Bundespatentgericht, Beschluss vom 18.01.2012, Az. 28 W (pat) 549/10

28. Senat | REWIS RS 2012, 9992

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren - "PURVITA/PURVIVA" - klangliche und schriftbildliche Verwechslungsgefahr -


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 307 81 144

hat der 28. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2012 durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.]  und die Richterin [X.]

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 29 des [X.] vom 25. März 2010 wird aufgehoben.

Die Löschung der Marke 307 81 144 wird aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 306 42 897 angeordnet.

Gründe

I.

1

Die Widersprechende hat gegen die am 27. Juni 2008 veröffentlichte Eintragung der am 12. Dezember 2007 angemeldeten, für

2

3

geschützten Marke 307 81 144

4

[X.][X.]

5

Widerspruch eingelegt aus ihrer am 11. Juli 2006 angemeldeten und seit 28. September 2006 für

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7

eingetragenen Marke 306 42 897

8

[X.][X.].

9

Die Markenstelle für Klasse 29 des [X.] hat  mit Beschluss vom 25. März 2010 den Widerspruch zurückgewiesen, weil der aus den Worten [X.] für rein und [X.] für Leben bestehende und damit die Wirkung und Bestimmung der gekennzeichneten Waren bezeichnende Widerspruchsmarke nur eine geringe Kennzeichnungskraft zukomme, so dass trotz zumindest teilweise identisch beanspruchter Waren schon aus diesem Grund eine Verwechslungsgefahr aus Rechtsgründen zu verneinen sei, weil die beiden Marken keine, hierfür aber erforderliche enge Zeichennähe aufwiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie meint, der [X.] sei als eng anzusehen, weil die Abweichung in einem oder zwei Buchstaben nicht ins Gewicht falle, zumal sie sich nicht am viel beachteten Wortanfang, sondern an einer wenig auffälligen Stelle am Wortende befinde. Daher sei angesichts identisch beanspruchter Waren selbst bei geringer Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr nicht zu verneinen.

Die Widersprechende hat schriftsätzlich angekündigt zu beantragen,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 29 des [X.] vom 25. März 2010 aufzuheben und die Marke Nr. 307 81 144 wegen des Widerspruchs aus der eingetragenen Marke Nr. 306 42 897 zu löschen.

Die Markeninhaberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, angesichts des reduzierten Schutzumfangs der Widerspruchsmarke reichten die schriftbildlichen, klanglichen und begrifflichen Unterschiede zwischen den Zeichen aus, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.

In der mündlichen Verhandlung, an der entsprechend vorheriger Ankündigung die Widersprechende nicht teilgenommen hat, hat die Markeninhaberin ihren Standpunkt aufrechterhalten und vertieft.

II.

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache Erfolg, weil eine Gefahr von Verwechslungen der beiden gegenüberstehenden Marken nach § 43 Abs. 2 Satz 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Eintragung einer Marke ist auf den Widerspruch aus einer prioritätsälteren Marke nach den vorgenannten Vorschriften zu löschen, wenn zwischen beiden Zeichen wegen Zeichenidentität oder -ähnlichkeit und Warenidentität oder -ähnlichkeit unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft des älteren Zeichens die Gefahr von Verwechslungen einschließlich der Gefahr, dass die Marken miteinander gedanklich in Verbindung gebracht werden, besteht. Nach der Rechtsprechung des [X.] stehen die vorgenannten Komponenten miteinander in einer Wechselbeziehung, wobei ein geringerer Grad einer Komponente durch den größeren Grad einer anderen Komponente ausgeglichen werden kann (st. Rspr.; vgl. [X.] [X.], 922, 923 [Rz. 16 f.] - [X.]; [X.] 1999, 236, 239 [Rz. 19] - [X.]/[X.]; [X.], 241, 243 - Lions). Der Schutz der älteren Marke ist dabei aber auf die Fälle zu beschränken, in denen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der älteren Marke, insbesondere ihre Hauptfunktion zur Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (vgl. [X.] GRUR 2003, 55, 57 f. [Rz. 51] - [X.] plc; [X.], 153, 155 [Rz. 59] - Anheuser-Busch/[X.]; [X.], 318, 319 [Rz. 21] - [X.]/Autec).

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Verwechslungsgefahr zu bejahen, weil die beiderseits beanspruchten Waren hochgradig ähnlich sind, die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke entgegen der Ansicht der Markenstelle als durchschnittlich anzusehen ist und die gegenüberstehenden Marken in einem die Verwechslungsgefahr begründenden Grad ähnlich sind.

Die Ähnlichkeit der jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen ist nach ständiger Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren zu ermitteln, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen; hierzu gehören insbesondere ihre Beschaffenheit, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen (vgl. [X.] [X.], 922, 923 [Rz. 23] - [X.]); daneben können auch ihre regelmäßige betriebliche Herkunft, die Vertriebs- oder Erbringungsart sowie ihre wirtschaftliche Bedeutung Berücksichtigung finden (vgl. [X.]/Hacker, [X.], 8. Aufl. 2006, § 9 Rn. 44 m. w. N.). Abzustellen ist dabei vor allem darauf, ob zwischen den jeweils angebotenen Produkten oder Leistungen so enge Beziehungen bestehen, dass sich den Abnehmern, wenn sie die Waren oder Dienstleistungen mit denselben Zeichen gekennzeichnet wahrnehmen, der Schluss aufdrängt, dass diese Waren oder Dienstleistungen vom selben oder von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. [X.] GRUR Int. 1994, 614 [Rz. 16] - Ideal Standard II; [X.], 922, 924 [Rz. 29] - [X.]).1. Letzteres ist - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - vorliegend zu bejahen, weil sämtliche im [X.] enthaltenen Speisen sich auch im [X.] der angegriffenen Marke wiederfinden, so dass insoweit Warenidentität vorliegt. Soweit die jüngere Marke darüber hinaus auch für weitere, im [X.] nicht enthaltene Speisen beansprucht wird, liegt jedenfalls hochgradige [X.] vor.

Entgegen der Ansicht der Markeninhaberin und der Markenstelle ist die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nicht von Haus aus deutlich geschwächt, sondern als allenfalls leicht unterdurchschnittlich, wenn nicht gar - wofür an sich mehr spricht - sogar durchschnittlich anzusehen. Denn sie ist grundsätzlich geeignet, die Waren, für die sie eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und damit diese Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. [X.] [X.] 1999, 189, 194 [Rz. 49] - [X.]; [X.] 1999, 236, 239 [Rz. 22] - [X.]/[X.]) und sich dem Publikum aufgrund ihrer Eigenart als Produkt- und Leistungskennzeichnung so einzuprägen, dass sie in Erinnerung behalten und wiedererkannt wird (vgl. [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 14 Rn. 320).

t “) oder als [X.] Trinkspruch für „Hoch, Prost“ (vgl. http://dict.leo.org/itde?lp=itde&lang=de&searchLoc=0&cmpType=relaxed&sectHdr=on&spellToler=&search=viva) interpretieren. Die sich damit allenfalls möglicherweise ergebende Gesamtbedeutung der Marke als „[X.] (rein) lebe hoch (Prost)!“ gibt aber keine unmittelbar erkennbaren Sachmerkmale der so gekennzeichneten Lebensmittel, für welche die Widerspruchsmarke geschützt ist, an; soweit sie ohne beschreibenden Gehalt lediglich eine (werbe-) anpreisende Funktion erfüllt, vermag diese, soweit die Werbeanpreisung wie hier nicht gleichzeitig auch eine beschreibende Bedeutung zukommt, die Kennzeichenschwäche einer Marke grundsätzlich nicht zu begründen (vgl. [X.] GRUR 2010, 228 - Vorsprung durch Technik). Ob wegen der allenfalls als schwacher beschreibender Anklang anzusehenden Bedeutung des Markenteils „[X.]“ eine Kennzeichenschwäche angenommen werden kann, kann letztlich dahinstehen, weil diese dann nur so schwach ausgeprägt ist, dass sie, wenn überhaupt, zu einer allenfalls nur leicht unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke führen würde, bei der, wie noch auszuführen sein wird, eine Verwechslungsgefahr wegen des deutlich erhöhten Grades der Markenähnlichkeit ebenfalls zu bejahen wäre.

Wegen der bis zur Identität reichenden hochgradigen [X.] und der zumindest leicht unterdurchschnittlichen, wenn nicht gar schon durchschnittlichen  Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke wäre eine Verwechslungsgefahr nur zu verneinen, wenn der Grad der Ähnlichkeit der konkurrierenden Marken in ausgeprägter Form nur als gering anzusehen wäre. Dies ist indes nicht der Fall, vielmehr sind die beiden Marken in einem engen Grad ähnlich.

Für die Beurteilung des [X.] ist darauf abzustellen, inwieweit ihre Übereinstimmungen in der Erinnerung von nicht nur unmaßgeblichen Teilen der durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Abnehmer (vgl. [X.] GRUR 2003, 604, 605 – [X.]; [X.], 943, 944 – SAT.2) der jeweils beanspruchten Waren oder Dienstleistungen die daneben vorhandenen Unterschiede nach dem Gewicht, das ihnen in der jeweiligen Marke zukommt, so stark überwiegen, dass die betreffenden Verkehrskreise die Zeichen nicht mehr hinreichend auseinander halten können (vgl. [X.]/Hacker, [X.], 10. Aufl. 2011, § 9 Rn. 178 m. w. N.). Hierfür sind ihre Übereinstimmungen oder Abweichungen im Bild, im Klang und in der Bedeutung umfassend zu ermitteln, wobei berücksichtigt werden kann, welche Bedeutung diesen Aspekten beim Vertrieb der jeweiligen Waren oder Dienstleistungen zukommt (vgl. [X.] GRUR 2006, 413, 415 [Rn. 28] - SIR/[X.]). Eine Ähnlichkeit in nur einem dieser drei Aspekte begründet zwar nicht notwendig die Annahme einer Verwechslungsgefahr (vgl. [X.] a. a. O. [Rn. 21 f.] - SIR/[X.]), kann aber im Einzelfall ausreichen (vgl. [X.] a. a. O. [Rn. 21] - SIR/[X.]; [X.], 182, 185 - Quick; GRUR 1979, 853, 854 [X.]; [X.], 367, 368 - alpi/[X.]; [X.], 110, 112 - dipa/dib; [X.], 550, 551 - ac-pharma; GRUR 1999, 241, 243 - Lions), sofern nicht die Übereinstimmungen in einem Aspekt durch die bestehenden Unterschiede in den anderen neutralisiert werden (vgl. [X.] a. a. O. [Rn. 35] - SIR/[X.]).

Nach diesen Grundsätzen liegt hier eine enge Markenähnlichkeit vor. Der einzige Unterschied befindet sich in den abweichenden Konsonanten „T“ bzw. „V“ in der letzten Silbe der jeweils insgesamt dreisilbigen Marken. Die beiden ersten Silben „[X.]VI-“ sind demgegenüber völlig identisch. Optisch und akustisch finden sich die Übereinstimmungen daher nicht nur am regelmäßig stärker beachteten Wortanfang, sondern auch in der jeweiligen Wortmitte. Sowohl optisch als auch akustisch fällt demgegenüber die Abweichung am Wortende erst bei genauem Erfassen beider Marken auf. Dieses hohe Maß an Übereinstimmungen, dem ein nur geringer, erst bei genauer Betrachtung oder bei genauem Zuhören erkennbarer Unterschied am Wortende beider Marken gegenübersteht, rechtfertigt es nicht mehr, die Marken als nur gering ähnlich anzusehen. Vielmehr führt die weitreichende akustische und optische Übereinstimmung beider Marken zu einem wenn nicht schon

Dieser Grad an akustischer und optischer Zeichenähnlichkeit wird nicht durch einen erkennbaren abweichenden Sinngehalt beider Marken neutralisiert. Vielmehr spricht umgekehrt sogar einiges dafür, dass, soweit der Verkehr beide Marken in einem von der Markeninhaberin behaupteten Umfang analysiert, auch enge begriffliche Ähnlichkeiten zwischen beiden Marken erkennt, weil die beiden unterschiedlichen Begriffe in den Markenteilen „[X.]“ und „[X.]“ auf das [X.] Wort „vivere“ für „leben“ (worauf die Markenstelle ihre anderslautende Auffassung selbst gestützt hatte) zurückzuführen sind. Bei „[X.]“ handelt es sich um das zugehörige Substantiv zum Verb „vivere“ und bei „[X.]“ um die in den oben genannten [X.] Sprachen vorgenommene Ableitung aus der Konjugationsform „vivat“ des Infinitivs „vivere“. Anhaltspunkte dafür, dass der Verkehr, soweit er, wie von der Markeninhaberin behauptet, die jeweiligen Bedeutungen der Marken überhaupt erkennt, in diesen einen begrifflichen

Unter Berücksichtigung der hochgradigen [X.], der zumindest leicht unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der engen Markenähnlichkeit kann damit im Ergebnis eine Verwechslungsgefahr nicht verneint werden. Auf die Beschwerde der Widersprechenden war daher der anderslautende Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die Löschung der jüngeren Marke wegen des Widerspruchs aus der Widerspruchsmarke anzuordnen.

Da Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind, hat es dabei zu verbleiben, dass beide Beteiligte ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben (§ 71 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Meta

28 W (pat) 549/10

18.01.2012

Bundespatentgericht 28. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 18.01.2012, Az. 28 W (pat) 549/10 (REWIS RS 2012, 9992)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9992

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