Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.12.2014, Az. III R 13/14

3. Senat | REWIS RS 2014, 129

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Gegenstand

Hemmung der Festsetzungsverjährung bei strafbarem Bezug von Kindergeld


Leitsatz

NV: Begeht ein Kindergeldberechtigter eine Steuerhinterziehung, indem er es unterlässt, der Familienkasse der Arbeitsverwaltung mitzuteilen, dass er im öffentlichen Dienst beschäftigt ist und daher Kindergeld von der Familienkasse seines Arbeitgebers erhält, so kann die Festsetzung des Kindergeldes nachträglich aufgehoben werden. Dabei ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung gehemmt, die erst mit der letztmals zu Unrecht erlangten Kindergeldzahlung beginnt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Februar 2014  12 K 1957/13 aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. [X.]ie Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist verheiratet und hat zwei Kinder, die im [X.]ugust 1994 geborene [X.] und den im [X.]pril 1996 geborenen [X.] Sie wohnte zunächst mit ihrer Familie in [X.], war bei der Staatsoper GmbH der Stadt [X.] nichtselbständig tätig und erhielt Kindergeld für [X.] vom seinerzeit zuständigen [X.]rbeitsamt [X.] --Kindergeldkasse--.

2

[X.]nlässlich der Umstellung des Kindergeldes von einer Sozialleistung zur Steuervergütung am 1. Januar 1996 schrieb die Klägerin dem [X.]rbeitsamt, dass das Kindergeld ab dem 1. Januar 1996 voraussichtlich von ihrem [X.]rbeitgeber ausgezahlt werde. [X.]ie Familienkasse des [X.]rbeitsamts [X.] übersandte ihr daraufhin eine sog. Kindergeldbescheinigung zur Vorlage beim [X.]rbeitgeber (§ 73 [X.]bs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes a.F. --EStG a.F.--), die ab [X.]pril 1996 auch [X.] erfasste, für den die Klägerin im Juli 1996 ebenfalls beim [X.]rbeitsamt [X.] Kindergeld beantragt hatte.

3

Im Juli 1997 teilte die [X.]rbeitgeberin der Klägerin der Familienkasse des [X.]rbeitsamts [X.] mit, dass sie das Kindergeld an die aus ihren [X.]iensten ausgeschiedene Klägerin letztmals für den Monat Juli 1997 ausgezahlt habe. [X.]araufhin überwies die Familienkasse des [X.]rbeitsamts [X.] das Kindergeld ab [X.]ugust 1997 an die Klägerin und erinnerte sie einige Monate später, dass sie alle für den Kindergeldanspruch bedeutsamen Veränderungen ohne [X.]ufforderung unverzüglich mitzuteilen habe.

4

Im [X.]ezember 2004 benachrichtigte die Klägerin die Familienkasse [X.] von ihrem Umzug nach [X.]. Tatsächlich war der Umzug bereits im Juli 1997 erfolgt. [X.]ie Kindergeldakte wurde daraufhin an die [X.] der [X.]undesagentur für [X.]rbeit abgegeben und der [X.] der Klägerin mitgeteilt, verbunden mit der [X.]nkündigung, dass das Kindergeld ab [X.]ezember 2004 von der [X.] der [X.]undesagentur für [X.]rbeit ausgezahlt werde. In diesem Schreiben wurde die Klägerin wiederum erinnert, alle Veränderungen in den für den Kindergeldanspruch bedeutsamen Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen. [X.]ie [X.]nzeigepflicht gelte auch für die [X.]ufnahme einer Tätigkeit im öffentlichen [X.]ienst.

5

Im September 2012 erfuhr die [X.] der [X.]undesagentur für [X.]rbeit, dass die Klägerin bereits seit dem 1. [X.]ugust 1997 bei dem [X.] beschäftigt war und seit dem 1. [X.]ugust 1997 gemäß § 72 [X.]bs. 1 EStG auch von der Familienkasse der [X.] --als öffentlich-rechtlichem [X.]rbeitgeber-- Kindergeld erhalten hatte. [X.]ie Klägerin hatte bereits am 25. [X.]ugust 1997 an die [X.] ([X.]) einen [X.]ntrag auf Zahlung von Kindergeld an [X.]ngehörige des öffentlichen [X.]ienstes gerichtet und die im Vordruck gestellte Frage, ob sie oder ihr Ehegatte oder eine andere Person für die eingetragenen Kinder anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten habe, mit "nein" beantwortet. [X.]ie Frage, ob sie oder ihr Ehegatte in den letzten sieben Monaten im öffentlichen [X.]ienst tätig gewesen sei, hatte die Klägerin mit "ja" beantwortet.

6

[X.]ie Familienkasse der [X.] hatte daraufhin mit [X.]escheid vom 12. September 1997 der Klägerin gegenüber das Kindergeld für die beiden Kinder festgesetzt und mitgeteilt, das Kindergeld werde fortan monatlich mit den [X.]ezügen ausgezahlt.

7

Nachdem die [X.] der [X.]undesagentur für [X.]rbeit Kenntnis von dem doppelten [X.]ezug des Kindergeldes erlangt hatte, wies sie die Klägerin auf die [X.]oppelzahlung in Höhe von 27.599,21 € für [X.] und 27.599,22 € für [X.], Gesamtbetrag 55.118,43 €, hin und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit [X.]escheid vom 21. [X.]ezember 2012 hob sie sodann die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum [X.]ugust 1997 bis September 2012 auf und forderte das überzahlte Kindergeld im Gesamtbetrag von 55.118,43 € zurück. [X.]er [X.]erechnung lag das für [X.] und [X.] insgesamt ausgezahlte Kindergeld zugrunde, der [X.]escheid bezeichnete aber namentlich nur [X.]. Nachdem sie diesen Irrtum bemerkt hatte, erließ die [X.] der [X.]undesagentur für [X.]rbeit am 10. Januar 2013 einen nach § 129 der [X.]bgabenordnung ([X.]) berichtigten [X.]escheid und hob mit diesem die Festsetzung des Kindergeldes nun für beide namentlich genannten Kinder, also auch für den Sohn [X.], rückwirkend ab [X.]ugust 1997 auf.

8

[X.]ie von der Klägerin gegen beide [X.]escheide erhobenen Einsprüche wurden von der aufgrund eines Organisationsaktes zuständig gewordenen [X.]eklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) als unbegründet zurückgewiesen.

9

[X.]as Finanzgericht (FG) wies die Klage hinsichtlich der [X.]ufhebung der Kindergeldfestsetzung für Januar 2002 bis September 2012 als unbegründet ab, gab ihr aber wegen [X.]blaufs der Festsetzungsfrist für den Zeitraum [X.]ugust 1997 bis [X.]ezember 2001 statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1752).

Zur [X.]egründung der von ihr eingelegten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.

[X.]ie Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die [X.]escheide vom 21. [X.]ezember 2012 und vom 10. Januar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2013 in [X.]ezug auf die Monate [X.]ugust 1997 bis [X.]ezember 2001 aufgehoben wurden, und die Klage auch insoweit abzuweisen.

[X.]ie Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. [X.]ie Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat, und zur Abweisung der Klage auch hinsichtlich der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate August 1997 bis [X.]ezember 2001 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). [X.]er Aufhebungsbescheid vom 21. [X.]ezember 2012 ist in seiner berichtigten Fassung vom 10. Januar 2013 auch hinsichtlich dieses Zeitraums rechtmäßig.

1. [X.]as [X.] ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes aufheben durfte.

Wenn die zuständige Familienkasse --z.B. durch Eintritt oder Ausscheiden des [X.] aus dem öffentlichen [X.]ienst (§ 72 EStG)-- wechselt, kann die bisherige Kindergeldfestsetzung aufgehoben und das Kindergeld von der zuständig gewordenen Familienkasse neu festgesetzt werden. Stattdessen kann die [X.] aber auch auf Grundlage der bisherigen Festsetzung von der anderen Behörde fortgeführt werden (Senatsurteil vom 25. September 2014 III R 25/13, [X.], 233, BFH/NV 2015, 99).

Im Streitfall ist die Klägerin aber ununterbrochen im öffentlichen [X.]ienst beschäftigt gewesen, nämlich bis zum 31. Juli 1997 in [X.] und seit dem 1. August 1997 in [X.] [X.]ie Familienkasse des Arbeitsamts bzw. der [X.] in [X.] ist daher nicht zuständig geworden und konnte ihre Festsetzung aufheben. Ob sich ihre Änderungsbefugnis --wie das [X.] angenommen hat-- aus § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. [X.], aus § 70 Abs. 2 EStG oder --was zutreffen dürfte-- aus § 174 Abs. 2 [X.] ergibt (so das Urteil des [X.] vom 11. [X.]ezember 2013 XI R 42/11, [X.], 302, [X.], 840), kann dahinstehen.

2. [X.]ie Annahme des [X.], für die Monate bis einschließlich [X.]ezember 2001 sei Festsetzungsverjährung eingetreten, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Nach den gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] hat die Klägerin das Kindergeld für A und B von August 1997 bis September 2012 doppelt bezogen, nämlich sowohl von der Familienkasse ihres öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers als auch von der gemäß § 72 EStG unzuständigen Familienkasse des Arbeitsamts bzw. der [X.] in [X.] [X.]as [X.] hat weiterhin zu Recht entschieden, dass der Klägerin eine Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist (§ 370 Abs. 1 [X.]) und sich daher die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre verlängert (§ 169 Abs. 2 Satz 2 [X.]); dies ist nunmehr zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

b) [X.]as [X.] hat die Festsetzungsfrist indessen falsch berechnet. [X.]a die Verfolgung der von der Klägerin begangenen Steuerhinterziehung noch nicht verjährt war, wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 7 [X.] gehemmt.

aa) Nach § 171 Abs. 7 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.] endet die Festsetzungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung oder der leichtfertigen Steuerverkürzung nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.

bb) [X.]ie strafrechtliche Verfolgung vorsätzlicher Steuerverkürzungen verjährt, falls --wie im [X.] nicht § 376 [X.] eingreift, in fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 des Strafgesetzbuchs --StGB-- i.V.m. § 370 Abs. 1 [X.]). [X.]ie Verfolgungsverjährung beginnt, sobald die Handlung beendet ist (§ 78a Satz 1 StGB). Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg jedoch erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt (§ 78a Satz 2 StGB).

[X.]ie Klägerin hat durch den zweifachen Bezug von Kindergeld, das als Steuervergütung gewährt wird (§ 31 Satz 3 EStG), nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. [X.]ies beruhte sowohl auf ihren i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.] unrichtigen Angaben in dem an die Stadt [X.] gerichteten [X.] vom 25. August 1997, worin sie die Frage verneint hatte, ob sie anderweitig Kindergeld beantragt oder erhalten habe, obwohl sie seit August 1997 Kindergeld von der Familienkasse des Arbeitsamts [X.] erhielt, als auch darauf, dass sie die Familienkasse des Arbeitsamts bzw. der [X.] in [X.] pflichtwidrig darüber in Unkenntnis ließ (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]), dass sie seit August 1997 bei einem anderen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber beschäftigt war.

[X.]er Erfolg ihrer Handlung bzw. der pflichtwidrigen Unterlassung trat erst mit der letzten Auszahlung ein, d.h. der Auszahlung des Kindergeldes für September 2012. Aus dem das Kindergeldrecht beherrschenden Monatsprinzip (§ 66 Abs. 2 EStG) ist nicht herzuleiten, dass jede monatliche Auszahlung eine beendete Steuerstraftat darstellt, was zur Folge hätte, dass mit jeder Auszahlung für den jeweiligen Monat auch die Verfolgungsverjährung begänne. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 26. Juni 2014 III R 21/13 ([X.], 102, BFH/NV 2015, 248).

[X.]ie Festsetzungsfrist war somit weder bei Erlass des [X.] vom 21. [X.]ezember 2012 noch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des gemäß § 129 [X.] berichtigten Bescheids vom 10. Januar 2013 abgelaufen.

3. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 [X.]O.

4. [X.]er Senat erkennt mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 [X.]O).

Meta

III R 13/14

18.12.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 26. Februar 2014, Az: 12 K 1957/13, Urteil

§ 171 Abs 7 AO, § 370 Abs 1 AO, § 78 Abs 3 Nr 4 StGB, § 72 EStG, § 66 Abs 2 EStG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.12.2014, Az. III R 13/14 (REWIS RS 2014, 129)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 129

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