Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.08.2010, Az. 2 StR 239/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4290

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Gegenstand

Verdeckungsmord: Voraussetzungen der Verdeckungsabsicht bei bedingt vorsätzlicher Inkaufnahme des Todes des Opfers


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.] wird das Urteil des [X.] vom 28. Dezember 2009, auch soweit es den Mitangeklagten [X.] betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten [X.] und [X.] wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Totschlags verurteilt sind;

b) soweit es den Angeklagten [X.] betrifft, im Ausspruch über die wegen versuchten Mordes verhängte [X.] sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben;

c) soweit es den Angeklagten [X.] betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

1. Das [X.] hatte in einem ersten Urteil vom 11. September 2008 die Angeklagten [X.] und [X.] wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und den Mitangeklagten [X.] wegen Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

2

a) Dem lagen folgende Feststellungen zugrunde: Die Angeklagten [X.] und [X.] kamen in der Nacht vom 21. auf 22. Dezember 2007 überein, den schwer betrunkenen Nebenkläger [X.], der am Tag zuvor aus der Haft entlassen worden war und, wie die Angeklagten zufällig erfahren hatten, eine Bargeldsumme von 11.300 € bei sich führte, zu berauben. Auf mehrfache telefonische Aufforderung beider Angeklagten erklärte sich der Mitangeklagte [X.] bereit, hieran mitzuwirken; er begab sich daraufhin mit seinem Pkw zum Bahnhofsvorplatz in [X.], wo er die Mitangeklagten traf. Als der Nebenkläger gegen 2.30 Uhr eine Gaststätte verließ, boten ihm die Angeklagten vorgeblich an, ihn nach [X.] zu fahren. Stattdessen brachten sie das Tatopfer in einen Wald, in den sie von einem Parkplatz aus noch etwa 400 m weit hinein fuhren. Während [X.] im Fahrzeug sitzen blieb, zerrten [X.] und [X.] den Geschädigten aus dem Pkw und schlugen und traten auf ihn ein; [X.] versetzte ihm Schläge mit einer massiven, 40 cm langen Taschenlampe. Sodann nahmen sie dem am Boden liegenden Geschädigten das mitgeführte Bargeld ab. Sie befragten ihn, ob er das Kennzeichen des Pkw erkannt habe, und äußerten, als er dies verneinte, das sei "gut für ihn". Der Angeklagte [X.] wusste vom Einsatz der Taschenlampe nichts. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass der Geschädigte nicht über ein Mobiltelefon verfügte, fuhren die Angeklagten nach [X.] zurück, wo sie die Beute teilten. Den Geschädigten ließen sie im Wald zurück. Hierbei gingen sie davon aus, dass der Nebenkläger trotz seiner Verletzungen und trotz der Außentemperatur von ca. minus 8 Grad Celsius die Strecke von ca. 400 m zur Straße würde zurücklegen und dort Hilfe finden würde. Tatsächlich gelang es dem stark übergewichtigen ([X.]: 53) Geschädigten nicht, aus dem Wald herauszugelangen. Er fiel in einen Graben und wurde dort in unterkühltem Zustand gegen 7.30 Uhr von einem Jogger gefunden und gerettet.

3

In den Morgenstunden des 22. Dezember 2007 fragte der Angeklagte [X.] den Angeklagten [X.], ob man nicht noch einmal in den Wald fahren solle, um nachzuschauen, ob der Geschädigte vielleicht verstorben sei. Hierauf antwortete [X.], dies sei doch "scheiß egal", denn es werde sowieso niemand von der Tat erfahren; damit gab sich [X.] zufrieden. Beide hielten es dabei für möglich, dass der Geschädigte noch am Leben sei, aber infolge seiner Verletzungen nicht mehr aus dem Wald hinausgelangen und versterben könne; das nahmen sie billigend in Kauf, um die [X.] zu verdecken.

4

b) Das [X.] hatte wegen des Raubs den Angeklagten [X.] zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, gegen den Angeklagten [X.] unter Einbeziehung eines früheren Urteils eine [X.] von sechs Jahren und sechs Monaten und gegen den Angeklagten [X.] eine Freiheitsstrafe von vier Jahren verhängt; gegen [X.] wurde eine Maßregel nach § 64 StGB und ein [X.] von drei Jahren der Strafe vor der Maßregel angeordnet. An der Aburteilung des Geschehens am Morgen des 23. Dezember 2007 sah das [X.] sich gehindert, weil es von der zugelassenen Anklage nicht umfasst sei.

5

c) Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom 20. Mai 2009 - 2 StR 85/09 (NJW 2010, 168) - aufgehoben, die Feststellungen zum äußeren Tatablauf aber aufrechterhalten. Nach Auffassung des Senats war auch das Geschehen am Morgen nach der Tat vom [X.] erfasst (§ 264 Abs. 1 StPO) und hätte daher abgeurteilt werden müssen.

6

2. Das [X.] hat in der neuen Hauptverhandlung hierzu ergänzend unter anderem festgestellt, die Angeklagten hätten, als sie vom Tatort [X.], den Geschädigten [X.] für fähig gehalten, sich zur Straße zu begeben und Hilfe zu erlangen. Bei dem Gespräch in den Morgenstunden hätten die Angeklagten [X.] und [X.] den für möglich gehaltenen Tod des Geschädigten hingegen billigend in Kauf genommen; er sei ihnen "als willkommene Folge ihres Tuns (erschienen), weil sie dann sicher sein konnten, dass ihre Tat nicht entdeckt werde" ([X.]). Die Angeklagten hätten "den Tod des Geschädigten nicht als zwingend zur Verdeckung der [X.] angesehen" ([X.]); bei anonymer Alarmierung eines Notarztes hätten sie ihre Beteiligung an der [X.] nicht zwingend offenbaren müssen (UA S. 39).

7

Das [X.] hat die Angeklagten [X.] und [X.] daher nur wegen schweren Raubs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StGB) sowie wegen versuchten [X.] (§§ 211, 22 StGB) verurteilt. Für die [X.] hat es gegen [X.] eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren, für den versuchten Mord - unter dreifacher Milderung des Strafrahmens gemäß §§ 13 Abs. 2, 21, 23 Abs. 2 StGB, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB - eine Einzelstrafe von vier Jahren verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten gebildet. Den Angeklagten [X.], der nicht revidiert, hat es zur [X.] von sieben Jahren und sechs Monaten (einbezogen drei frühere Urteile) verurteilt, den Angeklagten [X.], der ebenfalls nicht revidiert, wegen Raubs (§ 249 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Von einer Maßregelanordnung gegen den Angeklagten [X.] hat das [X.] abgesehen, weil es eine konkrete Erfolgsaussicht nicht feststellen konnte ([X.]); gegen den Mitangeklagten [X.] wurden nun eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie der [X.] von zwei Jahren und neun Monaten der Jugendstrafe angeordnet.

8

3. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten [X.] hat teilweise Erfolg und führt insoweit zur Erstreckung auch auf den Mitangeklagten [X.] gemäß § 357 StPO.

9

a) Dass das [X.] den Angeklagten nicht auch wegen lebensgefährdenden besonders schweren Raubs (§ 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. [X.]), wegen Aussetzung (§ 221 StGB) und wegen gefährlicher Körperverletzung durch lebensgefährliche Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) verurteilt hat, weil es rechtsfehlerhaft annahm, das Nichtvorliegen bedingten Tötungsvorsatzes schließe auch den subjektiven Tatbestand dieser Vorschriften aus ([X.]), beschwert den Angeklagten nicht.

b) Die Verurteilung wegen versuchten (Verdeckungs-) Mordes hält, wie der [X.] zutreffend dargelegt hat, rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar kommt die Annahme von [X.] im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. [X.]St 41, 358, 359 ff.; [X.] NJW 1992, 583 f.; 1999, 1039 f.; 2000, 1730 f.; NStZ 2004, 495, 496), wenn nicht im Einzelfall der Tod des Opfers sich als zwingend notwendige Voraussetzung einer Verdeckung darstellt [X.], StGB, 57 Aufl., § 211 Rn. 79). Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des [X.] Mittel der Verdeckung sein soll (vgl. [X.] in Müko, StGB, § 211 Rn. 196). Wenn der Täter annimmt, eine Aufdeckung der anderen Straftat werde unabhängig von der Verdeckungshandlung und von deren [X.] nicht eintreten, fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv "verdeckenden" Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg.

So lag es hier. Nach den Feststellungen des [X.]s war der für möglich gehaltene - bereits eingetretene oder noch eintretende - Tod des [X.] den [X.] gerade deshalb "scheiß egal", weil dieser Erfolg für die Frage einer möglichen Aufdeckung ihrer Beteiligung an der [X.] ohne Bedeutung war. Sie gingen davon aus, das Opfer habe sie nicht erkannt und werde sie auch im Fall seines Überlebens nicht identifizieren können.

Es fehlt daher an den subjektiven Voraussetzungen des [X.] der [X.]. Da weitere Feststellungen insoweit ausgeschlossen erscheinen, hat der Senat entsprechend dem Antrag des [X.]s den Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte nur des versuchten Totschlags schuldig ist.

c) Da die Voraussetzungen des § 357 StPO gegeben sind, war die Schuldspruchänderung auch auf den nicht revidierenden Mitangeklagten [X.] zu erstrecken.

d) Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafe wegen versuchten Mordes und der Gesamtstrafe beim Angeklagten [X.] sowie der [X.] beim Angeklagten [X.] Obgleich das [X.] das Schwergewicht der Schuld in der [X.] gesehen hat, lässt sich das Beruhen der im Ergebnis verhängten Strafen auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen.

Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten [X.] in einer Entziehungsanstalt war im Hinblick auf § 5 Abs. 3 JGG aufzuheben; der neue Tatrichter hat über die Rechtsfolge insgesamt neu zu entscheiden.

[X.]                                       Fischer                                Schmitt

                                  Eschelbach                                     Ott

Meta

2 StR 239/10

04.08.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Limburg, 28. Dezember 2009, Az: 3 Js 4362/08 - 2 KLs, Urteil

§ 211 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.08.2010, Az. 2 StR 239/10 (REWIS RS 2010, 4290)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4290

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 564/19

1 StR 160/18

1 StR 160/18

4 StR 361/17

2 StR 239/10

2 StR 391/20

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