Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 3 StR 90/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8280

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Selbstablehnung eines Richters in einer Strafsache: Überprüfbarkeit durch das Revisionsgericht; Vorliegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters


Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 14. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt mit der Verfahrensrüge zur Aufhebung des Urteils.

2

I. Mit Recht beanstandet der Beschwerdeführer, dass an dem Urteil eine [X.]in mitgewirkt hat, deren [X.] zu Unrecht zurückgewiesen worden ist.

3

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Geschädigter im vorliegenden Verfahren ist ein [X.] am [X.] Hildesheim. Noch vor Beginn der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende [X.]in der zuständigen 3. Großen [X.] des [X.]s Hildesheim eine Erklärung ab, mit der sie Selbstanzeige zu Umständen machte, die ihrer Ansicht nach eine Befangenheit begründen könnten: Der Verletzte sei ein Kollege, zu dem sie eine enge Bindung habe. Sie kenne ihn bereits aus der gemeinsamen Assessorenzeit und nehme mit ihm seit 2011 nahezu täglich - im [X.] weiterer Kollegen - das Mittagessen ein. Dabei würden auch regelmäßig Gespräche mit privatem Inhalt geführt. Aufgrund dieses - über kollegiale Beziehungen hinausgehenden - Verhältnisses zum Geschädigten sei sie dem Beschuldigten gegenüber nicht unvoreingenommen. Sie halte sich für befangen.

4

Mit Beschluss vom 28. Juni 2015 hat die [X.] des [X.]s Hildesheim festgestellt, dass ein Grund, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden [X.]in zu rechtfertigen, nicht vorliege. Ob die [X.]in sich selbst für befangen halte, sei ohne Belang. Im Übrigen lege das dienstliche Verhältnis zwischen der Vorsitzenden [X.]in und dem Verletzten keine Voreingenommenheit nahe. Ein solches Verhältnis könne nur dann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn es besonders eng sei und auf die persönlichen Verhältnisse ausstrahle. Aus der Anzeige ergebe sich jedoch weder eine dienstliche Zusammenarbeit noch ein privates Verhältnis, das die Schwelle zur Freundschaft überschreite.

5

Hiergegen wendet sich die Revision mit der Begründung, dass die Feststellung, ein Grund für Misstrauen in die Unparteilichkeit der [X.]in liege nicht vor, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar sei. Maßgeblich sei, dass die Vorsitzende [X.]in ausdrücklich und unmissverständlich mitgeteilt habe, gegenüber dem Beschuldigten nicht unvoreingenommen zu sein. Diese innere Einstellung offenbare ihre Befangenheit.

6

2. Durch die Verfahrensweise des [X.]s wurde der Beschuldigte seinem gesetzlichen [X.] entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG). Im Einzelnen:

7

a) In den Fällen des § 30 [X.] kann das Revisionsgericht den Beschluss, durch den die Selbstanzeige eines [X.]s wegen eines Verhältnisses, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, für begründet oder für nicht begründet erklärt wird, grundsätzlich nicht überprüfen ([X.], Beschlüsse vom 13. Februar 1973 - 1 StR 541/72, [X.]St 25, 122, 127 mwN; vom 5. Januar 1977 - 3 [X.], [X.]St 27, 96, 99). Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 [X.] betrifft lediglich den Fall der Ablehnung des [X.]s nach § 24 [X.], nicht die Selbstanzeige eines [X.]s nach § 30 [X.]. Der Grundsatz der Nichtüberprüfbarkeit gilt indes nicht ausnahmslos. Vielmehr kann im Falle einer objektiv willkürlichen Verfahrensweise mit der Verletzung von § 16 Satz 2 GVG im Revisionsverfahren eine Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begehrt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Februar 1968 - 2 [X.], [X.]St 22, 94, 100; [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 30 Rn. 9). So greift eine Rüge, § 16 Satz 2 GVG sei verletzt, durch, wenn das Verfahren des § 30 [X.] missbraucht wird, indem ein [X.] Anzeige nach § 30 [X.] erstattet und das Gericht sie für begründet erklärt, obwohl sowohl der Anzeigende als auch das Gericht keine Befangenheit besorgen ([X.]/Siolek, [X.], 26. Aufl., § 30 Rn. 24). Denn durch eine grundlose [X.] darf ein Angeklagter nicht dem verfassungsrechtlich garantierten gesetzlichen [X.] entzogen werden ([X.], Beschluss vom 27. Oktober 1993 - 3 StR 512/93, [X.]R [X.] § 30 Selbstanzeige 1). Nichts anderes gilt, wenn die [X.] des [X.]s aus Gründen, die rechtlich unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar sind, für unbegründet befunden wird.

8

b) Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Feststellung, Gründe für den Anschein einer Befangenheit der Vorsitzenden [X.]in seien nicht gegeben, ist angesichts der in der [X.] vorgetragenen Angaben nicht vertretbar. Schon die von der [X.]in angezeigten äußeren Umstände zu ihrem Verhältnis zu dem Geschädigten rechtfertigten die Besorgnis ihrer Befangenheit nach § 24 Abs. 1 Alternative 2, Abs. 2 [X.]. Nach ihren Angaben besteht eine enge Bindung zu dem Verletzten, die auch in das Privatleben hineinreicht. Dies lässt aus der Sicht eines verständigen Angeklagten den Schluss zu, dass ihr Verhältnis zu dem Verletzten über dienstliche Beziehungen, die für sich allein die Annahme von Befangenheit nicht rechtfertigen können (vgl. [X.]/ [X.], [X.], 60. Aufl., § 24 Rn. 10 mwN), hinausgehen. Ob die Zurückweisung der Selbstanzeige bereits deshalb nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern - weil willkürlich - mit dem Grundsatz des gesetzlichen [X.]s nicht mehr zu vereinbaren ist, kann indes dahinstehen. Denn die Vorsitzende [X.]in hat zudem ausdrücklich mitgeteilt, dass sie gegenüber dem Beschuldigten nicht unvoreingenommen sei. Zwar ist es für die Befangenheit grundsätzlich unerheblich, ob sich ein [X.] für befangen hält, da es maßgeblich nicht auf dessen subjektive Sicht, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage ankommt (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 1972 - [X.], [X.]E 32, 288, 290). Teilt der [X.] dem Angeklagten aber mit, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bekundet er eine innere Einstellung zu dem Angeklagten, die diesem - jedenfalls wenn sie mit nachvollziehbaren objektiven Umständen begründet wird - bei verständiger Würdigung Grund zu der Annahme liefert, dass der betreffende [X.] eine innere Haltung gegen seine Person eingenommen hat, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst.

9

Hier hat die [X.]in Gründe für ihre Befangenheit angeführt, die schon für sich die Ablehnung gerechtfertigt hätten. Indem sie gleichzeitig erklärt hat, deshalb gegenüber dem Beschuldigten voreingenommen zu sein, musste dieser auch bei verständiger Würdigung davon ausgehen, dass sie ihn und seine Tat nicht unbefangen beurteilen würde. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der [X.], der Beschuldigte habe keinen Grund, an der Unparteilichkeit der Vorsitzenden [X.]in zu zweifeln, nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar und damit objektiv willkürlich.

Auf dem Umstand, dass der Beschuldigte seinem gesetzlichen [X.] entzogen worden ist, beruht das angefochtene Urteil (§ 337 Abs. 1 [X.]); denn der [X.] kann nicht ausschließen, dass dieses anders ausgefallen wäre, wenn die [X.] in anderer Besetzung verhandelt hätte. Das Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der [X.] macht von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren an ein anderes Gericht desselben [X.] zurückzugeben (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 [X.]).

II. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der [X.] auf Folgendes hin:

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16, [X.], 203, 204). Daraus folgt zunächst das Erfordernis einer eindeutigen Bewertung des psychischen Zustandes des [X.]. Hierfür muss geklärt werden, ob er (noch) die Fähigkeit besitzt, das Unrecht seines Tuns zu erkennen und lediglich nicht in der Lage ist, danach zu handeln, oder ob ihm bereits die Fähigkeit zur Einsicht in das Unerlaubte seiner Tat fehlt. Die Anwendung des § 20 StGB kann nicht auf beide Alternativen zugleich gestützt werden ([X.], Beschlüsse vom 8. April 2003 - 3 [X.], [X.], 232 f.; vom 9. September 1986 - 4 [X.], [X.]R StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Erst wenn sich ergeben hat, dass der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war, kann sich die Frage nach seiner Steuerungsfähigkeit stellen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16, [X.], 203, 205; Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 [X.], [X.], 167, 168).

Es erscheint zweifelhaft, ob das Urteil vorliegend eine solche eindeutige Bewertung des Zustandes des Beschuldigten enthält. Das [X.] ist dem psychiatrischen Sachverständigen folgend davon ausgegangen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten nicht ausschließbar, die Steuerungsfähigkeit hingegen sicher aufgehoben war. Dies betreffe nicht die sog. exekutive Steuerungsfähigkeit, die ihm weiterhin zielgerichtetes Handeln ermöglicht habe, wohl aber die "intentionale Steuerungsfähigkeit", da der Beschuldigte nicht in der Lage gewesen sei zu erkennen, dass sein Handeln auf dem Verkennen der als bedrohlich empfundenen Situation beruhe. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.] die Voraussetzungen der Aufhebung der Einsichtsfähigkeit verkannt hat. Denn wenn der Beschuldigte aufgrund seiner psychischen Erkrankung in Verkennung der tatsächlichen Situation davon ausgegangen ist, bedroht zu werden, und sich deshalb berechtigt sah, sich gegen diese angebliche Bedrohung zur Wehr zu setzen, war bereits die Einsichts- und nicht erst die Steuerungsfähigkeit aufgehoben. Dies wird die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] - ggf. unter Beiziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen - näher aufzuklären und darzulegen haben. Zur Frage der Schuldfähigkeit bei lediglich erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit wird auf [X.]/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 21 Rn. 1 mwN verwiesen.

[X.]   

        

   Gericke   

        

Spaniol

        

Ri[X.] [X.] befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

                          
        

[X.]

        

Hoch   

        

Meta

3 StR 90/17

11.07.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hildesheim, 14. November 2016, Az: 17 Js 14464/16 - 14 KLs

§ 24 Abs 2 StPO, § 30 StPO, § 338 Nr 3 StPO, § 16 S 2 GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.07.2017, Az. 3 StR 90/17 (REWIS RS 2017, 8280)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8280

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 90/17 (Bundesgerichtshof)


1 StR 477/22 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sicherungsverfahren: Erfordernis einer widerspruchsfreien Darlegung zur Schuldfähigkeit …


4 StR 12/20 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Schuldfähigkeitsprüfung hinsichtlich Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit; Gefährlichkeitsprognose bei längerer …


3 StR 249/17 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Rückschluss aus dem Schweigen des Beschuldigten auf dessen …


3 StR 368/17 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren gegen einen schuldunfähigen Straftäter: Darstellungsanforderungen im Urteil bei Abweichung des Tatrichters vom psychiatrischen Gutachten …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.