Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2011, Az. 9 AZR 420/10

9. Senat | REWIS RS 2011, 557

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Gegenstand

Urlaubsabgeltung - Verfall trotz unwirksamer Arbeitgeberkündigung und Bestandrechtsstreit- Verzug des Arbeitgebers mit der Urlaubsgewährung


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. März 2010 - 7 [X.]/10 - aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] - [X.] - vom 20. Mai 2009 - 3 [X.]/06 C - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisions- und des Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem [X.] - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung -, aus den Jahren 2005 und 2006 resultierenden Urlaub abzugelten.

2

Zwischen den Parteien bestand im [X.]raum vom 1. September 2004 bis zum 30. November 2007 ein Arbeitsverhältnis. Der Beklagte beschäftigte die Klägerin als Buchhalterin in Teilzeit. Die Klägerin erbrachte ihre Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche und erzielte ein monatliches Bruttoeinkommen iHv. 900,00 Euro. Die Klägerin hatte Anspruch auf 31 Tage Jahresurlaub.

3

Der Beklagte meldete die Klägerin mit Wirkung zum 30. November 2005 bei der für die Klägerin zuständigen Krankenkasse mit der Begründung ab, er habe das Arbeitsverhältnis gekündigt. Zu diesem [X.]punkt stand der Klägerin nach den Feststellungen des [X.] ein Urlaubsanspruch von 24,5 Tagen zu.

4

Im [X.]raum vom 30. November 2005 bis zum 15. Januar 2006 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

5

Im Januar 2006 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.

6

In der [X.] vom 16. Februar bis zum 8. Juni 2006, vom 18. November bis zum 1. Dezember 2006 und vom 12. April bis zum 20. April 2007 war die Klägerin erneut arbeitsunfähig erkrankt.

7

Mit rechtskräftigem Teilurteil vom 16. Mai 2007 gab das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage statt.

8

Im [X.]raum vom 22. Oktober bis zum 3. Dezember 2007 war die Klägerin wiederum arbeitsunfähig erkrankt.

9

Das Arbeitsverhältnis endete mit Wirkung zum 30. November 2007.

Der Beklagte gewährte der Klägerin weder im [X.] noch im Jahr 2007 Erholungsurlaub.

Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2007, der dem [X.] am 6. Dezember 2007 zugestellt worden ist, verlangte die Klägerin von dem [X.] ua., Urlaub aus den Jahren 2005 und 2006 abzugelten.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch sei nicht nach § 7 Abs. 3 [X.] verfallen. Wegen der Behauptung des [X.], er habe das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt, sei es ihr aufgrund von Umständen, die sie nicht zu vertreten habe, unmöglich gewesen, den Urlaub zu nehmen.

Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - beantragt,

        

den [X.] zu verurteilen, an sie 2.305,47 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Dezember 2007 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, seien gemäß § 7 Abs. 3 [X.] verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage ua. hinsichtlich der Urlaubsabgeltung stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Beklagte, die Entscheidung des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, hat das [X.] das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert und den Beklagten verurteilt, Urlaub aus den Jahren 2005 und 2006 in Höhe von insgesamt 55,5 Tagen abzugelten. Der Klägerin steht der erhobene Zahlungsanspruch nicht zu.

I. Die Klage ist - entgegen der Auffassung des [X.]s - im Umfang der Anfechtung unbegründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus den Jahren 2005 und 2006 gemäß § 7 Abs. 4 [X.]. Diese Urlaubsansprüche bestanden bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. November 2007 nicht mehr.

1. Gemäß § 7 Abs. 4 [X.] hat der Arbeitgeber den Urlaub abzugelten, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen (§ 7 Abs. 3 Satz 2 [X.]). Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 [X.]).

2. Das [X.] hat angenommen, der Beklagte habe 55,5 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2005 und 2006 gemäß § 7 Abs. 4 [X.] abzugelten. Bis zum 30. November 2007, dem [X.]punkt, zu dem das Arbeitsverhältnis der Parteien endete, seien die Urlaubsansprüche nicht verfallen. Mit der Behauptung, er habe das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30. November 2005 wirksam gekündigt, habe der Beklagte den Urlaubsanspruch der Klägerin in Abrede gestellt. Der Klägerin sei es deshalb aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen unmöglich gewesen, den Urlaub zu nehmen. Der Streitfall sei mit dem Fall vergleichbar, dass ein Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit daran gehindert sei, seinen Urlaubsanspruch innerhalb der gesetzlichen Verfallszeiträume zu realisieren.

3. Das ist unzutreffend. Die Urlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2005 und 2006 sind spätestens mit Ablauf des 31. März 2007 verfallen.

a) Mangels abweichender arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen bindet § 7 Abs. 3 Satz 1 [X.] den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr (so grundlegend [X.] 13. Mai 1982 - 6 [X.] - zu II 4 a der Gründe, [X.]E 39, 53). Der Urlaubsanspruch verfällt am Ende des Urlaubsjahres, wenn nicht einer der in § 7 Abs. 3 Satz 2 [X.] genannten Übertragungsgründe vorliegt (vgl. [X.] 21. Juni 2005 - 9 [X.]/04 - zu II 1 a der Gründe, [X.] InsO § 55 Nr. 11 = EzA [X.] § 7 Nr. 114). Bestehen dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe, wird der Urlaub ipso iure auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen ([X.] 24. März 2009 -  9 [X.]  - Rn. 52, [X.]E 130, 119). In diesem Fall verlangt § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.], dass der Arbeitgeber den Anteil des Urlaubsanspruchs, der vor dem laufenden Urlaubsjahr entstanden ist, innerhalb des ersten Quartals gewährt, damit eine zeitnahe Erholung des Arbeitnehmers gewährleistet ist (vgl. [X.] 9. August 2011 -  9 [X.]  - Rn. 19, [X.] 2012, 29). Nimmt der Arbeitnehmer den übertragenen Urlaub nicht bis zum 31. März, verfällt der Urlaubsanspruch. Eine Ausnahme hat der Senat im [X.] an die Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 20. Januar 2009 (- [X.]/06 und [X.]/06 - [[X.]] Rn. 43, Slg. 2009, [X.]) für die Fälle anerkannt, in denen es dem Arbeitnehmer aufgrund von ihm nicht zu vertretender Umstände unmöglich gewesen ist, den Urlaub vor Ablauf des [X.] zu nehmen (vgl. [X.] 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 18 f., [X.]E 134, 196 ).

b) Diesen Grundsätzen zufolge ist der Urlaubsanspruch, dessen Abgeltung die Klägerin verlangt, teilweise mit Ablauf des 31. Dezember 2006, im Übrigen mit Ablauf des 31. März 2007 verfallen.

aa) Nach den unangefochtenen Feststellungen des [X.]s hatte die Klägerin am 30. November 2005 Anspruch auf 24,5 Arbeitstage Urlaub. Da die Klägerin im [X.]raum vom 30. November 2005 bis zum 15. Januar 2006 arbeitsunfähig erkrankt war, wurde dieser Urlaubsanspruch in das [X.] übertragen (§ 7 Abs. 3 Satz 2 [X.]). Ist es dem Arbeitnehmer aufgrund einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unmöglich, seinen Urlaub am Jahresende zu nehmen, liegt ein Übertragungsgrund in der Person des Arbeitnehmers vor. Denn der Arbeitgeber ist aus Rechtsgründen gehindert, dem aufgrund seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit von der [X.] bereits befreiten Arbeitnehmer Urlaub zu erteilen. Urlaub und Arbeitsunfähigkeit schließen sich gegenseitig aus (vgl. [X.] 29. Juli 2003 - 9 [X.] - zu [X.] 2 b bb (1) der Gründe, [X.]E 107, 124).

bb) Zu dem übertragenen Urlaubsanspruch (24,5 Arbeitstage) trat am 1. Januar 2006 der Anspruch auf Urlaub für das Urlaubsjahr 2006 (31 Arbeitstage). Der Urlaubsanspruch der Klägerin belief sich demnach zu Beginn des Jahres 2006 auf 55,5 Arbeitstage.

cc) Der aus dem [X.] übertragene Urlaub (24,5 Arbeitstage) bestand ungeachtet des in § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] bestimmten [X.] über den 31. März 2006 fort. Denn die Klägerin war ohne ihr Verschulden daran gehindert, den übertragenen Urlaub zu nehmen. Ursächlich hierfür war ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im [X.]raum vom 16. Februar bis zum 8. Juni 2006. Der Klägerin kann dabei nicht entgegengehalten werden, sie hätte ihren Resturlaub aus dem [X.] während der [X.] ihrer Arbeitsfähigkeit vom 16. Januar 2006 bis zum Beginn der erneuten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit am 16. Februar 2006 nehmen können. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, nach Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit im Übertragungszeitraum unmittelbar Urlaub zu nehmen. Dies würde den Übertragungszeitraum von drei Monaten des Folgejahres gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] unzulässig verkürzen. Er darf vielmehr für die Festlegung der zeitlichen Lage seines Urlaubs diesen [X.]raum voll ausschöpfen. Diese Grundsätze gelten auch für den arbeitsvertraglichen [X.]. Es ist deshalb rechtlich nicht erheblich, ob es sich dabei um einen Teil des gesetzlichen Mindesturlaubs oder aber um arbeitsvertraglichen [X.] handelte. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten weder arbeits- noch tarifvertragliche Regelungen, wonach der übergesetzliche [X.] anderen Regeln als der durch § 3 Abs. 1 [X.] garantierte Mindesturlaub folgen soll (vgl. zu tariflichen Regelungen: [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 34, EzA [X.] § 7 Nr. 123).

dd) Am 31. Dezember 2006 verfiel ein Teil des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 3 [X.]; im Übrigen wurde er auf das Urlaubsjahr 2007 übertragen und verfiel später.

(1) Vom Ende des Jahres 2006 gerechnet, war der Anspruch auf Urlaub im Umfang von 44,5 Arbeitstagen erfüllbar, da der Gewährung keine Hindernisse entgegenstanden. In diesem Umfang verfiel der Urlaubsanspruch.

Der Urlaub geht nach § 7 Abs. 3 Satz 2 [X.] nur insoweit auf den Übertragungszeitraum über, als er wegen eines Übertragungsgrundes nicht mehr vollständig erfüllt werden kann. Ansonsten erlischt der erfüllbare Teil mit Ablauf des Kalenderjahres (vgl. [X.] 24. November 1992 - 9 [X.] - zu 2 der Gründe, [X.] [X.] § 1 Nr. 23 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 102). Dies gilt auch im Falle einer langwierigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden [X.] seinen Urlaub nehmen kann (vgl. [X.] 9. August 2011 - 9 [X.] - Rn. 20, [X.] 2012, 29).

(2) Entgegen der Ansicht des [X.]s gilt dies unbeschadet des Umstands, dass die Parteien in den Jahren 2006 und 2007 einen Bestandsrechtsstreit vor dem [X.] führten. Insbesondere gibt die reformierte Rechtsprechung des Senats im Nachgang zu der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in der Rechtssache [X.] ([X.] 20. Januar 2009 - [X.]/06 und [X.]/06 - Slg. 2009, [X.]) keinen Anlass, § 7 Abs. 3 Satz 1 bis Satz 3 [X.] zugunsten der Klägerin einschränkend anzuwenden.

(a) Im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/[X.] und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. [X.] 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) hat der Senat in seiner Entscheidung vom 24. März 2009 ( [X.] - 9 [X.] - [X.]E 130, 119) angenommen, § 7 Abs. 3 [X.] sei dahingehend fortzubilden, dass Urlaub, den ein Arbeitnehmer wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit weder im Urlaubsjahr noch innerhalb des [X.] habe nehmen können, nicht verfalle. Danach wirkt sich die verbindliche Auslegung, die Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie durch den Gerichtshof der [X.] gefunden hat ([X.] 20. Januar 2009 - [X.]/06 und [X.]/06 - [[X.]] Slg. 2009, [X.]), auf das [X.] Urlaubsrecht aus. Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten [X.] auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des [X.] fortbestand, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.

(b) Die Voraussetzungen, unter denen der Senat eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung befürwortet, liegen im Streitfall nicht vor. Unabhängig davon, dass die Parteien in den Jahren 2006 und 2007 einen Bestandsrechtsstreit führten, war es der Klägerin möglich, Urlaub zu nehmen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand, wie das Arbeitsgericht mit Teilurteil vom 16. Mai 2007 feststellte, über den 30. November 2005 ungekündigt fort und endete erst mit Ablauf des 30. November 2007. Der Arbeitgeber ist - anders als im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers - rechtlich nicht gehindert, einem Arbeitnehmer in einem unwirksam gekündigten und deshalb fortbestehenden Arbeitsverhältnis Urlaub zu erteilen. Dies gilt nach bisheriger Senatsrechtsprechung unabhängig davon, ob die Parteien einen Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. [X.] 14. August 2007 - 9 [X.] - Rn. 14, [X.] [X.] § 7 Nr. 38 = EzA [X.] § 7 Nr. 119).

(3) Der Senat ist nicht gehalten, den Gerichtshof der [X.] insoweit um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, an die Art. 267 Abs. 3 AEUV die Vorlagepflicht knüpft, liegen nicht vor.

(a) Gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV entscheidet der Gerichtshof der [X.] im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen ua. der Organe und Einrichtungen der [X.]. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(b) Der Gerichtshof hat mehrfach betont, Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie stehe einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines [X.] bestimmt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaub zu nehmen ([X.] 22. November 2011 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 26, [X.] 2011, 1333; 20. Januar 2009 - [X.]/06 und [X.]/06 - [[X.]] Rn. 43, Slg. 2009, [X.]). Deshalb kann der Urlaub in den folgenden Urlaubsjahren verfallen, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht rechtzeitig genommen hat und er nicht an der Urlaubsnahme wegen Arbeitsunfähigkeit gehindert war ([X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 39, EzA [X.] § 7 Nr. 123). Im Streitfall war es der Klägerin nach ihrer Genesung im Juni 2006 teilweise möglich, in den Genuss des Urlaubs, dessen Abgeltung sie verlangt, zu gelangen. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand bis zum 30. November 2007 fort.

ee) Soweit der Beklagte den Urlaubsanspruch der Klägerin wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im [X.]raum vom 18. November bis zum 1. Dezember 2006 (10 Arbeitstage) nicht erfüllen konnte, liegt ein Umstand in der Person der Klägerin vor, der zu einer Übertragung des Urlaubs auf das Jahr 2007 führte (§ 7 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

ff) Der auf das Jahr 2007 übertragene Urlaubsanspruch (10 Arbeitstage) verfiel am Ende des [X.] am 31. März 2007 (§ 7 Abs. 3 Satz 3 [X.]). Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, ihr sei es unverschuldet nicht möglich gewesen, den Urlaub im ersten Quartal des Jahres 2007 zu nehmen.

II. Die Entscheidung des [X.]s erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Der [X.] steht der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes (Abgeltung von [X.]) zu. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, an die die § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 BGB eine Entschädigungspflicht des Beklagten knüpfen, liegen nicht vor.

1. Ist der Anspruch auf Leistung gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, weil die Leistung unmöglich ist, bestimmen sich die Rechte des Gläubigers gemäß § 275 Abs. 4 BGB ua. nach den §§ 280, 283 BGB. § 283 Satz 1 BGB bestimmt, dass der Gläubiger in diesen Fällen unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger Ersatz des Schadens verlangen, der dadurch entsteht, dass der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Ungeachtet dessen, dass § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die Haftung des Schuldners an ein Verschulden knüpft, bestimmt § 287 Satz 2 BGB, dass der Schuldner, der sich im Verzug mit der Leistung befindet, auch für Zufall einzustehen hat, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Der Schuldner befindet sich mit der geschuldeten Leistung in Verzug, wenn er auf eine Mahnung des Gläubigers nicht leistet, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Mahnung bedarf es nicht, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

2. Ein [X.]sanspruch der Klägerin für den verfallenen Urlaub war nicht entstanden, weil sich der Beklagte zu dem [X.]punkt, da der Urlaubsanspruch der Klägerin infolge seiner gesetzlichen Befristung nach § 7 Abs. 3 [X.] verfiel, nicht mit der Urlaubsgewährung im Verzug befand.

a) Die Klägerin mahnte den Beklagten erstmals mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2007; zu diesem [X.]punkt war der Urlaubsanspruch bereits untergegangen.

Der Umstand, dass die Klägerin im Januar 2006 Kündigungsschutzklage beim [X.] erhob, rechtfertigt es nicht, abweichend zu urteilen. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass die Erhebung einer Kündigungsschutzklage regelmäßig nicht die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen des Arbeitnehmers zum Inhalt hat (vgl. [X.] 18. September 2001 - 9 [X.] 2 a aa der Gründe ; 18. Januar 2000 - 9 [X.] 803/98 - zu I 2 a der Gründe; 9. November 1999 - 9 [X.] 915/98 - zu II 2 b aa der Gründe; 21. September 1999 - 9 [X.] 705/98 - zu I 2 b und c der Gründe, [X.]E 92, 299; 17. Januar 1995 - 9 [X.] 664/93 - zu I 2 b der Gründe, [X.]E 79, 92). Vor dem Hintergrund dieser ständigen Rechtsprechung musste der Beklagte in der Kündigungsschutzklage nicht zugleich auch die Aufforderung zur Urlaubsgewährung sehen.

b) Eine Mahnung war auch nicht nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich. Die Klägerin konnte es nicht als ernsthafte und endgütlige Weigerung des Beklagten ansehen, ihre Urlaubsansprüche zu erfüllen, als der Beklagte der Klägerin gegenüber die Ansicht vertrat, er habe das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt.

aa) An die Annahme, der Schuldner verweigere ernsthaft und endgültig die Erfüllung einer ihm obliegenden Leistung, sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine Erfüllungsverweigerung liegt nur vor, wenn der Schuldner unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten unter keinen Umständen nachkommen. Es müssen deshalb Umstände vorliegen, die es ausgeschlossen erscheinen lassen, dass er sich von einer Fristsetzung hätte umstimmen lassen (vgl. [X.] 13. Juli 2011 - [X.]/10 - Rn. 24, NJW 2011, 3435). Das ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn er sich beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen (vgl. [X.] 15. März 1996 - V ZR 316/94 - zu II 2 der Gründe, NJW 1996, 1814). Denn nur in diesem Fall entbehrt eine Mahnung ihres Sinnes, den Schuldner zu vertragsgerechtem Verhalten anzuhalten (vgl. zur Nachfristsetzung: [X.] 30. Oktober 1991 - [X.] - zu 2 der Gründe, NJW 1992, 235).

bb) Die in anderem Zusammenhang geäußerte Annahme des [X.]s, ein Arbeitgeber, der den Bestand des Arbeitsverhältnisses bestreite, leugne zugleich seine Verpflichtung, dem Arbeitnehmer Urlaub zu erteilen, widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats. Das [X.] vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, weder einer ordentlichen noch einer außerordentlichen Kündigungserklärung könne ohne Weiteres der Inhalt beigemessen werden, der Arbeitgeber werde, wenn der Arbeitnehmer den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend mache, die für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs nötige Freistellung von der Arbeitspflicht verweigern. Denn der Arbeitgeber habe ein wirtschaftliches Interesse daran, einem Arbeitnehmer auf dessen Wunsch Urlaub zu erteilen, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern (vgl. [X.] 21. September 1999 - 9 [X.] 705/98 - zu I 2 c der Gründe, [X.]E 92, 299; so zuletzt [X.] 14. August 2007 - 9 [X.] - Rn. 15, [X.] [X.] § 7 Nr. 38 = EzA [X.] § 7 Nr. 119 ). Im Hinblick auf diese ständige Rechtsprechung konnte die Klägerin die Kündigungserklärung nicht als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung verstehen und darauf vertrauen, dass eine Mahnung entbehrlich sei.

c) Der Senat lässt offen, ob er an dieser überkommenen Rechtsprechung, wie sie unter II 2 a und II 2 b dargestellt ist, für die Zukunft festhalten wird. Denn der Arbeitgeber gerät durch Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, da er dem Arbeitnehmer bei einer ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist die Arbeitsmöglichkeit entzieht ([X.] 5. November 2003 - 5 [X.] 562/02 - zu I 1 der Gründe, [X.] BGB § 615 Nr. 106 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 2). Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze künftig auch für die Kehrseite der Arbeitspflicht, nämlich die Befreiung hiervon durch Urlaubsgewährung anzuwenden.

III. Da die Hauptforderung nicht besteht, ist die Klage auch in Bezug auf den von der Klägerin erhobenen Zinsanspruch unbegründet.

IV. Die Klägerin hat die Kosten des Revisions- und des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

    Suckow    

        

        

        

    Mehnert    

        

    Neumann     

                 

Meta

9 AZR 420/10

13.12.2011

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bamberg, 20. Mai 2009, Az: 3 Ca 61/06 C, Urteil

§ 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 275 Abs 1 BGB, § 275 Abs 4 BGB, § 280 Abs 1 S 1 BGB, § 283 S 1 BGB, § 286 Abs 1 BGB, § 287 Abs 1 BGB, Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2011, Az. 9 AZR 420/10 (REWIS RS 2011, 557)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 557

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Referenzen
Wird zitiert von

7 Sa 404/17

11 Sa 983/15

13 Ca 3620/15

9 Sa 31/16

12 Sa 1866/12

11 Sa 656/10

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