Bundessozialgericht, Urteil vom 18.01.2011, Az. B 2 U 15/10 R

2. Senat | REWIS RS 2011, 10365

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Unfallversicherungsschutz - Tatbestandsvoraussetzung - persönliches Merkmal - Kind - Kindergarten - Einrichtung - Lebensalter - behinderter Mensch - Tageseinrichtung


Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 30. September 2009 und des [X.] vom 19. Dezember 2007 insoweit geändert, dass der "Widerspruchsbescheid" der Beklagten vom 28. Juli 2006 aufgehoben wird.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 10.8.1998 ein Arbeitsunfall war.

2

Die am 27.9.1978 geborene behinderte Klägerin nahm an einer von einer Tageseinrichtung des [X.] veranstalteten und organisierten Ferienfreizeit teil. Am 10.8.1998 sollte ein Grillabend stattfinden. Auf dem Weg zum Grillplatz stolperte die Klägerin und fiel zwei Stufen hinunter. Dabei erlitt sie einen Kreuzbandriss am rechten Knie.

3

Am [X.] richtete die Klägerin ein Schreiben an die Beklagte, mit dem sie um Auskunft und Überprüfung bat, ob das Ereignis vom 10.8.1998 dort bekannt sei. Die Beklagte teilte ihr daraufhin am 7.3.2005 mit, dass der Unfall nicht als Schul- bzw Tagesstättenunfall anerkannt worden und das Heilverfahren mit Schreiben vom 7.9.1998 abgebrochen worden sei. Die Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt 19 Jahre alt und damit kein Kind iS von § 2 Abs 1 [X.] a [X.] gewesen.

4

Mit weiteren Schreiben an die Beklagte vom 15.4.2005 und [X.] erfragte die Klägerin den Sachstand und wies ua darauf hin, dass sie behindert sei, weshalb Schulpflicht für sie bis zum 21. Lebensjahr bestanden habe. Die Beklagte teilte der Klägerin am 22.6.2006 mit, dass sie das Schreiben der Klägerin vom [X.] als Widerspruch gegen das Schreiben vom 7.3.2005 werte. Sodann wies die Beklagte diesen "Widerspruch" mit Widerspruchsbescheid vom [X.] zurück.

5

Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2007 abgewiesen, das [X.] hat mit Urteil vom [X.] die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Ereignis vom 10.8.1998 habe keinen Arbeitsunfall dargestellt, denn die Verrichtung sei nicht in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 [X.] begründenden Tätigkeit erfolgt. Insbesondere sei die Klägerin mit 19 Jahren kein Kind iS des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] gewesen.

6

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 2 [X.]. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Kind" in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] müsse die Systematik des Kinder- und Jugendhilferechts ([X.]I) berücksichtigen, sodass eine feste Altersgrenze nicht angenommen werden könne. Sie habe die Schule und die Tageseinrichtung der [X.] besucht. Eingliederungshilfe für junge Volljährige sei "ohne weitere Altersbegrenzung" nach § 41 Abs 2 [X.]I iVm § 35a [X.]I auch in Tageseinrichtungen für Kinder vorgesehen. Für den Begriff des Kindes in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] sei auf den Stand der persönlichen und geistigen Entwicklung im konkreten Einzelfall abzustellen, weil der Besuch einer Tageseinrichtung auch für junge Erwachsene eine geeignete Hilfe darstelle. § 2 Abs 1 [X.] a bis c [X.] spiegelten in ihren drei Stufen den gewöhnlichen Entwicklungsablauf eines jungen Menschen vom Kindergarten bis zur [X.] wider. Wenn dieser gewöhnliche Entwicklungsablauf durch behinderungsbedingte Verzögerungen gestört sei, könne dies nicht dazu führen, dass behinderte Menschen nur wegen Überschreitens einer Altersgrenze aus dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung herausfielen.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom [X.] und das Urteil des [X.] vom 19.12.2007 sowie die Ablehnungsentscheidung im Bescheid der Beklagten vom 7.3.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Unfall der Klägerin vom 10.8.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Auf die zulässige Revision der Klägerin ist der von der Beklagten so bezeichnete "Widerspruchsbescheid" vom [X.] aufzuheben, weil ihr Schreiben vom 7.3.2005 kein Verwaltungsakt war und daher insoweit auch kein statthafter Widerspruch vorlag. Im Übrigen hatte die Revision keinen Erfolg, weil bereits die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin nicht statthaft war.

1. Die Klägerin hat eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG auf Aufhebung der Bescheide und Verpflichtung der Beklagten, das Ereignis vom 10.8.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen, erhoben (zur Zulässigkeit dieses Begehrens vgl Urteil des Senats vom [X.] - B 2 U 23/09 R - Rd[X.] 9; sowie [X.]-2700 § 2 [X.] Rd[X.] 4; [X.]-2700 § 8 [X.] Rd[X.] 8). Die Anfechtungsklage war jedoch nur statthaft, soweit sie auf die Aufhebung des "Widerspruchsbescheides" gerichtet war. Im Übrigen waren die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nicht statthaft. Denn die Beklagte hat bisher keinen Verwaltungsakt erlassen, in dem die Feststellung eines Arbeitsunfalls abgelehnt worden wäre.

Die Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage setzt voraus, dass der Kläger vom Gericht die Aufhebung eines Verwaltungsakts iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGG begehrt, die der Verpflichtungsklage, dass er vom Gericht die Verurteilung der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsakts im Sinne dieser Vorschrift verlangt. Das Schreiben der Beklagten vom 7.3.2005 kann nach seinem Inhalt nicht als Verwaltungsakt iS des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 31 [X.] ausgelegt werden. Die Beklagte hat in diesem Schreiben lediglich auf die Sachstandsanfrage der Klägerin vom [X.] geantwortet, mit der diese Auskunft darüber erbeten hatte, ob der Beklagten der Vorgang aus dem Jahre 1998 bereits bekannt sei bzw ob dieser geprüft werde. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin in dem Schreiben vom 7.3.2005 lediglich mit, ein Heilverfahren, das 1998 begonnen habe, sei zu ihren Lasten wieder abgebrochen und die Kosten der ärztlichen Behandlung seien von der [X.] getragen worden. Die Beklagte hat auf das Informationsbegehren der Klägerin hin auch nicht das gemäß § 19 Satz 2 [X.] IV von Amts wegen zu betreibende Verwaltungsverfahren aus dem Jahre 1998 wieder aufgegriffen bzw gemäß § 8 [X.] zu einem ordnungsgemäßen Abschluss gebracht. Vielmehr hat die Beklagte im Juni 2006 - also 15 Monate später - ihre eigene Mitteilung vom 7.3.2005 zum Verwaltungsakt erklärt und zugleich ein weiteres Schreiben der Klägerin aus dem Oktober 2005, in dem [X.] um "Überprüfung des Versicherungsschutzes" gebeten worden war, als "Widerspruch" betrachtet. Ein solches Vorgehen entspricht nicht den Vorgaben eines Verwaltungsverfahrens iS des § 8 [X.] und des [X.].

Das Schreiben der Beklagten vom 7.3.2005 ist auch kein "bloß formeller Verwaltungsakt", der zwar die Kriterien des § 31 [X.] nicht erfüllt und daher materiell-rechtlich kein Verwaltungsakt ist, der aber als Verwaltungsakt nur im prozessrechtlichen Sinn des § 54 Abs 1 Satz 1 SGG, aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG; Art 6 Abs 1 [X.]) gleichfalls mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann. Die Beklagte hat jedoch das formlose Schreiben weder als förmlichen "Bescheid" ausgestaltet noch auch nur eine Rechtsbehelfsbelehrung angefügt.

Die Beklagte durfte daher am [X.] keinen "Widerspruchsbescheid" erlassen, weil mit diesem nur über die Recht- und Zweckmäßigkeit eines ergangenen Verwaltungsakts hätte befunden werden dürfen. Ein solcher Verwaltungsakt lag aber nicht vor, demgemäß auch kein "Widerspruch" dagegen. Der "Widerspruchsbescheid" der Beklagten vom [X.] war daher aufzuheben. Im Übrigen konnte die Revision aber keinen Erfolg haben, weil die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, wie ausgeführt, mangels eines das Feststellungsbegehren ablehnenden Verwaltungsakts der Beklagten nicht statthaft waren.

2. Im Hinblick auf den Zeitablauf und die durch das verwaltungsverfahrensrechtlich problematische Vorgehen der Beklagten bedingte Verfahrensdauer sieht sich der Senat auch unter dem Gesichtspunkt des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG) verpflichtet, sich in den folgenden nicht tragenden Entscheidungsgründen (obiter dicta) zum Kindbegriff iS des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] iS des § 7 Abs 1 [X.] zu äußern. "Kind" im Sinne dieser Vorschrift ist jede Person, die noch nicht 14 Jahre alt ist. Damit wird über die in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] beginnende Verweisung letztlich der Kindbegriff des § 7 Abs 1 [X.] maßgeblich.

Nach der zum [X.] in [X.] getretenen Fassung des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] sind versichert "Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des [X.] oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen".

a) Das [X.] selbst enthält keine gesetzliche Definition des Begriffs "Kind" und auch die übrigen Bücher des [X.] (außer § 7 Abs 1 [X.]) weisen keine, jedenfalls keine auf § 2 Abs 1 [X.] a [X.] übertragbare rechtliche Festlegung eines Kindbegriffs oder eines Höchstalters für Kinder auf. Der Bedeutungsgehalt des unfallversicherungsrechtlich hier gemeinten Begriffs "Kind" ist damit bereichsspezifisch nach dem [X.] unter Berücksichtigung von Systematik, Gesetzeszweck und Historie zu bestimmen. Eine Abgrenzung nach einem Verwandtschaftsgrad (sog [X.]) enthält § 2 Abs 1 [X.] a [X.] nicht, denn es wird im Wortlaut keine Bezugsperson für eine Verwandtschaft genannt (zB Kind des Versicherten, Kind des Berechtigten).

b) Aus der Gesetzgebungsgeschichte (historischen Entwicklung) ergibt sich hingegen der gesetzliche Zweck des Kindbegriffs des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] und derjenige der darin ausgesprochenen Verweisung auf [X.] § 45 [X.]I. Danach sollen als Kind nur Personen in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen sein, die als Kind iS von § 7 Abs 1 [X.] erlaubnispflichtige Tageseinrichtungen für Kinder besuchen. Wie die Vorgängerregelung (vgl BT-Drucks 13/2204 [X.] zu § 2 Abs 1 [X.] a des § 539 Abs 1 [X.] a [X.] in der bis 31.12.1996 geltenden Fassung) enthält der Begriff des Kindes in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] eine Alterskomponente und grenzt den versicherten Personenkreis nach dem Lebensalter ab.

aa) Nach § 539 Abs 1 [X.] [X.] in der ab 1.4.1971 bis 31.12.1996 geltenden Fassung (des [X.] in Kindergärten vom [X.] - im Folgenden: [X.]) waren [X.] versichert a) Kinder während des Besuchs von Kindergärten, b) Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen. Der Versicherungsschutz für Kinder während des Besuchs von Kindergärten nach § 539 Abs 1 [X.] a [X.] bezog sich nur auf Einrichtungen, die vom durchschnittlichen Alter der Kinder her auf eine vorschulische Erziehung gerichtet waren, wie sie in der Regel drei- bis sechsjährige Kinder in Kindergärten erhalten (vgl hierzu [X.] § 150 [X.] 9 = [X.], 203 - 207; [X.] 2200 § 1511 [X.] 1 = [X.] 47, 281 - 285; BSG vom 12.5.1981 - 2 RU 49/79 -). Die Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes auf Kinder während des Besuchs von Kindergärten war mit der Begründung ([X.], [X.] zu § 1) erfolgt, dass Reform und Ausbau der vorschulischen Erziehung als erste Stufe des Bildungswesens eine vordringliche bildungspolitische Aufgabe seien. Deswegen fielen jedenfalls solche Einrichtungen nicht unter den Kindergartenbegriff des § 539 Abs 1 [X.] a [X.], die vom durchschnittlichen Alter der aufzunehmenden Kinder her keine vorschulische Erziehung bieten konnten (vgl [X.] § 105 [X.] 9 = [X.], 203 - 207 - [X.] Rd[X.] 20; [X.] 2200 § 1511 [X.] 1 = [X.] 47, 281 - 285 - [X.] Rd[X.] 20). Dazu gehörten etwa Einrichtungen für Säuglinge und Kleinkinder (zB sog [X.]) sowie Betreuungsstätten für schulpflichtige Kinder wie zB sog Kinderhorte (vgl [X.]). Maßgebend für den Begriff des Kindergartens war folglich, dass die vorschulische Erziehung der Kinder den Charakter der Einrichtung bestimmte (vgl [X.] 2200 § 1511 [X.] 1 = [X.] 47, 281 - 285 - [X.] Rd[X.] 20).

Erfasste mithin § 539 Abs 1 [X.] a [X.] Kinder während des Besuchs von Einrichtungen zur vorschulischen Erziehung und damit Kinder im "Vorschulalter", so waren Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen nach § 539 Abs 1 [X.] b [X.] in den Unfallversicherungsschutz einbezogen. Kinder, die bereits schulische Erziehung erhielten, konnten folglich keinen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 [X.] a [X.] genießen.

bb) § 2 Abs 1 [X.] a [X.] idF des [X.] vom 7.8.1996 erweiterte den Kindbegriff über Kinder im Vorschulalter hinaus auf Kinder im Alter von bis zu 13 Jahren (§ 7 Abs 1 [X.]) - allerdings nicht auf Jugendliche bzw Kinder bis zur Volljährigkeit (§ 7 Abs 2 [X.]I) - und auch nicht auf volljährige Personen.

In dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.] sollte in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] der Unfallversicherungsschutz "auf alle Tageseinrichtungen im Sinne des § 22 [X.]I" erstreckt werden. Dabei war vorgesehen, wie bei den Kindergärten auch bei diesen Einrichtungen ([X.], Horte, altersgemischte Gruppen, kindergartenähnliche Einrichtungen) "zur Abgrenzung die zum [X.]I erlassenen landesgesetzlichen Regelungen zugrunde zu legen" (vgl [X.]; BT-Drucks 13/2204 [X.]). Dies wurde [X.] damit begründet (vgl [X.] und BT-Drucks 13/2204 [X.]), dass sich seit dem Inkrafttreten des § 539 Abs 1 [X.] [X.] im Jahre 1971 die Funktion von Kindertageseinrichtungen erheblich geändert habe. Unter Verweis auf Aussagen des [X.] 1990 und die seit 1991 geltenden Regelungen des [X.]I wurde nunmehr darauf abgestellt, dass die Aufgabe aller Tageseinrichtungen nach § 22 [X.]I die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes sei. Der Hort habe inzwischen einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag und arbeite häufig eng mit der Schule zusammen. Außerdem wurde auf die Möglichkeit altersgemischter Gruppen und die organisatorische Einheit von Krippe, Kindergarten und Hort hingewiesen, was eine eindeutige Abgrenzung der genannten Einrichtungen nicht mehr zulasse.

§ 2 Abs 1 [X.] a [X.] idF des Gesetzentwurfs vom [X.] sah Versicherungsschutz vor für "Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen im Sinne des § 22 des [X.]". Dabei war nach § 22 Abs 1 [X.] in der damals (seit 1.1.1991 bis 31.12.2004) geltenden Fassung (durch Art 1 des [X.] vom 26.06.1990 ) unter Hort eine Tageseinrichtung für Kinder im schulpflichtigen Alter zu verstehen (vgl BT-Drucks 11/5948 [X.] zu § 21 § 22 [X.]I> zu Absatz 1). Die geplante Erweiterung des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] durch das [X.] sollte entsprechend der Gesetzesbegründung nicht nur vorschulische Tageseinrichtungen, sondern mit den Horten gerade auch Tageseinrichtungen für Schüler und damit für schulpflichtige Kinder erfassen. Dies wird unterstrichen durch einen Gesetzentwurf über eine Neufassung des § 539 Abs 1 [X.] a [X.], den der Bundesrat auf Initiative [X.] eingebracht hatte (vgl Gesetz zur Ergänzung der Unfallversicherung für Kinder in Horten und [X.] und den übrigen Tageseinrichtungen für Kinder vom [X.] - BT-Drucks 13/373 S 4; vgl Gesetzesantrag des [X.] vom 14.12.1994 - [X.] vom [X.] und BR-Drucks 1124/94 vom 14.12.1994). Hintergrund für diesen [X.] war, dass übergangsrechtliche Regelungen des [X.] in den neuen Bundesländern (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III [X.] 1 des [X.] vom 31.8.1990 iVm [X.]gesetz vom 23.9.1990 ) zum 31.12.1991 außer [X.] getreten waren, nach der Schüler bei Teilnahme an der sog "Tageserziehung" gegen Arbeitsunfall versichert waren. Deshalb sollten Kinder in den Tageseinrichtungen iS des § 22 Abs 1 [X.]I einheitlich unter den Schutz der [X.] gestellt werden (vgl BT-Drucks 13/373 S 1). Genannt wurden neben Kindergärten Einrichtungen für Säuglinge und Kleinkinder (Tagesheime, [X.], Krabbelstuben) [X.], die an einigen Stunden in der Woche stattfinden, sowie Einrichtungen, in denen Schüler betreut werden, wie Kinderhorte und Kinderheime (vgl BT-Drucks 13/373 S 5).

Durch den Verweis auf Tageseinrichtungen iS des § 22 [X.]I in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] in der Entwurfsfassung vom [X.] sollten also gerade auch Tageseinrichtungen für Schüler und damit für schulpflichtige Kinder erfasst werden. Allerdings waren als Kinder nach dieser Gesetzesfassung nur Kinder iS von § 7 Abs 1 [X.], also Personen unter 14 Jahren, in den Schutz der [X.] einbezogen. Kinder iS des § 22 [X.]I sind nur Kinder nach § 7 Abs 1 [X.] (vgl so [X.] in [X.], Kommentar zum [X.]I, 3. Aufl 2006 zu § 22 [X.]I Rd[X.] 4 und 5; Lakies in [X.]/[X.]/[X.], [X.] Kommentar zum [X.]I, 6. Aufl 2009 zu § 22 Rd[X.] 5; [X.], Kommentar zum [X.]I, 5. Aufl 2009 zu § 22 Rd[X.] 9), nicht hingegen Kinder iS von § 7 Abs 2 oder Abs 4 [X.]I. Denn § 22 [X.]I trifft weder Regelungen über das elterliche Erziehungsrecht oder das staatliche Wächteramt iS des § 1 Abs 2 [X.]I noch über die Annahme als Kind iS von § 7 Abs 4 [X.]I.

Damit war auch der Begriff "Kinder" in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] in der Entwurfsfassung des [X.] als "Kinder" iS von § 7 Abs 1 [X.] zu verstehen. Denn da § 2 Abs 1 [X.] a [X.] in dieser Fassung Kinder einbeziehen will, die in bestimmten Einrichtungen für Kinder entsprechend betreut, gebildet und erzogen werden, wäre es sinnwidrig, auch Personen in den Versicherungsschutz einzubeziehen, die gerade nicht zum Adressatenkreis der Verweisungsnorm des § 22 [X.]I gehören. Anhaltspunkte dafür, dass Versicherungsschutz als "Kinder" im Rechtssinne auch Jugendlichen oder Erwachsenen während des Besuchs von Tageseinrichtungen von Kindern eingeräumt werden sollte, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Insoweit wäre ein möglicher gesetzgeberischer Wille zur Erweiterung des Versicherungsschutzes über den aufgezeigten Kinderbegriff hinaus jedenfalls nicht im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommen.

cc) Zwar ist § 2 Abs 1 [X.] 8 [X.] in der soeben dargestellten Fassung des [X.] nicht Gesetz geworden. Die Änderung des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] im weiteren Gesetzgebungsverfahren betraf aber lediglich die von der Norm erfassten Tageseinrichtungen und hat keine Änderung des soeben herausgearbeiteten Kindbegriffs beinhaltet, insbesondere keine Erweiterung der erfassten Altersgruppe über diejenige des § 7 Abs 1 [X.] hinaus. Nach der zum [X.] in [X.] getretenen Fassung des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] sind versichert "Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des [X.] oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen". Versichert sind folglich Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, in denen Kinder (zu ergänzen: iS von § 7 Abs 1 [X.]) oder Jugendliche (zu ergänzen: iS von § 7 Abs 1 [X.] 2 [X.]I) ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden.

Auch bei Auslegung dieser Norm gebietet es der Grundsatz der Normklarheit, zur Vermeidung von Widersprüchen den in § 2 Abs 1 [X.] a [X.] verwandten Begriff "Kinder" nicht anders auszulegen als den Kinderbegriff in § 45 Abs 1 Satz 1 [X.]I. Insbesondere ist weder aus den Materialien noch aus den Änderungen des [X.] ersichtlich, dass der in den Versicherungsschutz der [X.] einbezogene Personenkreis der Entwurfsfassung - Kinder iS von § 7 Abs 1 [X.] - durch eine Änderung der Bezeichnung der erfassten Tageseinrichtungen erweitert werden sollte. Denn die abweichende Bestimmung der Tageseinrichtungen sollte lediglich die Abgrenzung der erfassten Einrichtungen sicherstellen (vgl Stellungnahme des Bundesrates in BT-Drucks 13/2333 Anlage 1 S 4; Zustimmung der BReg in Anlage 2 S 18; ebenso Bericht des [X.] und [X.] [X.] zu § 2 Abs 1 [X.] 1 Buchst a [X.]). Der nunmehr im Gesetzestext enthaltene Verweis auf Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 [X.]I bedarf, wurde vom Gesetzgeber deshalb gewählt, weil [X.] für Behinderte, die etwa im [X.] (inzwischen: §§ 53 ff [X.]II) ihre Rechtsgrundlage fanden, ansonsten nicht vom Versicherungsschutz erfasst worden wären (vgl hierzu Ausschussprotokoll des [X.] vom [X.]; Ausschussprotokoll des [X.] vom 20.6.1996 S 44). So erfolgt etwa auch die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern mit seelischer Behinderung in Kindertagesbetreuung nicht nach den §§ 22 ff [X.]I, sondern § 35a [X.]I (vgl so [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.] Kommentar [X.]I, 6. Aufl 2009 zu § 35a Rd[X.] 56; [X.] in [X.], Kommentar zum [X.]I, zu § 35a Rd[X.] 121). Die Erstreckung der Versicherung auf Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen im Sinne landesrechtlicher Regelungen sollte vorrangig der landesrechtlichen Zuordnung des Kindergartenwesens zum Bildungsbereich (vgl § 26 Satz 2 [X.]I) in [X.] Rechnung tragen. Andernfalls wären dort sämtliche Regelkindergärten und schulvorbereitenden Einrichtungen für behinderte Kinder dem Schutzbereich des [X.] entzogen gewesen (vgl hierzu Ausschussprotokoll des [X.] vom [X.] f; Ausschussprotokoll des [X.] vom 20.6.1996 S 44). Diese Einrichtungen für Kinder entsprachen zwar grundsätzlich den Anforderungen an Tageseinrichtungen iS von § 22 [X.]I, waren aber nicht von § 22 [X.]I umfasst. Nicht beabsichtigt war dagegen eine Erweiterung des Versicherungsschutzes über die Altersgruppe der Kinder iS des § 7 Abs 1 [X.] hinaus.

c) Auch wenn junge Volljährige iS von § 7 Abs 1 [X.] [X.]I Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gemäß § 41 [X.]I erhalten, deren Ausgestaltung gemäß § 41 Abs 2 [X.]I iVm § 35a Abs 2 [X.] 2 [X.]I "in Tageseinrichtungen für Kinder" als teilstationäre Einrichtung erfolgt, sind sie keine "Kinder" iS des § 2 Abs 1 [X.] a [X.]. Dabei erscheint schon fraglich, ob die jungen Volljährigen tatsächlich in Tageseinrichtungen für Kinder aufgenommen werden oder ob es sich insoweit um eine Tageseinrichtung für junge Volljährige handelt, weil § 41 Abs 2 [X.]I die entsprechende Anwendung des § 35a [X.]I unter der Maßgabe vorsieht, dass an die Stelle des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt. Ebenso kann offenbleiben, ob besondere Gruppen der Tageseinrichtung zur Förderung junger Volljähriger (sofern solche gebildet werden) rechtlich als Teil der Tageseinrichtung für Kinder zu sehen sind.

Eine Einbeziehung dieser Personengruppe in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung des § 2 Abs 1 [X.] a [X.]I idF des [X.] vom 7.8.1996 findet weder im Gesetzeswortlaut noch in den Materialien eine Stütze. Zudem legen die Normen des § 2 Abs 1 [X.] 8 [X.], worauf bereits das [X.] hingewiesen hat, als erste Tatbestandsvoraussetzungen die für die Versicherung infrage kommenden Personengruppen nach persönlichen Merkmalen fest, Schüler oder Student oder eben "Kind" zu sein. Erst dann werden jeweils die versicherten Tätigkeiten jeder einzelnen Gruppe umschrieben (zB Besuch der allgemeinbildenden Schule oder einer bestimmten Tageseinrichtung). Insoweit unterscheiden sich die Tatbestände des § 2 Abs 1 [X.] 8 [X.] gerade von denen, welche die versicherten Personen allein durch die versicherten Tätigkeiten umschreiben, wie zB § 2 Abs 1 [X.], 5, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16 (jeweils: Personen, die …), [X.] 1 (Beschäftigte als Personen, die eine Beschäftigung verrichten) oder [X.] 2 (Lernende als Personen, die lernen während …). Der Besuch einer (erlaubten) Einrichtung, die als Tageseinrichtung iS von § 2 Abs 1 [X.] a [X.] zu sehen ist, begründet Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung daher nicht unabhängig von der Eigenschaft als "Kind", sondern nur, sofern und solange die Person, die die Tageseinrichtung besucht, ein "Kind" im Sinne dieser Vorschrift ist.

d) Es verstößt schließlich auch nicht gegen Verfassungsrecht, dass das Gesetz als Kinder iS des § 2 Abs 1 [X.] a [X.] nur Personen bis zu einer bestimmten Altersgrenze und nur während des Besuchs bestimmter Tageseinrichtungen in den Schutz der [X.] einbezieht. Die Altersgrenze gilt für behinderte wie nichtbehinderte Kinder gleichermaßen und knüpft daher nicht verbotenerweise an die Behinderung an (vgl Art 3 Abs 3 Satz 2 GG). So entfällt der Unfallversicherungsschutz, sofern nicht § 2 Abs 1 [X.] b [X.] eingreift, auch für einen Jugendlichen mit Vollendung des 14. Lebensjahres während des [X.], unabhängig davon, ob der (nicht behinderte) Jugendliche den üblichen Reifegrad eines 14-jährigen erreicht und damit diese Entwicklungsstufe abgeschlossen hat.

Junge geistig behinderte Volljährige fallen auch nicht aus einem "gewöhnlichen" (gleichsam lückenlos) unter Schutz der [X.] stehenden Entwicklungsablauf (als Folge einer "sachwidrigen Ungleichbehandlung") heraus. Entgegen der von der Revision geäußerten Auffassung spiegelt § 2 Abs 1 [X.] a bis Buchst c [X.] schon nicht "den" oder einen gewöhnlichen Entwicklungsablauf eines jungen Menschen wider. Denn weder ist ein Hochschulstudium die Regel, noch ist der Besuch von Tageseinrichtungen bzw Kindergärten stets zu erwarten. Überschneidungen sind gerade mit Blick auf § 2 Abs 1 [X.] a und Buchst b [X.] denkbar, etwa bei Besuch eines Kinderhorts neben dem Schulbesuch. Dass der Gesetzgeber bei (jüngeren) Kindern bzw Kindern iS des § 7 Abs 1 [X.] einen größeren Schutzbedarf (im Sinne einer Typisierung) im Rahmen der außerschulischen Betreuung und Erziehung in bestimmten Einrichtungen gesehen hat als bei älteren Kindern, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Gegenteil erscheint eine Differenzierung des Unfallversicherungsschutzes je nach erreichtem individuellen Entwicklungsstand oder Reifegrad nicht praktikabel und müsste einer gesetzgeberischen Regelung vorbehalten bleiben.

Dass der Gesetzgeber im Übrigen die Frage des Unfallversicherungsschutzes von behinderten Menschen in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen Tageseinrichtungen übersehen hätte, kann nicht angenommen werden. Dagegen spricht schon, dass Anregungen im Gesetzgebungsverfahren zum [X.] nicht aufgegriffen wurden, behinderte Menschen in [X.] bzw Tageseinrichtungen sowie in Tageseinrichtungen für psychisch kranke bzw seelisch behinderte Personen umfassend in den Schutz der [X.] einzubeziehen (vgl Bericht zu den Beratungen im Ausschuss BT-Drucks 13/4853 [X.] unter [X.]).

Bei der Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG hat der Senat den verwaltungsverfahrensrechtlichen Fehler der Beklagten im Sinne des Verursacherprinzips berücksichtigt.

Meta

B 2 U 15/10 R

18.01.2011

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Würzburg, 19. Dezember 2007, Az: S 11 U 242/06, Urteil

§ 2 Abs 1 Nr 8 Buchst a SGB 7 vom 07.08.1996, § 7 Abs 1 Nr 1 SGB 8, § 7 Abs 1 Nr 2 SGB 8, § 7 Abs 1 Nr 3 SGB 8, § 7 Abs 2 SGB 8, § 7 Abs 4 SGB 8, § 22 SGB 8, § 35a SGB 8, § 41 Abs 2 SGB 8, § 45 Abs 1 S 1 SGB 8, § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst a RVO vom 18.03.1971

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 18.01.2011, Az. B 2 U 15/10 R (REWIS RS 2011, 10365)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10365

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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