Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.04.2014, Az. XI B 2/14

11. Senat | REWIS RS 2014, 6617

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Gegenstand

Erstattung von Rechtsanwaltskosten für Einspruchsverfahren in Kindergeldfällen - Entbehrlichkeit eines richterlichen Hinweises auf fehlende Erfolgsaussicht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren


Leitsatz

1. NV: Ein den Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten ausschließendes Verschulden liegt vor, wenn der Einspruchsführer seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist und die Behörde trotz des Bestehens der Amtsermittlungspflicht keine andere Entscheidung treffen konnte .

2. NV: Bei einem rechtskundig vertretenen Beteiligten ist ein richterlicher Hinweis auf die fehlende Erfolgsaussicht des Begehrens des Beteiligten regelmäßig jedenfalls dann entbehrlich, wenn hierauf bereits der Prozessgegner hingewiesen hat .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt die Erstattung von Anwaltskosten im Vorverfahren nach § 77 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Der Kläger ist der Vater seiner im Februar 1993 geborenen [X.]ochter [X.] Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) setzte gegenüber dem Kläger für [X.] fest. Im März des Jahres 2011 beendete [X.] eine Ausbildung im Gastronomiebereich aus gesundheitlichen Gründen. Mit einem Schreiben vom 21. Mai 2012 gab die Familienkasse dem Kläger Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens dazu Stellung zu nehmen, ob für den Zeitraum Mai 2011 bis März 2012 die Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch für [X.] vorgelegen hätten, da die Berufsausbildung beendet oder abgebrochen worden sei. In dem Anschreiben wurde darauf hingewiesen, dass der Vordruck [X.] beigefügt sei, was nach Aktenlage tatsächlich auch der Fall war.

3

Am 1. Juni 2012 meldete sich der vom Kläger beauftragte Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwalt R, bei der Familienkasse und beantragte Akteneinsicht. Nachdem ihm mit Schreiben vom 6. Juni 2012 mitgeteilt worden war, dass Akteneinsicht in den Diensträumen, aber keine [X.] möglich sei, beantragte er am 15. Juni 2012 mit Bezugnahme auf die Rückforderung von Kindergeld für den Zeitraum Mai 2011 bis März 2012 die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides.

4

Nachdem im Einspruchsverfahren gegen die inzwischen erfolgte Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des Kindergeldes am 6. Februar 2013 der ausgefüllte Vordruck [X.] bei der Familienkasse eingegangen war, half diese dem Begehren des [X.] ab und hob den angegriffenen Bescheid auf. Die anschließend beantragte Erstattung der entstandenen Aufwendungen für den beauftragten Rechtsanwalt lehnte die Familienkasse unter Hinweis auf § 77 Abs. 1 Satz 3 EStG ab. Der Einspruch des [X.] blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab.

5

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.], mit der er als Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) die Verletzung rechtlichen Gehörs sowie Verstöße gegen die dem [X.] obliegenden [X.] und Hinweispflichten rügt.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] hat keinen Erfolg.

7

1. Die von dem Kläger als Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) ist nicht gegeben.

8

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den rechtserheblichen Tatsachen und Ergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vortragen zu können, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 19. November 2013 XI B 9/13, [X.], 373).

9

Der Kläger trägt hierzu vor, seine schriftlichen Ausführungen in den Schriftsätzen vom 19. April 2013, vom 12. August 2013 und vom 15. Oktober 2013, mit denen im Einzelnen vorgetragen worden sei, dass eine Notwendigkeit zur Hinzuziehung seines Prozessbevollmächtigten gegeben sei, habe das [X.] nicht hinreichend gewürdigt.

Aus diesem Vorbringen ergibt sich die gerügte Gehörsverletzung zum einen deshalb nicht, weil der Kläger selbst vorgetragen hat, dass er Gelegenheit hatte, seinen Rechtstandpunkt vor Ergehen der Entscheidung des Gerichts vorzutragen. Ferner lässt sich seinem Vortrag nicht entnehmen, dass das [X.] die entsprechenden Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Der Kläger hat überdies zu Recht selbst darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör das [X.] nicht verpflichtet, sich seinen rechtlichen Ansichten anzuschließen, sondern dass es Vorbringen der Beteiligten aus formellen und materiellen Gründen auch unbeachtet lassen darf (vgl. [X.] vom 26. November 2007 VIII B 121/07, [X.], 397, unter 1.b).

b) Auch die behauptete Überraschungsentscheidung und die in diesem Zusammenhang gerügte Verletzung der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 [X.]O liegen nicht vor.

aa) Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist gegeben, wenn das [X.] seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.] vom 10. September 2013 XI B 114/12, [X.] 2013, 1947, Rz 10, m.w.N.). Die in § 76 Abs. 2 [X.]O vorgesehene Regelung verpflichtet das [X.] nicht, die Beteiligten zu einer Substantiierung ihres Sachvortrags zu veranlassen, wenn die rechtliche Bedeutung der vorzutragenden Tatsachen für den Ausgang des Klageverfahrens auf der Hand liegt (vgl. u.a. [X.] vom 4. August 1999 VIII B 51/98, [X.] 2000, 204). Ebenso wenig ist das [X.] gehalten, die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Verfahrensbeteiligten umfassend zu erörtern oder ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, [X.], 51, [X.] 1989, 711; [X.] vom 12. Juli 2002 VII B 257/01, [X.] 2002, 1498, jeweils m.w.N.). Das gilt insbesondere dann, wenn ein Beteiligter steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten war (vgl. [X.] in [X.] 2000, 204).

bb) Danach hat das [X.] im Streitfall keine Überraschungsentscheidung getroffen, bzw. seine ihm obliegende Hinweispflicht gegenüber den Beteiligten verletzt.

Das [X.] hat im Streitfall entschieden, das ein den Erstattungsanspruch ausschließendes Verschulden i.S. des § 77 Abs. 1 Satz 3 EStG vorlag. Letzteres wird angenommen, wenn der Einspruchsführer seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist und die Behörde trotz des Bestehens der Amtsermittlungspflicht keine andere Entscheidung treffen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juli 2002 VIII R 73/00, [X.] 2003, 25). Das [X.] hat bei seiner Entscheidung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Kläger entweder den ihm bereits am 21. Mai 2012 übermittelten Vordruck [X.] hätte ausfüllen und der Familienkasse übermitteln oder die Familienkasse ggf. unverzüglich darüber hätte informieren müssen, dass der Vordruck entgegen dem Hinweis in dem Schreiben nicht beigefügt gewesen sei.

Diese seinem Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung hatte das [X.] schon seinem zuvor ergangenen Beschluss vom 4. September 2013  1 K 129/13, mit dem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, zugrunde gelegt. Der durch einen kundigen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger hätte daher mit einer entsprechenden Entscheidung im Streitfall rechnen müssen. Insbesondere war das [X.] angesichts dieses Geschehensablaufs nicht verpflichtet, der schriftlich ausdrücklich geäußerten Bitte des [X.] zu entsprechen, einen entsprechenden richterlichen Hinweis zu erteilen, falls es weiteren Sach- und [X.] für notwendig erachte.

2. Der Kläger hat schließlich den behaupteten Verfahrensfehler der Verletzung der dem [X.] von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 [X.]O nicht entsprechend den in § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genannten Darlegungsanforderungen gerügt.

a) Für eine schlüssige Rüge wären insoweit Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche Tatsachen das [X.] hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwieweit eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.] zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem [X.] unter Berücksichtigung seines [X.] die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.] vom 18. Dezember 2007 XI B 16/07, [X.], 595, unter b.bb, m.w.N.).

b) Diese Anforderungen erfüllt das Vorbringen des [X.] nicht.

Denn der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang lediglich in allgemein gehaltener Form, das [X.] hätte aus seinem gesamten schriftlichen Vorbringen das Erfordernis weiterer Sachverhaltsaufklärung ableiten müssen.

Soweit der Kläger darüber hinaus geltend macht, das [X.] sei "den angebotenen Beweisen nicht nachgegangen", ist seine Rüge gleichfalls nicht hinreichend substantiiert. Denn es ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, um welche konkreten Beweisangebote es sich in diesem Zusammenhang handeln soll. Die insoweit erforderlichen Angaben zum Beweisantritt und zum Beweisthema fehlen (vgl. z.B. [X.] vom 2. Oktober 2013 III B 56/13, [X.], 62, Rz 8). Die im Streitfall lediglich pauschal erfolgte Bezugnahme auf bestimmte Schriftsätze reicht insoweit nicht.

3. Der Senat war vor Ergehen dieses Beschlusses trotz der entsprechend geäußerten Bitte des Prozessbevollmächtigten des [X.] nicht verpflichtet, vor der Entscheidung des Senats einen weiteren richterlichen Hinweis auf "weiteren Sach- und [X.]" zu erteilen.

Denn bei einem rechtskundig vertretenen Beteiligten --wie hier-- ist ein richterlicher Hinweis auf die fehlende Erfolgsaussicht des Begehrens des Beteiligten regelmäßig jedenfalls dann entbehrlich, wenn hierauf bereits der Prozessgegner hingewiesen hat (vgl. z.B. [X.] vom 14. Februar 2012 [X.], [X.] 2012, 1149, Rz 9). Denn bei einer solchen Sachlage muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass das Gericht den Hinweisen des Prozessgegners folgt ([X.] vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, [X.] 2001, 1580). Dies ist hier gegeben. Denn die Familienkasse hat bereits mit Schriftsatz vom 10. Februar 2014 dargelegt, aus welchen Gründen ihres Erachtens die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben wird.

Im Übrigen ist ein Hinweis des Gerichts auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte zumindest dann nicht erforderlich, wenn der Beteiligte fachkundig vertreten ist (vgl. [X.] vom 27. Oktober 2008 XI [X.]/07, [X.] 2009, 118).

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI B 2/14

02.04.2014

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 27. November 2013, Az: 1 K 129/13, Urteil

§ 77 Abs 1 S 3 EStG 2009, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.04.2014, Az. XI B 2/14 (REWIS RS 2014, 6617)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6617

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