Versuche der Klägerin und des [X.], es zu einer [X.]ntscheidung innerhalb angemessener Frist zu bewegen, gar nicht reagiert und ihnen nicht einmal einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat, ab dem mit einer Verfahrensförderung zu rechnen sei. In diesem Fall ist offensichtlich, dass die Klägerin und [X.] aus nachvollziehbaren Gründen an einer zügigen [X.]ntscheidung interessiert und infolgedessen von der Verfahrensverzögerung in stärkerem Maße betroffen waren.

c) Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich weder aus dem hohen Alter der Klägerin und des [X.] noch daraus, dass dieses Ausgangsverfahren seinen Ursprung in einem erfolgreichen Verfahren vor dem [X.] hatte.

Auch wenn im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, kann dieser im konkreten Fall nach Monaten bemessen werden (ebenso bereits [X.]surteil in [X.], 126, [X.], 179).

d) [X.]er Klägerin ist für den erlittenen immateriellen Nachteil für sich und [X.] jeweils ein [X.]ntschädigungsbetrag von 600 € zu zahlen.

aa) [X.]er Anspruch auf [X.]ntschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. [X.]ies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. [X.]r ist als ein [X.] konzipiert und steht dementsprechend jeder Person zu, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist (weiterführend: Urteil des [X.]verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014  5 [X.] 1/13 [X.], [X.] 300 § 198 GVG Nr. 3). [X.] waren bei Klageerhebung die Klägerin und ihr während des Klageverfahrens verstorbener [X.]hemann, als dessen Alleinerbin die Klägerin das Klageverfahren fortführt.

bb) [X.]er [X.]ntschädigungsanspruch des [X.] ist vererblich, entspricht die [X.]ntschädigung doch einem Schadensersatzanspruch für immaterielle Schäden (zur Vererblichkeit eines solchen Anspruchs vgl. nur [X.]/[X.], § 253 BGB Rz 22, m.w.N.).

[X.]iese Vererblichkeit wird auch nicht durch die Regelung in § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ausgeschlossen (so auch [X.]/ Lückemann, ZPO, 30. Aufl., § 198 GVG, Rz 11, unter Hinweis auf [X.]/[X.], Rz 267). Zwar bestimmt diese Vorschrift, dass "bis zur rechtskräftigen [X.]ntscheidung über die Klage (...) der Anspruch nicht übertragbar (ist)". [X.]iese Vorschrift, die § 13 Abs. 2 des Gesetzes über die [X.]ntschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nachgebildet worden ist, soll jedoch allein die Pfändbarkeit nach § 851 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und damit den Handel mit dem Anspruch verhindern (vgl. BT[X.]rucks 17/3802, 36).

4. [X.]er Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

5. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O.

[X.]ie Klägerin und [X.] haben eine [X.]ntschädigung in Höhe von 8.400 € beantragt.

[X.]er Klägerin ist --auch als Alleinerbin des [X.]-- eine [X.]ntschädigung in Höhe von 1.200 € zuzusprechen, so dass sie zu 1.200/8.400, also zu 1/7 obsiegt hat.

6. Mit [X.]inverständnis der Beteiligten (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 155 Satz 2 [X.]O) hat der erkennende [X.] ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Meta

X K 9/13

20.08.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 19. März 2013, Az: 12 K 3431/06, Urteil

§ 198 GVG, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG, § 198 Abs 1 S 2 GVG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 2 S 2 GVG, § 198 Abs 4 S 1 GVG, § 198 Abs 3 GVG, Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 3 ÜberlVfRSchG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.08.2014, Az. X K 9/13 (REWIS RS 2014, 3415)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3415

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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