Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.12.2011, Az. IV B 101/10

4. Senat | REWIS RS 2011, 170

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Gegenstand

Notwendige Beiladung bei Streit um Gewinnfeststellung bei atypisch stiller Gesellschaft


Leitsatz

1. NV: Bei einer atypisch stillen Gesellschaft, die als Innengesellschaft nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein kann, übernimmt die Rolle des nicht vorhandenen vertretungsberechtigten Geschäftsführers der Empfangsbevollmächtigte.

2. NV: Bei einer atypisch stillen Gesellschaft ist der Empfangsbevollmächtigte auch dann notwendig beizuladen, wenn der Rechtsstreit wegen gesonderter und einheitlicher Gewinnfeststellung keine Auswirkungen für ihn hat.

3. NV: Die unterbliebene notwendige Beiladung führt zu einem Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens und damit zu einem Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

4. NV: Der BFH kann eine unterbliebene Beiladung nur im Revisionsverfahren, nicht im Beschwerdeverfahren nachholen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht ([X.]) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

2

1. [X.] beruht auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), weil das [X.] rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung mit dem Hinweis verneint hat, dass --wie sich u.a. aus dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 9. Mai 2000 VIII R 41/99 ([X.]E 192, 273, [X.], 686) ergebe-- bei § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine sog. Bruchteilsbetrachtung vorzunehmen sei.

3

a) Im Ausgangsverfahren war im Streit, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) verpflichtet ist, für die "X-GmbH und atypisch stille Beteiligung" für die [X.] und 1999 jeweils einen Verlust gesondert und einheitlich festzustellen und den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) einen näher bezifferten [X.] zuzurechnen. Anders als das [X.] meint, war demnach zu entscheiden, ob für eine atypisch stille Gesellschaft ([X.] von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG) eine gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung nach den §§ 179 Abs. 2 Satz 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung durchzuführen ist. Für derartige Gewinnfeststellungen kommt es auf die vom [X.] zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 17 EStG nicht an. Daran ändert nichts, dass das [X.] zu der Einschätzung gelangt ist, dass den Klägern nicht schon in den Streitjahren (1998 und 1999), sondern frühestens im Jahr 2003 ein Verlust entstanden sei, auf den dann die für eine wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 EStG geltenden Grundsätze anzuwenden seien.

4

b) Nach § 60 Abs. 3 [X.]O sind Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, notwendig beizuladen. Dies gilt für [X.], die nach § 48 [X.]O klagebefugt sind, aber nicht selbst Klage erhoben haben. Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 [X.]O ist eine Personengesellschaft befugt, als Prozessstandschafterin für ihre Gesellschafter und ihrerseits vertreten durch ihre(n) Geschäftsführer Klage gegen den [X.] zu erheben, der sich inhaltlich nicht an die Gesellschaft, sondern an die Gesellschafter als Subjekte der Einkommensteuer richtet. Dies gilt allerdings nicht für die atypisch stille Gesellschaft, denn diese kann als [X.] nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein, das die einheitliche Feststellung der Einkünfte betrifft. Vielmehr übernimmt die Rolle des nicht vorhandenen vertretungsberechtigten Geschäftsführers bei einer atypisch stillen Gesellschaft gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2, Abs. 2 [X.]O der [X.]e (vgl. [X.]-Urteil vom 22. September 2011 [X.], Der Betrieb 2011, 2640, Volltext in juris; [X.]-Beschluss vom 14. November 2008 [X.], [X.]/NV 2009, 597). [X.] kann auch der Inhaber des Handelsgeschäfts sein. Sind Personen nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 [X.]O nicht vorhanden, so ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 [X.]O klagebefugt jeder Gesellschafter, gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte. Nach §§ 60 Abs. 3, 48 Abs. 1 Nr. 3 [X.]O sind ausgeschiedene Gesellschafter im Verfahren über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung immer beizuladen, und zwar auch dann, wenn es um Fragen geht, für die an sich nur Personen nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 [X.]O klagebefugt sind ([X.]-Beschluss vom 8. Mai 2008 [X.]/07, [X.]/NV 2008, 1499, m.w.N.).

5

c) Nach diesen Maßstäben kommt vorliegend eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 [X.]O in Betracht. Der erkennende Senat vermag indes aufgrund der vom [X.] getroffenen Feststellungen nicht zu beurteilen, welche der Alternativen des § 48 Abs. 1 [X.]O --vorliegend insbesondere die [X.]. 1 und 2 der [X.] einschlägig ist bzw. sind. Das [X.] hat keine Feststellungen zur Existenz eines [X.]en der atypisch stillen Gesellschaft, an der sich die Kläger beteiligt haben, getroffen. Bei einer atypisch stillen Gesellschaft ist der [X.]e auch dann notwendig beizuladen, wenn der Rechtsstreit wegen gesonderter und einheitlicher Gewinnfeststellung keine Auswirkungen für ihn hat (z.B. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 597). Sollte als [X.]er die an der atypisch stillen Gesellschaft beteiligte GmbH als Inhaberin des Handelsgeschäfts in Betracht kommen, so wird das [X.] der Frage nachzugehen haben, ob diese GmbH, deren Schicksal die Kläger im Ausgangsverfahren als "unklar" bezeichnet haben, zwischenzeitlich vollbeendet ist. So hätte die Löschung der GmbH nach § 60 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit die Auflösung und die Vollbeendigung der [X.] (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 21. Januar 2004 [X.], [X.]E 205, 117, [X.], 551, unter [X.]). Lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 1 [X.]O nicht vor, käme hinsichtlich der von den Klägern begehrten Beiladung der nicht klagenden atypisch stillen Gesellschafter jedenfalls die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Nr. 2 [X.]O zum Tragen. Für den Fall des Ausscheidens von Gesellschaftern könnte deren notwendige Beiladung auf die §§ 60 Abs. 3, 48 Abs. 1 Nr. 3 [X.]O gestützt werden.

6

d) Die unterbliebene notwendige Beiladung stellt trotz der Regelung in § 123 Abs. 1 [X.]O einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar, denn die Vorschriften über die notwendige Beiladung regeln eine unverzichtbare Sachentscheidungsvoraussetzung (z.B. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 597). Die angefochtene Entscheidung kann deshalb auf dem Verfahrensmangel beruhen ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2008, 1499, m.w.N.). § 123 Abs. 1 Satz 2 [X.]O eröffnet dem [X.] lediglich die Möglichkeit, eine notwendige Beiladung im Revisionsverfahren nachzuholen.

7

2. Nach alledem kommt es auf die weiteren von den Klägern vorgebrachten Revisionszulassungsgründe nicht mehr an.

Meta

IV B 101/10

21.12.2011

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 28. Juni 2010, Az: 12 K 6823/04 F, Urteil

§ 48 Abs 1 FGO, § 48 Abs 2 FGO, § 60 Abs 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 123 Abs 1 FGO, § 179 Abs 2 S 2 AO, § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst a AO, § 15 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 1997, § 60 Abs 1 Nr 7 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.12.2011, Az. IV B 101/10 (REWIS RS 2011, 170)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 170

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B 5 RE 1/18 B

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