Bundespatentgericht, Urteil vom 07.07.2021, Az. 3 Ni 22/19 (EP)

3. Senat | REWIS RS 2021, 10592

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Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2021 durch den Vorsitzenden [X.] sowie den [X.] Schwarz, die [X.]in Dipl.-Chem. Univ. Dr. Münzberg, den [X.] Dipl.-Chem. Univ. Dr. [X.] und die [X.]in [X.]. Philipps

für Recht erkannt:

[X.] Das europäische Patent 2 326 747 w-ird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig erklärt.

I[X.] Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II[X.] [X.] ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des aufgrund der als [X.] 2010/012810 am 04. Februar 2010 veröffentlichten internationalen Anmeldung vom 30. Juli 2009 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der [X.] Anmeldung 0855262 vom 30. Juli 2008 auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] in [X.] [X.] erteilten [X.] Patents 2 326 747 ([X.]).

2

Das beim [X.] unter dem Aktenzeichen 60 2009 029 956.5 geführte [X.] trägt die Bezeichnung „PROCÉ[X.]́ NON ÉLECTROLYTIQUE [X.] MÉTALLISATION EN LIGNE [X.] SUBSTRATS PAR [X.] TRAITEMENT [X.] SURFACE PRÉALABLE ET DISPOSITIF POUR LA MISE EN OEUVRE DU PROCÉ[X.]́“ (in [X.] laut [X.]schrift: „[X.] [X.] ZUR [X.] EINES SUBSTRATS MIT VORBEHANDLUNG [X.]R OBERFLÄCHE UND [X.] ZUR DURCHFÜHRUNG [X.]S VERFAHRENS“) und umfasst in der erteilten Fassung den Verfahrensanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 7 zurückbezogen sind, den nebengeordneten [X.] sowie die nebengeordneten [X.] und 10.

3

Die erteilten nebengeordneten Patentansprüche 1 und 8 bis 10 lauten in der [X.]:

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4

In der Fassung der [X.]schrift lauten sie in [X.]:

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5

Mit ihrer Nichtigkeitsklage begehrt die Klägerin die vollständige Nichtigerklärung des [X.]s, weil das [X.] gegenüber der [X.] unzulässig erweitert, nicht ausführbar und nicht patentfähig sei.

6

Die Beklagte verteidigt ihr Patent mit einem geänderten Anspruchssatz (im Folgenden: Hauptantrag) sowie jeweils als geschlossene Anspruchssätze in den Fassungen der [X.] bis V.

7

Die jeweiligen Patentansprüche 1 des geltenden Haupt- und der geltenden [X.] bis V lauten in der [X.]:

8

Hauptantrag:

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9

Hilfsantrag I:

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Hilfsantrag II:

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Hilfsantrag III:

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Hilfsantrag IV:

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Hilfsantrag V:

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Die Parteien haben zur Stützung ihres Vortrages u.a. folgende Druckschriften eingereicht (Nummerierung und Kurzzeichen durch die Parteien):

[X.] [X.] 103 04 668 A1

[X.] [X.] 10 2005 030 691 A1

[X.] [X.] 2004/0053066 A1

[X.]3 [X.] 698 14 125 T2

[X.]7 [X.] 35 17 984 A1

[X.]8 GB 691 171

[X.] Eidesstattliche Erklärung von [X.] vom 14.02.2020, 2 Seiten

[X.] [X.] 1 gemäß [X.] - Annex [X.] “Comparative study of treatment by flaming or corona before metallization for decorative applications“ mit 8 Seiten, 14.02.2020

[X.] [X.] 2 gemäß [X.] - Annex [X.] “[X.] performance” mit 16 Seiten, 14.02.2020

[X.] [X.] 3 gemäß [X.] - Annex [X.] “[X.] rinsing on silver coating look” mit 25 Seiten, 14.02.2020

[X.] [X.] 4 gemäß [X.] - Annex [X.] “Industrial line example” mit 4 Seiten, 14.02.2020 und die in Annex [X.] zitierte [X.] mit 1 Seite, o.D.

[X.] Eidesstattliche Versicherung von [X.]vom 05.05.2021, 2 Seiten

[X.] Testbericht 5 gemäß [X.] – Annex [X.] “[X.] rate (aerosol vs. no aerosol)” mit 13 Seiten, 05.05.2021

B12 Testbericht 6 gemäß [X.] – Annex B12 “Influence of surface energy on silver deposition rate with aerosol application” mit 9 Seiten, 05.05.2021

[X.] Testbericht 7 gemäß [X.] – Annex [X.] “[X.] rate and aspect” mit 31 Seiten, 05.05.2021

Die Klägerin ist der Auffassung, der [X.] sei schon nicht ausführbar, weil die Oberflächenspannung als [X.] durch Länge definiert sei, das in Patentanspruch 1 nach Hauptantrag genannte Merkmal, dem zu Folge die Oberflächenenergie des Substrats größer oder gleich 50 dyne sein solle, aber offenlasse, auf welche Länge sich die dort allein - zudem in der veralteten Einheit dyne, die der nunmehr gebräuchlichen [X.]einheit von 10

Darüber hinaus sei der Gegenstand des [X.]s unzulässig erweitert, weil die Patentansprüche 1 und 8 das in den entsprechenden Patentansprüchen 1 und 10 der internationalen Anmeldung noch erwähnte [X.] „zur Reduzierung der Oberflächenspannung des Substrats“ nicht übernommen hätten, sondern aufgrund der genannten [X.], [X.] und Plasmabehandlung allenfalls eine Erhöhung der Oberflächenspannung vorsähen.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruhe gegenüber der [X.] nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. In der [X.] sei lediglich die patentgemäße Oberflächenenergie infolge der physikalischen Behandlung des Substrats vor der Metallisierung nicht explizit angegeben. Aufgrund der Ausführungen in der [X.] sei der Fachmann aber veranlasst, die Parameter der [X.] zu variieren, bis die optimale Benetzbarkeit erreicht werde. Die Einstellung der nach Hauptantrag geforderten Oberflächenenergie von mindestens 50 dyne, was von der Patentinhaberin wohl als „dyne/cm“ verstanden werde, so dass die [X.] Oberflächenenergie des Substrats größer oder gleich 50 mN/m sei, liege dabei im Bereich seines fachmännischen Könnens. Der Hinweis auf die Spülbehandlung in der [X.] stehe dem nicht entgegen, denn die [X.] beschäftige sich vorrangig mit der Flammenbehandlung, während die Spülbehandlung nur ergänzend erwähnt sei. Soweit die Beklagte meine, die [X.] lehre, dass eine Flammenbehandlung nicht zu einer verbesserten Haftung führe, treffe dies nicht zu.

Auch das weitere Unterscheidungsmerkmal, wonach in [X.] nicht explizit erwähnt sei, dass die Oxydoreduktionslösung in Form eines Aerosols aufgesprüht würde, könne eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Nach [X.] erfolge eine Versprühung, wobei unklar sei, wo die Grenze zwischen „Versprühung“ und „Versprühung als Aerosol“ liegen solle, da das [X.] keine Grenze zwischen einem Aerosol und einem Nicht-Aerosol definiere.

Auch die Gegenstände der nebengeordneten Vorrichtungs- und Produktansprüche seien gegenüber [X.] nicht neu.

Der Gegenstand des [X.]s in der Fassung des geltenden [X.] beruhe aber auch gegenüber einer Kombination aus [X.] mit [X.] oder [X.], bzw. mit der [X.]3, der [X.]7 oder der [X.]8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die in der [X.] nicht erwähnten Oberflächenenergiewerte nach Hauptantrag von ≥ 50 dyne/cm könne der Fachmann Abs. [0017] und [0018] der [X.]3 entnehmen. In der [X.]7 finde sich die Anregung, die Metallsalzlösung und die Reduktionslösung als Aerosol auf ein Substrat aufzubringen. Damit lege die [X.] auch in der Kombination mit der [X.]7 den [X.] in der Fassung des [X.] nahe. Gleichermaßen befasse sich auch die [X.]8 mit der Abscheidung von Silberspiegeln auf Substraten als Folge einer Redoxreaktion mit Hilfe eines zerstäubten Gemisches aus Silber- und Reduktionsmittellösungen und Luft und widerlege damit die Auffassung der Beklagten, dass ein Aerosolauftrag im erfindungsgemäßen Zusammenhang nicht fachüblich gewesen sei.

Auch eine Kombination der [X.]8 mit [X.]3 zeige das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit auf.

Soweit sich die Beklagte als Beleg für die erfinderische Tätigkeit auf Testberichte berufe, die erst nach Anmeldung des [X.]s durchgeführt worden seien, würden die darin festgehaltenen technischen Aussagen mit Nichtwissen bestritten. Zudem könnten diese die Annahme einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

Zu den [X.] bis V trägt die Klägerin schließlich vor, dass die [X.] auch in diesen Fassungen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Die zusätzlichen Merkmale in den [X.], die u.a. den Auftrag einer Basisbeschichtung sowie die Aufzählung der einzelnen Verfahrensschritte bei der nichtelektroytischen Metallisierung betreffen würden, seien aus [X.] bekannt. Zudem gehöre die Verwendung von gepulster Luft beim Trocknen einer Metallschicht und die dabei erforderliche Einstellung der Temperatur und des Drucks auf einen geeigneten Wert zu den routinemäßigen Maßnahmen, die ein Fachmann ohne Weiteres vornehmen könne, ohne erfinderisch tätig zu werden. Weiterhin sei die in den [X.] genannte Fertigung „in Linie“ bei industriellen Fertigungsprozessen Standard.

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 2 326 747 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das [X.] die Fassung des [X.], hilfsweise die Fassung eines der [X.] bis V, jeweils in der [X.], gemäß Schriftsatz vom 7. Mai 2021, erhält.

Nach Auffassung der Beklagten ist der Gegenstand des [X.]s in wenigstens einer der verteidigten Fassungen schutzfähig.

Entgegen der Ansicht der Klägerin seien die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 8 des [X.]s und damit auch der von ihnen abhängigen Patentansprüche gegenüber der ursprünglichen [X.] nicht unzulässig erweitert und die Erfindung ausführbar offenbart. Die patentgemäßen Gegenstände nach Hauptantrag seien auch gegenüber dem von der Klägerin genannten Stand der Technik neu und beruhten diesem gegenüber auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dass das [X.] seine gestellte Aufgabe mit diesen Gegenständen löse, ergebe sich aus den [X.]en [X.] und [X.]; die Testberichte [X.] bis [X.] zeigten die technischen Effekte und die Vorteile der Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem Stand der Technik auf und belegten, dass das [X.] auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die [X.], die sich auf die Flammbehandlung konzentriere und neben dem von der Klägerin genannten fehlenden Merkmal der minimalen Oberflächenenergie auch nicht die Aufbringung von [X.]slösungen in Aerosolform offenbare, schlage zur Verbesserung der Haftung einer Metallschicht lediglich eine spezifische Spülbehandlung vor, entweder als Ergänzung zur [X.] oder anstelle der [X.]. Sie lehre damit aber anders als das [X.] nicht, dass eine bestimmte Oberflächenenergie die Haftung der metallischen Schicht verbessere, welche Oberflächenenergie hierfür vorteilhaft sei und dass eine Flamm- oder Plasmabehandlung immer in der Lage sei, von sich aus – also ohne einen Spülschritt – eine verbesserte Haftung einer Metallschicht auf einem Substrat zu erreichen. Die mit der Kombination der kennzeichnenden Merkmale von Oberflächenenergie und Aerosolauftragung verbundenen technischen Effekte und Vorteile der vorliegenden Erfindung seien weder in [X.] noch in einem anderen verfahrensgegenständlichen Dokument oder einer Kombination von Dokumenten des Standes der Technik offenbart oder daraus ableitbar oder Gegenstand des Fachwissens des zuständigen Fachmanns.

Die erfindungsgemäße Lehre ergebe sich auch nicht aus der Kombination der [X.] mit einer der Druckschriften [X.], [X.], [X.]3, [X.]7 oder [X.]8. Für keine dieser Kombinationen ergebe sich für den Fachmann eine Motivation, vielmehr beruhe die Argumentation der Klägerin auf einer ex-post-Betrachtung. Die Lehre der [X.] betreffe nicht den gleichen oder einen verwandten Gegenstand wie das [X.], sondern befasse sich mit der Verbesserung der bekannten [X.], womit sie sich auf eine andere Art der Oberflächenbehandlung als die [X.] beziehe. Insbesondere lehre sie keine mit der Metallisierung verbundene Erhöhung der Oberflächenenergie, vor allem nicht, dass eine solche mit einem Wert größer oder gleich 50 dyne/cm üblich oder ungewöhnlich sei. Eine Kombination der [X.] mit der [X.] scheide schon deshalb aus, weil die [X.] keine Redox-Metallisierung offenbare, sondern nur die Metallisierung mittels Vakuumabscheidung, Galvanisierung oder Sputtern. Die [X.] erwähne dementsprechend nicht die Benetzbarkeit und deute auch keine Vorteile der erhöhten Benetzbarkeit an, da die Benetzbarkeit für die in [X.] offengelegten [X.] nicht relevant sei. Die [X.] der [X.] sei daher auch nicht relevant für die vorliegende Erfindung, die sich auf die nichtelektrolytische [X.] beziehe. Die [X.]3, [X.]7 und [X.]8 dürften schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil die Klägerin sie nicht bereits in der Klageschrift, sondern erst nach Ablauf der Replikfrist eingereicht habe; zudem seien die [X.]7 und [X.]8 erst so kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden, dass die Beklagte sich hierzu nicht hinreichend habe vorbereiten können.

Darüber hinaus offenbare die [X.]3 nicht die gleichen Oberflächenenergiewerte wie das [X.], da sie sich nur auf „kritische Oberflächenenergie“-Werte beziehe. Insbesondere zeige sie nicht, wie die Oberflächenenergie gemessen werde, noch erwähne sie die Verwendung von Testtinten. Aus dem einzigen Hinweis in [X.]3 auf eine mögliche Messmethode in der Tabelle in Absatz [0034] lasse sich schließen, dass [X.]3 Oberflächenenergien mit der Kontaktwinkelmethode messe; es sei aber nicht erkennbar, weshalb die in [X.]3 genannten Oberflächenenergiewerte als vergleichbar mit denen des [X.]s angesehen werden könnten.

Weiterhin offenbare die [X.]3 weder die nicht auf Elektrolyse basierende Redox-Metallisierung oder die Metallisierung durch Aufbringung eines Aerosols auf ein Substrat noch die Metallisierung eines Substrats, das oberflächenbehandelt wurde, um die patentgemäße Oberflächenenergie zu erreichen. Auch gäben die Beispiele in der [X.]3 keine Anregungen in Richtung der vorliegenden Erfindung.

Die Lehre der [X.]3 laute lediglich, dass eine Mindestoberflächenenergie von 35 dyne/cm für alle darin offenbarten [X.] geeignet sei. Sie offenbare auch nicht, dass eine Erhöhung der Oberflächenenergie über die wesentlichen 35 dyne/cm zu einer verbesserten Haftung im Vergleich zu der mit einer Oberflächenenergie von 35 dyne/cm erzielten Haftung führe.

Die [X.]3 schweige wie die [X.] zur Aerosolauftragung. Dies stelle auch kein fachübliches Wissen des Fachmanns dar. Der Hinweis in Absatz [0076] des [X.]s auf die 1998 veröffentlichte [X.] Anmeldung [X.] 763 962 bedeute lediglich, dass diese Art der Projektion zwar für das Versprühen von Lösungen bekannt gewesen sei, jedoch nicht, dass diese Art der Projektion auch für [X.] in der nichtelektrolytischen Metallisierung üblich gewesen sei.

Auch auf die [X.]7 und [X.]8 könne sich die Klägerin hierzu nicht berufen. Denn [X.]7 und [X.]8 seien ebenfalls Patentanmeldungen und stellten daher kein allgemeines Fachwissen dar. Es gebe auch keinen Beleg dafür, dass die Aerosolauftragung von [X.] in irgendeinem industriellen Prozess verwendet oder vom Fachmann als allgemein übliche Metallisierungsmethode aufgefasst worden sei. Vielmehr sei das patentrechtlich geschützte Verfahren der Patentinhaberin das einzige, das industriell verwendet werde, so dass es schon aus diesem Grund nicht als allgemeines Fachwissen angesehen werden könne. Es sei auch kein Grund ersichtlich, warum sich der Fachmann, der [X.] lese, der [X.]7 oder [X.]8 zuwenden würde.

Der Fachmann habe darüber hinaus keine Veranlassung gehabt, die Lehre der [X.]8 mit dem Veröffentlichungsdatum von 1953 mit der [X.]3 zu kombinieren.

Auf jeden Fall sei das [X.] in einer der Fassungen der Hilfsanträge schutzfähig, da die dort vorgesehenen Änderungen jeweils den Einwänden der Klägerin und den Ausführungen in der vorläufigen Stellungnahme des Senats Rechnung trügen. Bei Hilfsantrag I handele es sich um Ausgestaltungen, die aus denselben Gründen wie die beanspruchten Gegenstände nach Hauptantrag schutzfähig seien. Hilfsantrag II gleiche die beanspruchten Gegenstände enger an die in den Testberichten vorbereiteten Ausführungsbeispiele an. Die [X.]II bis V würden auf dem Hauptantrag und den [X.] und II aufbauen und das Merkmal des [X.] ergänzen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Das Streitpatent ist in der erteilten Fassung bereits deshalb ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären, weil die [X.] diese Fassung nicht mehr verteidigt. Aber auch in der Fassungen des [X.] und der [X.], mit denen die [X.] ihr Patent nur noch verteidigt, ist das Streitpatent nach Artikel [X.] § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) und b) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ für nichtig zu erklären, da der jeweilige Gegenstand auch in diesen Fassungen nicht patentfähig ist. Auf die daneben von der Klägerin ebenfalls geltend gemachten Nichtigkeitsgründe fehlender Ausführbarkeit und der unzulässigen Erweiterung kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an.

I.

1. Die Erfindung bezieht sich auf die Oberflächenbeschichtung von Substraten mit metallischen Filmen (vgl. [X.] [0001]) und betrifft nichtelektrolytische Verfahren zur Metallisierung von Substraten für die Dekoration, beispielsweise auf Hohlglas, Glasfläschchen, kosmetischen Teilen sowie Teilen für die Luftfahrt, für Automobile und für die Hausautomatisierung. Gegenstand ist auch die nichtelektrolytische Metallisierung von Substraten für die Elektronik, insbesondere die Herstellung von Leiterbahnen (vgl. [X.] [0002]).

Zum technischen Hintergrund führt das Streitpatent aus, dass die Versilberung von Glas zur Herstellung von Spiegeln eine der ältesten industriellen Anwendungen der chemischen Metallisierung sei. Bei dem Verfahren werde das Metall durch Eintauchen in Bäder von [X.], die ein Metallsalz, ein Reduktionsmittel und einen Komplexbildner enthalten, ausgefällt. Die Oberfläche müsse vorher durch Auftragen einer sauren Lösung aus Zinn([X.])-chlorid (SnCl2) sensibilisiert werden. Dieser [X.] könne durch einen [X.] unter Einsatz einer sauren Lösung aus [X.] (PdCl2) vervollständigt werden. Diese Schritte seien in Bezug auf Energie, [X.]it und Wasserverbrauch kostspielig, auch seien die verwendeten Chemikalien gefährlich. Die "klassische" [X.] habe außerdem viele Nachteile. So sei Glas das einzige verwendbare Substrat, zudem müsse die Oberfläche des zu metallisierenden Substrats flach sein; Abscheidungsbäder seien instabil; die Abscheidungskinetik sei auf 20 pm Dicke pro Stunde begrenzt; technisch schwierig sei die gleichzeitige Abscheidung verschiedener Metalle; das Spektrum der Metalle oder Legierungen, die abgeschieden werden könnten, sei begrenzt; lokalisierte Abscheidungen zu erhalten, sei unmöglich; und die Haftfähigkeit der abgeschiedenen Metallfilme sei verbesserungswürdig (vgl. [X.] [0003]).

Um den Problemen im Zusammenhang mit der nichtelektrolytischen Metallisierung von Substraten durch Eintauchen in Bäder von metallischen Lösungen zu begegnen, offenbarten die [X.] Patentschrift FR-A-2 763 962 und die [X.] Patentanmeldung 06 10287 ein Verfahren zur nichtelektrolytischen Metallisierung eines Substrats durch Spritzen eines Aerosols, das ein Metall in kationischer Form (Oxidationsmittel) und ein Reduktionsmittel enthalte. Bei dem verbesserten Verfahren sei der [X.] der Oberfläche nicht obligatorisch, und eine vorherige Oberflächenbenetzung des Substrats ermögliche es, die Haftung des Films auf dem Substrat zu verbessern. Die Durchführbarkeit des Verfahrens im industriellen Maßstab müsse aber weiter optimiert und die Haftfähigkeit des Films an der zu metallisierenden Oberfläche in Abhängigkeit von jedwedem Substrat verbessert werden (vgl. [X.] [0004]). Weiterhin nimmt das Streitpatent auf das 2003 im "[X.]", Band 38, Seiten 3285-3291, veröffentlichte Dokument "Copper deposition by Dynamic Chemical Plating" zur Realisierung gedruckter Schaltungen durch chemische Metallisierung (Kupfer) von [X.] ([X.], ABS oder PVC) Bezug, wonach die zu metallisierende Oberfläche der Substrate entfettet werde, zur Erhöhung der Oberflächenenergie einer Koronabehandlung unterzogen werde und die Metallisierung dann durch Spritzen eines Aerosols erfolge, das ein Metall in kationischer Form und ein Reduktionsmittel enthalte (vgl. [X.] [0005]). Die erörterte [X.] sei für Dekorationsanwendungen angepasst worden. So beschreibe die [X.] 975 305 ein Verfahren zur Metallisierung von Gegenständen durch Spritzen. Das Streitpatent kritisiert jedoch, dass das Verfahren keine industrielle Auslegung ermögliche und keine zufriedenstellenden Ergebnisse hinsichtlich der Haftung der Metallfilme an der Oberfläche des Substrats liefere, da das Verfahren unabhängig vom Substrat (Kunststoff, Metall, Holz, Polymer usw.) auf identische Art und Weise durchgeführt werde und sich damit nicht an die Eigenschaften jedes zu metallisierenden Untergrunds anpasse (vgl. [X.] [0006] u. [0007]).

Das Streitpatent stellt sich daher die Aufgabe, ein industrielles nichtelektrolytisches Verfahren zur Metallisierung der Oberfläche eines Substrats bereitzustellen, das eine verbesserte Haftfähigkeit der aufgebrachten Schicht ermöglicht (vgl. [X.] [0008]).

Soweit die [X.] mit Hinweis auf Absatz [0008] des [X.] dagegen eingewandt hat , dass ein solche Aufgabenstellung nicht vollständig sei, kann dies an der Aufgabendefinition nichts ändern, da zum einen bei dieser nicht kumulativ alle Vorteile zu berücksichtigen sind, die die Erfindung objektiv mit sich bringt (vgl. [X.], 352 – [X.]), und zum anderen die im Streitpatent weiter genannten, die Toxizität, das Recycling und die Automatisierung betreffenden Ziele inhärenter Bestandteil jeder ökologischen und ökonomischen Prozessführung sind und daher vom Fachmann bei der Lösungssuche automatisch berücksichtigt werden. Sie müssen daher nicht in die Aufgabendefinition aufgenommen werden.

2. Patentanspruch 1 des [X.], mit dem die [X.] ihr Patent vorrangig verteidigt, lässt sich - unter Wiedergabe der beklagtenseits eingereichten französischen und [X.] Fassung - wie folgt gliedern:

 [X.]    

 Procédé de métallisation de la surface d’un substrat

 Metallisierungsverfahren der Oberfläche eines Substrats

        

 caractérisé en ce que l’on met en oeuvre les étapes suivantes:

 dadurch gekennzeichnet, dass man die folgenden Schritte umsetzt:

 [X.]    

 a. traitement physique du substrat avant métallisation de sorte que l’énergie de surface du substrat soit supérieure ou égale à 50 dynes, le traitement physique étant choisi parmi les traitements suivants : [X.], un traitement plasma et leurs combinaisons,

 a. physikalische Behandlung des Substrats vor der Metallisierung derart, dass die Oberflächenenergie des Substrats größer oder gleich 50 dyne ist, wobei die physikalische Behandlung aus den folgenden Behandlungen ausgewählt ist: Flammspritzen, Plasmabehandlung sowie ihre Kombinationen,

 [X.]    

 b. métallisation non électrolytique de la surface du substrat traitée à l’étape a., par projection d’une ou plusieurs solutions oxydo-réductrices sous forme d’aérosol(s),

 b. nicht elektrolytische Metallisierung der Oberfläche des in Schritt a. behandelten Substrats durch Spritzen einer oder mehrerer Oxydoreduktionslösungen in Form von Aerosol(en),

 [X.]    

 c. réalisation d’une couche de finition sur la surface métallisée qui est l’application d’une composition liquide réticulable ou un épaississement électrolytique de la surface métallisée.

 c. Herstellung einer Endschicht auf der metallisierten Oberfläche, die das Auftragen einer flüssigen vernetzbaren Zusammensetzung oder ein elektrolytisches Verdicken der metallisierten Oberfläche ist.

3. Der zuständige Fachmann, ein Verfahrenstechniker oder Ingenieur (FH) der Fachrichtung Chemie auf dem Gebiet der Oberflächenbeschichtung mit besonderen Kenntnissen in der chemischen Metallbeschichtung, versteht die für die vorliegende Entscheidung erläuterungsbedürftige Angabe „dyne“ als „dyne/cm“, da sich „dyne“ als CGS-Einheit aus den Einheiten Gramm, [X.]ntimeter und Sekunde ableitet und die Oberflächenenergie üblicherweise als [X.] pro Längeneinheit, hier also als "dyne/cm", angegeben wird. Die stattdessen von der Klägerin vertretene Auslegung als "dyne/inch" macht mit den im Streitpatent angegebenen Werten demgegenüber keinen Sinn, da der patentgemäße untere Grenzwert für die Oberflächenenergie von 50 dyne/inch umgerechnet 19,7 dyne/cm ergeben würde, damit einen Wert deutlich unterhalb des Naturwertes (z.B. einer Folie aus Polypropylen) und somit keinen angestrebten erhöhten Wert darstellen würde (vgl. [X.] [0019] und [0021]).

Dabei liest der Fachmann die Begriffe Oberflächenspannung, Oberflächenenergie und kritische Oberflächenenergie als Synonyme. Die ihnen zugrunde liegende Messgröße kann durch verschiedene Mess- und [X.] ermittelt werden und weist jeweils die Einheit „dyne/cm“ bzw. „Nm/m“ auf. Für den Routinebetrieb wird der Fachmann i.d.R. auf Methoden zurückgreifen, die schnell und effektiv ohne großen [X.] durchführbar sind. Zur Einordnung der Ergebnisse wird er vorab prüfen, ob und inwieweit eine genauere Methode mit einer vereinfachten Methode vergleichbar ist. Damit kann auch dahingestellt bleiben, dass verschiedene Messmethoden teilweise zu unterschiedlichen Ergebnisse führen mögen, insbesondere da das Streitpatent offen lässt, welche konkrete Messmethode anzuwenden ist.

[X.].

In der Fassung nach Hauptantrag beruht das Streitpatent zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach der [X.] in Verbindung mit der [X.] oder der [X.] Denn der Fachmann, der auf der Suche nach einer verbesserten Haftung von metallischen Überzügen an Substraten war, konnte dazu in [X.] einen Lösungsweg finden.

1. Die Druckschrift [X.] beschreibt amorphe hydrierte aromatische thermoplastische Polymersubstrate, die ein verbessertes Haftvermögen an anderen Materialien, wie z.B. an Metallen oder anderen Polymeren, aufweisen (vgl. [X.] Anspruch 1 i.V.m. Abs. [0024]. Die Polymersubstrate fallen unter die gemäß Streitpatent betrachteten Substrate, wonach einerseits starre Substrate, bevorzugt Hohlglas oder Polymere, andererseits auch biegsame Substrate, bevorzugt Textilien oder eine Polymerfolie genannt werden (vgl. [X.] [0019] u. [0021]). Nach [X.] kann es sich bei den Metallen, die an das Substrat anhaften sollen, beispielsweise um Silber handeln (vgl. [X.] Anspruch 6). Das Metall kann dabei über Sputtern, Vakuumabscheidung, Abscheidung aus Lösungsmittel, Vakuumverdampfung oder Nassversilbern aufgebracht werden (vgl. [X.] Abs. [0026]). Zur Steigerung des Haftvermögens wird gemäß [X.] die Oberfläche des Substrats vor der Metallisierung mit einer Technik der angeregten Gasphase wie z.B. einer Plasmabehandlung oder einer Flammbehandlung behandelt, wodurch die kritische Oberflächenenergie erhöht wird und ein Wert von am meisten bevorzugt mindestens 50 bis 85 dyne/cm erreicht werden soll (vgl. [X.] Anspruch 1, 5, 6, 21, 23 u. 24 i.V.m. Abs. [0017], [0018], [0024] u. [0037]).

2. Somit wusste der Fachmann aus [X.], dass das Haftvermögen bei einer durch ein nichtelektrolytisches Verfahren wie das Nassversilbern aufgebrachten Metallschicht auf die genannten thermoplastischen Substrate durch vorherige Erhöhung deren kritischer Oberflächenenergie auf 50 bis 85 dyne/cm verbessert wird (vgl. [X.] Abs. [0026] i.V.m. [0017]). Damit liegt das patentgemäße Merkmal [X.] im Blickfeld des Fachmanns.

3. Konkrete Angaben zur Durchführung der Metallisierungen sind [X.] jedoch nicht zu entnehmen. Dazu konnte der Fachmann aber auf sein Fachwissen und auf im bekannten Stand der Technik beschriebene Verfahren zurückgreifen.

So war ihm das herkömmliche Silberspritzverfahren bekannt, wobei der Auftrag einer silbersalzhaltigen Lösung und eines geeigneten Reduktionsmittels als Aerosol erfolgen kann, wie es beispielsweise in der [X.] beschrieben wird (vgl. [X.] Anspruch 1). Nach [X.] wird eine Mischung aus einer Lösung aus Silbernitrat und Ammoniak und einer zuckerhaltigen Reduktionslösung mit Luft zerstäubt und mit einer Spritzpistole auf die Oberfläche des zu versilbernden Substrats mit hoher [X.] bis in alle Fugen aufgebracht (vgl. [X.] Anspruch 1 i.V.m. [X.] [X.]. 24 bis 30 und 89 bis 99). Bei dem Substrat kann es sich beispielsweise um Kunststoff oder Glas handeln (vgl. [X.] Anspruch 5). Da die erzeugte [X.] sehr dünn ist, sollte nach [X.] auf die Silberschicht noch eine Schutzschicht aufgebracht werden (vgl. [X.] Anspruch 7 i.V.m. [X.] [X.]. 104 bis 107). Das Aufbringen einer Deckschicht ist im Übrigen fachüblich. Damit sind [X.] die Merkmale [X.], [X.] und [X.] zu entnehmen.

Auch der [X.] ist die chemische Spritzmetallisierung unter Versprühung einer das abzuscheidende Metall als Salz enthaltenden Lösung und einer Reduktionslösung als Aerosol zu entnehmen (vgl. [X.] Anspruch 1 und 3). Die [X.] verweist ebenfalls auf das bekannte Silberspritzverfahren, wobei die Aerosolbildung eine weitgehende Reaktionsmöglichkeit zwischen der [X.] und der Reduktionslösung ermöglicht (vgl. [X.] [X.] (oben) [X.]. 7 bis 17 u. S. 4 (oben) [X.]. 24 bis 27). Weiterhin wird dadurch die Beaufschlagung der Oberfläche des zu verspiegelnden Gegenstandes in erheblichem Ausmaß vergleichmäßigt (vgl. [X.] S. 4 (oben) [X.]. 27 bis 28). Als besonders vorteilhaft stellt die [X.] die nahezu quantitativ ablaufende Metallabscheidung heraus, die dazu führt, dass die ablaufenden Lösungen weitgehend frei von ausgeschiedenen Metallen oder von nicht zur Reaktion gelangten Metallsalzen sind, wodurch der Verbrauch an Metallsalzen für die Verspiegelung beträchtlich herabgesetzt werden kann (vgl. [X.] S. 4 (oben) [X.]. 29 bis 33). Das Verfahren wird nach [X.] als Durchlaufverfahren mit drei Vorbehandlungszonen (Ultraschallreinigungszone, [X.]) und sich anschließender Ultraschallzerstäubung der [X.]en und der Reduktionslösungen durchgeführt (vgl. [X.] S. 7 (oben) [X.]. 4 bis 9 und 18 bis 21 sowie Figur 1).

Ausgehend von [X.] konnte der Fachmann somit ohne erfinderisches Zutun, unter Heranziehen der bekannten Lehre der chemischen Spritzmetallisierung, die beispielsweise in der [X.] oder auch der [X.] beschrieben wird, zur [X.]n Erfindung mit den Merkmalen [X.] bis [X.] gelangen.

Entgegen der Ansicht der [X.] steht der Berücksichtigung der [X.], [X.] und [X.] nicht entgegen, dass sie nicht bereits in der Klageschrift, sondern die [X.] erst nach Ablauf der Replikfrist und die [X.] und [X.] erst mit dem [X.] der Klägerin vom 28. Juni 2021 eingereicht wurden. Eine Vorschrift, der zufolge die klagebegründenden Tatsachen nur in der Klageschrift vorgetragen werden dürften, gibt es für das [X.] nicht. Auch die Nichtberücksichtigung von Vorbringen einer [X.] ist im [X.] nur möglich, wenn dieses nach Maßgabe des § 83 Abs. 4 [X.] zurückgewiesen werden kann. Wie sich aus dieser Vorschrift unmittelbar ergibt, ist entscheidendes Kriterium hierfür aber nicht die Fristversäumnis, sondern das Erfordernis einer Vertagung der mündlichen Verhandlung. Eine Vertagung kommt aber nur in Betracht, wenn eine angemessene Vorbereitung einer [X.] auf die Verhandlung nicht mehr möglich war, was nur bei neuem Tatsachenvortrag zu erwägen ist, der im Regelfall, wie dieser in § 99 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 132 Abs. 1 ZPO normiert ist, weniger als eine Woche vor der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde. Die Versäumung einer Replikfrist, die - wie hier – bereits deutlich länger als die vorgenannten [X.]iträume vor der mündlichen Verhandlung abgelaufen war, kann demgegenüber aber unter keinen Umständen eine Zurückweisung des Vorbringens und damit deren Nichtberücksichtigung begründen. Diesen Erfordernissen ist vorliegend für die in Rede stehenden Druckschriften Genüge getan; dies gilt auch für die erst mit [X.] vom 28. Juni 2021 eingereichten Druckschriften [X.] und [X.], denn dieser [X.] ist dem [X.]vertreter am 29. Juni 2021 und damit mehr als eine Woche vor der mündlichen Verhandlung durch Telefax zugestellt worden. Gründe, weshalb eine solche Frist nicht ausreichend sein sollte, liegen nicht vor. Der Hinweis der [X.] darauf, dass diese Dokumente erst noch hätten übersetzt werden müssen, verfängt dabei nicht; denn allein der Umstand, dass es sich bei der [X.] um ein Unternehmen [X.]r Rechtsform handelt, reicht hierfür per se nicht, nachdem innerhalb der [X.] den Gemeinschaftsangehörigen aufgrund der Urteile des [X.] in Sachen [X.] ([X.], Urteil vom 09.03.1999, [X.]. [X.]/97, [X.]. 1999 Seite I-01459) und [X.] ([X.], Urteil vom 30.09.2003, [X.]. C-167/01, [X.]. 2003 Seite [X.]) die Gesellschaftsrechtsformen der einzelnen Mitgliedstaaten grundsätzlich offenstehen, so dass aus der bloßen Rechtsformwahl auf das Vorhandensein oder Fehlen von Sprachkenntnissen nicht geschlossen werden kann. Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb der Prozessbevollmächtigte der [X.] eine Stellungnahme hierzu nicht rechtzeitig hätte abgeben können, nachdem beklagtenseits mit [X.] vom 5. Juli 2021 sowie in der mündlichen Verhandlung zu diesen Druckschriften Stellung genommen wurde.

Entgegen der Auffassung der [X.] spielt es für die Einordnung einer technischen Lösung als Fachwissen im Übrigen keine Rolle, ob sich dieses aus einer Patentanmeldung – wie vorliegend der [X.] - ergibt. Denn auch die technische Lehre in einer Patentanmeldung wird durch ihre [X.] nicht nur zum bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des [X.] berücksichtigungsfähigen Stand der Technik, sondern auch zum Teil des Fachwissens, da es gerade zur Zielsetzung des [X.] gehört, durch die Offenlegung einer Erfindung das technische Fachwissen zu bereichern. Dass dabei patentgeschützte Lehren in einer Patentanmeldung oder einem noch in [X.] befindlichen erteilten Patent fachüblich werden können, zeigen beispielsweise die standardessentiellen Patente.

Die [X.] hat zwar durch Vorlage der Versuchs- und Testberichte [X.] und [X.] sowie [X.] bis [X.] die technischen Effekte und Vorteile der Erfindung dargelegt. Doch können diese eine erfinderische Tätigkeit nicht stützen, da der Fachmann Anlass hatte, die im Stand der Technik beschriebenen Maßnahmen durch nahegelegte Kombinationen zu verwirklichen (vgl. [X.], [X.], 317 – Kosmetisches Sonnenschutzmittel). So folgt eine erfinderische Leistung entgegen der Auffassung der [X.] auch nicht aus einem synergistischen Effekt der nahegelegenen Kombination aus Erhöhung der Oberflächenenergie und [X.]. Darüber hinaus sind die Ergebnisse der Testberichte [X.] und [X.], was den [X.] betrifft, nicht überraschend. Denn die Vorteile - weitgehende Reaktionsmöglichkeit, Vergleichmäßigung des Aussehens des zu verspiegelnden Gegenstandes und Herabsetzung des Verbrauchs an Metallsalzen - werden auch in der [X.] beschrieben, wie oben bereits dargestellt wurde (vgl. [X.] S. 4 (oben) [X.]. 24 bis 33).

Damit beruht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des [X.] nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die weiteren Patentansprüche des [X.] bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die [X.] in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass sie den Hauptantrag und die [X.] als geschlossene Anspruchssätze versteht und das Streitpatent in der Reihenfolge Hauptantrag und [X.] I bis V verteidigt (vgl. [X.] GRUR 2007, 862 – [X.]; [X.] GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; B[X.] GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).

[X.]I.

Die [X.] kann das Streitpatent auch nicht in der Fassung nach den [X.]n I bis V erfolgreich verteidigen, weil auch diesen Fassungen der [X.] der fehlenden erfinderischen Tätigkeit entgegensteht.

1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag I unterscheidet sich vom Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag lediglich in der Größe der zu erreichenden Oberflächenenergie in Merkmal [X.], wonach diese als geändertes Merkmal [X.]a gemäß Hilfsantrag I größer oder gleich 65 dyne/cm betragen soll. Dies ist jedoch auch von den in [X.] empfohlenen Werten umfasst, weshalb auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag I mit der gleichen Begründung wie zum Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (vgl. [X.] Abs. [0017]).

2. Hilfsantrag [X.] unterscheidet sich vom Hauptantrag darin, dass im Patentanspruch 1 das Merkmal [X.] in [X.]b geändert wurde, wobei es auf Flammenbehandlung und eine zu erreichende Oberflächenenergie wie in Hilfsantrag I von größer oder gleich 65 dyne/cm beschränkt wurde, und weiterhin die Verfahrensschritte mit den Merkmalen [X.], [X.]a, [X.]b oder [X.]c sowie [X.].1 ergänzt wurden.

Das geänderte und die ergänzten Merkmale in Patentanspruch 1 des [X.] lauten im Einzelnen, unter Wiedergabe der beklagtenseits eingereichten [X.]n und [X.] Fassung:

 [X.]    

 le substrat étant soumis, préalablement à l’étape a., à un prétraitement d’accrochage de la surface du substrat, et/ou à une application d’une ou plusieurs couches d’un revêtement de base,

 wobei das Substrat vor Schritt a. entweder einer Haftvorbehandlung der Oberfläche oder einem Auftragen einer oder mehrerer Schichten einer Basisbeschichtung unterzogen wird,

 [X.]b   

 a. traitement physique du substrat avant métallisation de sorte que l’énergie de surface du substrat soit supérieure ou égale à 65 dynes, le traitement physique étant [X.],

 a. physikalische Behandlung des Substrats vor der Metallisierung derart, dass die Oberflächenenergie des Substrats größer oder gleich 65 dyne ist, wobei die physikalische Behandlung ein Flammspritzen ist,

 [X.]    

 …characterisé en ce que l’étape de métallisation non électrolytique comprend, dans l’ordre, les étapes suivantes :

 …dadurch gekennzeichnet, dass der Schritt der nicht elektrolytischen Metallisierung wenigstens die folgenden Schritte in dieser Reihenfolge beinhaltet:

 [X.]a   

 -  selon une première possibilité:
-  mouillage de la surface,
-  projection d’une ou plusieurs solutions oxydo-réductrices sous forme d’aérosol,
-  rinçage,
-  séchage,

 -  Gemäß einer ersten Möglichkeit:
-  Benetzung der Oberfläche,
-  Spritzen einer oder mehrerer Reduktions-Oxidations-Lösungen in Form von Aerosol,
-  Spülen,
-  Trocknen,

 [X.]b   

 - selon une deuxième possibilité:
-  sensibilisation de la surface, de préférence avec une solution à base de SnCl2,
-  rinçage,
-  projection d’une ou plusieurs solutions oxydo-réductrices sous forme d’aérosol,
-  rinçage,
-  séchage,

 - Gemäß einer zweiten Möglichkeit:
-  Sensibilisierung der Oberfläche, vorzugsweise mit einer Lösung auf Basis von SnCl2,
-  Spülen,
-  Spritzen einer oder mehrerer Reduktions-Oxidations-Lösungen in Form von Aerosol,
-  Spülen,
-  Trocknen,

 [X.]c   

 - selon une troisième possibilité:
-  sensibilisation de la surface, de préférence avec une solution à base de SnCl2,
-  rinçage,
-  projection d’une solution dite « d’activation blanche »,
-  projection d’une ou plusieurs solutions oxydo-réductrices sous forme d’aérosol,
-  rinçage,
-  séchage

 - Gemäß einer dritten Möglichkeit:
-  Sensibilisierung der Oberfläche, vorzugsweise mit einer Lösung auf Basis von SnCl2,
-  Spülen,
-  Spritzen einer Lösung, [X.] als „Weißaktivierung“,
-  Spritzen einer oder mehrerer Reduktions-Oxidations-Lösungen in Form von Aerosol,
-  Spülen,
-  Trocknen,

 [X.].1 

 et en ce que le séchage consiste en l’évacuation de l’eau de rinçage à l’aide d’un système air comprimé pulsé à 5 bars/air pulsé à une température de 20 à 40˚C.

 wobei das Trockenen im Entfernen des Spülwassers besteht mittels eines Druckluftsystems, welches mit 5 bar/gepulster Luft gepulst ist und bei einer Temperatur von 20 bis 40 °C ausgeführt wird.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das gesamte Verfahren der chemischen Spritzmetallisierung zum Prioritätszeitpunkt zum handwerklichen Wissen und Können des Fachmanns gehörte und allein schon aus diesem Grunde keine erfinderische Tätigkeit der [X.]n Lehre zu begründen vermag.

Darüber hinaus sind die ergänzten Merkmale mit der Aufzählung der einzelnen Verfahrensschritte bei der nichtelektrolytischen Metallisierung ebenfalls der [X.] zu entnehmen. So muss nach [X.] besonders bei [X.] die Oberfläche zur Erzeugung einer ausreichenden Glätte mit einer oder mehreren Schichten eines Grundlacks vorbehandelt werden, wodurch das Merkmal [X.] umfasst ist (vgl. [X.] [X.] [X.]. 72 bis 75). Weiterhin sind [X.] auch die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen [X.]b und [X.].1 zu entnehmen. Denn nach [X.] erfolgt vor der Metallisierung eine Sensibilisierung der Oberfläche mit [X.], wobei die Reste anschließend abgespült werden (vgl. [X.] Anspruch 1 u. 3 i.V.m. [X.] [X.]. 71 bis 88 und 125 bis 127). Nach Aufspritzen der Mischung aus Silber- und Reduktionslösung wird die Oberfläche mit Wasser gespült (vgl. [X.] [X.] [X.]. 43 bis 47). Die übriggebliebenen Wassertropfen werden dann mit Druckluft abgeblasen und die versilberten Substrate an warmer Luft getrocknet (vgl. [X.] [X.] [X.]. 100 bis 103). Gemäß Merkmal [X.].1 soll es sich zwar um gepulste Druckluft und nicht nur um „Druckluft“ handeln, die konkrete Handhabung in gepulster Form ist bei Anwendung von Druckluft aber eine fachübliche Vorgehensweise.

Da das geänderte Merkmal [X.]b ebenso wie [X.] gemäß Hauptantrag und [X.]a gemäß Hilfsantrag I der [X.] zu entnehmen ist (vgl. [X.] Abs. [0017] u. [0018]) und die ergänzten Merkmale [X.], [X.]b und [X.].1 zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns gehören, darüber hinaus – wie oben beschrieben - der [X.] zu entnehmen sind, beruht auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des [X.] entsprechend der Begründung zum Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Die Hilfsanträge [X.]I bis V beruhen auf dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I und [X.], jeweils unter Ergänzung des Merkmals [X.] in Patentanspruch 1.

Dabei lautet Merkmal [X.], unter Wiedergabe der beklagtenseits eingereichten [X.]n und [X.] Fassung:

 [X.]    

 et en ce que l’on traite en ligne sans rupture de chaîne, une pluralité de substrats.

 wobei man in Linie ohne Kettenunterbrechung eine Vielzahl von Substraten behandelt.

Dazu ist zunächst festzustellen, dass sich jedes Spritzverfahren für einen kontinuierlichen Betrieb eignet. Denn die Substrate werden dabei im Gegensatz zu einem Tauchverfahren nicht in ein Chemikalienbad eingetaucht, das von [X.]it zu [X.]it ausgetauscht werden muss, was zu einer Unterbrechung des Ablauf führen würde, sondern sie können kontinuierlich entlang von [X.] geleitet werden, die stets frische Lösung abgeben.

Zudem ist dieses Merkmal auch der [X.] zu entnehmen, wonach die Verfahrensschritte in einer [X.] durch drei Kammern (Vorreinigung, Sensibilisierung und Versilberung) durchgeführt werden können (vgl. [X.] S. 7 [X.]. 81 bis 85). Das bedeutet, dass eine Vielzahl von Substraten in Linie ohne Kettenunterbrechung gemäß Merkmal [X.] behandelt werden kann.

Auch ist dieses Merkmal der [X.] zu entnehmen, wie bereits in [X.] [X.] beschrieben wurde (vgl. [X.] S. 7 (oben) [X.]. 4 bis 9 und 18 bis 21 sowie Figur 1).

Daher vermag auch Merkmal [X.] eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen, weshalb mit Verweis auf die vorgehende Begründung der fehlenden erfinderischen Tätigkeit zum Hauptantrag und den [X.]n I und [X.] auch der jeweilige Gegenstand des Patentanspruchs 1 der [X.] [X.]I bis V nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4. Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat auch nicht in den Gegenständen der nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 und der nebengeordneten Patentansprüche 6 bis 8 gemäß Hilfsantrag V zu erkennen. Die [X.] hat nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich, zumal die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 lediglich übliche und aus dem Stand der Technik bekannte Verfahrensmaßnahmen betreffen und die nebengeordneten Patentansprüche ebenfalls nur aus dem Stand der Technik gemäß [X.], [X.] und [X.] bekannte Merkmale enthalten. Diese Patentansprüche sind daher ebenfalls nicht patentfähig.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

3 Ni 22/19 (EP)

07.07.2021

Bundespatentgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

nachgehend BGH, 5. Dezember 2023, Az: X ZR 105/21, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 07.07.2021, Az. 3 Ni 22/19 (EP) (REWIS RS 2021, 10592)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 10592


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 105/21

Bundesgerichtshof, X ZR 105/21, 05.12.2023.


Az. 3 Ni 22/19 (EP)

Bundespatentgericht, 3 Ni 22/19 (EP), 07.07.2021.


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