Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.05.2012, Az. 2 StR 139/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6012

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Schuldfähigkeit trotz der Diagnose einer Schizophrenie


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

2

1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen [X.] befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des in zwei Fällen [X.] begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steuerungsfähigkeit auf [X.] vollständig aufgehoben waren (§ 20 StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und des dadurch bedingten [X.] seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten, auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Maßregelvollzuges erfolgen.

3

2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.

4

Das [X.] hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der [X.] sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die [X.] bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des [X.] begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat ([X.]R StGB § 63 Schuldfähigkeit 1; [X.] 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch [X.], 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.

5

Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. [X.], [X.], 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. [X.], [X.], 390 mwN). Die [X.] schließt sich insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 14. April 2010 - 5 [X.] mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden "[X.]" ([X.]) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in (vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" ([X.]), wird dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten, der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde, mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.

6

3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. [X.] StraFo 2011, 55 mwN).

Fischer                                        Berger                               Krehl

                      Eschelbach                                   Ott

Meta

2 StR 139/12

29.05.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 13. Oktober 2011, Az: 23 KLs 26/11 - 554 Js 144/11

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.05.2012, Az. 2 StR 139/12 (REWIS RS 2012, 6012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6012

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