Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 22/10 R

4. Senat | REWIS RS 2011, 5604

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Aufhebung oder Rücknahme des Verwaltungsaktes - Einkommensberücksichtigung - Gewinnermittlung bei selbstständiger Tätigkeit - Auflösung einer Ansparabschreibung - Heilung von Verfahrensfehlern


Tenor

Auf die Sprungrevision des Klägers wird das Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2009 ([X.] AS 2408/08) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] im Zeitraum vom [X.] bis 30.9.2005 und die Erstattung der gewährten Leistungen in Höhe von 2 832,95 [X.].

2

Der alleinstehende Kläger stellte erstmals am [X.] einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem [X.]. Zu Einkünften aus selbstständiger oder anderer Tätigkeit machte er keine Angaben. Auf dem [X.] 2 findet sich mit grünem Stift - der Beraterin - die Einfügung: "Ich-AG 3.2.03 - 1 Jahr Förderung". Durch Bescheid vom 19.4.2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 20,06 [X.] für den Tag der Antragstellung und für die Monate April bis einschließlich September 2005 von monatlich jeweils 601,89 [X.] (Regelleistung in Höhe von 331 [X.], KdU in Höhe von 270,89 [X.]). Einkommen des [X.] berücksichtigte er bei der Berechnung nicht.

3

Auf eine Einladung des Beklagten zu einem Gespräch über seine berufliche Situation und zur Vorlage seiner Bewerbungen legte der Kläger am [X.] eine Änderungsmitteilung vor und gab an, er werde vom [X.] bis [X.] selbstständig tätig sein (Abbruch, Entkernung, Maurerarbeiten). Zusammen mit dieser Änderungsmitteilung füllte der Kläger das [X.] 2.1. ([X.]) aus und legte die Anlage [X.] zu seiner Einkommensteuererklärung für 2004 vor. Er teilte zunächst voraussichtliche Betriebseinnahmen in Höhe von 750 [X.] sowie -ausgaben in Höhe von 225 [X.] mit. Der Gewinn habe sich gegenüber den Vorjahren verringert, weil sich die Auftragslage verschlechtert habe. Im Mai und August 2006 reichte der Kläger ferner Betriebswirtschaftliche Auswertungen ([X.]) für die [X.] und für die bereits abgelaufenen Monate des Jahres 2006 ein und legte mit einem weiteren Fortzahlungsantrag im Januar 2007 eine am [X.] erstellte betriebswirtschaftliche Auswertung vor, aus der sich für das [X.] insgesamt ein vorläufiges positives betriebswirtschaftliches Ergebnis von 8581,40 [X.] ergibt. Am [X.] gab der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2005 zu den Akten, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 10 405 [X.] ausweist. In einem vom Kläger beigefügten Schreiben des Steuerberaters wird zur Erläuterung ausgeführt, dass der Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG ermittelt worden sei und sich der in dem Steuerbescheid angesetzte Gewinn in Höhe von 10 405 [X.] aus zwei Positionen zusammensetze - einem Gewinnanteil aus laufendem Geschäftsbetrieb in Höhe von 381 [X.] und einem Gewinnanteil in Höhe von 10 024 [X.], der aus der Auflösung, Neubildung und Verzinsung von Sonderposten mit Rücklageanteil nach § 7g EStG ([X.]) entstanden sei. In dem Schreiben heißt es weiter: "Der hohe Gewinn des Jahres 2003 wurde im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des § 7g EStG in die Folgejahre verschoben. Dieser Gewinnanteil ist im [X.] nicht zugeflossen und stand damit nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung."

4

Unter Berücksichtigung der [X.], die sich aus dem Steuerbescheid für 2005 ergeben, führte der Beklagte eine Neuberechnung für den Leistungszeitraum [X.] bis 30.9.2005 durch, hob mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 24.1.2008 den Bewilligungsbescheid vom 19.4.2005 vollständig auf und begründete dies mit § 48 Abs 1 Satz 2 [X.]B X. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, eine Summe von insgesamt 2923,57 [X.] zu erstatten. Mit dem Änderungsbescheid vom 24.4.2008 reduzierte der Beklagte die Erstattungsforderung auf 2832,95 [X.]. Den Widerspruch des [X.] vom 28.1.2008 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25.4.2008 zurück.

5

Durch Urteil vom 22.12.2009 hat das [X.] die Klage abgewiesen. Die streitbefangenen Bescheide seien inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Beklagte habe die rückwirkende Aufhebung des [X.] vom 19.4.2005 zutreffend auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 [X.]B X gestützt. Der Bescheid vom 19.4.2005 sei bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen. Im streitgegenständlichen Zeitraum sei nachträglich Einkommen erzielt worden, das zum Wegfall des Anspruchs geführt habe. Zu Recht habe der Beklagte das Einkommen ausgehend von dem im Einkommensteuerbescheid für das [X.] festgestellten steuerrechtlichen Gewinn ermittelt. Der auf die Auflösung der [X.] entfallende Gewinnanteil sei nicht abzuziehen. Die Auflösung der Rücklage fließe dem Steuerpflichtigen zu, weil Gelder, die ursprünglich für eine Investition vorgesehen und gebunden waren, nun wieder - auch zur Bestreitung des Lebensunterhalts - zur Verfügung stünden. Die von dem Beklagten vorgenommene [X.] des berücksichtigungsfähigen Einkommens sei nicht zu beanstanden. Eine Aufteilung nach [X.] habe hingegen nicht zu erfolgen, da der Kläger ersichtlich keine laufenden, dh regelmäßig zufließenden Einnahmen im [X.] gehabt habe. Das [X.] hat die Sprungrevision zugelassen. Der Beklagte hat der Einlegung zugestimmt.

6

Der Kläger rügt mit der Revision (sinngemäß) eine Verletzung des § 11 Abs 1 [X.]. Zu Unrecht habe das [X.] die Feststellungen des Einkommensteuerbescheids für das [X.] zugrunde gelegt. Die Auflösung der im Jahr 2003 gebildeten [X.] hätte nicht berücksichtigt werden dürfen. Hierbei handele es sich um einen im Jahr 2003 und nicht im maßgeblichen Zeitraum 2005 zugeflossenen Gewinn. Allein durch die Ausweisung der aufgelösten [X.] stünden ihm keine bereiten Mittel zur Verfügung. Das Geld sei bereits im vorangegangenen Geschäftsjahr zur Deckung der laufenden Betriebskosten verwendet worden.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2009 ([X.] AS 2408/08) sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2008 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er schließt sich den Ausführungen des [X.] an.

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] begründet.

Der Senat vermochte nicht abschließend zu beurteilen, ob der aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 von Anfang an rechtswidrig war (§ 45 [X.]) oder durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachträglich rechtswidrig geworden ist (§ 48 [X.]). Es ist vom [X.] nicht festgestellt worden, ob bei [X.] nach den objektiven Verhältnissen Hilfebedürftigkeit vorlag oder die Hilfebedürftigkeit ggf im Verlaufe des streitigen Zeitraumes entfallen ist.

1. Das beklagte [X.] ist gemäß § 70 [X.] [X.]G beteiligtenfähig (vgl Urteile des Senats vom 18.1.2011, [X.] [X.]/10 R). Nach § 76 Abs 3 Satz 1 [X.]B II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende [X.] wegen der Weiterentwicklung der Organisation des [X.]B II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar.

Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b [X.]B II bestehen, weil der Gesetzgeber sich bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art 91e Abs 1 und 3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt (B[X.] Urteile vom 18.1.2011, [X.] [X.]/10 R).

2. Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 24.1.2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.4.2008, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem [X.]B II im Zeitraum vom [X.] bis 30.9.2005 aufgehoben hat und eine Erstattungsforderung in Höhe von 2832,95 Euro gegenüber dem Kläger geltend macht. Der Kläger hat ihn zutreffend mit der Anfechtungsklage angegriffen.

3. Ob der Beklagte die Aufhebungsentscheidung - die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung unterstellt (s hierzu unter b) - auf § 48 [X.] stützen konnte, wie das [X.] annimmt, oder ob ggf § 45 [X.] als Rechtsgrundlage in Betracht kommt, kann vom erkennenden Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen durch das [X.] ebenso wenig entschieden werden, wie die Frage, ob der Bewilligungsbescheid materiell-rechtlich rechtswidrig war.

a) Nach § 48 [X.] ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 [X.] regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. § 45 [X.] findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden soll, ab (vgl B[X.]E 96, 285 = [X.] 4-4300 § 122 [X.] Rd[X.]3; B[X.]E 59, 206 = [X.] 1300 § 45 [X.] und B[X.]E 65, 221 = [X.] 1300 § 45 [X.]5 S 141; vgl auch Urteil des Senats vom 16.12.2008 - [X.] AS 48/07 R - und zuletzt B[X.] vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/09 R, zur [X.] vorgesehen). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären (B[X.] Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - B[X.]E 67, 104, 113 ff = [X.] 3-1300 § 32 [X.] 2; B[X.]E 82, 183 = [X.] 3-4100 § 71 [X.] 2 mwN; B[X.]E 93, 51 = [X.] 4-4100 § 115 [X.]), um die objektiven Verhältnisse festzustellen. Insoweit kommt es entgegen der Auffassung des [X.] nicht darauf an, zu welchen Vermutungen die Verwaltung aufgrund der klägerischen Angaben Anlass gehabt hatte. [X.] die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 [X.] gegeben. Mangelnde Amtsermittlung kann auch niemals Grund für eine nur vorläufige Leistungsbewilligung sein. Der endgültige Bescheid ist umgekehrt kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen - nicht wegen fehlerhafter Ausübung der Amtsermittlungspflicht, sondern - objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht. Eine endgültige Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis hierzu ist rechtswidrig (B[X.]E 93, 51 = [X.] 4-4100 § 115 [X.]). Entscheidet der Träger jedoch endgültig und bewilligt nicht nur vorläufige Leistungen, sind Maßstab der Überprüfung der Aufhebungsentscheidung § 45 oder § 48 [X.].

Die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des [X.] können den Feststellungen des [X.] nicht entnommen werden. Das [X.] hat ausgeführt, aufgrund der Angaben des [X.] in seinem Antrag auf Bewilligung von [X.] sei nicht zu vermuten gewesen, dass sich im Leistungszeitraum Einkünfte - in wechselnder Höhe - aus selbstständiger Tätigkeit ergeben könnten. Die Kammer glaube dem Kläger, dass er beim Ausfüllen des Antrags weder Einkünfte gehabt, noch solche erwartet und deswegen die entsprechenden Felder des Antrags nicht angekreuzt habe. Wenn das Gericht in seinen weiteren Ausführungen gleichwohl davon ausgeht, dass der Kläger Einkommen aus selbstständiger Beschäftigung hatte, brauchte es zwar von seinem Rechtsstandpunkt keine weitere Aufklärung der tatsächlichen Einkommens- und Vermögenssituation vorzunehmen. Insoweit verkennt es jedoch den rechtlichen Maßstab für die Beurteilung, ob eine zur Rechtswidrigkeit führende wesentlich Änderung der Verhältnisse oder eine anfängliche Rechtswidrigkeit gegeben waren.

b) Ob der Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 rechtmäßig war, beurteilt sich zuvörderst danach, ob der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungsbewilligung nach dem [X.]B II erfüllt hatte, insbesondere, ob er hilfebedürftig war. Nach § 7 Abs 1 [X.] 3 iVm § 9 Abs 1 [X.]B II - jeweils in der Fassung des [X.], [X.] 2954 - ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit ([X.]), aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen ([X.] 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II - ebenfalls in der Fassung des [X.] - sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert, mithin auch Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. Eine nähere Bestimmung, was als Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen Beschäftigung zu berücksichtigen ist, findet sich in der [X.]-V in der im streitigen Zeitraum anzuwendenden Fassung vom 20.10.2004 ([X.] 2622) nicht. Danach ist auch bei Selbstständigen von den Bruttoeinnahmen auszugehen (§ 2 Abs 1 [X.]-V). Nach § 2 Abs 2 [X.]-V sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen und einmalige Einnahmen von dem Monat an, in dem sie zufließen (§ 2 Abs 3 [X.]-V). Ansonsten war das Einkommen iS des § 11 Abs 2 [X.]B II um die dort benannten Absetzbeträge zu bereinigen und nach § 3 [X.] 3 [X.]-V bei Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ein Pauschbetrag für die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Betriebsausgaben in Höhe von 30 % der Betriebseinnahmen abzusetzen, soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist. Über welche Einkünfte in diesem Sinne der Kläger bei [X.] verfügte oder ihm nachträglich - nicht vorhersehbar oder regelmäßig - im streitigen Bewilligungszeitraum zugeflossen sind, hat das [X.] nicht festgestellt. Es geht vielmehr davon aus, dass der im Einkommensteuerbescheid 2005 ausgewiesene Gewinn nach § 7g EStG als Einkommen auf das ganze [X.] zu verteilen und als wesentliche Änderung der Verhältnisse - unabhängig von seinem tatsächlichen Zufluss - zu werten sei. Für diese Rechtsauffassung mangelt es im streitigen Zeitraum jedoch bereits an einer Rechtsgrundlage.

Die im streitigen Zeitraum anzuwendende [X.]-V in ihrer ursprünglichen Fassung vom 20.10.2004 (aaO) sieht - wie schon dargelegt - keine nähere Bestimmung des Arbeitseinkommens selbstständig Tätiger vor. § 2a [X.]-V in der Fassung vom [X.] ([X.] 2499), der auf § 15 [X.]B IV und von dort aus auf die einkommensteuerrechtlichen Regelungen Bezug nimmt, ist erst am 1.10.2005 in [X.] getreten und misst sich keine Rückwirkung bei (vgl dazu bereits B[X.] Urteil vom 30.7.2008 - [X.] AS 44/07 R). Auch eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs 1 der Verordnung ([X.]) zu § 76 [X.] kommt nicht in Betracht ([X.] in Eicher/Spellbrink, [X.]B II, 1. Aufl 2005, § 11 Rd[X.] 38, 40; aA Hengelhaupt in [X.]/[X.], [X.]B II, § 11 Rd[X.]62 - Stand 32. [X.]). Ein Rückgriff auf die einkommensteuerrechtlichen Regelungen zur Gewinnermittlung und damit auch auf § 7g EStG war mithin - anders als vom [X.] angenommen - nicht vorgesehen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass in § 2a Abs 1 [X.]-V in der ab 1.10.2005 geltenden Fassung ein allgemeiner Rechtsgedanke Ausdruck gefunden hätte dergestalt, dass für die Einkommensermittlung bei Selbstständigen jeweils das Einkommensteuerrecht maßgeblich sein solle (B[X.] Urteil vom 30.7.2008 - [X.] AS 44/07 R). Vielmehr hat der Verordnungsgeber zunächst in Abkehr von den differenzierten Verweisungen auf das Einkommensteuerrecht gem § 4 Abs 1 der [X.] zu § 76 [X.] (siehe [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl 2003, § 76 Rd[X.]9) in den §§ 2, 3 [X.]-[X.] 2004 eine andere Konzeption verfolgt.

Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das [X.]B II selbst zwar nicht vor. Wie der erkennende Senat im Urteil vom [X.] ([X.] AS 29/07 R - B[X.]E 101, 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]5; vgl auch Urteil des Senats vom [X.] - [X.] AS 49/08 R -; B[X.] Urteil vom 16.12.2008 - [X.] AS 48/07 R - FEVS 60, 546) dargelegt hat, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 [X.]B II jedoch grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte (ebenso schon B[X.] Urteil vom 30.7.2008 - [X.] AS 26/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]7). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt. Durch den Verweis in § 2a [X.]-V auf die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften wurde im Zeitraum ab dem 1.10.2005 normativ bestimmt, dass die aufgelöste oder aufzulösende Ansparrücklage, obwohl sie vor der Antragstellung gebildet wurde (s zum Sparguthaben B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]6) als Einkommen bei Zufluss im jeweiligen Steuerjahr zu berücksichtigen ist (vgl Entscheidung des Senat vom selben Tag - [X.] AS 21/10 R). Da diese Regelung, wie zuvor dargelegt, hier jedoch nicht anzuwenden ist und die Ansparrücklage in jedem Fall bereits vor der Antragstellung gebildet wurde, ist sie - soweit sie im hier streitigen Zeitraum noch vorhanden war - Vermögen und ist unter den Bedingungen des § 12 [X.]B II zur Lebensunterhaltssicherung zu verwerten.

Der Senat führt insoweit seine bisherige Rechtsprechung fort. Im Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/07 R ([X.] 4-4200 § 11 [X.]6) ist klargestellt worden, dass ein Sparguthaben eines Leistungsberechtigten, das vor der Antragstellung gebildet wurde, durchgehend Vermögen ist, auch wenn es nach der Antragstellung fällig wird und zufließt. Dieses gilt insbesondere in Fällen, in denen mit bereits erlangten Einkünften angespart wurde, zB bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn anderenfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend bleibt ein auf längere Zeit angelegtes Sparguthaben auch bei seiner Auszahlung Vermögen (vgl BVerwG Urteile vom [X.] - 5 C 16/98 - NJW 1999, 3210 f = juris Rd[X.]6, und - 5 C 14/98 - NJW 1999, 3137 f = juris Rd[X.]5). Dieses gilt auch für die Ansparrücklage. Die Ansparrücklage entstammt [X.] zuvor - hier wohl 2003 - erwirtschaftetem Gewinn, war also zum damaligen Zeitpunkt Einkommen. Sie fließt bei ihrer Auflösung in den Betrieb/das Unternehmen als Investition zurück. Sie hat damit zwar steuerrechtlich lediglich "Stundungseffekt" (vgl Kratzsch in EStG, Praxiskommentar, Stand III/2008, § 7g Rd[X.] 63c; s hierzu auch Entscheidung des erkennenden Senats vom selben Tag zum Aktenzeichen - [X.] AS 21/10 R), tatsächlich handelt es sich jedoch um die Freisetzung von angespartem Einkommen, also Vermögen. Hieraus folgt jedoch kein umfassender Schutz des [X.] davor, die Mittel zur Lebensunterhaltssicherung verwenden zu müssen. Soweit es sich um verwertbares Vermögen handelt, ist es zur Existenzsicherung einzusetzen (vgl Senatsurteil vom 30.8.2010 - [X.] [X.]/09 R). Vor dem Hintergrund des lediglich steuerrechtlichen Zwecks der Ansparrücklage, einen Anreiz für Investitionen zu setzen, unterliegt die bei Antragstellung oder im Bewilligungszeitraum noch vorhandene Ansparrücklage einem Verwertungsschutz daher wohl nur in den Grenzen des § 12 Abs 2 [X.] und 4 [X.]B II (in der Fassung des 4. Gesetzes zur Änderung des [X.]B III und anderer Gesetze vom 19.12.2004, [X.] 2902).

Dementsprechend wird das [X.] sowohl zu prüfen haben, ob die Ansparrücklage in dem hier streitigen Zeitraum noch vorhanden war, als auch, welche sonstigen Betriebseinnahmen der Kläger im Zeitraum [X.] bis 30.9.2005 hatte und ob davon auszugehen war, dass diese ab dem [X.] regelmäßig zufließen würden bzw absehbar waren. Die vom Kläger selbst erstellten betriebswirtschaftlichen Auswertungen können hierzu Anhaltspunkte liefern. Der Kläger wird mittels seiner Buchführung seine tatsächlichen Betriebseinnahmen offenzulegen bzw Kontoauszüge vorzulegen haben (vgl zu Ermittlungsmöglichkeiten Knoblauch/[X.], [X.] 2006, 375, 376).

Festzustellen sein werden auch die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Betriebsausgaben. Des Weiteren fehlen Feststellungen zum sonstigen Vermögen des [X.], obwohl hierzu nach dem eigenen Vorbringen des [X.] Anlass bestanden hätte. Der Kläger hat selbst vorgebracht, der "hohe Gewinn des Jahres 2003" aus seinem Gewerbebetrieb sei "in die Folgejahre verschoben" worden und er habe auf dieses Geld auch tatsächlich Zugriff gehabt und es verbraucht. Daher hätte Anlass zur Prüfung bestanden, wie hoch die Gewinne der letzten Jahre waren, wie viel davon in die Bildung von [X.] geflossen ist und wie hoch das sonstige Vermögen des [X.] bei Antragstellung am [X.] war.

4. Sollte § 45 [X.] Anwendung finden, wäre der Umstand, dass der Beklagte seinen Bescheid auf § 48 [X.] gestützt hat, alleine - im Gegensatz zur Auffassung des [X.] - nicht klagebegründend (Senatsurteil vom 16.12.2008 - [X.] AS 48/07 R -; vgl auch B[X.] Urteil vom [X.] - B 7a [X.] 38/05 R - [X.] 4-4300 § 141 [X.] 2). Denn das so genannte "Nachschieben von Gründen" (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (B[X.]E 29, 129, 132 = [X.] [X.]23 zu § 54 [X.]G; B[X.]E 87, 8, 12 = [X.] 3-4100 § 152 [X.] 9; B[X.] Urteil vom 18.9.1997 - 11 [X.] - juris Rd[X.] 22; B[X.] Urteil vom [X.] [X.] 69/01 R - juris Rd[X.]6 f). Weil die §§ 45, 48 [X.] auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (B[X.] Urteil vom [X.], aaO).

Wäre der rechtliche Maßstab für die Aufhebungsentscheidung vorliegend § 45 [X.], so kann dies bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung jedoch nur dann unbeachtet bleiben, wenn es einer Ermessensentscheidung nicht bedurfte, denn eine Ermessensentscheidung wurde hier von dem Beklagten nicht getroffen. § 40 Abs 1 [X.] [X.]B II verweist auf § 330 Abs 2 [X.]B III; dieser ordnet an, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese - im Wege einer gebundenen Entscheidung, also ohne Ermessen - auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Das [X.] hat bisher noch keine Tatsachen festgestellt, nach denen beurteilt werden kann, ob der Tatbestand des § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] erfüllt ist. Das [X.] wird - sollte es zur Anwendung des § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] gelangen - auch zu prüfen haben, ob der Beklagte eine Anhörung zu den tatsächlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorgenommen hat und die Frage zu klären haben, ob eine ggf fehlende Anhörung hierzu auch nach einer Zurückverweisung durch das B[X.] im weiteren Verfahren wirksam iS des § 41 Abs 1 [X.] 3, Abs 2 [X.] durchgeführt werden kann.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 22/10 R

21.06.2011

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Dresden, 22. Dezember 2009, Az: S 40 AS 2408/08, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 30.07.2004, § 11 Abs 2 SGB 2 vom 30.07.2004, § 12 Abs 1 SGB 2 vom 19.11.2004, § 12 Abs 2 Nr 1 SGB 2 vom 19.11.2004, § 12 Abs 2 Nr 4 SGB 2 vom 19.11.2004, § 7g EStG vom 09.12.2004, § 2 Abs 1 AlgIIV vom 20.10.2004, § 2 Abs 2 AlgIIV vom 20.10.2004, § 2 Abs 3 AlgIIV vom 20.10.2004, § 3 Nr 3 AlgIIV vom 20.10.2004, § 2a AlgIIV vom 22.08.2005, § 24 SGB 10, § 40 SGB 10, § 41 Abs 1 Nr 3 SGB 10, § 41 Abs 2 SGB 10, § 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 3 SGB 10, § 48 Abs 1 SGB 10, § 40 Abs 1 Nr 1 SGB 2, § 330 Abs 2 SGB 3, § 15 Abs 1 SGB 4, § 4 Abs 1 BSHG§76DV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 22/10 R (REWIS RS 2011, 5604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5604

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