Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2014, Az. III ZR 335/13

3. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6370

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Gegenstand

Entschädigung für eine unangemessene Verfahrensdauer in einem Arzthaftungsprozess: Unverzüglichkeit der Verzögerungsrüge in einem Übergangsfall; Entschädigungsanspruch bei verspäteter Verzögerungsrüge; Ausschluss einer Entschädigung bei geringfügigen Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten


Leitsatz

1. Zur Unverzüglichkeit einer Verzögerungsrüge in einem Verfahren, das bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) bereits verzögert war.

2. Wird die Verzögerungsrüge gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG nicht unverzüglich erhoben, besteht ein Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG erst vom Rügezeitpunkt an (Umkehrschluss aus Art. 23 Satz 3 ÜGRG).

3. Geringfügige Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten, die gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht entscheidend ins Gewicht fallen, sind grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 10. Juli 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Arzthaftungsprozesses geltend.

2

In dem noch nicht abgeschlossenen Ausgangsverfahren nimmt der Kläger mit seiner am 20. Dezember 2006 beim [X.] eingereichten Klage einen Arzt auf [X.] in Höhe von 15.000 € sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden im Zusammenhang mit einer am 29. April 2004 durchgeführten Knieoperation in Anspruch.

3

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschloss das [X.] am 20. November 2007 die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der beauftragte Sachverständige [X.]erstellte sein Gutachten unter dem 16. Dezember 2008 und ergänzte es mit Stellungnahme vom 18. Juni 2010 im Hinblick auf Fragen und Einwände des beklagten Arztes. Widersprüche zwischen dem gerichtlichen Gutachten und einem außergerichtlich erstellten Gutachten führten dazu, dass das [X.] mit Beweisbeschluss vom 23. Dezember 2010 ein Obergutachten in Auftrag gab, dessen Fertigstellung der neue Sachverständige Prof. Dr. G.    bis Ende März 2011 in Aussicht stellte.

4

Auf Sachstandsanfrage des [X.]s vom 23. Mai 2011 beanstandete der Sachverständige das Fehlen der dem Erstgutachter überlassenen Röntgenbilder, obwohl sich diese - wie sich später herausstellte - in der bereits am 26. Januar 2011 übersandten Gerichtsakte befanden. Für die folgenden sechs Monate sind keine prozessleitenden Anordnungen des Gerichts dokumentiert. Die Nachforschungen der Geschäftsstelle nach dem Verbleib der Röntgenbilder blieben erfolglos. Zudem ging das umfangreiche Post enthaltende Aktenretent verloren. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 teilte das [X.] dem Sachverständigen Prof. Dr. G.    mit, dass eine Nachfrage bei den Parteien und bei [X.]ergeben habe, dass Röntgenbilder dort nicht vorhanden seien, und bat ihn zugleich um erneute Prüfung, ob die Röntgenbilder seinerzeit mit der Gerichtsakte übersandt worden seien. Der Sachverständige reagierte nicht. Sachstandsanfragen des Klägers an das [X.] vom 28. Februar, 25. Mai und 12. Juli 2012 blieben unbeantwortet. Mit [X.] vom 7. August 2012 erhob der Kläger "Verzögerungsrüge gemäß § 198 [X.]". Nachdem das [X.] den Sachverständigen daraufhin unter dem 22. Oktober 2012 um Rückgabe der Akten gebeten und diese Mitte November 2012 erhalten hatte, teilte es dem Kläger mit Schreiben vom 24. Januar 2013 mit, dass die vermissten Röntgenbilder in den Akten aufgefunden worden seien. Gleichzeitig übersandte es die Akten an den Sachverständigen Prof. Dr. G.    mit der Bitte um bevorzugte Bearbeitung.

5

Noch bevor der Sachverständige sein Gutachten unter dem 27. Mai 2013 erstellt hatte, reichte der Kläger am 14. März 2013 die vorliegende Entschädigungsklage beim [X.] ein.

6

Der Kläger hat geltend gemacht, das Verfahren sei bislang um sechs Jahre verzögert, weil der Rechtsstreit bereits seit dem Erstgutachten des Sachverständigen [X.]entscheidungsreif gewesen sei. Die ihm zustehende Entschädigung für immaterielle Nachteile betrage auf der Basis des gesetzlichen Regelsatzes 7.200 €.

7

Das [X.] hat den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile von 900 € verurteilt. Außerdem hat es festgestellt, dass die Verfahrensdauer über den bei der zugesprochenen Entschädigung bereits berücksichtigen Zeitraum hinaus bisher um weitere vier Monate unangemessen war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

8

Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und zur Abweisung der [X.] in vollem Umfang.

I.

Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (im Folgenden: [X.]) vom 24. November 2011 ([X.] I S. 2302) sei die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff [X.] auf den noch beim [X.] anhängigen Rechtsstreit anwendbar. Die [X.] sei als Teilklage zulässig und teilweise begründet. Das Ausgangsverfahren weise bislang eine unangemessene und irreparable Dauer von insgesamt 13 Monaten auf.

In dem [X.]raum von Ende Mai 2011 bis Anfang Dezember 2011 liege eine Verzögerung von vier Monaten vor. Für die (erfolglosen) Nachforschungen bei den Parteien und dem Sachverständigen [X.]nach dem Verbleib der vermeintlich fehlenden Röntgenbilder habe das [X.] rund sechs Monate benötigt, während der hierfür noch als vertretbar anzusehende [X.]rahmen mit zwei Monaten anzusetzen sei.

Der nächste sachgerechte Verfahrensschritt sei mit der gerichtlichen Anfrage bei Prof. Dr. G.     vom 7. Dezember 2011 erfolgt. Das [X.] habe jedoch nicht für eine umgehende Erledigung der Bitte um nochmalige Durchsicht der Akten gesorgt. Vielmehr habe der [X.] erst mehr als zehn Monate später und zweieinhalb Monate nach Erhebung der [X.] die Akten am 22. Oktober 2012 von Prof. Dr. G.     zurückgefordert. Bei sachgerechtem Vorgehen hätte das [X.] den Verbleib der Röntgenbilder bis Ende Januar 2012 klären können. Das Verfahren sei daher in diesem Abschnitt um weitere neun Monate verzögert worden.

Für die Folgezeit sei keine weitere Verzögerung festzustellen. Das [X.] habe sich um eine bevorzugte Erledigung des [X.] bemüht. Dementsprechend habe der Sachverständige das Gutachten bereits im Mai 2013 fertig gestellt.

Die bisher eingetretene Verzögerung von insgesamt 13 Monaten könne bis zum Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens nicht mehr kompensiert werden. Die voraussichtliche Gesamtdauer der ersten Instanz von fast sieben Jahren stelle sich bereits jetzt als unangemessen lang dar.

Hinsichtlich der Verzögerung von vier Monaten, die bis zum Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung am 3. Dezember 2011 erfolgt sei, sei ein Entschädigungsanspruch des [X.] jedoch ausgeschlossen, weil die [X.] nicht unverzüglich im Sinne von Art. 23 Satz 2 [X.] erhoben worden sei. Insoweit sei jedoch nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] die unangemessene Verzögerung des Verfahrens festzustellen.

Für die nach dem Inkrafttreten des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erfolgte Verzögerung von neun Monaten sei die regelmäßige Entschädigung von 100 € je Monat gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 [X.] zuzubilligen. Art. 23 Satz 3 [X.] stehe dem nicht entgegen. Denn diese Vorschrift sei dahin auszulegen, dass das Unterlassen einer unverzüglichen Erhebung der [X.] einen Entschädigungsanspruch nur wegen des [X.]raums ausschließe, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liege. Nach der Begründung des [X.] wahre die unverzüglich nachgeholte [X.] den Anspruch aus § 198 [X.] so, als ob bereits zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] festgelegten [X.]punkt gerügt worden wäre (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Dann aber dürften dem Betroffenen auch umgekehrt aus der Unterlassung der unverzüglichen Rügeerhebung keine weitergehenden Nachteile entstehen, als sie ihm entstanden wären, wenn das Institut der [X.] des § 198 Abs. 3 [X.] bereits früher - als sich das Ausgangsverfahren vor Inkrafttreten des Gesetzes verzögert oder zu verzögern gedroht habe - bestanden hätte. Im Hinblick auf den in § 198 Abs. 3 Satz 2 genannten [X.]punkt ("Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen [X.] abgeschlossen wird") sei jedoch die Verspätung der Rüge grundsätzlich unschädlich, da die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht "bestraft" werden solle (BT-Drucks. 17/3802 S. 21).

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Für den [X.]raum bis zur Erhebung der [X.] am 7. August 2012 steht dem Kläger kein Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 [X.] zu, weil es an einer unverzüglichen Rüge nach Art. 23 Satz 2 [X.] fehlt und in diesem Fall vor dem Rügezeitpunkt liegende Entschädigungsansprüche nach Art. 23 Satz 3 [X.] präkludiert sind.

a) Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff [X.]) nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] auf den Streitfall Anwendung findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 [X.]) bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das am 20. Dezember 2006 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.

b) Die [X.] konnte auch schon während des noch andauernden Ausgangsverfahrens erhoben werden. Aus § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] folgt, dass lediglich die hier unproblematische Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der [X.] gewahrt sein muss. Der Abschluss des Ausgangsverfahrens ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Dadurch hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass der Anspruch auf ein zügiges Verfahren schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verletzt werden kann und insoweit auch ein Entschädigungsanspruch in Betracht kommt (BT-Drucks. 17/3802 S. 22). [X.] handelt es sich bei der Klage während des noch andauernden Ausgangsverfahrens regelmäßig um eine Teilklage, weil Entschädigung nur für einen bestimmten Abschnitt des [X.] verlangt wird ([X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 [X.] Rn. 52, 252). Diese setzt voraus, dass unabhängig vom weiteren Verlauf des Ausgangsverfahrens bereits eine Entscheidung über den Entschädigungsanspruch getroffen werden kann. Dementsprechend müssen die Voraussetzungen eines [X.] nach § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] vollständig erfüllt sein. Eine unangemessene und unumkehrbare Verzögerung des Ausgangsverfahrens sowie endgültig eingetretene Nachteile müssen feststehen. Daneben ist der Betroffene gehalten (haftungsbegründende Obliegenheit), eine [X.] nach § 198 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] wirksam zu erheben (Senatsurteil vom 23. Januar 2014 - [X.], NJW 2014, 939 Rn. 27 ff). Für den frühestmöglichen Rügetermin verlangt das Gesetz einen (konkreten) Anlass zu der Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener [X.] abgeschlossen werden kann.

c) Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] auf Altfälle angewandt, die am 3. Dezember 2011 bereits anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der [X.] durch Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die [X.] unverzüglich erhoben werden. Geschieht dies, so wahrt die Rüge den Anspruch aus § 198 [X.] rückwirkend in vollem Umfang, das heißt so, als ob bereits zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] festgelegten [X.]punkt gerügt worden wäre ([X.] aaO Art. 23 [X.] Rn. 4, 6).

Die [X.] des [X.] vom 7. August 2012 ist nicht unverzüglich nach Inkrafttreten des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhoben worden, obwohl das Verfahren zu diesem [X.]punkt, was das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bereits um vier Monate verzögert war. Es wäre erforderlich gewesen, die Rüge binnen eines [X.]raums von längstens drei Monaten zu erheben.

"Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 [X.] hinaus gilt ([X.]/[X.], [X.], 73. Aufl., § 121 Rn. 3).

Soweit Art. 23 Satz 2 [X.] die unverzügliche Erhebung der [X.] nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein sofortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu können, ob er seine Rechte durch eine [X.] wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121 [X.] herausgebildete Obergrenze von zwei Wochen (dazu [X.]/[X.] aaO) beziehungsweise die zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.] stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar (vgl. BSG, NJW 2014, 253 Rn. 29; [X.], BeckRS 2013, 96642 Rn. 33, 35, 39, 42; [X.], NJW 2013, 2209, 2210; NJW 2013, 3109, 3110; [X.], BeckRS 2013, 07833). Bei der Bemessung der gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch die Einräumung eines [X.] gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 [X.]) gerecht wird (BT-Drucks. 17/3802 S. 15). Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 [X.]). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Begriff der "Unverzüglichkeit" in Art. 23 Satz 2 [X.] weit zu verstehen. Eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes nur schwer vereinbar. Der erkennende Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] (aaO Rn. 46) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 [X.] zu entsprechen, aber auch für ausreichend, damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist.

Diese großzügig bemessene Frist hat der Kläger mit seiner am 7. August 2012 eingegangenen [X.] deutlich verfehlt.

d) Entgegen der Auffassung des [X.]s führt die gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] verspätete [X.] dazu, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer nicht nur bis zum Inkrafttreten des Gesetzes, sondern bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert sind. Der Kläger kann deshalb für die vom [X.] bis zum 7. August 2012 angenommene Verzögerung von elf Monaten (vier Monate bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 und weitere sieben Monate bis zur Erhebung der [X.]) keine Entschädigung verlangen.

Für dieses Ergebnis sprechen sowohl der Wortlaut und die Systematik des Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] als auch die Gesetzgebungsgeschichte sowie der Zweck der Regelung.

aa) Gemäß Art. 23 Satz 2 [X.] muss die [X.] unter den dort genannten Voraussetzungen "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben" werden. Daran anknüpfend bestimmt Art. 23 Satz 3 [X.], dass in diesem Fall die [X.] einen Anspruch nach § 198 [X.] auch für den "vorausgehenden [X.]raum" wahrt. Damit ist ersichtlich der [X.]raum gemeint, der bis zur Erhebung der [X.] verstrichen ist. Die Revision macht zu Recht geltend, dass sich der Satzbestandteil des "vorausgehenden [X.]raums" nach Wortlaut und Stellung unmittelbar auf die "Erhebung der [X.]" bezieht. Im Umkehrschluss folgt aus Art. 23 Satz 3 [X.], dass bei verspäteter Rüge Entschädigungsansprüche nach § 198 [X.] erst vom Rügezeitpunkt an entstehen können und für die [X.] davor Präklusion eintritt. Dieses Verständnis der Regelung entspricht auch der wohl einhelligen Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur (vgl. nur [X.], NJW 2013, 2209, 2210 und NJW 2013, 3109, 3110 mit eindeutigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen und lediglich missverständlich gefassten Leitsätzen; [X.], BeckRS 2013, 07833; [X.], BeckRS 2013, 72538 und BeckRS 2013, 72539; [X.], [X.], 1147; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 196 und Art. 23 [X.] Rn. 6).

bb) Soweit das [X.] darauf abstellen will, dass im Falle des § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] eine Verspätung der Rüge grundsätzlich nicht relevant sei (dazu [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 194 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 35 u. 41) und im Anwendungsbereich des Art. 23 Satz 3 [X.] nichts anderes gelten könne, wird außer [X.] gelassen, dass beide Vorschriften unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben und sich nach Sinn und Zweck grundlegend unterscheiden.

§ 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] regelt den [X.]punkt, zu dem die [X.] frühestens wirksam erhoben werden kann. Maßgeblich ist danach der Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in angemessener [X.] abgeschlossen wird ([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 186, 188). Die [X.] muss lediglich im laufenden Ausgangsverfahren erhoben werden, ohne dass ein Endtermin bestimmt und damit eine Frist für die Rüge festgelegt wird. Da nach dem Willen des Gesetzgebers die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll (BT-Drucks. 17/3802 S. 21, 41), ist es nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] grundsätzlich unerheblich, wann die Rüge nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] bestimmten [X.]punkt eingelegt wird. Dadurch soll das gesetzgeberische Ziel, keinen Anreiz für verfrühte [X.] zu schaffen, verwirklicht werden ([X.] in [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 [X.] Rn. 135; [X.] aaO § 198 [X.] Rn.194).

Davon abweichend ist Anknüpfungspunkt für die Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] der spätestmögliche [X.]punkt, zu dem eine [X.] erhoben werden muss ([X.] aaO Art. 23 [X.] Rn. 4). Der für § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] maßgebliche Gesichtspunkt, dass die Geduld eines Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden soll, spielt hier keine Rolle. Vielmehr muss der Betroffene innerhalb einer angemessenen Prüfungsfrist entscheiden, ob er die [X.] zur [X.] wegen bereits eingetretener Verzögerungen erhebt. Dies rechtfertigt es, dass bei nicht rechtzeitiger Rüge Ansprüche erst vom Rügezeitpunkt an begründet werden (vgl. [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 196).

cc) Dieses Verständnis der Übergangsvorschrift wird durch die Entstehungsgeschichte der Entschädigungsregelung zusätzlich gestützt. In dem Referentenentwurf vom 15. März 2010 (abgedruckt bei [X.]/[X.] aaO Anhang 5 S. 410 ff) wurde noch davon ausgegangen, dass ein Entschädigungsanspruch nur in Betracht komme, "soweit" die [X.] rechtzeitig zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] genannten [X.]punkt erhoben werde, und dass die Entschädigung für den davor liegenden [X.]raum ausgeschlossen sei. Eine verspätete Rüge sollte dementsprechend zu einem Anspruchsverlust führen ([X.] aaO § 198 [X.] Rn. 194; [X.] aaO Einführung Rn. 224, 316).

Die mit Art. 23 Satz 2 und 3 [X.] übereinstimmende Übergangsregelung in Art. 16 Satz 3 und 4 [X.]-RefE knüpfte daran an und sah bei einer verspäteten Rüge eine Kürzung des [X.] für den vor der Rüge liegenden [X.]raum vor (siehe auch [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 196). Diese Bestimmung ist - anders als § 198 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] - im weiteren Gesetzgebungsverfahren inhaltlich nicht mehr verändert worden.

2. Für den [X.]raum bis zur Erhebung der [X.] vom 7. August 2012 scheidet auch eine Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] aus. Nach dieser Vorschrift ist ein Feststellungsausspruch zur Verfahrensverzögerung trotz fehlenden [X.] nach dem Ermessen des Gerichts möglich, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 [X.] nicht erfüllt sind. Da die Präklusionswirkung des Art. 23 Satz 3 [X.] jedoch nicht nur den Anspruch auf Geldentschädigung, sondern ohne Einschränkung alle Formen der Wiedergutmachung nach § 198 [X.] erfasst, soweit sie sich auf Verzögerungen vor Rügeerhebung beziehen, findet § 198 Abs. 4 [X.] im Streitfall keine Anwendung. Die Versäumung der Rügefrist hat zur Folge, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer vom Entschädigungsgericht nicht mehr überprüft wird.

3. Es kann dahin stehen, ob der [X.]raum von rund zwei Monaten zwischen der Erhebung der [X.] und der Rückforderung der Akten von dem Sachverständigen Prof. Dr. G.    am 22. Oktober 2012 - wie das [X.] meint - sachlich nicht mehr gerechtfertigt war. Denn eine solche Verfahrenslücke wäre entschädigungsrechtlich ohne Relevanz.

Durch die Anknüpfung des gesetzlichen [X.] nach § 198 [X.] an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen (Art. 6 Abs. 1 [X.], Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG) wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - [X.], NJW 2014, 789 Rn. 42, 55). Allzu "kleinteilige" Überlegungen sind bei der Bemessung der (noch) akzeptablen Verfahrensdauer verfehlt. Für die Anwendung eines eher größeren [X.]rahmens spricht auch, dass § 198 Abs. 2 Satz 3 [X.] die Entschädigungspauschale von 1.200 € für immaterielle Nachteile lediglich als Jahresbetrag ausweist und die [X.] gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] frühestens nach einem halben Jahr wiederholt werden kann (Schlick, Festschrift für [X.], [X.], 555). Bei geringfügigen Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten, die gegenüber der [X.]dauer nicht entscheidend ins Gewicht fallen, werden eine Geldentschädigung oder sonstige Wiedergutmachung daher regelmäßig nicht in Betracht kommen (Senatsurteil vom 13. Februar 2014 - [X.], BeckRS 2014, 04692 Rn. 28; siehe auch [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10, juris Rn. 16; [X.]/Sporrer, NJW 2014, 177, 182 zur Frage einer "Geringfügigkeitsschwelle"). So liegt der Fall hier. Bei einem mehrjährigen [X.], der durch eine umfangreiche und kontroverse Beweisaufnahme mit Einholung mehrerer Gutachten und Gutachtenergänzungen gekennzeichnet ist, wahrt eine Verfahrensverzögerung von zwei Monaten noch den entschädigungslos hinzunehmenden Toleranzrahmen.

4. Dem [X.] kann auch nicht darin gefolgt werden, dass eine erstinstanzliche Verfahrensdauer von nahezu sieben Jahren schon für sich genommen als unangemessen einzustufen sei. Diese Betrachtungsweise lässt außer [X.], dass selbst bei einem mehrjährigen Verfahrenszeitraum dessen Angemessenheit nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (§ 198 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Es ist unabdingbar, die einzelfallbezogenen Gründe zu untersuchen, auf denen die Dauer des Verfahrens beruht, und diese im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung umfassend zu würdigen und zu gewichten (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - [X.], NJW 2014, 789 Rn. 40 f). Angesichts einer rechtlich relevanten Verzögerung von allenfalls zwei Monaten war deshalb die prognostizierte erstinstanzliche [X.]dauer von knapp sieben Jahren nicht geeignet, Entschädigungsansprüche zu begründen.

5. Den Ausführungen des [X.]s, die eingetretenen Verzögerungen seien irreparabel, weil sie nicht mehr bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens kompensiert werden könnten, liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, die [X.] einer etwaigen Verzögerung sei nur für die jeweilige Instanz zu untersuchen. Indes ist bei der abschließenden Gesamtwürdigung das gesamte Verfahren in den Blick zu nehmen und zu fragen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Prozesses kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 - [X.], NJW 2014, 220 Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 - [X.], NJW 2014, 789 Rn. 41; vom 23. Januar 2014 - [X.], NJW 2014, 939 Rn. 37 und vom 13. Februar 2014 - [X.], BeckRS 2014, 04692 Rn. 28). Dies kann auch dadurch geschehen, dass das zunächst verzögerte Verfahren in einer höheren Instanz besonders zügig geführt wird ([X.], [X.], 1081, 1085; [X.] aaO § 198 [X.] Rn. 101).

III.

Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO).

Die Sache ist zur Endentscheidung reif, so dass der Senat die Klage insgesamt abweisen kann (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Schlick                     Wöstmann                    Tombrink

              Remmert                        [X.]

Meta

III ZR 335/13

10.04.2014

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 10. Juli 2013, Az: 4 EntV 3/13, Urteil

Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 3 ÜberlVfRSchG, § 198 Abs 1 GVG, § 198 Abs 3 S 1 GVG, § 198 Abs 3 S 2 GVG, Art 13 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2014, Az. III ZR 335/13 (REWIS RS 2014, 6370)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6370

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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