Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2010, Az. 4 StR 599/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 9077

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Gegenstand

Strafverfahren: Anforderungen an die Revisionsbegründung bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung wegen fehlender Akteneinsicht


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.] wird das Urteil des [X.] vom 28. Juli 2009 bezüglich dieses Angeklagten aufgehoben, soweit die [X.] in den Ziffern IV. und [X.] festgestellt hat, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz Ansprüche Verletzter entgegenstehen und ein Geldbetrag von 557.299,87 € dem Wert des durch die Taten Erlangten entspricht.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten [X.], an eine andere [X.] des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten [X.] und die Revision des Angeklagten [X.] gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.

4. Der Angeklagte [X.] hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.] wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz Ansprüche Verletzter entgegenstehen und - hinsichtlich dieses Angeklagten - ein Geldbetrag von 557.299,87 € dem Wert des durch die Taten [X.] entspricht. Den Angeklagten [X.] hat die [X.] wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das [X.]eil richten sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung des sachlichen Rechts gestützten Revisionen der beiden Angeklagten. Das Rechtsmittel des Angeklagten [X.] hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es, wie die Revision des Angeklagten [X.] insgesamt, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen, mit denen sie eine Beschränkung der Verteidigung geltend machen, weil der Antrag, Einblick in die gesamten [X.] des Ursprungsverfahrens der Staatsanwaltschaft [X.] zu gewähren, zurückgewiesen worden sei, haben keinen Erfolg.

3

a) Den Verfahrensrügen liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde:

4

In dem gegen [X.] wegen des Verdachts des Diebstahls geführten Ermittlungsverfahren wurde im Jahr 2007 - zuletzt am 18. Oktober - die Überwachung seiner [X.] angeordnet und durchgeführt. Auf Grund der dabei gewonnenen Erkenntnisse wurde das Ermittlungsverfahren am 22. Oktober 2007 auf den Angeklagten [X.] und später auf [X.] als weitere Beschuldigte erstreckt. Am 7. März 2008 trennte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Angeklagten ab und verfügte, die Akte "vollständig" zu fotokopieren, wobei vermerkt ist, dass diese "derzeit" aus zwölf [X.] bestehe und - unter anderem - der "[X.]" in der nächsten Woche von der Polizei nachgereicht werde. In dem Ermittlungsverfahren gegen [X.] (und dessen Bruder) wurde am 27. März 2008 Anklage zum [X.] Konstanz erhoben. Das gegen die Angeklagten geführte Ermittlungsverfahren wurde - mit 4 [X.] Hauptakten, 3 [X.] Finanzermittlungen, 2 Sonderbänden KT-Maßnahmen, 8 Bänden Fallakten und 1 Karton mit Asservaten - am 13. August 2008 an die Staatsanwaltschaft [X.] abgegeben, die den Verteidigern der Angeklagten am 30. Januar 2009 Akteneinsicht gewährte und unter dem Datum dieses Tages die Anklageschrift verfasste.

5

In der Hauptverhandlung wurde zu mehreren überwachten Telefongesprächen [X.] erhoben. Einen "Beweisantrag" des Verteidigers des Angeklagten [X.], mit dem er die Beiziehung der vollständigen [X.] des Strafverfahrens gegen [X.] und dessen Bruder sowie Einsicht in diese Akten begehrte, um festzustellen, "dass in der Ermittlungsakte des vorliegenden Verfahrens die [X.] Protokolle nur unvollständig enthalten sind", lehnte die [X.] mit [X.]uss vom 28. Juli 2009 wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit ab, wobei sie ergänzend ausführte, dass sich - anders als vom Verteidiger vorgetragen - aus der Nummerierung der [X.] (auf das Gespräch 1391 folgte das Gespräch 1406) keine Rückschlüsse darauf ziehen lassen, dass sich in der Akte des [X.]s Konstanz weitere [X.] befinden. Eine Beiziehung der Akten des [X.]s Konstanz erfolgte - auch in der Folgezeit - nicht.

6

Sonstige Bemühungen um Akteneinsicht - auch in dem vor dem [X.] Konstanz durchgeführten Strafverfahren - wurden nach dem Vortrag der Revisionsführer von den Angeklagten oder ihren Verteidigern nicht bzw. nach dem 30. Januar 2009 nicht mehr unternommen. Auch teilt die Revision nicht mit, welche konkreten weiteren Erkenntnisse sich aus der Einsicht in die [X.], die sich in den Akten des [X.]s Konstanz befinden, ergeben hätten.

7

b) Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

8

Dabei kann dahinstehen, ob bei einem zeitweise gegen mehrere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren nach der Abtrennung des Verfahrens gegen einen oder mehrere Beschuldigte das Akteneinsichtsrecht im anhängigen Verfahren auch solche Akten oder Aktenteile umfasst, die dem Gericht tatsächlich nicht vorliegen, die aber in dem (auch und noch) gegen die Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen der Taten angefallen sind, die letztlich Gegenstand der Anklageschriften geworden sind (vgl. [X.], [X.]. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09). Dem könnte entgegenstehen, dass sich nach der bisherigen Rechtsprechung der Anspruch auf Akteneinsicht nur auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten bezieht ([X.], [X.]. vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, [X.]St 30, 131, 138, 141, und [X.]. vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 317, 327 m.w.N.; ähnlich ["bei Gericht vorliegende Unterlagen"] [X.], [X.]. vom 10. Oktober 1990 - StB 14/09, [X.]St 37, 204, 206), also [X.] aus anderen Verfahren dem Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO selbst dann nicht unterliegen, wenn die Verfahren zeitweise gemeinsam geführt, später aber getrennt und diese im formellen Sinne "fremden" Akten nicht beigezogen wurden ([X.], [X.]. vom 4. Oktober 2007 - [X.], [X.]St 52, 58, 62; vgl. auch [X.], [X.]. vom 26. August 2005 - 2 [X.], [X.]St 50, 224, 229).

9

Den [X.] ist der Erfolg jedenfalls deshalb zu versagen, weil es für die Annahme, die Verteidigung sei in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden, nicht genügt, dass diese Beschränkung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr ist § 338 Nr. 8 StPO nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem [X.] und dem [X.]eil konkret besteht (vgl. die Nachweise bei [X.] 52. Aufl. § 338 Rdn. 59 und [X.] StPO 6. Aufl. § 338 Rdn. 101). Bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von Akten bzw. eines [X.] ist daher ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (vgl. [X.], [X.]. vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, [X.]St 30, 131, 138, 143, und [X.]. vom 2. Februar 1999 - 1 [X.], [X.], 248, 249 m. Anm. [X.]). Damit korrespondiert das Erfordernis möglichst konkreten Vortrags bei einer Rüge wegen unterlassener Beiziehung von Akten unter dem Aspekt der Verletzung der Aufklärungspflicht ([X.], [X.]. vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 317, 328 m.w.N.; vgl. auch [X.], [X.]. vom 21. Oktober 2004 - 1 [X.]). Sollte eine solche konkrete Bezeichnung wesentlichen vorenthaltenen Aktenmaterials dem Verteidiger nicht möglich sein, weil ihm die Akten, in die er Einsicht nehmen will, verschlossen geblieben sind, so muss er sich - damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird - jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Revisionsgericht auch dartun ([X.], [X.]. vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 317, 328, und [X.]. vom 23. August 2006 - 5 [X.], [X.], 459, 460).

An einem solchen zumutbaren und jedenfalls nach § 475 StPO Erfolg versprechenden (vgl. [X.], [X.]. vom 26. August 2005 - 2 [X.], [X.]St 50, 224) Bemühen um Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft oder des [X.]s Konstanz fehlt es vorliegend.

2. Hinsichtlich des Angeklagten [X.] hat dagegen die Sachrüge teilweise Erfolg. Denn das [X.] hat - wie der [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend ausführt - nicht berücksichtigt, dass eine teilweise bereits durchgeführte Schadenswiedergutmachung (hier durch Rückgabe eines Teils der Hehlerware an den Eigentümer) bezogen auf diesen Teil einer Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO entgegensteht (vgl. Senat [X.]. vom 10. November 2009 - 4 [X.]/09).

Dies führt zur Aufhebung von den Ziffern IV. und [X.] des angefochtenen [X.]eils. Dem Senat ist eine Korrektur dieser Entscheidung verwehrt, da es sich bei § 111i Abs. 2 StPO um eine Ermessensentscheidung handelt, die dem Tatrichter vorbehalten ist (vgl. [X.], [X.]. vom 18. Dezember 2008 - 3 [X.], [X.], 241, 242). Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es indes nicht (vgl. [X.] aaO § 353 Rdn. 12, 15).

Tepperwien                                          Athing                                           Solin-Stojanović

                              Ernemann                                      Mutzbauer

Meta

4 StR 599/09

23.02.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Saarbrücken, 28. Juli 2009, Az: 1 KLs 12/09 - 5 Js 495/08 - 2 AR 49 - 50/09, Urteil

§ 147 StPO, § 338 Nr 8 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, § 475 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2010, Az. 4 StR 599/09 (REWIS RS 2010, 9077)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9077

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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