Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2010, Az. II ZR 185/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 3018

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Gegenstand

Berufungsverfahren: Zulässigkeit der Erweiterung der Berufungsanträge; Anfechtbarkeit des einstimmigen Zurückweisungsbeschlusses des Berufungsgerichts


Tenor

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 5. Mai 2009 richtet.

Im Übrigen wird auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten das Schlussurteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 16. Juli 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 171.000 €

Gründe

1

Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den nach § 522 Abs. 2 ZPO gefassten Beschluss des Berufungsgerichts richtet. Im Übrigen ist die Beschwerde begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

2

I. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gegen die durch den Beschluss vom 5. Mai 2009 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesene Berufung im Hinblick auf die [X.] zu 1 und 2 richtet, ist die Beschwerde unzulässig, weil insoweit eine Revision unstatthaft ist.

3

1. Gemäß § 542 Abs. 1 ZPO findet eine Revision nur gegen in der Berufungsinstanz erlassene [X.] statt. Ein Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ist unanfechtbar (§ 522 Abs. 3 ZPO), d.h. durch Rechtsmittel der ZPO nicht angreifbar ([X.], Urteil vom 23. November 2006 - [X.], [X.], 697, 698 mwN).

4

2. Ohne Bedeutung ist, dass das Berufungsgericht in dem Schlussurteil vom 16. Juli 2009 erneut "im Übrigen" die Widerklage "abgewiesen" hat.

5

Dieser Tenor geht ins Leere, weil die Zurückweisung der Berufung gegen die Abweisung der Widerklage durch den [X.] vom 5. Mai 2009 bereits rechtskräftig erfolgt ist. Der [X.] ist auch nicht nichtig. Als in dem vorgesehenen Verfahren zu Stande gekommener hoheitlicher Akt beansprucht er aus Gründen der Rechtssicherheit Geltung gegenüber jedermann, sofern ihm nicht ein offenkundiger, schwerer Fehler anhaftet, der ausnahmsweise zur Nichtigkeit führt. Die Frage der Zulässigkeit von [X.] gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ist zwar nach der Gesetzesbegründung zu verneinen, der Gesetzeswortlaut ist allerdings offen, deshalb wird ein [X.] in Teilen der Rechtsprechung und Literatur für zulässig gehalten (zum Ganzen [X.], Urteil vom 23. November 2006 - [X.], [X.], 697, 698 mwN). Unter diesen Umständen kann eine Nichtigkeit eines [X.]es gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht angenommen werden. Eine Nichtigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass es an einer Teilbarkeit der Feststellungsklage und den widerklagend geltend gemachten Zahlungsansprüchen fehlt. Das Berufungsgericht mag rechtsfehlerhaft von einer solchen Teilbarkeit ausgegangen sein. Ein solcher einfacher Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses.

6

II. Die gegen das Schlussurteil vom 16. Juli 2009 gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils im tenorierten Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

1. Der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde steht zunächst nicht der im Wege der Gegenrüge des [X.] erhobene Einwand gegen die Zulässigkeit der Berufung der Beklagten entgegen. Zu Unrecht meint der Kläger insoweit, das Berufungsgericht habe nicht den Feststellungstenor des Urteils des [X.] aufheben und sodann (nur) den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag des [X.] zusprechen dürfen, weil die Beklagten insoweit die Berufungsbegründungsfrist versäumt hätten.

8

Zutreffend ist allerdings, dass die Beklagten in der fristgerecht am 9. September 2008 eingegangenen Berufungsbegründung lediglich beantragt haben, das angefochtene Urteil dahin zu ändern, dass der Kläger gemäß den [X.]n verurteilt wird. Dass auch der stattgebende Feststellungstenor des landgerichtlichen Urteils bekämpft werden solle und die Klage insoweit abzuweisen sei, wird dort jedenfalls ausdrücklich nicht gesagt. Erst im nicht mehr fristgemäß am 12. September 2008 eingegangenen Schriftsatz werden die [X.] dahin "ergänzt", dass ausdrücklich "Abweisung der Klage" beantragt wird.

9

Eine solche Erweiterung der [X.] ist allerdings bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig, soweit die erweiterten Anträge durch die fristgerecht eingereichten Berufungsgründe (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO) gedeckt sind ([X.], Versäumnisurteil vom 6. Juli 2005 - [X.], NJW 2005, 3067; Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 520 Rn. 25, jeweils mwN). So liegt der Fall auch hier. Die Beklagten haben sich in der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung umfassend gegen die Annahme des erstinstanzlichen Urteils gewandt, die Praxisgemeinschaft sei mit Ablauf des 30. September 2005 aufgelöst worden.

2. Das Berufungsgericht hat bei seiner Annahme, in ergänzender Auslegung der in § 10 Abs. 1 und 2 des [X.] getroffenen Regelungen könne der Kläger die Praxisgemeinschaft mit den Beklagten verlassen, den Vortrag der Beklagten nur unvollständig zur Kenntnis genommen und eine sich nach diesem Vortrag in Verbindung mit den sonstigen unstreitigen Umständen aufdrängende Auslegung der Regelungen des [X.] nicht vorgenommen. Es hat damit den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

a) Die Auslegung eines Vertrages ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungsgesetze verletzt oder wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen hat (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 7. März 2005 - [X.], [X.], 1068, 1069; [X.], Beschluss vom 14. Juni 2010 - [X.], [X.] 2010, 1583 Rn. 7). Geht das Gericht bei der Auslegung vertraglicher Bestimmungen aber auf [X.] des Vortrags einer [X.] nicht ein, lässt sich daraus schließen, dass es diesen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies rechtfertigt im [X.] die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht ([X.], Beschluss vom 14. Juni 2010 - [X.], [X.] 2010, 1583 Rn. 7 mwN).

b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten übergangen, dass diese sich erst dann bereit erklärt hätten, das bebaute Nachbargrundstück in der [X.] zu kaufen, die Praxisfläche durch die Erweiterung auf das Nachbargrundstück nahezu zu verdoppeln und die Investitionen hierfür allein zu tragen, nachdem der Kläger sich verpflichtet habe, zumindest fünf Jahre lang die Praxisgemeinschaft mit den Beklagten zu betreiben. Denn wirtschaftlich tragfähig sei das Konzept nur für den Fall gewesen, dass der Kläger mindestens fünf Jahre lang die Praxiskosten im Rahmen der Praxisgemeinschaft mit trage und auch die vereinbarte Miete von 800 € im Monat zahle. Auch die in S. geltende [X.] für Internisten sei zu beachten: Weil S. mit Internisten überversorgt sei, erhielten junge Ärzte nur dann eine Kassenzulassung, wenn ein anderer Arzt auf seine Kassenzulassung verzichte. Deshalb hätten auf absehbare [X.] kaum Aussichten bestanden, anstelle des [X.] einen anderen Internisten in die Praxisgemeinschaft aufzunehmen, der die Kosten trage, für die der Kläger nach dem [X.] aufzukommen habe.

3. [X.] auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dann, wenn es den Vortrag der Beklagten zur Kenntnis genommen hätte, zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die Annahme von ungeregelten Kündigungs- oder sonstigen [X.] der [X.]er im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vor Ablauf von fünf Jahren grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Dies gilt umso mehr, als der vom Berufungsgericht übergangene Vortrag durch den Vertragstext selbst gestützt wird. So ist in § 5 Abs. 2 des [X.]s festgehalten, dass "die Kosten des Umbaus des Hauses [X.] 14 bis zur schlüsselfertigen Herstellung sowie die Kosten der gleichzeitig durchzuführenden Renovierung der Praxisräume [X.] 12 im Rahmen der Erweiterung des [X.] und der Verbindung der Häuser [X.] 12 und 13 (die) Dres. H." übernehmen. In § 9 Abs. 2 des Vertrages ist eine ordentliche Kündigung innerhalb der ersten fünf Jahre nach Wirksamwerden des [X.] für alle Partner ausdrücklich ausgeschlossen worden.

III. Der Senat weist für das neue Berufungsverfahren auf Folgendes hin.

1. Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, das Berufungsgericht habe sich in seiner tatrichterlichen Würdigung, wonach dem in § 10 Abs. 1 [X.] geregelten Fall der "Kündigung der [X.] durch einen Partner" das "Ausscheiden eines [X.]ers durch Vergleich" gleichstehe, ausschließlich auf § 10 Abs. 1 [X.]svertrag gestützt. Es habe dagegen unterlassen, neben den von den Beklagten vorgetragenen wirtschaftlichen Hintergründen der Kündigungsregelungen auch Wortlaut und Systematik der übrigen Vertragsbestimmungen in den Blick zu nehmen.

a) Bereits der Wortlaut von § 10 Abs. 1 des [X.] spricht gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene entsprechende Anwendung dieser Regelung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Denn dort ist der Fall der Kündigung der [X.] und nicht die Beendigung der Mitgliedschaft eines [X.]ers bei Fortbestehen der [X.] geregelt. Den letztgenannten Fall regelt vielmehr § 10 Abs. 2 des [X.] ("Ausscheiden eines [X.]ers durch Kündigung"), und dort ist von [X.] der anderen [X.]er gerade nicht die Rede.

b) Auch die vom Berufungsgericht nicht erwähnte Vertragssystematik spricht gegen das Auslegungsergebnis eines Lösungsrechts des [X.]. § 10 Abs. 1 des [X.] regelt eine Rechtsfolge, nämlich die Niederlassungsfreiheit aller Partner im Falle der Beendigung der [X.] durch (wirksame) Kündigung eines Partners. Die [X.], also ein Kündigungsrecht, ist in § 10 des [X.] gar nicht geregelt; diese Vorschrift kann deshalb auch in ihrer entsprechenden Anwendung schwerlich ein Kündigungs- oder sonstiges Lösungsrecht begründen. Kündigungsrechte sind vielmehr in § 9 des [X.] normiert. Aus Abs. 2 dieser Regelung, nach dem eine ordentliche Kündigung innerhalb der ersten fünf Jahre nach Wirksamwerden des [X.] für alle Partner ausgeschlossen ist, ergibt sich, dass die Partner einen erheblichen Bestandsschutz der Partnerschaft wollten, was - wie dargelegt - jedenfalls vor dem Hintergrund des vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Vortrags der Beklagten zur Entstehungsgeschichte und zu dem wirtschaftlichen Hintergrund der Vereinbarung der Annahme von ungeschriebenen [X.] bereits im [X.] des Bestehens der Praxisgemeinschaft entgegensteht.

2. Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts könnte außerdem deshalb dem Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung (vgl. dazu [X.], Urteil vom 3. April 2000 - [X.], [X.], 2099 mwN) widersprechen und damit auch nicht Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung sein, weil das Ausscheiden von Frau [X.] - und damit der Umstand, den das Berufungsgericht für ein Lösungsrecht des [X.] ausreichen lässt - letztlich Folge einer zwischen [X.] und dem Kläger selbst bereits im [X.] des Bestehens der Praxisgemeinschaft, nämlich schon im Juli 2005 getroffenen und vom [X.] auch festgestellten Vereinbarung gewesen sein könnte, die [X.] gemeinsam zu verlassen, um eine eigene Praxisgemeinschaft zu gründen. Dieses Vorgehen wäre nur dann kein Verstoß gegen gesellschaftsvertragliche Pflichten, wenn sowohl [X.] als auch dem Kläger ein Kündigungsrecht zustand. Dies konnte nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen nur ein außerordentliches Kündigungsrecht sein (§ 9 Abs. 2 [X.]). Danach ist eine außerordentliche Kündigung auch innerhalb der [X.] möglich, allerdings mit der Rechtsfolge, dass derjenige [X.]er, der den Grund für die außerordentliche Kündigung gegeben hat, die Praxisgemeinschaft verlassen muss. Ob für [X.] ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegeben war, hat das [X.] ausdrücklich offen gelassen. Ein wichtiger Grund für ein außerordentliches Lösungsrecht des [X.] ist ebenfalls nicht ersichtlich. Er könnte allenfalls darin gesehen werden, dass [X.] im Vergleichswege die [X.] verlassen hat. Das Berufungsgericht hat aber nicht festgestellt, dass die Fortsetzung der [X.] mit den Beklagten für den Kläger durch diesen Umstand unzumutbar geworden wäre, wogegen auch sprechen könnte, dass der Kläger an dem Vergleich nicht beteiligt war, sich gegen das Ausscheiden von [X.] also hätte wehren können.

Strohn                              Caliebe                          Reichart

                  Löffler                               Born

Meta

II ZR 185/09

27.09.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Rostock, 16. Juli 2009, Az: 1 U 137/08, Urteil

§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 4 ZPO, § 522 Abs 2 ZPO, § 522 Abs 3 ZPO, § 542 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2010, Az. II ZR 185/09 (REWIS RS 2010, 3018)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3018

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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25.01.2023

II ZR 185/09

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II ZR 135/09

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