Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.03.2020, Az. B 4 AS 23/20 B

4. Senat | REWIS RS 2020, 2572

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensmangel - Verletzung rechtlichen Gehörs - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss wegen Unzulässigkeit vor Ablauf der Anhörungsfrist


Tenor

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des [X.] vom 13. Juni 2019 - L 18 AS 872/19 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Kläger wenden sich gegen die Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem [X.]B II.

2

Die Kläger haben gegen das klageabweisende und ihnen am 10.4.2019 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom [X.] beim [X.] Berufung eingelegt. Das L[X.] hat den Klägern mit Schreiben vom [X.] mitgeteilt, dass die Berufung(en) am [X.] eingegangen sei(en). Es hat um Vorlage der Berufungsbegründung innerhalb eines Monats gebeten. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass die Berufung verfristet sein dürfte und Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben. Es werde erwogen, die Berufung(en) als unzulässig zu verwerfen.

3

Mit Beschluss vom [X.] hat das L[X.] die Berufung(en) wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Am 21.6.2019 ging beim L[X.] die Berufungsbegründung der Kläger ein.

4

Mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden rügen die Kläger unter Vorlage eines [X.]es vom [X.] zum einen einen Verstoß gegen § 158 [X.]G; die Berufung sei bereits am [X.] beim [X.] eingelegt worden. Außerdem rügen die Kläger eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör; das L[X.] habe durch die Aufforderung zur Berufungsbegründung binnen eines Monats zu verstehen gegeben, dass vor Ablauf dieser Frist keine Entscheidung erfolgen werde. Sie hätten nicht damit rechnen müssen, dass das L[X.] dennoch nach Ablauf von 20 Tagen eine Entscheidung erlassen würde. Sie hätten ohne die Entscheidung des L[X.] innerhalb der gesetzten Frist den [X.] beim L[X.] eingereicht und zusätzlich vorsorglich einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

5

II. Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des L[X.] vom [X.] sind zulässig, denn sie haben mit ihnen einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör nach Art 103 Abs 1 [X.] und damit einen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Die Beschwerden sind insoweit auch begründet.

6

1. a) Wenn ein Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung binnen einer bestimmten Frist setzt, verlangt das grundrechtsgleiche Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich, dass das Gericht den Ablauf der Äußerungsfrist abwartet, bevor es entscheidet ([X.] vom 24.1.1961 - 2 BvR 402/60 - [X.]E 12, 110, 113, juris RdNr 8; [X.] vom 30.6.1976 - 2 BvR 164/76 - [X.]E 42, 243, 247, juris RdNr 10; B[X.] vom 12.10.2016 - [X.] [X.] 48/16 B - juris RdNr 7 mwN; B[X.] vom [X.] KR 28/16 B - juris RdNr 8). Dies gilt auch dann, wenn dem Gericht die Sache entscheidungsreif erscheint ([X.] vom 24.1.1961 - 2 BvR 402/60 - [X.]E 12, 110, 113, juris RdNr 8). Ausnahmsweise muss es den Ablauf der von ihm gesetzten, angemessenen Frist zur Stellungnahme dann nicht abwarten, wenn ein Beteiligter sich vor Fristablauf abschließend geäußert hat (B[X.] vom 12.10.2016 - [X.] [X.] 48/16 B - juris RdNr 7 mwN; B[X.] vom [X.] KR 28/16 B - juris RdNr 8) und weitere Stellungnahmen nach Lage der Dinge nicht zu erwarten sind (B[X.] vom [X.] KR 28/16 B - juris RdNr 8). Die Fristsetzung muss eindeutig sein. Dem Beteiligten muss klar sein, welche Frist für ihn gilt. Setzt das Gericht in einem Schreiben unterschiedliche Fristen, muss es den Ablauf der längeren Frist abwarten.

7

b) Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des L[X.] nicht. Das L[X.] hat den Klägern mit Schreiben vom [X.] den Eingang ihrer Berufung(en) bestätigt. In diesem Schreiben hat es sie um Übersendung der Berufungsbegründung innerhalb eines Monats gebeten. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass die Berufungsschrift verfristet eingegangen sein dürfte, und Gelegenheit zur Äußerung binnen zwei Wochen eingeräumt. Es werde erwogen, die Berufung(en) als unzulässig zu verwerfen, sofern keine Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht würden.

8

Bei dieser Sachlage durften die Kläger darauf vertrauen, dass vor Ablauf der längeren Frist von einem Monat eine Entscheidung des L[X.] nicht ergehen würde. Nach dem unwiderlegten Vorbringen der Kläger ist ihnen das Schreiben des L[X.] vom [X.] am [X.] zugegangen, sodass sie davon ausgehen durften, dass ihnen eine Äußerung bis zum Ablauf des [X.] (§ 64 Abs 1, Abs 2 Satz 1 [X.]G) möglich gewesen wäre. Das L[X.] hat indes die Berufung(en) der Kläger bereits mit Beschluss vom [X.] als unzulässig verworfen.

9

Die Kläger haben auch darlegt, welches Vorbringen durch die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl zu diesem Erfordernis B[X.] vom 31.3.2004 - [X.] RA 203/03 B - juris RdNr 10; B[X.] vom 25.2.2016 - B 9 V 69/15 B - juris RdNr 12; Voelzke in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]G, 2017, § 160a RdNr 14 mwN; zum Beruhenszusammenhang auch Höfling/[X.] in Friauf/ Höfling, [X.] Kommentar zum [X.], Art 103 RdNr 104 ff ; allgemein [X.] in [X.]/[X.], 2014, [X.]G, § 160a [X.]). Denn sie haben in der Beschwerdebegründung behauptet, die Berufung bereits am [X.] per Telefax beim [X.] eingelegt zu haben, und einen entsprechenden [X.] vorgelegt. Es ist nicht auszuschließen, dass das L[X.] Ermittlungen zum Zeitpunkt des Eingangs der Berufungsschrift angestellt hätte, wenn es den Klägern möglich gewesen wäre, den im Beschwerdeverfahren erfolgten Vortrag bereits vor der Entscheidung des L[X.] zu unterbreiten. Dass sich die Kläger in der am 21.6.2019 beim L[X.] eingegangen Berufungsbegründung zur Frage der Wahrung der Berufungsfrist nicht geäußert haben, kann ihnen im hier gegebenen konkreten Fall nicht entgegengehalten werden, da zu diesem Zeitpunkt die maßgebliche Äußerungsfrist noch nicht abgelaufen war.

Ob weitere Verfahrensmängel vorliegen, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung.

2. Der Senat macht von dem ihm durch § 160a Abs 5 [X.]G eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, den Beschluss des L[X.] aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

Meta

B 4 AS 23/20 B

19.03.2020

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Cottbus, 28. März 2019, Az: S 4 AS 1995/14

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.03.2020, Az. B 4 AS 23/20 B (REWIS RS 2020, 2572)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2572

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