Bundessozialgericht, Urteil vom 28.08.2018, Az. B 8 SO 9/17 R

8. Senat | REWIS RS 2018, 4381

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - Versorgung mit anderen Hilfsmitteln - Reparaturkosten für ein behindertengerechtes Kraftfahrzeug - Kenntnisgrundsatz - vorherige Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau


Leitsatz

Die für das Einsetzen der Sozialhilfe erforderliche Kenntnis wird nicht erst durch die spezifische Kenntnis von dem finanziellen Bedarf, sondern bereits durch die Kenntnis von der Bedarfslage vermittelt.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. Mai 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist die Übernahme von [X.] als Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem [X.] - ([X.]).

2

Der 1981 geborene Kläger ist körperlich und geistig behindert. Seit 2001 besucht er eine Werkstatt für behinderte Menschen ([X.]); die Kosten werden vom Beklagten getragen. Wegen seiner körperlichen Behinderung ist er auf die Benutzung eines Rollstuhls mit Kopfstützen angewiesen. Die Pflegekasse hat die [X.] festgestellt. Vom örtlich zuständigen Sozialhilfeträger ([X.]) bezieht er laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des [X.] sowie (Bescheid vom 23.1.2014) eine monatliche Mobilitätsbeihilfe von 1070 [X.] (Betreuungskosten 570 [X.], Fahrtkosten 500 [X.]). Seit 2015 erbringt der Beklagte neben den Kosten für den Besuch der [X.] zudem Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe nach dem [X.] in Form von Assistenzleistungen im Rahmen eines (vorläufigen) persönlichen Budgets.

3

Im Dezember 2005 und Januar 2006 bewilligte der Beklagte die Übernahme von Kosten des behindertengerechten Umbaus eines PKW [X.] (Bescheide vom 21.12.2005 und [X.]) und in den Jahren 2008, 2009 sowie 2011 von Reparaturkosten an dem [X.] (Bescheide vom [X.], 13.7.2009 und 3.6.2011). Am 11.4.2014 beantragte der Kläger beim [X.] die Übernahme bereits beglichener Reparaturkosten für den PKW in Höhe von insgesamt 4181,61 [X.] (Rechnungen vom 10.4.2014 über 2445,61 [X.], vom 22.11.2013 über 346,59 [X.], vom [X.] über 497,66 [X.] und vom 13.12.2012 über 891,75 [X.]); der [X.] leitete diesen Antrag an den Beklagten (Eingang 16.4.2014) als überörtlichen Sozialhilfeträger weiter. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil er Kenntnis vom Bedarf erst nach Auftragsvergabe und Begleichung der Rechnungen gehabt habe (Bescheid vom 23.4.2014, Widerspruchsbescheid unter beratender Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 15.4.2015).

4

Während das Sozialgericht (SG) Köln den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt hat, den Antrag des [X.] auf Übernahme der Reparaturkosten des von ihm genutzten PKW unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 16.12.2015), hat das [X.] ([X.]) [X.] die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, dass der geltend gemachte Bedarf durch Begleichung der betreffenden Rechnungen bereits vor Kenntnis des Beklagten vom spezifischen Bedarfsfall als solchem weggefallen sei und damit Leistungen der Sozialhilfe (rückwirkend) nicht mehr zu erbringen seien (Urteil vom 11.5.2017).

5

Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 18 [X.] geltend. Für den Beklagten sei erkennbar gewesen, dass ein regelmäßiger Reparaturbedarf bestehe.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.]s [X.] vom 11. Mai 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2015 zurückzuweisen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist im Sinne der Aufhebung des [X.] und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Der [X.] kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zu den Umständen der Begleichung der Werkstattrechnungen sowie zu der Frage, ob der Kläger auf das Kfz angewiesen ist, nicht abschließend entscheiden, ob er vom [X.]n eine Neubescheidung seines Antrags auf Übernahme der [X.] im Wege der Eingliederungshilfe verlangen kann.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 23.4.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.4.2015 (§ 95 [X.]G), mit dem der [X.] die Übernahme der Reparaturkosten für das vom Kläger genutzte und behindertengerecht umgebaute Kfz abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger nur noch mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs 1, § 131 Abs 2 Satz 2 iVm Abs 3 [X.]G). An der zunächst erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5, § 56 [X.]G) hat er nicht mehr festgehalten, nachdem das [X.] den [X.]n (nur) zur Neubescheidung verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen hat und der Kläger keine Berufung eingelegt hat.

Ob der beklagte Landschaftsverband als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Erstattung der [X.] als Leistung der Eingliederungshilfe nach Landesrecht sachlich und örtlich zuständig ist (§ 98 Abs 1, § 97 Abs 2 iVm § 3 Abs 3 [X.]B XII, §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum [X.]B XII für das Land [X.] vom 16.12.2004 - GVBl [X.] 816 - iVm der Ausführungsverordnung zum [X.]B XII des Landes [X.] vom 16.12.2004 - GVBl [X.] 817), kann offenbleiben, weil er jedenfalls wegen der an ihn erfolgten Weiterleitung des Antrags durch den örtlichen Sozialhilfeträger nach § 14 Abs 1 und [X.] behinderter Menschen - ([X.]B IX, hier noch in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung des [X.] schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, [X.] - aF) als sog [X.] Rehabilitationsträger ("aufgedrängte Zuständigkeit" vgl nur B[X.] [X.]-1500 § 141 [X.] Rd[X.] 9; B[X.]E 98, 277 = [X.]-2500 § 40 [X.], Rd[X.]2) zuständig geworden ist bzw - ausgehend von einem durch den behindertengerechten Umbau des Kfz eingeleiteten (einheitlichen) Rehabilitationsgeschehen - als erstangegangener Rehabilitationsträger zuständig war.

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf (eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über) die Übernahme der Kosten für die Reparaturen des vom Kläger genutzten PKW ist § 19 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII (in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.]B vom 27.12.2003 - [X.]) iVm §§ 53, 54 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII (ebenfalls in der Fassung des [X.]) und § 55 Abs 2 [X.] [X.]B IX aF iVm § 10 Abs 6 Eingliederungshilfe-Verordnung ([X.]).

Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Eingliederungshilfe. Nach § 53 Abs 1 [X.]B XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 [X.]B IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der [X.], eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Der Kläger ist neben seiner geistigen Behinderung auch körperlich behindert, deshalb auf einen Rollstuhl angewiesen und damit wesentlich in seiner Fähigkeit eingeschränkt, an der [X.] (s § 1 [X.] [X.]).

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden durch § 54 Abs 1 [X.]B XII iVm §§ 26, 33, 41 und 55 [X.]B IX aF und die auf Grundlage der Ermächtigung des § 60 [X.]B XII erlassene [X.] konkretisiert. Nach § 8 Abs 1 [X.] gilt dabei die Hilfe zur Beschaffung eines Kfz (auch) als Leistung zur Teilhabe am Leben in der [X.] iS von § 54 Abs 1 [X.]B XII. Daneben sieht § 10 Abs 6 [X.] vor, dass als Versorgung mit anderen Hilfsmitteln auch Hilfe in angemessenem Umfang zur Instandhaltung (sowie durch Übernahme der Betriebskosten) eines Kfz gewährt werden kann, wenn der behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kfz angewiesen ist oder angewiesen sein wird.

Die in § 10 [X.] geregelten Leistungen über den Umfang der Versorgung mit anderen Hilfsmitteln sind mit Ausnahme der in § 10 Abs 6 [X.] genannten Hilfen akzessorisch zur Versorgung mit dem konkreten Hilfsmittel ([X.] in jurisPK-[X.]B XII, 2. Aufl 2014, § 10 [X.] Rd[X.] 6). Dies bedeutet, dass die in § 8 [X.] geregelte Beschaffung eines Kfz nicht Voraussetzung für die in § 10 Abs 6 [X.] genannte Übernahme der Instandhaltungs- und Betriebskosten oder der Kosten der Erlangung einer Fahrerlaubnis ist. Ebenso wenig ist es erforderlich, dass der behinderte Mensch das Kfz selbst bedienen kann (B[X.] [X.]-5910 § 39 [X.] Rd[X.]5; BVerwGE 55, 31, 33 f).

Ob dieses Fahrzeug im Eigentum des [X.] stand, ist ebenfalls unerheblich. Der [X.] hat im Falle eines minderjährigen Kindes bereits entschieden (B[X.] Urteil vom 12.12.2013 - [X.] [X.] 18/12 R - Juris Rd[X.]8), dass eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse der [X.] vorzunehmen ist. Dies entspricht dem Regelungskonzept des [X.]B XII, das [X.] in § 16 [X.]B XII mit dem Gebot familiengerechter Leistungen und in § 19 Abs 3 [X.]B XII zum Ausdruck kommt, wonach bei minderjährigen Kindern auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern abzustellen ist. Dies gilt mit Einschränkungen (etwa im Zusammenhang mit der Ermessensausübung) auch für erwachsene schwerbehinderte Kinder, die - wie hier - mit einem Elternteil zusammenleben, der gleichzeitig Betreuer ist. Das umfassende Prinzip familiärer Solidarität mit der Pflicht zu Beistand und Rücksicht ist auch gegenüber volljährigen Kindern - wie schon § 1618a Bürgerliches Gesetzbuch ([X.]) zu entnehmen ist - Grundlage der gesamten Ausgestaltung des [X.] (dazu [X.], [X.], 77. Aufl 2018, § 1618a Rd[X.]). Im Sozialrecht zeigt sich dies etwa auch bei § 2 Abs 2 [X.] ([X.]), der für den Anspruch auf Kindergeld keine Altersgrenze vorsieht, wenn das "Kind" wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.

Einem Anspruch des [X.] steht auch § 18 [X.]B XII nicht entgegen. Nach § 18 [X.]B XII setzt die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (sog [X.]). Die Bewilligung von Sozialhilfe ist nach dieser Regelung formal nicht von einem Antrag abhängig (vgl dazu näher Mrozynski, [X.]/[X.]B 2007, 463 ff). Da § 18 [X.]B XII zum Schutz des Hilfebedürftigen einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem sicherstellen will (B[X.] [X.]-1300 § 44 [X.]5 Rd[X.]0; [X.] in LPK-[X.]B XII, 11. Aufl 2018, § 18 [X.]B XII Rd[X.]; vgl auch [X.], [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl 2013; Teil [X.] Rd[X.]8), ist es für das Einsetzen der Sozialhilfe vielmehr ausreichend, dass die Notwendigkeit der Hilfe dargetan oder sonst wie erkennbar ist, nicht aber in welchem Umfang die Hilfe geleistet werden muss (B[X.] [X.]-3500 § 62 [X.] Rd[X.]8; BVerwG Beschluss vom 9.11.1976 - V [X.]0.76 -, [X.], 133, 135; BVerwG [X.] 436.0 § 5 [X.]5 BSHG). Deshalb wird die Kenntnis iS von § 18 [X.]B XII durch die positive Kenntnis vom spezifischen Bedarfsfall (Unterhalt eines behindertengerecht umgebauten Kfz dazu gleich; vgl B[X.]E 121, 139 = [X.]-3500 § 18 [X.] 3; B[X.] [X.]-3500 § 44 [X.] Rd[X.]1; B[X.]E 121, 139 = [X.]-3500 § 18 [X.] 3; wohl [X.] in Grube/[X.], [X.]B XII, 6. Aufl 2018, § 18 Rd[X.]2, der auf die "konkrete Leistung" abstellt) vermittelt, nicht erst durch den konkreten finanziellen Bedarf (zu zahlender Rechnungsbetrag, vgl zur Sozialhilfe für [X.] B[X.] [X.]-3500 § 24 [X.] Rd[X.]4 auch für B[X.]E vorgesehen; weitergehend mit der Konsequenz, dass § 18 [X.]B XII keine Anwendung findet: Bestattung und Begleichung der Bestattungsrechnung ohne vorherige Unterrichtung der Sozialhilfebehörde B[X.]E 104, 219 = [X.]-3500 § 74 [X.] Rd[X.]5). Die weitere Sachverhaltsaufklärung - insbesondere hinsichtlich des Bedarfsumfangs - obliegt dann dem Sozialhilfeträger (§ 20 [X.] - <[X.]B X>; B[X.] [X.]-3500 § 18 [X.] Rd[X.]3).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hatte der [X.] die für die Erbringung der Leistung erforderliche Kenntnis. Er bewilligte dem körperlich und geistig behinderten Kläger selbst den behindertengerechten Umbau des Kfz und übernahm die insoweit anfallenden Reparaturkosten als Leistungen der Eingliederungshilfe, weil dem Kläger die Fortbewegung nur mit einem Rollstuhl möglich war (der [X.]) ging also selbst davon aus, dass der Kläger auf ein Kfz angewiesen sei. Anderenfalls hätte er die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau des eingesetzten Kfz ablehnen müssen (dazu unten). Folglich wusste er nicht nur, dass (überhaupt) ein Kfz existiert, sondern auch, dass das Kfz zur Fortbewegung und zum Transport des [X.] (ggf aber auch Dritter, insbesondere der Mutter) eingesetzt wurde und (aus seiner Sicht) erforderlich war. Die Bedarfslage ist dabei das [X.] auf ein Kfz und in diesem Zusammenhang dessen Unterhalt, wozu nicht nur die erforderlichen Betriebskosten, sondern - was § 10 Abs 6 [X.] ausdrücklich bestätigt ("Instandhaltung") - auch die unregelmäßig anfallenden Wartungs- und Reparaturkosten gehören, die dem Kläger Fahrten mit einem verkehrstüchtigen Kfz ermöglichen und dadurch die bestimmungsgemäße Nutzung des behindertengerechten Umbaus sichern. [X.] gesagt: mit Reparaturen ist bei einem Kfz gewissermaßen immer zu rechnen (vgl B[X.]E 121, 139 = [X.]-3500 § 18 [X.] 3, Rd[X.]1, vgl auch B[X.] [X.]-3500 § 62 [X.] Rd[X.]8). Der Akte des [X.]n ist sogar - ohne dass dies das L[X.] allerdings festgestellt hätte und ohne dass es für die Entscheidung des [X.]s erheblich wäre - zu entnehmen, dass der Kläger im Jahr 2008 einen vom [X.]n abgelehnten (Bescheid vom 8.2.2008; Widerspruchsbescheid vom [X.]) Antrag auf Übernahme der Betriebs- und Instandhaltungskosten im Rahmen eines persönlichen Budgets gestellt hat. Die Kenntnis über die Bedarfslage setzt nicht voraus, dass der konkrete finanzielle Bedarf bereits besteht und deshalb entsprechende Ermittlungen nach sich zieht. Vielmehr genügt es, dass bei einer in dem aufgezeigten Sinn (durchgehend) bestehenden Kenntnis vom Bedarfsfall Reparaturen erst durchgeführt werden, wenn sie erforderlich sind, und der Sozialhilfeträger auch dann erst wegen der zu begleichenden Rechnung und des von ihm auszuübenden Ermessens (wobei eine Unterrichtung des Sozialhilfeträgers erst nach der Reparatur zu Lasten des Hilfebedürftigen in die Abwägung einbezogen werden kann, s unten) in die konkrete Sachverhaltsermittlung eintritt.

Der [X.] setzt sich damit nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 20.4.2016 - [X.] [X.] 5/15 R - (B[X.]E 121, 139 = [X.]-3500 § 18 [X.] 3), wonach der Sozialhilfeträger bei völlig neuen, einmaligen Bedarfssit[X.]tionen keine für eine Leistung erforderliche Kenntnis besitzt. Denn die Bedarfssit[X.]tion (Bedarfslage oder Bedarfsfall) ist nach oben Gesagtem gerade nicht neu. Ob der [X.] an seiner Rechtsauffassung bei neuen, einmaligen Bedarfssit[X.]tionen in dem in dieser Entscheidung aufgezeigten Umfang festhält, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

Der [X.] kann indes nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kfz angewiesen ist oder angewiesen sein wird. Dies beurteilt sich in erster Linie nach dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (eingehend B[X.] Urteil vom 12.12.2013 - [X.] [X.] 18/12 R - Juris Rd[X.]5 ff mwN). Hierzu gehört es insbesondere, den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der [X.] zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs 3 [X.]B XII). Die Formulierung verdeutlicht, dass es insgesamt ausreicht, die Begegnung und den Umgang mit anderen Menschen im Sinne einer angemessenen Lebensführung zu fördern. Maßgeblich sind im Ausgangspunkt die Wünsche des behinderten Menschen (§ 9 Abs 2 [X.]B XII); wie sich aus § 9 Abs 3 [X.] ergibt ("im Einzelfall"), gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des [X.] entgegensteht (B[X.] [X.]-5910 § 39 [X.] Rd[X.]5, 26; [X.]-3500 § 54 [X.] 6 Rd[X.]2).

Das L[X.] hat - aus seiner Sicht zu Recht - keine tatsächliche Feststellungen (§ 163 [X.]G) dazu getroffen, ob das Kfz im oben aufgezeigten Sinne unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele war oder ob andere Möglichkeiten als die Benutzung eines Kfz zur Verwirklichung der Teilhabeziele zumutbar hätten genutzt werden können. Das [X.] auf ein Kfz wäre nämlich dann zu verneinen, wenn die Teilhabeziele mit dem öffentlichen Personennahverkehr und/oder (ggf unter ergänzender) Inanspruchnahme des [X.], ggf auch durch Leistungen der zuständigen Krankenkasse (§ [X.] <[X.]B V>) zumutbar hätten verwirklicht werden können (B[X.] Urteil vom 12.12.2013 - [X.] [X.] 18/12 R - Juris Rd[X.]7). An dem [X.] bestehen schon deshalb gewisse Zweifel, weil der Kläger (jedenfalls seit Anfang Jan[X.]r 2014) eine monatliche Mobilitätsbeihilfe von 1070 Euro erhält. Sollten die Ermittlungen allerdings ergeben, dass entsprechende Alternativen, die eine angemessene Lebensführung ermöglichten, nicht oder nicht ausreichend bestanden haben, war der Kläger auf ein Kfz angewiesen.

Ob schließlich einem Anspruch des [X.] entgegensteht, dass seine Mutter die angefallenen Kosten für die Reparaturen des Kfz beglichen hat und damit der finanzielle Bedarf bereits gedeckt ist, kann der [X.] ebenfalls nicht abschließend beurteilen. Nach der Rechtsprechung des [X.]s setzen Sozialhilfeleistungen zwar vom Grundgedanken her einen aktuellen Bedarf voraus; dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz ) nicht, wenn der Bedürftige seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nach Kenntnis vom Bedarfsfall nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat (B[X.]E 112, 67 = [X.]-3500 § 92 [X.], Rd[X.]5; B[X.]E 110, 301 = [X.]-3500 § 54 [X.] 8, Rd[X.]6 mwN; B[X.]E 116, 210 ff = [X.]-3500 § 28 [X.] 9, Rd[X.]2; [X.], 18 ff; [X.] in jurisPK-[X.]B XII, 2. Aufl 2014, § 18 [X.]B XII, Rd[X.]0). Jedenfalls bei den ersten drei Werkstattrechnungen muss bezweifelt werden, dass die Mutter des [X.] die Rechnungen in der Erwartung beglichen hat, der Sozialhilfeträger werde dem Kläger diese Kosten erstatten. Denn dann wäre der zeitliche Abstand zwischen der Bezahlung der Rechnungen und der an den [X.]n gestellten Forderung nicht nachvollziehbar. Insoweit spricht Vieles dafür, dass die Mutter damit nur eine eigene Schuld gegenüber der Kfz-Werkstatt begleichen wollte. Allerdings mag es auch schlüssige Gründe für ein Zuwarten der Mutter des [X.] geben. Bei der letzten Rechnung, die vom [X.] stammt, verhält es sich hingegen anders. Hier spricht Vieles dafür, dass die Mutter die Rechnung nur im Vorgriff auf die zu erwartenden Leistungen der Sozialhilfe beglichen hat. Das L[X.] wird zu den Umständen und Motiven, die zur Begleichung der Rechnungen führten, die erforderlichen Feststellungen ggf nachholen müssen.

Das L[X.] wird daneben auch Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen treffen müssen. Nach § 19 Abs 3 [X.]B XII ist Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nur zu leisten, soweit den Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach dem 11. Kapitel des [X.]B XII nicht zuzumuten ist. Diese Feststellungen sind nicht entbehrlich, denn es handelt sich bei den Kosten für die Kfz-Hilfe nicht um eine privilegierte Hilfe nach § 92 Abs 2 Satz 1 [X.]B XII. Die Bedürftigkeit (im maßgebenden Zeitpunkt) kann auch nicht etwa deshalb unterstellt werden, weil der Kläger Grundsicherungsleistungen bezieht. War der Kläger bedürftig, wofür trotz fehlender Feststellungen des L[X.] alles spricht, kann der [X.] im Hinblick darauf, dass der Sozialhilfeträger über Art und Maß der Leistungserbringung nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet (§ 17 Abs 2 [X.]B XII), bei einer ggf erforderlichen Neubescheidung die Einkommensverhältnisse der Eltern bzw des Elternteils und den Umfang sowie den Schwerpunkt der Nutzung des Kfz durch diese berücksichtigen. Er kann auch berücksichtigen, dass die Betreuerin (Mutter des [X.]) die Rechnungen zu einem Zeitpunkt vorgelegt hat, der das Aufzeigen von Alternativen unmöglich gemacht hat, der [X.] q[X.]si vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Umgekehrt ist bei der Ausübung des Ermessens aber auch zu berücksichtigen, dass der [X.] bereits die Kosten für den behindertengerechten Umbau des Kfz getragen hat und es deshalb widersprüchlich sein könnte, die Übernahme von Leistungen nach § 10 Abs 6 [X.] (ganz) abzulehnen, wenn der Einsatz des behindertengerechten Umbaus dadurch gefährdet würde.

Das L[X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 8 SO 9/17 R

28.08.2018

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Köln, 16. Dezember 2015, Az: S 10 SO 166/15, Urteil

§ 53 Abs 1 S 1 SGB 12, § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 18 Abs 1 SGB 12, § 55 Abs 2 Nr 1 SGB 9, § 8 Abs 1 S 1 BSHG§47V vom 27.12.2003, § 10 Abs 6 BSHG§47V, § 1618a BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 28.08.2018, Az. B 8 SO 9/17 R (REWIS RS 2018, 4381)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4381

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