Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 17.01.2013, Az. III ZR 168/12

3. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8926

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag: Erkennbarkeit des Verfahrensfortsetzungswillens nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist


Leitsatz

Zur Erkennbarkeit des Willens des Berufungsklägers zur Fortsetzung des Verfahrens als Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ohne Antrag gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des [X.] vom 24. April 2012 aufgehoben.

Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Rückzahlung von [X.] in Anspruch, das dieser im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erhalten hatte.

2

Das [X.] hat den [X.] zur Zahlung von 9.848,23 € verurteilt. Gegen das ihm am 28. Juni 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte, der sich vor dem [X.] selbst vertreten hat, am 8. Juli 2011 Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat den [X.] mit Beschluss vom 5. August 2011 wegen eines gegen ihn am 31. Juli 2010 verhängten [X.] nach § 156 Abs. 2 [X.] als Prozessbevollmächtigten zurückgewiesen. Zugleich hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit durch die Zurückweisung gemäß § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen sei. Mit Verfügung vom 25. August 2011 hat es dem [X.] gemäß § 244 Abs. 2 ZPO aufgegeben, einen neuen Anwalt zu bestellen. Nach Ablauf der - antragsgemäß einmal verlängerten - hierfür gesetzten Frist hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom 28. September 2011 darauf hingewiesen, dass das Verfahren mit dem Ablauf der Frist gemäß § 244 Abs. 2 Satz 2 ZPO als aufgenommen anzusehen sei. Auf Antrag des neuen Verfahrensbevollmächtigten des [X.] vom 28. November 2011 hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom 30. November 2011 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Dezember 2011 verlängert. An diesem Tag ist die Berufungsbegründung beim Berufungsgericht eingegangen. Mit dem [X.] am 24. Januar 2012 zugegangener Verfügung vom 18. Januar 2012 hat das Berufungsgericht den [X.] darauf hingewiesen, dass noch geprüft werden müsse, ob die Berufung zulässig sei. Da ein amtlich bestellter Vertreter des [X.] vorhanden gewesen sei, könne es an den Voraussetzungen von § 244 ZPO fehlen. Der Beklagte hat auf diesen Hinweis nicht reagiert. Das Berufungsgericht hat daraufhin nach mündlicher Verhandlung die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils und - unter Wiedereinsetzung des [X.]eklagten in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist - zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]erufungsgericht.

4

Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber inhaltlich nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf der [X.]erücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands (vgl. z.[X.]. Senatsurteil vom 18. Januar 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 621 Rn. 6; [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.]Z 37, 79, 81 ff).

I.

5

Das [X.]erufungsgericht hat zur [X.]egründung seiner Entscheidung ausgeführt, die erst am 28. Dezember 2011 erfolgte [X.]egründung der [X.]erufung sei verfristet, da die [X.]erufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 28. August 2011 geendet habe. Der Rechtsstreit sei nicht am 5. August 2011 durch die Zurückweisung des [X.]eklagten als Prozessbevollmächtigten gemäß § 244 ZPO unterbrochen worden, da für den [X.]eklagten ab 17. März 2011 ein allgemeiner Vertreter bestellt gewesen sei. Der Antrag des [X.]eklagten auf Verlängerung der [X.]erufungsbegründungsfrist sei erst am 28. November 2011 gestellt und bewilligt worden. Nach Ablauf der [X.]egründungsfrist habe diese aber nicht mehr wirksam verlängert werden können.

6

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die [X.]erufungsbegründungsfrist lägen nicht vor. Zwar sei die Versäumung der [X.]egründungsfrist angesichts der Hinweise des [X.]erufungsgerichts entschuldbar gewesen. Der [X.]eklagte habe jedoch nicht innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung beantragt. Diese Frist habe mit dem Hinweis des [X.]erufungsgerichts vom 18. Januar 2012 zu laufen begonnen, weil der [X.]eklagte ab diesem Zeitpunkt habe erkennen können, dass die Voraussetzungen einer Unterbrechung möglicherweise nicht gegeben gewesen sein könnten und die [X.]erufung daher unzulässig sein könne. Auf den Hinweis vom 18. Januar 2012 habe der [X.]eklagte nicht reagiert. Er habe auch nicht konkludent Wiedereinsetzung beantragt.

7

Für eine Wiedereinsetzung ohne Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei kein Raum. Voraussetzung hierfür sei, dass das Gericht erkennen könne, dass das Verfahren trotz der Fristversäumnis fortgesetzt werden solle. Daran fehle es, wenn - wie hier - die [X.] nach Mitteilung der Tatsachen, aus denen die Fristversäumnis erkenntlich sei, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO untätig bleibe.

II.

8

Diese [X.]eurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das [X.]erufungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte [X.]erufungsbegründungsfrist ohne Antrag gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO verneint:

9

1. Der [X.]eklagte hat die [X.]erufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt.

Das [X.]erufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass - abweichend von seinem Hinweis vom 5. August 2011 - das [X.]erufungsverfahren nicht gemäß § 244 ZPO unterbrochen war.

Ebenfalls zutreffend hat es angenommen, dass - entgegen seinem weiteren Hinweis vom 28. September 2011 und der von ihm mit Verfügung vom 30. November 2011 bis zum 28. Dezember 2011 gewährten Verlängerung der [X.]erufungsbegründungsfrist - die am 28. Dezember 2011 eingegangene [X.]erufungsbegründung nicht mehr fristgerecht erfolgte, da das Verfahren nicht gemäß § 244 ZPO unterbrochen war, die [X.]egründungsfrist somit am 28. August 2011 abgelaufen war und eine wirksame Verlängerung nicht erfolgen konnte, weil der entsprechende Antrag des [X.]eklagten erst nach Fristablauf, nämlich am 28. November 2011 bei Gericht einging (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 18. März 1982 - [X.], [X.]Z 83, 217, 221 und vom 17. Dezember 1991 - [X.], [X.]Z 116, 377 ff).

2. Dem [X.]eklagten war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren.

a) Zutreffend ist die Annahme des [X.]erufungsgerichts, dass die Versäumung der [X.]egründungsfrist durch den [X.]eklagten entschuldbar im Sinne von § 233 ZPO ist, weil sie durch die fehlerhaften Hinweise des [X.]erufungsgerichts auf die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 244 ZPO verursacht wurde (vgl. zum Gerichtsfehler als Ursache für die Fristversäumung [X.], [X.]eschluss vom 16. Oktober 2003 - [X.], [X.], 2478, 2479; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 233 Rn. 48). Hierauf konnte der [X.]eklagte ohne weitere Nachprüfung vertrauen.

b) Nicht zu beanstanden ist schließlich die Feststellung des [X.]erufungsgerichts, dass der [X.]eklagte keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat.

c) Dem [X.]eklagten war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte [X.]erufungsbegründungsfrist von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren.

aa) Eine Nachholung der versäumten [X.] gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO war vorliegend entbehrlich, weil diese, wenn auch verspätet, bereits vor [X.]eginn der [X.] vorgenommen worden war (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 26. Januar 1978 - [X.], [X.], 449; [X.]/[X.] aaO § 236 Rn. 14; Musielak/[X.], ZPO, 9. Aufl., § 236 Rn. 6).

bb) Das [X.]erufungsgericht hat dennoch eine Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgelehnt, weil der [X.]eklagte innerhalb der [X.] des § 234 Abs. 1 ZPO untätig geblieben sei und damit für das Gericht nicht - wie erforderlich - erkennbar geworden sei, ob das Verfahren fortgesetzt werden solle. Diese [X.]ewertung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand:

(1) Es kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Entscheidung, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO zu gewähren ist, im - nur einer beschränkten Nachprüfung des [X.] unterliegenden - Ermessen des Gerichts liegt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29. September 1986 - [X.] ([X.]) 26/86, [X.]RAK-Mitt. 1987, 90, 91; [X.]AG, [X.], 2708; s. demgegenüber etwa Musielak/[X.] aaO § 236 Rn. 8; [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 236 Rn. 5). [X.] ist in jedem Fall, ob das [X.]erufungsgericht im Rahmen seines Ermessens alle wesentlichen festgestellten Tatsachen berücksichtigt hat (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 15. Januar 1992 - XII Z[X.] 135/91, [X.], 1513 für die [X.] des § 3 ZPO; allgemein: [X.]/[X.], 4. Aufl., § 546 Rn. 14).

(2) Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Das vom [X.]erufungsgericht zur [X.]egründung seiner Entscheidung herangezogene Erfordernis der Erkennbarkeit des [X.]s der [X.], die die Frist versäumt hat, entspricht zwar der Rechtsprechung des [X.]undesgerichtshofs und des [X.]undesarbeitsgerichts ([X.], [X.]eschluss vom 29. September 1986 aaO; [X.]AG aaO S. 2709; [X.]/[X.], aaO, § 236 Rn. 16; Musielak/[X.] aaO Rn. 8). Der Fortsetzungswille des [X.]eklagten war jedoch aufgrund der besonderen Umstände des Falles auch ohne seine erneute [X.]ekräftigung für das [X.]erufungsgericht ohne weiteres erkennbar. Eine Gefahr, dem Säumigen die Wiedereinsetzung aufzudrängen (vgl. [X.]AG aaO), bestand nicht. Vielmehr ließen sämtliche Handlungen des [X.]eklagten, insbesondere die vermeintlich fristgerecht am letzten Tag der verlängerten [X.]egründungsfrist eingereichte [X.]erufungsbegründung, auf den erforderlichen [X.] schließen. Da ein Wiedereinsetzungsgrund offensichtlich gegeben war, konnte die Versäumung der [X.]egründungsfrist allein an dem [X.] keine vernünftigen Zweifel wecken. Angesichts der sehr zurückhaltenden Formulierung des [X.]erufungsgerichts in seinem Hinweis vom 18. Januar 2012 war eine Reaktion des [X.]eklagten hierauf nicht geboten. Aus ihrem Fehlen konnte nicht auf seinen mangelnden [X.] geschlossen werden. Eher konnte der [X.]eklagte darauf vertrauen, zunächst eine weitere Mitteilung des [X.]erufungsgerichts über das Ergebnis der angekündigten Prüfung zu erhalten, bevor ernsthaft von einer Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist auszugehen war.

Es war mithin ermessensfehlerhaft, zur Feststellung des [X.]s noch ein erkennbares Zeichen und Tätigwerden des [X.]eklagten zu erwarten. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO lagen vielmehr auch ohne eine solche [X.]ekräftigung seines [X.]s vor.

3. Dem [X.]eklagten ist somit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist zu gewähren. Diese Entscheidung kann das Revisionsgericht selbst treffen ([X.], [X.]eschluss vom 8. Oktober 1992 - V Z[X.] 6/92, [X.], 713, 714). Die Wiedereinsetzung hat zur Folge, dass das angefochtene Urteil, durch das die [X.]erufung als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos wird ([X.], [X.]eschlüsse vom 8. Oktober 1986 - VIII Z[X.] 41/84, [X.]Z 98, 325, 328 mwN und vom 8. Oktober 1992 aaO). Zur Klarstellung ist das [X.]erufungsurteil dennoch aufzuheben ([X.], [X.]eschluss vom 8. Oktober 1992, juris Rn. 6, insoweit in [X.], 713 nicht abgedruckt). Zugleich ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Schlick                            Herrmann                             Hucke

                Tombrink                             Remmert

Meta

III ZR 168/12

17.01.2013

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 24. April 2012, Az: 12 U 113/11

§ 236 Abs 2 S 2 Halbs 2 ZPO, § 244 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 17.01.2013, Az. III ZR 168/12 (REWIS RS 2013, 8926)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8926

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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