Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2016, Az. VI ZR 565/15

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4890

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:270916BVIZR565.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 565/15
vom

27. September
2016

in dem Rechtsstreit

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am 27. September
2016 durch den Vorsitzenden [X.], den [X.] [X.], die [X.]innen Dr.
[X.] und [X.] und den [X.] Dr. Klein
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird der Be-schluss des 20. Zivilsenats des Kammergerichts vom [X.] 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung wegen behaupteter Diagnose-
und Befunderhebungsfehler in Anspruch.
Der Kläger stellte sich am 20. Februar 2012 wegen starker Bauch-schmerzen und Übelkeit in der Praxis der [X.], seiner Hausärztin, vor. Ob der Kläger dabei auch über Durchfall geklagt hat, ist zwischen den [X.]en 1
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streitig. Die Beklagte diagnostizierte eine [X.] (Gastroenteri-tis). Sie verordnete dem Kläger Magentropfen und schrieb ihn für eine Woche krank. Am 22.
Februar 2012 -
zwei Tage später -
wurde der Kläger wegen akuten Abdomens in die Klinik
eingeliefert, wo
er noch am selben Tag operiert wurde. Bei der [X.] mussten Teile des Darms entfernt werden. Ursächlich für die Beschwerden war eine Bauchfellentzündung (Peritonitis), ausgelöst durch eine Entzündung des Dickdarms mit Wanddurchbruch (Divertikulitis mit Perforation). Der Kläger wirft der [X.] vor, fehlerhaft eine Gastroenteritis diagnostiziert
und weitere Untersuchungen unterlassen
zu haben.
Das [X.] hat die Klage auf Grundlage eines [X.] und nach Anhörung der [X.]en aus tatsächlichen Gründen abge-wiesen. Nach der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Kläger gegenüber der [X.] über Durchfall geklagt
habe. Auf dieser Grundlage sei die Diagnose einer Gastroenteritis nicht fehlerhaft gewesen. Das [X.] hat die Berufung durch Beschluss gemäß §
522 Abs. 2 ZPO zurückgewie-sen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen [X.] sich der Kläger mit
der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückver-weisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entschei-dungserheblicher Weise verletzt.

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Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsge-richt dem angebotenen Zeugenbeweis auf Vernehmung der den Kläger am 22.
Februar 2012 behandelnden Klinikärzte
zu dem Inhalt des dortigen [X.] nicht nachgegangen ist.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberück-sichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt aber -
auch bei [X.] durch den Tatrichter (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7.
Dezember 2006 -
IX ZR 173/03, [X.], 666 Rn.
9 mwN; vom 20. Mai 2015 -
VII ZR 78/13, [X.], 1528 Rn. 7) -
dann gegen
Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. [X.], NJW-RR 2001, 1006, 1007; NJW 2003, 1655; Senat, Beschlüsse vom 12. Mai 2009 -
VI
ZR 275/08, [X.], 1137 Rn. 2 mwN; vom 13. Januar 2015 -
VI
ZR 551/13, [X.], 212 Rn. 3). Das ist auch dann der Fall, wenn die [X.] darauf beruht, dass das Gericht verfah-rensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer [X.] gestellt hat. Es verschließt sich in einem solchen Fall der Erkenntnis, dass eine [X.] ihrer Darlegungslast schon dann genügt, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Eine solche nur scheinbar 5
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das [X.]vorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Berufungsgerichts dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den [X.]vortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinander-zusetzen; sie ist deswegen nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des [X.] (Senatsbeschluss vom 22.
März 2016 -
VI [X.], juris Rn. 4; [X.], Beschluss vom 22. Juni 2009 -
II
ZR 143/08, [X.], 2598 Rn. 2 mwN; Beschluss vom 6. Februar 2013 -
I
ZR 22/12, [X.] 2013, 430 Rn. 10; Beschluss vom 16. April 2015 -
IX [X.], NJW-RR 2015, 829 Rn. 9).
2. Nach diesen Maßstäben findet die Ablehnung der angebotenen Zeu-genvernehmung mit der Begründung, der
diesbezügliche Vortrag des [X.] reiche nicht aus,
im Prozessrecht keine Stütze.
a) Das Berufungsgericht führt aus, die Behauptung des [X.], er habe bei dem Aufnahmegespräch in der Klinik nicht angegeben, dass er seit einigen Tagen unter Durchfall leide, sei in Anbetracht der vorhandenen Unterlagen und des sonstigen Vorbringens des [X.] nicht ausreichend dargelegt und wider-sprüchlich. Dies gelte auch angesichts des Umstandes, dass es zwei unter-schiedliche Versionen eines [X.] der Klinikärzte vom 23. Mai 2012 gebe, wobei der Kläger nach der einen Version über seit sechs Tagen bestehende Diarrhöen, nach der anderen Version über erst seit einem Tag bestehende [X.] und zuvor eher bestehende Obstipation (Verstopfung) geklagt habe.
Schließlich habe der Kläger nach eigenen Angaben selbst keine Erinnerung mehr an das [X.] vom 22. Februar 2012.
b) Mit dieser Begründung durfte das Berufungsgericht eine Zeugenver-nehmung nicht für entbehrlich halten.
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aa) Der Umstand, dass der Kläger selbst sich an das Erstaufnahmege-spräch vom 22.
Februar 2012 nicht mehr erinnert und dass sein Vortrag zu [X.] der schriftlichen Klinikunterlagen in Widerspruch steht, kann allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden. In der Nichterhebung des Beweises liegt in diesen Fällen eine vorweggenommene Beweiswürdigung, die im Prozessrecht keine Stütze findet und daher eine Gehörsverletzung begrün-det ([X.], Beschlüsse vom 19. November 2008 -
IV ZR 341/07, [X.] 2010, 64; vom 6.
Februar 2013 -
I
ZR 22/12, [X.] 2013, 430 Rn. 10 f.; vom 23. April 2015 -
VII [X.], [X.], 1325 Rn. 20; vom 20. Mai 2015 -
VII ZB 53/13, NJW 2015, 2424 Rn. 14 mwN).
bb)
Der von dem
Kläger bezüglich seiner Angaben bei der [X.] am 22. Februar 2012 vorgetragene Sachverhalt ist klar und widerspruchs-frei, weshalb eine Beweisaufnahme nicht mit diesem Argument hätte abgelehnt werden dürfen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. Februar 2013 -
I
ZR 22/12, [X.] 2013, 430 Rn. 11; vom 20. Mai 2015 -
VII ZB 53/13, NJW 2015, 2424 Rn. 13 f.).
Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Vernehmung der behandelnden Ärzte unter Umständen gerade Aufklärung über die sich widersprechenden Versionen des [X.] vom 23. Mai 2012 bringen könnte. Da der Kläger seinen Beweisantrag auf die ihm günstige Version des [X.] vom 23. Mai 2012 stützen kann, stellt die beantragte Zeugenver-nehmung auch in Ansehung seiner fehlenden eigenen Erinnerung keinen unzu-lässigen Ausforschungsbeweis dar
(vgl. [X.], Urteil vom 8.
November 1995 -
VIII ZR 227/94, NJW 1996, 394).
3.
Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich.
Es kann nicht ausgeschlossen
werden, dass sich das Gericht im Falle
der vom Kläger bean-tragten Zeugenvernehmung
eine ihm günstige Überzeugung zu bilden vermag (vgl. [X.], NJW-RR 2001, 1006,
1007; Senatsbeschluss vom 22. März 2016 10
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VI
[X.], Rn. 12; [X.], Beschluss vom 21. März 2013 -
V
ZR 204/12, juris Rn. 10).
a) Das [X.] hat in seiner -
vom Berufungsgericht gemäß § 522 Abs.
2 ZPO bestätigten -
Beweiswürdigung ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Angaben der [X.] durch die ananmestischen Angaben aus den [X.] der Klinik bestätigt würden. Sollte dem
Kläger der Nachweis gelingen, dass er auch am 22. Februar 2012 nicht über Durchfall, sondern über Verstop-fung geklagt
hat, ist unter Berücksichtigung der weiteren Hilfsbeweisangebote umgekehrt auch der weitere Nachweis nicht
von vornherein
ausgeschlossen, dass der Kläger bereits zwei Tage zuvor nicht über Durchfall geklagt hat, was nach dem sonstigen Beweisergebnis des [X.]s der Vertretbarkeit der von der [X.] gestellten Diagnose einer Gastroenteritis die Grundlage ent-zöge.
b) Der Senat verkennt dabei nicht, dass der vorliegende [X.]
erst überzeugungskräftig ist, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Bei einem [X.] darf und muss der [X.] daher vor der Beweiserhebung prüfen, ob der [X.] schlüssig ist, ob also die vorgetragenen Indizien -
ihre Richtigkeit unterstellt -
ihn von der Wahrheit der
[X.] überzeugen würden. Werden -
wie hier
-
mehrere Hilfstatsachen vorgetragen, die jeweils für sich allein betrachtet keine sicheren Rückschlüsse auf die [X.] zulassen, ist vom Tatrichter dabei aber auch zu prüfen, ob die Hilfstatsachen in einer Gesamtschau, [X.] im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff wie vorliegend den Angaben der [X.]en und der [X.] der [X.], [X.] sind, ihn von der beweisbedürftigen Behauptung zu überzeugen ([X.], Urteile vom 17.
Februar 1970 -
III
ZR 139/67, [X.]Z 53, 245, 260
f.; vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.]Z 193, 159 Rn. 45).
Die wesentlichen Gesichtspunkte 13
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für diese Überzeugungsbildung, die vom Senat nicht abgeschätzt werden kann,
muss der Tatrichter, dem die Beweiswürdigung obliegt,
in den Gründen seiner Entscheidung nachvollziehbar darlegen ([X.], Urteile
vom 25. November 1992 -
XII ZR 179/91, NJW-RR 1993, 443, 444; vom 25.
Oktober 2012 -
I
ZR 167/11, [X.], 729 Rn. 26).

Galke
[X.]
[X.]

Roloff
Klein

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 24.04.2014 -
13 O 475/12 -

KG Berlin, Entscheidung vom 09.09.2015 -
20 U 103/14 -

Meta

VI ZR 565/15

27.09.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2016, Az. VI ZR 565/15 (REWIS RS 2016, 4890)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4890

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VII ZR 78/13

IX ZR 195/14

VII ZR 163/14

VII ZB 53/13

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