Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2013, Az. XI R 42/11

11. Senat | REWIS RS 2013, 372

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Doppelte Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld durch eine Familienkasse und einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber


Leitsatz

1. Wechselt ein Kindergeldberechtigter seinen Arbeitgeber, geht infolgedessen die sachliche Zuständigkeit für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes von der Familienkasse auf einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber über und zahlt neben diesem auch die Familienkasse das von ihr festgesetzte Kindergeld aus, ist die Familienkasse zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des von ihr gezahlten Kindergeldes befugt.

2. In diesen Fällen beginnt die Zahlungsverjährung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Aufhebung wirksam geworden ist.

Tatbestand

1

I. Streitig sind die Aufhebung der Festsetzung und die Rückforderung vom Kläger und [X.] (Kläger) doppelt bezogenen Kindergeldes.

2

Der seinerzeit bei einem privaten Arbeitgeber beschäftigte Kläger bezog für seine in den Jahren 1988 und 1993 geborenen Kinder laufend Kindergeld, das zunächst von der früheren [X.]eklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) ausgezahlt wurde.

3

Aufgrund einer zum 1. Januar 1996 vom Gesetzgeber eingeführten Verpflichtung (§ 73 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- a.F.) zahlte der private Arbeitgeber ab diesem Zeitpunkt dem Kläger das Kindergeld in von der Familienkasse bescheinigter Höhe aus.

4

Zum 1. Oktober 1996 wechselte der Kläger in den öffentlichen Dienst und begründete ein Arbeitsverhältnis mit der [X.] [X.] ([X.]). Dadurch ging die Zuständigkeit zur Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes auf die [X.] über (§ 72 EStG a.F.). In dem im Oktober 1996 bei der [X.] eingereichten Antrag auf Gewährung von Kindergeld verneinte der Kläger die Frage, ob er, seine Ehefrau oder ein Dritter für die beiden Kinder anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten habe. Überdies verneinte er in diesem Antrag die Frage, ob er, seine Ehefrau oder eine andere Person im öffentlichen Dienst beschäftigt sei.

5

Daraufhin erhielt der Kläger ab dem 1. Oktober 1996 von der [X.] das --offen in den Lohn-/Gehaltsabrechnungen ausgewiesene-- Kindergeld.

6

Im November 1998 teilte die Familienkasse dem Kläger mit, dass sie ab dem 1. Januar 1999 aufgrund einer Gesetzesänderung (erneut) für die Auszahlung des Kindergeldes zuständig sei, und bat um Überprüfung der [X.]ankverbindung. Nachdem der Kläger hierauf nicht reagiert hatte, zahlte die Familienkasse ab Januar 1999 Kindergeld an den Kläger aus, der daneben (weiterhin) von der [X.] Kindergeld erhielt.

7

Im Jahr 2006 beantragte der Kläger sowohl bei der Familienkasse als auch bei der [X.] die Fortzahlung des Kindergeldes für sein ältestes Kind, das in diesem Jahr das 18. Lebensjahr vollendete und sich noch in einer [X.]erufsausbildung befand. Der Antrag hatte Erfolg; der Kläger bezog daher weiterhin für beide Kinder Kindergeld von der Familienkasse und von der [X.].

8

In einem bei der Familienkasse Ende 2008 eingereichten Antragsformular zur Fortzahlung des Kindergeldes für das weiterhin in der [X.]erufsausbildung befindliche Kind verneinte der Kläger erneut die Frage, ob er im öffentlichen Dienst beschäftigt sei. Da nach einer Prognoseberechnung für das [X.] die Einkünfte und [X.]ezüge dieses Kindes den für die Gewährung von Kindergeld maßgeblichen Jahresgrenzbetrag überstiegen, hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für dieses Kind ab Januar 2009 auf.

9

Im Rahmen des anschließenden [X.] teilte der Kläger der Familienkasse im April 2009 den doppelten [X.]ezug des Kindergeldes mit. Daraufhin hob diese mit [X.]escheid vom 27. Juli 2009 für beide Kinder des [X.] die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 1999 bis April 2009 auf. Sie stützte die Aufhebung auf § 70 Abs. 2 EStG. Gleichzeitig forderte sie das von ihr für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld zurück. Der hiergegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage im Wesentlichen statt. Der Aufhebungsbescheid sei rechtswidrig. Wegen des am 1. Oktober 1996 erfolgten [X.] sei die sachliche Zuständigkeit für die Kindergeldfestsetzung auf die [X.] übergegangen. Mithin habe die Kindergeldfestsetzung seitdem nicht mehr zur Disposition der Familienkasse gestanden. Überdies sei der von der Familienkasse erlassene Rückforderungsbescheid wegen Eintritts der Zahlungsverjährung rechtswidrig, soweit er den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2003 betreffe. Im Übrigen (wegen Rückforderung von Kindergeld für 2004) wies das [X.] die Klage ab.

Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2012, 1073 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung von §§ 70 und 72 EStG.

Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] aufzuheben, soweit der Klage stattgegeben wurde, und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Vorentscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher [X.] stattgefunden; Beklagte und Revisionsklägerin ist nunmehr die Familienkasse [X.] Nord (vgl. z.B. Urteile des [X.] --BFH-- vom 16. Mai 2013 III R 8/11, [X.], 511, [X.], 1040, Rz 11; vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, [X.], 1774, Rz 14). Das Rubrum des Verfahrens ist deshalb zu ändern.

III.

Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur antragsgemäßen Aufhebung der Vorentscheidung und insoweit zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Entgegen der Auffassung des [X.] war die Familienkasse befugt, die zugunsten des [X.] ergangene Kindergeldfestsetzung aufzuheben. Rechtsgrundlage hierfür ist § 174 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]).

a) Nach § 174 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist ein fehlerhafter Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise in mehreren Steuerbescheiden zugunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies gilt allerdings nur, wenn die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (§ 174 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Daher ist die Änderung bzw. Aufhebung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 2 [X.] nur möglich, wenn der Steuerpflichtige selbst (allein oder überwiegend) die fehlerhafte Berücksichtigung verursacht hat und aus diesem Grund nicht auf die Bestandskraft des ihn im Ergebnis begünstigenden Steuerbescheides vertrauen kann (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2004 XI B 63/02, [X.] 2005, 1, unter II.2.; BFH-Urteil vom 3. März 2011 III R 45/08, [X.], 6, [X.], 673, Rz 16, jeweils m.w.N.).

Diese Norm gilt gemäß § 155 Abs. 4 [X.] sinngemäß für Kindergeldfestsetzungen, da das Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG "als Steuervergütung" gezahlt wird.

b) Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 [X.] für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung lagen vor.

aa) Im Streitfall ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Bescheiden zugunsten des [X.] berücksichtigt worden.

(1) Zunächst hat die Familienkasse Kindergeld festgesetzt.

Dies ergibt sich aus § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.[X.] ([X.]) 1996 vom 11. Oktober 1995 ([X.] 1995, 1250, [X.], 438), wonach das bis zum 31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes gewährte Kindergeld als nach den Vorschriften des EStG festgesetzt gilt. Da das [X.] festgestellt hat, dass dem Kläger seit der Geburt seiner Kinder in den Jahren 1988 bzw. 1993 Kindergeld gewährt wurde, liegt die nach § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des [X.] 1996 fingierte Neufestsetzung des Kindergeldes vor, die Gegenstand einer Änderung sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2000 VI R 100/99, [X.] 2001, 21, unter 1.a [X.]).

Auch wenn § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des [X.] 1996 durch das [X.] vom 24. März 1999 ([X.] 1999, 402) aufgehoben worden ist, ist die Regelung ihrer Wirkung nach zeitlich nicht beschränkt ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 78 EStG Rz 2, m.w.N.), so dass auch die im Streitfall gegebene Festsetzungsfiktion nicht durch die Aufhebung des § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des [X.] 1996 entfallen ist.

(2) Dass die Familienkasse in dem Zeitraum Januar 1996 bis Dezember 1998 keine Auszahlungen vornahm, steht entgegen der Auffassung des [X.] der Annahme einer Festsetzung von Kindergeld nicht entgegen.

Denn die Festsetzung des Kindergeldes entfaltet Bindungswirkung für die Zukunft (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, [X.], 203, [X.], 380, Rz 13, m.w.N.), weshalb es für ihre Aufhebung eines entsprechenden Bescheides bedarf. Die bloße Unterbrechung der Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkasse ist keine Aufhebung in diesem Sinne. Denn diese Unterbrechung hatte ihren Grund lediglich darin, dass die Zahlung ab dem 1. Januar 1996 nach § 73 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des [X.] 1996 i.V.m. § 52 Abs. 63 EStG durch den privatrechtlichen Arbeitgeber erfolgte. Hierfür war jedoch eine Festsetzung nach § 70 Abs. 1 EStG Grundlage ([X.]/[X.], § 73 EStG Rz 16). Auf dieser Basis nahm die Familienkasse mangels einer bis dahin erfolgten Aufhebung mit Beginn des Jahres 1999 wieder die laufenden Auszahlungen vor.

(3) Daneben hat für den Streitzeitraum auch die [X.] Kindergeld dadurch konkludent festgesetzt, dass sie auf den bei ihr gestellten Antrag des [X.] auf Gewährung von Kindergeld für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 10. Oktober 1996, in dem dieser unter Ziffer 8. die Frage, ob er oder eine andere Person für die Kinder anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten habe, ausdrücklich verneint hatte, Kindergeld an den Kläger ausgezahlt hat. Davon ist auch das [X.] ausgegangen.

Die Festsetzung durch die [X.] ergibt sich jedenfalls aus § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG in der seinerzeit geltenden Fassung, wonach § 157 [X.], der an sich eine schriftliche Bescheiderteilung vorsieht, nicht galt, soweit dem Antrag entsprochen wurde (vgl. zur Abgrenzung [X.] vom 31. März 2005 III B 189/04, [X.] 2005, 1305). Der Gesetzgeber hat damals u.a. für diesen Fall auf eine schriftliche Bescheiderteilung verzichtet, um das bei der Arbeitsverwaltung eingespielte Verfahren der Kindergeldzahlung im Interesse der Bürger und der Verwaltung beibehalten zu können (vgl. BTDrucks 13/1558, 161). Die Bekanntgabe der konkludenten Kindergeldfestsetzung erfolgte durch die erste Auszahlung (Überweisung) des Kindergeldes und der Bekanntgabe des [X.] (vgl. Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 24. April 1998  4 K 1755/97, juris; [X.], in: [X.][X.], EStG, § 70 Rz B 7) und blieb über den 1. Januar 2007 hinaus bestehen (vgl. Urteil des [X.] des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Januar 2013  4 K 1779/10, E[X.] 2013, 1555).

Aus dem Umstand, dass bei einem Wechsel des Arbeitgebers die bisherige Kindergeldfestsetzung nicht berührt werden soll (vgl. z.B. [X.]/[X.], § 72 EStG Rz 33; [X.]/Treiber, § 72 EStG Rz 76; [X.] 72.3.1 Abs. 7 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes --[X.]-FamEStG--, [X.], 1030; s. nunmehr aber [X.] 72.3.2 [X.]-FamEStG), ergibt sich im Streitfall schon deshalb nichts anderes, weil der [X.] die Kindergeldfestsetzung der Familienkasse nicht bekannt war, nachdem der Kläger ihr diese unter Ziffer 8. des Antrags verschwiegen hatte. Schon deshalb ist in der Auszahlung des Kindergeldes durch die [X.] zugleich eine weitere Kindergeldfestsetzung mit [X.] zu sehen, mit der die [X.] dem bei ihr gestellten Antrag vom 10. Oktober 1996 i.S. des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG a.F. entsprochen hat.

[X.]) Diese mehrfache Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhaltes, nämlich die doppelte Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder des [X.], i.S. des § 174 Abs. 2 Satz 1 [X.] war mit der geltenden Rechtslage unvereinbar. Denn gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt, woraus sich u.a. ergibt, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht doppelt gewährt werden darf (BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 94/01, [X.] 2004, 25, unter [X.], m.w.N.).

cc) Nach den tatsächlichen den Senat gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] hat der Kläger die doppelte Festsetzung des Kindergeldes zumindest überwiegend verursacht.

Denn diese ist darauf zurückzuführen, dass der Kläger jedenfalls seiner besonderen Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nachgekommen war, indem er den Arbeitgeberwechsel gegenüber der Familienkasse nicht anzeigte (vgl. Urteil des [X.] Düsseldorf vom 18. Juni 2009  15 K 37/09 Kg, E[X.] 2009, 1519, unter 2.a; Urteil des [X.] Köln vom 17. September 2009  10 K 4058/08, E[X.] 2010, 380, unter 3.b [X.]). Aufgrund dieser von dem Kläger selbst verursachten unvereinbaren Mehrfachberücksichtigung konnte er nicht auf die Bestandskraft der Kindergeldfestsetzung vertrauen. Anhaltspunkte für einen Verursachungsbeitrag der Familienkasse sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

dd) Anders als es das [X.] meint, war die Familienkasse auch nach dem Wechsel des [X.] in den öffentlichen Dienst im Oktober 1996 zu einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung befugt.

Denn die Befugnis nach § 174 Abs. 2 [X.] steht der Behörde zu, die den fehlerhaften Bescheid erlassen hat (vgl. im Ergebnis BFH-Urteil vom 9. Mai 2012 I R 73/10, [X.], 1, [X.], 566, Rz 20 ff., zu § 174 Abs. 1 [X.]; Urteil des [X.] Düsseldorf in E[X.] 2009, 1519, unter 2.; Urteil des [X.] Köln in E[X.] 2010, 380, unter 2.b).

c) Ob darüber hinaus die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG gegeben sind, lässt der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Selbst wenn die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nicht auf § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG hätte gestützt werden können, stünde einer rechtmäßigen Aufhebung nicht entgegen, dass die Familienkasse diese Norm in dem Aufhebungsbescheid als Rechtsgrundlage angegeben hat. Denn insoweit handelte es sich um eine unzutreffende, jedoch auswechselbare Begründung. Entscheidend ist lediglich, dass die Festsetzung --wie hier-- materiell-rechtlich ergehen durfte (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 1992 VIII R 37/90, [X.] 1993, 87, unter [X.]b, m.w.N.).

2. Da mithin die Voraussetzungen des § 174 Abs. 2 [X.] gegeben sind und der Familienkasse die sachliche Befugnis zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zustand, kommt es darauf an, ob für den Zeitraum Januar 1999 bis Dezember 2004 die Festsetzungsfrist abgelaufen war. Dies bestimmt sich nach den §§ 169 ff. [X.], die gemäß § 155 Abs. 4 [X.] i.V.m. § 31 Satz 3 EStG ebenfalls sinngemäß anzuwenden sind.

a) Die Feststellungen des [X.] erlauben keine abschließende Beurteilung, ob der Kläger eine gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] zur Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre führende Steuerhinterziehung (§ 370 [X.]) begangen hat, was naheliegt.

b) Sollte sich dabei ergeben, dass die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Aufhebungsbescheids vom 27. Juli 2009 noch nicht abgelaufen war, wäre der Kläger nach § 37 Abs. 2 [X.] verpflichtet, das an ihn seit Januar 1999 gezahlte Kindergeld zu erstatten.

Denn ist eine Steuervergütung, zu der das Kindergeld --wie bereits ausgeführt-- gemäß § 31 Satz 3 EStG gehört, ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 [X.] gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 [X.] auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung --wie hier aufgrund des [X.] später wegfällt.

c) Soweit das [X.] meint, für die Zeiträume vor dem 1. Januar 2004 sei eine den Rückforderungsanspruch ausschließende Zahlungsverjährung eingetreten, geht dies fehl.

aa) Denn die gemäß § 228 Satz 2 [X.] fünf Jahre betragende Verjährungsfrist beginnt gemäß § 229 Abs. 1 Satz 2 [X.] bei einer den Zahlungsanspruch begründenden Aufhebung der Festsetzung nicht vor dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Aufhebung wirksam geworden ist. Da der mit dem Aufhebungsbescheid vom 27. Juli 2009 verbundene Rückforderungsbescheid durch seine Bekanntgabe im [X.] wirksam wurde (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 [X.]), begann die Zahlungsverjährung erst mit dem Ablauf des Jahres 2009.

[X.]) Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom [X.] in diesem Zusammenhang angeführten Literaturansicht, wonach die Fälligkeit in den Fällen einer Doppelzahlung bereits mit der ungerechtfertigten Auszahlung beginne ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 [X.] Rz 122; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 229 [X.] Rz 1c).

Diese Ausführungen betreffen die im Streitfall nicht gegebene Konstellation, dass eine einmal festgesetzte Steuererstattung bzw. Steuervergütung mehrfach an den Gläubiger geleistet wird, mangels entsprechender Festsetzung ohne Rechtsgrund gezahlt worden ist und mithin der Rückforderungsanspruch gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 [X.] im Zeitpunkt der Auszahlung entstanden ist. In diesen Fällen steht § 229 Abs. 1 Satz 2 [X.] einer Zahlungsverjährung nicht entgegen, weil sich der hier in Betracht kommende Rückforderungsanspruch ohne seine vorherige Festsetzung und ohne Aufhebung einer etwa entgegenstehenden Festsetzung allein durch die Auszahlung ergibt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 7. Februar 2002 VII R 33/01, [X.], 569, [X.] 2002, 447, unter [X.]; vom 12. Mai 2009 IX R 2/08, [X.] 2009, 1404, unter II.a).

Wird dagegen --wie hier-- eine rechtswidrige und damit anfechtbare Steuerfestsetzung aufgehoben, wird der Rückforderungsanspruch mit der Bekanntgabe des Änderungs- oder [X.] fällig (§ 220 Abs. 2 Satz 2 [X.]), so dass die Zahlungsverjährung entsprechend der Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 2 [X.] beginnt (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 37 [X.] Rz 54; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 229 [X.] Rz 3).

Meta

XI R 42/11

11.12.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Nürnberg, 28. Oktober 2011, Az: 7 K 408/10, Urteil

§ 31 S 3 EStG 2002, § 70 Abs 2 S 1 EStG 2002, § 72 EStG 1990 vom 11.10.1995, § 73 Abs 1 S 1 EStG 1990 vom 11.10.1995, § 37 Abs 2 S 2 AO, § 169 Abs 1 S 1 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 169 Abs 2 S 2 AO, § 174 Abs 2 AO, § 228 S 2 AO, § 229 Abs 1 AO, § 78 EStG 1990 vom 11.10.1995, § 64 Abs 1 EStG 2002, § 68 EStG 2002, § 155 Abs 4 AO, § 220 Abs 2 S 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2013, Az. XI R 42/11 (REWIS RS 2013, 372)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 372

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 33/15 (Bundesfinanzhof)

Aufhebung der Kindergeldfestsetzung in Doppelzahlungsfällen


III R 13/14 (Bundesfinanzhof)

Hemmung der Festsetzungsverjährung bei strafbarem Bezug von Kindergeld


III R 25/13 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld; Zuständigkeit der Außenstellen der Agenturen für Arbeit


III R 6/17 (Bundesfinanzhof)

Festsetzungsverjährung bei leichtfertiger Steuerverkürzung nach fehlerhafter öffentlicher Zustellung


III R 14/17 (Bundesfinanzhof)

(Kein Ermessen bei der Neufestsetzung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 3 Satz …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.