Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 AZR 401/19

9. Senat | REWIS RS 2022, 9569

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Urlaub - 15 Monatsfrist - Mitwirkungsobliegenheiten


Leitsatz

Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG kann der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Bezugszeitraum, in dessen Verlauf der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, grundsätzlich nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 24. Juli 2019 - 5 [X.] - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin noch Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 zustehen.

2

Die Klägerin wurde von der Beklagten auf Grundlage eines Dienstvertrags vom 9. Juli 2010 eingestellt. In den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen [X.]verbandes (Stand: 4. April 2017; im Folgenden [X.] [X.]) ist ua. geregelt:

        

§ 13 

Erholungsurlaub

        

Die Ansprüche der Mitarbeiter auf Erholungsurlaub, Urlaubsgeld und Sonderurlaub regeln sich nach Anlage 14 zu den [X.].

        

…“    

3

Die Anlage 14 lautet auszugsweise:

        

Erholungsurlaub, Urlaubsgeld, Sonderurlaub

        

…       

        

I.    

Erholungsurlaub

        

§ 1     

Entstehung des Anspruchs

        

(1)     

Die Mitarbeiter und die zu ihrer Ausbildung Beschäftigten erhalten in jedem Urlaubsjahr den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen und haben einen weitergehenden Urlaubsanspruch im Gesamtumfang des § 3 Abs. 1. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

        

(2)     

Der Erholungsurlaub dient der Erhaltung der Gesundheit. Der Mitarbeiter ist deshalb verpflichtet, den Erholungsurlaub tatsächlich zu nehmen und darf während des Erholungsurlaubs keine dem [X.] widersprechende Erwerbstätigkeit leisten.

        

(3)     

Der Dienstgeber setzt auf Antrag des Mitarbeiters den Erholungsurlaub zeitlich fest. Dabei hat er die Urlaubswünsche des Mitarbeiters zu berücksichtigen, es sei denn, dass dringende dienstliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Mitarbeiter, die unter [X.] Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, diesen entgegenstehen.

        

…       

        
        

(5)     

Der Erholungsurlaub ist spätestens bis zum Ende des Urlaubsjahres anzutreten. Kann der Erholungsurlaub aus dringenden dienstlichen Gründen oder aus Gründen, die in der Person des Mitarbeiters liegen, bis zum Ende des Urlaubsjahres nicht angetreten werden, ist er bis zum 30. April des folgenden Urlaubsjahres anzutreten. Hat der Mitarbeiter den ihm zustehenden Urlaub vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten, so ist ihm der [X.] nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.

                 

…       

                 

Kann der gesetzliche Mindesturlaub und der Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX infolge Arbeitsunfähigkeit nicht angetreten werden, erlischt dieser Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Kann der weitergehende Urlaubsanspruch infolge von Arbeitsunfähigkeit nicht angetreten werden, gilt § 1 Abs. 5 Unterabsatz 1 Satz 2.

        

…       

        
        

(7)     

… Die wegen Arbeitsunfähigkeit nachzugewährenden Urlaubstage werden vom Dienstgeber auf Antrag des Mitarbeiters erneut festgesetzt.

        

…       

        
        

§ 3     

Dauer des Erholungsurlaubs

        

(1)     

[X.], dessen durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 5 Arbeitstage in der [X.] verteilt ist (Fünftagewoche), beträgt 30 Arbeitstage, soweit nicht eine für den Mitarbeiter günstigere gesetzliche Regelung (z.B. für Jugendliche und schwerbehinderte Menschen) oder für die zu ihrer Ausbildung Beschäftigten (Anlage 7 zu den [X.]) eine Sonderregelung getroffen ist. Der Umfang des Urlaubs in Satz 1 gilt ab 1. Januar 2015.

        

…       

        
        

(5)     

Ist die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig oder dienstplanmäßig im Durchschnitt des Urlaubsjahres auf mehr als fünf Arbeitstage in der [X.] verteilt, erhöht sich der Urlaub für jeden zusätzlichen Arbeitstag im Urlaubsjahr um 1/260 des Urlaubs nach Abs. 1 und § 4 zuzüglich eines etwaigen Zusatzurlaubs. …“

4

[X.] erkrankte die Klägerin und konnte ihren Urlaub wegen der seither durchgehend bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht vollständig in Anspruch nehmen. Mit Schreiben vom 6. November 2018 forderte sie die Beklagte zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen auf. Die Beklagte lehnte dies in einem Schreiben vom 12. November 2018 mit der Begründung ab, im laufenden Arbeitsverhältnis könne der Urlaubsanspruch nicht abgegolten werden.

5

Mit der am 19. Dezember 2018 eingereichten Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, 14 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2017 seien nicht verfallen, weil die Beklagte es unterlassen habe, sie rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen.

6

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

festzustellen, dass ihr aus dem Kalenderjahr 2017 noch Urlaub in Höhe von 14 Arbeitstagen zusteht.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der gesetzliche Urlaubsanspruch der Klägerin aus dem Jahr 2017 sei mit Ablauf des 31. März 2019 und der vertragliche Mehrurlaubsanspruch nach § 13 [X.] [X.] iVm. § 1 Abs. 5 Satz 2 der Anlage 14 der [X.] [X.] mit Ablauf des 30. April 2018 unabhängig davon erloschen, dass sie ihre Mitwirkungsobliegenheiten bei der Gewährung und Inanspruchnahme des Urlaubs nicht erfüllt habe.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

9

Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Juli 2020 (- 9 [X.] (A) -) das Revisionsverfahren ausgesetzt und den [X.] gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) um Vorabentscheidung ersucht, ob Art. 7 Richtlinie 88/2003/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 [X.] entgegen stehen, der zufolge der bisher nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, der den Urlaub vor Beginn seiner Erkrankung im Urlaubsjahr - zumindest teilweise - noch hätte nehmen können, bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres auch in dem Fall erlischt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Hierzu ist das Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 22. September 2022 (- [X.]/20 und [X.]/20 - [[X.]]) ergangen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Mit der [X.]egründung des [X.] durfte die [X.]erufung der Klägerin gegen die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht zurückgewiesen werden. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der [X.] nicht entscheiden, ob die Klage begründet ist. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.]erufungsgericht.

I. Das [X.] hat - unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des [X.]s zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei einer Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers (vgl. grundlegend [X.][X.] - Rn. 32, [X.] 142, 371) - angenommen, die Klage sei unbegründet, weil der gesetzliche und vertragliche Urlaubsanspruch der Klägerin infolge ihrer im Jahr 2017 eingetretenen und seither fortbestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in unionsrechtkonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] spätestens mit Ablauf des 31. März 2019 erloschen sei. Aufgrund der andauernden Arbeitsunfähigkeit sei der Verfall unabhängig davon eingetreten, dass die [X.]eklagte die Klägerin zuvor nicht durch die Erfüllung ihrer [X.] bei der Gewährung und Inanspruchnahme des Urlaubs in die Lage versetzt habe, ihren Anspruch auszuüben. [X.]ei Anwendung der [X.] [X.] sei der vertragliche [X.] der Klägerin nach § 13 [X.] [X.] iVm. § 1 Abs. 5 Satz 2 und 5 der Anlage 14 der [X.] [X.] bereits mit Ablauf des 30. April 2018 verfallen.

II. Diese Annahmen des [X.] halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub, den er in einem [X.]ezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, kann bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] grundsätzlich nur dann nach Ablauf eines [X.] von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner [X.] rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben. Diese Grundsätze gelten vorliegend auch für den vertraglichen [X.].

1. Im [X.] an die Entscheidung des Gerichtshofs vom 6. November 2018 (- [X.]/16 - [[X.]]) zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] sowie zu Art. 31 Abs. 2 der [X.] hat das [X.] erkannt, dass bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] konformen Auslegung von § 7 [X.] der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 [X.]) oder eines zulässigen [X.] (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 [X.]) erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. [X.]ei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] trifft den Arbeitgeber die [X.] bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus in richtlinienkonformer Auslegung abgeleiteten [X.] des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 [X.] (vgl. im Einzelnen [X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] - Rn. 21 ff., [X.] 165, 376, zu den inhaltlichen Anforderungen an die [X.] vgl. Rn. 39 ff.).

a) Hat der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner [X.] den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 [X.] mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 [X.] vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen (vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 52, [X.] 130, 119). Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des [X.] untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des [X.] zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt (vgl. [X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] - Rn. 43, [X.] 165, 376).

b) Hat der Arbeitgeber seinen [X.] nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 [X.]. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine [X.] für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) [X.] ([X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] - Rn. 44, [X.] 165, 376).

2. Ist der Arbeitnehmer - wie im Streitfall die Klägerin - infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder voller Erwerbsminderung daran gehindert, seinen Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres zu nehmen, ergeben sich aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] [X.]esonderheiten.

a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können die vom Arbeitnehmer erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines [X.]ezugszeitraums oder eines [X.] grundsätzlich nur unter der Voraussetzung verloren gehen, dass der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben ([X.] 22. September 2022 - [X.]/21 - Rn. 25, 45; 6. November 2018 - [X.]/16 - [[X.]] Rn. 61). Dementsprechend verfällt der Urlaubsanspruch nach Ablauf des [X.]ezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten [X.] grundsätzlich nicht, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten [X.]ezugszeitraums oder eines Teils davon arbeitsunfähig erkrankt und es ihm deshalb tatsächlich nicht möglich war, diesen Anspruch wahrzunehmen ([X.] 30. Juni 2016 - [X.] - [[X.]] Rn. 24 mwN; 20. Januar 2009 - [X.]/06 und [X.]/06 - [[X.]] Rn. 49).

b) Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] ist jedoch nicht dahin auszulegen, dass dem Arbeitnehmer der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub völlig unabhängig von den Umständen erhalten bleiben müsste, derentwegen er den bezahlten Jahresurlaub nicht genommen hat ([X.] 6. November 2018 - [X.]/16 - [[X.]] Rn. 30). So kann das Vorliegen „besonderer Umstände“ eine Ausnahme von der Regel, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht erlöschen können, rechtfertigen, um die negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, die während eines Zeitraums der Abwesenheit wegen einer Langzeiterkrankung erworben wurden, zu vermeiden ([X.] 22. September 2022 - [X.]/20 und [X.]/20 - [[X.]] Rn. 35; 29. November 2017 - [X.]/16 - [King] Rn. 53 f. mwN). Unter den besonderen Umständen, dass ein Arbeitnehmer während mehrerer aufeinanderfolgender [X.]ezugszeiträume arbeitsunfähig ist, hat der Gerichtshof - mit [X.]lick nicht nur auf den Schutz des Arbeitnehmers, den die Richtlinie 2003/88/[X.] bezweckt, sondern auch auf den des Arbeitgebers, der sich der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten, die sich daraus für die [X.] ergeben können, ausgesetzt sieht - entschieden, dass ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten zulässig ist, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt (vgl. [X.] 29. November 2017 - [X.]/16 - [King] Rn. 53 ff.; 22. November 2011 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 29 f., 38 ff.).

c) [X.]esondere Umstände im vorstehenden Sinne liegen jedoch idR nicht vor, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub im Laufe eines [X.]ezugszeitraums erworben wurde, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig wurde. In einem solchen Fall sind nicht allein gesundheitliche Gründe für die Kumulation von Urlaubsansprüchen und deren negativen Folgen für die [X.] des Arbeitgebers ursächlich. Das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach Ablauf des 15-monatigen [X.] setzt deshalb auch in dieser Konstellation grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung der [X.] rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Anspruch geltend zu machen ([X.] 22. September 2022 - [X.]/20 und [X.]/20 - [[X.]] Rn. 45).

3. Unter [X.]erücksichtigung der sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs vom 22. November 2011 (- [X.]/10 - [[X.]]) ergebenden Grundsätze hat der [X.] § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] bisher dahingehend ausgelegt, dass gesetzliche Urlaubsansprüche zwar vor Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert war. Sie sollten jedoch - bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit - mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres untergehen, ohne dass es darauf ankam, ob der Arbeitgeber die [X.] bei der Gewährung und Inanspruchnahme des Urlaubs beachtet hat (vgl. [X.][X.] - Rn. 32, [X.] 142, 371). Diese Grundsätze, von denen auch das [X.] bei seiner klageabweisenden Entscheidung ausgegangen ist, sind aufgrund der oben dargestellten Vorgaben des Gerichtshofs in der Entscheidung vom 22. September 2022 (- [X.]/20 und [X.]/20 - [[X.]] Rn. 38 ff.) weiterzuentwickeln.

a) War der Arbeitnehmer seit [X.]eginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert, verfällt der Urlaubsanspruch weiterhin nach Ablauf der 15 Monatsfrist unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen [X.] nachgekommen ist. In diesem Fall sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch ist auf eine bezahlte [X.]efreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 [X.]G[X.] von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine [X.]efreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung ist deshalb rechtlich unmöglich ([X.] 7. Juli 2020 - 9 [X.] (A) - Rn. 26 mwN, [X.] 171, 231). Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Anspruchs ist - ohne dass es auf die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers ankäme - von vornherein ausgeschlossen, weil die Arbeitsunfähigkeit auf psychischen oder physischen [X.]eschwerden beruht und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist (st. Rspr., vgl. [X.] 25. Juni 2020 - C-762/18 und [X.]/19 - [[X.] kasatsionen sad na Republika [X.]ulgaria] Rn. 66; 4. Oktober 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 32, 33 mwN).

b) Demgegenüber ist § 7 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub, den er in einem [X.]ezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, grundsätzlich nur dann gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] nach Ablauf eines [X.] von 15 Monaten erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner [X.] rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben. In dieser Fallkonstellation trifft den Arbeitgeber grundsätzlich die [X.] bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.]. In der Regel führt erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten [X.] des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, zur [X.]efristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 [X.] (vgl. grundlegend [X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] - Rn. 21 ff., [X.] 165, 376).

4. Diese Grundsätze gelten auch für den vertraglichen [X.] der Klägerin.

a) Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist, die sich zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 Satz 3 [X.]), können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 [X.] begründeten Anspruch auf [X.] von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. [X.] 16. Dezember 2014 - 9 [X.] - Rn. 15, [X.] 150, 207). Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dem zufolge der vertragliche [X.] mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des [X.] unabhängig davon verfallen soll, ob der Arbeitgeber seinen [X.] entsprochen hat, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen [X.] auszugehen (vgl. [X.] 22. Januar 2019 - 9 [X.] - Rn. 33). Allein der Umstand, dass die Vertragsparteien gegenüber dem [X.] eigenständige Regelungen zur [X.]efristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Anspruchs auf [X.] getroffen haben, lässt noch nicht darauf schließen, dass auch die gesetzlichen [X.] abweichend geregelt werden sollten. Der dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich vielmehr auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt daher nicht, wenn in einem Arbeitsvertrag von Regelungen des [X.]undesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. [X.] 12. Oktober 2021 - 9 [X.] ([X.]) - Rn. 30).

b) Vorliegend ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen [X.] auszugehen, weil es an deutlichen Anhaltspunkten für einen Regelungswillen der Parteien fehlt, dass der vertragliche [X.] abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 [X.] auch dann mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des jeweiligen [X.] verfallen soll, wenn die [X.]eklagte ihren [X.] nicht entsprochen hat (vgl. [X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] - Rn. 51 f. mwN). Die [X.] [X.] regeln die [X.] und die [X.] des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs nicht abweichend vom [X.]undesurlaubsgesetz. Ein vom Gesetzesrecht abweichender Regelungswille im Hinblick auf die [X.] des Arbeitgebers und die Folgen deren Nichtbeachtung hat darin keinen Niederschlag gefunden.

aa) Soweit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 der Anlage 14 der [X.] [X.] der Dienstgeber den Erholungsurlaub „auf Antrag des Mitarbeiters“ zeitlich festsetzt, betrifft dies zwar das Verfahren der Urlaubsgewährung. Die Regelung bestimmt aber die [X.] bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs nicht abweichend von den Vorgaben, die nach dem [X.]undesurlaubsgesetz für den gesetzlichen Mindesturlaub gelten. Ein nicht rechtskundiger Arbeitnehmer musste § 1 Abs. 3 Satz 1 der Anlage 14 der [X.] [X.] allein als Hinweis darauf verstehen, dass er nicht berechtigt ist, sich selbst zu beurlauben. Gleiches gilt, soweit § 1 Abs. 7 Satz 4 der Anlage 14 der [X.] [X.] bei einer nachgewiesenen Erkrankung des Arbeitnehmers während des Urlaubs eine Neufestsetzung des Urlaubs „auf Antrag des Mitarbeiters“ vorsieht.

bb) Auch § 1 Abs. 2 Satz 2 der Anlage 14 der [X.] [X.], dem zufolge der Mitarbeiter verpflichtet ist, den Erholungsurlaub tatsächlich zu nehmen, besagt nichts darüber, wer die [X.] für die Inanspruchnahme des Urlaubs trägt. Soweit § 1 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 1 der Anlage 14 der [X.] [X.] und verschiedene weitere [X.]estimmungen der Anlage 14 darauf abstellen, dass der Urlaub „anzutreten“ ist, betrifft dies die Festlegung der [X.]efristungsdauer des Urlaubsanspruchs, nicht aber die [X.] für die Inanspruchnahme des Urlaubs.

III. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der [X.] nicht entscheiden, ob der Klägerin für das Jahr 2017 noch 14 Arbeitstage Urlaub zustehen. Das [X.] hat - unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung konsequent - in der Sache nicht geprüft, wann die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin eingetreten ist, und welchen Umfang ihr Urlaubsanspruch für das Jahr 2017 zu diesem Zeitpunkt aufwies. Es fehlt an Feststellungen zu der für die Klägerin maßgeblichen Verteilung der Arbeitszeit, sodass sich die Anzahl der ihr für das Jahr 2017 zustehenden Arbeitstage Urlaub nicht errechnen lässt. Unklar ist zudem, wie viele Urlaubstage der Klägerin für das Jahr 2017 gegebenenfalls bereits gewährt wurden. Soweit die Klägerin in der Revisionsinstanz schriftsätzlich vorgetragen hat, im [X.] in einer Dreitagewoche gearbeitet und 16 Arbeitstage Urlaub erhalten zu haben, konnte ihr Vorbringen bei der Entscheidung des [X.]s ebenso wenig berücksichtigt werden wie ihre Angabe, ihre Arbeitsunfähigkeit habe seit dem 17. Juli 2017 bestanden. Die [X.]eklagte konnte die Angaben der Klägerin auf Nachfrage des [X.]s nicht bestätigen.

IV. Dies führt zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.]erufungsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO). Im erneuten [X.]erufungsverfahren wird das [X.], nachdem es den Parteien rechtliches Gehör gewährt hat, unter [X.]eachtung der dargelegten Grundsätze zu prüfen haben, ob und ggf. in welchem Umfang die Urlaubsansprüche der Klägerin befristet waren und ob der ggf. bisher nicht gewährte gesetzliche Urlaub nach § 7 Abs. 3 [X.] am 31. März 2019 des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres und der weitergehende Urlaub nach § 1 Abs. 5 Unterabs. 3 Satz 2 der Anlage 14 am 30. April 2018 erloschen ist. Erforderlichenfalls ist der Umfang des entstandenen und verbleibenden gesetzlichen und weitergehenden Urlaubsanspruchs nach § 3 Abs. 1 [X.] zu berechnen (vgl. hierzu im Einzelnen [X.] 24. September 2019 - 9 [X.] - Rn. 14 ff., [X.] 168, 70; 19. März 2019 - 9 [X.] - Rn. 21 f., [X.] 166, 176), da § 3 Abs. 5 der Anlage 14 [X.] [X.] die [X.]estimmungen des [X.]undesurlaubsgesetzes lediglich nachvollzieht.

        

    Kiel    

        

    [X.]    

        

    Zimmermann    

        

        

        

    Thau    

        

    Heilmann    

                 

Meta

9 AZR 401/19

20.12.2022

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Paderborn, 4. April 2019, Az: 2 Ca 1602/18, Urteil

Art 7 EGRL 88/2003, § 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 1 BUrlG, Art 31 Abs 2 EUGrdRCh

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 AZR 401/19 (REWIS RS 2022, 9569)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9569


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 9 AZR 401/19

Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 401/19, 20.12.2022.


Az. 9 AZR 401/19 (A)

Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 401/19 (A), 07.07.2020.


Az. 2 Ca 1602/18

Arbeitsgericht Paderborn, 2 Ca 1602/18, 04.04.2019.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 AZR 245/19 (Bundesarbeitsgericht)

Urlaub - 15 Monatsfrist - Mitwirkungsobliegenheiten


9 AZR 364/19 (Bundesarbeitsgericht)

Befristung des tariflichen Mehrurlaubs - Gleichbehandlung - Behinderung


9 AZR 107/20 (Bundesarbeitsgericht)

Urlaub - 15 Monatsfrist - Mitwirkungsobliegenheiten


9 AZR 488/21 (Bundesarbeitsgericht)

Urlaub - 15 Monatsfrist - Langzeiterkrankung - Tilgung von Urlaubsansprüchen bei fehlender Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers


9 AZR 214/19 (Bundesarbeitsgericht)

Tariflicher Mehrurlaub - Befristung- Übertragung - Verfall


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.