Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2017, Az. 5 StR 439/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2322

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:151117U5STR439.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
5 StR
439/17
vom
15. November
2017
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung
u.a.

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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
15.
November
2017, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.] Prof. Dr. [X.]
als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Dölp,
Prof. Dr. [X.],
Dr. Berger,
Prof. Dr. Mosbacher

als beisitzende [X.],

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Tarifbeschäftigte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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3
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für Recht erkannt:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 31. März 2017 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe
aufgehoben.
2.
Auf die Revision der St[X.]tsanwaltschaft wird das vorge-nannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgeho-ben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in ei-nem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden ist.
3.
Im
Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.
4.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung, u einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren 1
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und drei Monaten verurteilt, das Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs einer ande-ren Beleidigung wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt und den [X.] freigesprochen. Gegen seine [X.] wendet sich der Angeklagte mit einer auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision, während die St[X.]tsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Strafzumessung und die Nichtverhängung einer Maßregel nach § 63 StGB beanstandet. Die Rechtsmittel erzielen
den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I.

1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt:

a) Der aus [X.] stammende Angeklagte lebt seit Ende der acht-ziger [X.]. Er ist seit 2006 rechtskräftig ausgewiesen.
[X.] drohender Abschiebung beantragte er 2015 Asyl. Er lebt von [X.] und ist mehrfach, auch einschlägig, vorbestraft. Wegen mehrerer Kör-perverletzungsdelikte verbüßte er bis November 2011 eine [X.] von drei Jahren und drei Monaten.
Die Führungsaufsicht musste mehrfach verlängert werden, zuletzt bis November 2017. Im Oktober 2013
wurde der An-geklagte wegen einer im Juni 2013 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Mai 2014 wurde er wegen
einer im Juni 2013 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe
verurteilt.

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b) Im
Dezember 2015 beging der Angeklagte folgende Taten:

[X.]) Am 2. Dezember 2015 bedrängte der Angeklagte den Geschädigten [X.]

, der ihn beim Urinieren im öffentlichen Raum
beobachtet und zur Rede gestellt hatte. Nach einem Schubser durch [X.]

schlug der Ange-klagte dreimal mit der Hand nach dem Zeugen und traf ihn beim letzten Schlag in der rechten Gesichtshälfte so
heftig, dass der Geschädigte starke Schmerzen verspürte, einen Knall vernahm, taumelte und zu Boden fiel. Der Angeklagte wurde von seinen Begleitern von weiteren Handlungen abgehalten, so dass sich der Geschädigte entfernen konnte. Dieser zog sich durch den Schlag ne-ben einer Ohrprellung einen
Trommelfellriss zu, der einer operativen [X.] bedarf. Er muss jeglichen Wasserkontakt der Ohren vermeiden und Sili-konpassstücke tragen, wodurch auch seine Ausbildung zum Binnenschiffer [X.] war.

[X.]) [X.]

versuchte
erfolglos, einen Freund anzurufen. Deswegen
vermutete
der Angeklagte, [X.]

habe ihn fotografiert. Um das zu überprü-fen, forderte der Angeklagte unter Drohungen und Beleidigungen mehrfach dessen Mobiltelefon. Der Geschädigte kam dem Verlangen nicht nach. Ein Zeuge wurde auf das Geschehen aufmerksam und rief aus dem Fenster, der Geschädigte solle
sein Telefon nicht herausgeben, die Polizei sei informiert. Daraufhin nahm der Angeklagte von seinem Vorhaben Abstand.

cc) Am 19. Dezember 2015 suchte er eine Asylunterkunft auf, um einen Freund zu besuchen. Weil er dort Hausverbot hatte, wurde ihm der
Zutritt ver-wehrt. Während ein Beschäftigter den Freund auf Wunsch des Angeklagten 4
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ausfindig machen wollte, unterhielt sich der Angeklagte mit der in der Einrich-tung als ehrenamtliche Helferin tätigen

Gi.

und dem Hausmeister A.

im Eingangsbereich. Als der Hausmeister kurzzeitig abwe-send
war, bezeichnete der Angeklagte Gi.

Kind zu töten. Schließlich schlug er ihr mit der Faust in den Unterbauch, wodurch sie Schmerzen erlitt und sich krümmte. Als der Hausmeister
ihr zu [X.] kommen wollte, entwickelte sich zwischen ihm und dem Angeklagten eine körperliche Auseinandersetzung. In deren Verlauf schlug der Angeklagte mit seinem mit einer Metallschnalle versehenen Gürtel auf seinen Gegner
ein, was
Verletzungen im Gesicht und am Körper zur Folge hatte. Als der Hausmeister seinen großen Schlüsselbund verlor, nahm der Angeklagte diesen und warf ihn auf die eng zusammenstehenden Geschädigten. Gi.

wurde an einem
Finger getroffen und litt mehrere Tage Schmerzen.

c) Der Angeklagte trinkt seit 1995 Alkohol, zeitweise auch exzessiv, und konsumiert gelegentlich Kokain, Cannabis und Speed. Er leidet an einer chroni-schen kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und
emotional instabilen Zügen, nimmt sich selbst allerdings als völlig gesund wahr und sieht sich als Opfer einer Verschwörung von Sachverständigen und Strafverfolgungsorganen.

2. Das sachverständig beratene [X.] hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bei allen Taten angenommen. Die Persönlichkeitsstörung sei als schwere andere seelische Abartigkeit einzuord-nen. Sie führe zu einem umfassenden Versagen in allen Lebensbereichen. Es lägen erhebliche Störungen in der Impulskontrolle, Affektivität und Kognition vor, das Verhalten sei von einem raschen Wechsel der Stimmungslage und
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Affektinkontinenz geprägt. Den Taten sei
gemeinsam, dass der Angeklagte zu-vor Ablehnung oder Kritik erfahren habe, auf die er mit dem eingeschliffenen Muster verbaler und körperlicher Aggressivität reagiere. Die Legalprognose sei ungünstig. Immer wieder verübe er Körperverletzungsdelikte und sei dabei in der Opferwahl zufällig.

3. Das [X.] hat für die drei abgeurteilten Taten Einzelstrafen von sechs und drei Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten verhängt. Von [X.] Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es
abgesehen. Mit der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des A.

habe der Angeklagte zwar eine erhebliche Anlasstat verwirklicht, weshalb sich die Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 Satz 1 StGB richte-ten. Es sei aber nicht [X.] wahrscheinlich, dass er auch in Zukunft [X.] erhebliche Straftaten begehen werde.
Zu erwarten seien zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Taten wie die gegen [X.]

und Gi.

. Solche Taten seien
aber keine erheblichen Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB.

II.

Die Revision des Angeklagten führt lediglich zur Aufhebung der Gesamt-freiheitsstrafe.

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Die Rüge fehlerhafter Ablehnung eines auf die Vernehmung des [X.] M.

gerichteten Beweisantrags ist unzulässig, da die Seiten 7 und 8 10
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der Revisionsbegründung (Vorsitzendenverfügung, auf die sich die Kammer in ihrer Ablehnungsbegründung bezieht) fehlen und der Vortrag deshalb entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unvollständig ist.
Aus demselben Grund versagen
die insoweit erhobene Aufklärungsrüge
sowie die Rüge der Verletzung des rechtli-chen Gehörs.

b) Die Anträge, die Zeugen A.

und Gi.

erneut zu hö-ren, obgleich beide bereits umfassend zur Sache und auch zu den Beweisthe-men vernommen wurden, hat die Kammer rechtsfehlerfrei abgelehnt.
Auch ein Aufklärungsmangel liegt deshalb nicht vor.

c) Soweit die Revision einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens mit der Begründung rügt, die St[X.]tsanwaltschaft habe ihr [X.] Erkenntnisse aus einem Parallelverfahren erst zu spät zur [X.], so dass sie bei einer Zeugenvernehmung keine Verwendung finden konnten, wird ein Rechtsverstoß des erkennenden Gerichts nicht behauptet. Wie die St[X.]tsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung zutreffend vorbringt, wider-sprechen die Angaben der Zeugin Gi.

in der anderen Hauptverhandlung ih-ren Angaben zum hiesigen Tatgeschehen zudem nicht, weshalb nicht ersicht-lich ist, inwieweit die Verteidigung durch das Unterlassen der Übersendung in ihren Rechten beeinträchtigt worden sein könnte.

2. Die Sachrüge führt lediglich zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.

a) Die Beweiswürdigung weist in Ansehung des revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. nur [X.], Urteil vom 1. Februar 2017
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2 StR 78/16 mwN) keinen Rechtsfehler auf. Entgegen der Auffassung der Re-vision waren weitergehende Ausführungen zum Inhalt der Aussage des Zeugen Ge.

nicht veranlasst. Ebenso wenig bestehen hinsichtlich des Zeugen

erläuterungsbedürftige Lücken (vgl. zum Maßstab insoweit [X.], Urteil vom 26. Januar 2017

1 [X.] mwN) oder Widersprüche.

b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Entgegen der missver-ständlichen Formulierung der [X.] im Rahmen der Strafzumessung ([X.]) kommt ein freiwilliger Rücktritt von dem Versuch, sich des Mobiltele-fons des Geschädigten [X.]

durch Drohungen zu bemächtigen, nicht in Betracht.
Denn der Angeklagte war mit seinen Drohungen erfolglos und ließ hiervon erst ab, nachdem ein Zeuge interveniert und mitgeteilt
hatte, die Polizei alarmiert zu haben.

c) Die Bemessung der [X.] weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Angesichts der einschlägigen Vorstrafen und des Bewährungsbruchs sowie der Verwirklichung zweier tateinheitlicher Taten der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil mehrerer Geschädigter ist es
trotz der Annahme einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht rechtsfehlerhaft, einen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB nicht ausdrücklich zu prüfen.

d) Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Mona-ten verstößt indes gegen § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB. Danach darf die Gesamt-strafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Aus den in den [X.] mitgeteilten [X.] von sechs Monaten, drei Monaten sowie 18
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einem Jahr und drei Monaten hätte das [X.] demnach höchstens eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und elf Monaten bilden dürfen (vgl. Schäfer/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl.
Rn.
1204).
III.

Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der St[X.]tsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das [X.] von der Verhängung einer Maßregel nach § 63 StGB abgesehen hat.

1. Die Strafzumessung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Die Einzelstrafen sind zwar angesichts der [X.], des Bewährungsbruchs und der [X.] bei dem Ge-schädigten [X.]

überaus milde bemessen. Dies allein ist aber nach [X.] (vgl. nur [X.], Urteil vom 26.
Januar 2017

1
[X.] mwN) noch nicht zu beanstanden. Der Senat schließt aus, dem [X.] könne bei der Strafzumessung für die
gefährliche Körperverletzung der Umstand, dass sich die Tat gegen
zwei Geschädigte
richtete,
aus dem Blick geraten sein.

2. Allerdings bedarf die Frage der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB erneuter Prüfung.

a) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die [X.] nach § 63 Satz 1 StGB richten. [X.] hat es mit sachverständiger Hilfe einen überdauernden Zustand im Sinne von § 20 21
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StGB festgestellt, der bei den abgeurteilten Straftaten jeweils sicher zu einer Verminderung der
Schuldfähigkeit
im Sinne von §
21 StGB geführt hat.

b) Allerdings hat die [X.] bei ihrer Gefährlichkeitsprognose ei-nen zu strengen Maßstab angelegt.

[X.]) Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus wird nach §
63 Satz 1 StGB angeordnet,
wenn die Gesamtwürdigung des [X.] und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Ta-ten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die [X.] gefährlich ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden emp-findlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen
(st. Rspr. vgl. nur [X.], Beschluss vom 24. Janu-ar
2017

3 StR 421/16 mwN). Straftaten, die wie die vorsätzliche Körperverlet-zung nach § 223 Abs. 1 StGB im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Frei-heitsstrafe geahndet werden, gehören regelmäßig zum Bereich der mittleren Kriminalität. Lediglich Straftaten, die höchstens mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind nicht mehr ohne Weiteres diesem Bereich zuzurech-nen (vgl. [X.]
[X.]O
mwN; [X.], Beschluss vom 24. Juli 2013

2
BvR 298/12; BT-Drucks. 18/7244 S. 18; abweichend

wohl versehentlich

[X.], Beschluss vom 13. Juni 2017

2 StR 24/17; zutreffend [X.] [X.] 18/2017 [X.]). Gewalt-
und Aggressionsdelikte gehören regelmäßig zu den erheblichen Taten (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2011

4 [X.], NStZ-RR 2011, 202 mwN).
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Um auch bei derartigen Straftaten die Anordnung der schwerwiegenden Maßregel einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gerade in Fällen geringfügiger vorsätzlicher Körperverletzungen zu begrenzen, hat der Gesetzgeber durch die Neufassung von § 63 Satz 1 StGB im Sinne der [X.] Rechtsprechung klargestellt, dass es durch solche Taten auch zu erhebli-chen körperlichen oder seelischen Schäden oder Gefährdungen der Opfer kommen muss (eingehend BT-Drucks. 18/7244 S. 18 f.). Deshalb muss auch bei drohenden Körperverletzungen im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet ist, das Gefühl der Rechts-sicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl.
BT-Drucks.
18/7244 S. 18). Drohende Körperverletzungsdelikte wie eine einfa-che Ohrfeige, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beein-trächtigung der körperlichen Unversehrtheit überschreiten, reichen als zu erwar-tende Taten nicht aus; gleiches gilt für
niedrigschwellige Körperverletzungsde-likte wie etwa Ziehen an den H[X.]ren, ein Stoß gegen die Brust oder ein Kniff in das Gesäß (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 18 f.). Allerdings verbietet sich jede schematische Betrachtung. Erforderlich ist eine
Gesamtabwägung, in die
neben der Schwere einer drohenden Tat insbesondere auch die Häufigkeit und die Rückfallfrequenz einzustellen sind (BT-Drucks.
18/7244 S. 19).

[X.]) Schon nach diesen Maßstäben ist die Körperverletzungstat gegen-über dem Geschädigten [X.]

anders als die [X.] meint

ohne Weiteres als erhebliche Straftat
im vorgenannten Sinne
einzuordnen. Der Schlag ins Gesicht war so massiv, dass der Zeuge zu Boden fiel und einen ope-rationsbedürftigen Trommelfellriss erlitt, was zu erheblichen Einschränkungen in 27
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seiner Lebensführung und der Gefährdung seiner Ausbildung führte (vgl. zur Berücksichtigung möglicher Verletzungsfolgen auch [X.] in
[X.], 3.
Aufl., § 63 Rn. 54). Zudem wurde der Angriff gegen ein Zufalls-opfer im öffentlichen Raum geführt, nachdem der Angeklagte durch sein
Urinie-ren an die Wand einer Fachhochschule Anlass zur Kritik gegeben hatte. Ein solches Verhalten
ist
in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Angesichts des ungeklärten aufenthaltsrechtlichen Status des Angeklag-ten ist entgegen der Auffassung der [X.] für die [X.] auch irrelevant, dass seine Abschiebung möglich und deshalb offen ist, ob er überhaupt Gelegenheit hat, weitere Straftaten zu begehen. Dies gilt schon [X.], weil die
Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt des Urteils bezogen ist (vgl. [X.],
[X.]O,
§ 63 Rn. 61 mwN)
und
lediglich theoretisch mög-liche Entwicklungen außer Betracht bleiben.

c) Eine Anordnung nach § 63 StGB scheidet auch nicht aus anderen Gründen aus. Angesichts der rechtfehlerfreien Feststellung des [X.]s, aufgrund der Persönlichkeitsstörung sei die Rückfallwahrscheinlichkeit des mit ähnlichen Delikten in der Vergangenheit aufgefallenen krankheitsuneinsichtigen Angeklagten als hoch einzuschätzen und es seien gleichgelagerte erhebliche Taten zu erwarten, bedarf die Frage
der Unterbringung
in einem psychiatri-schen Krankenhaus vielmehr erneuter tatgerichtlicher
Prüfung.

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3. Die
Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB abgesehen wurde, hat keinen Einfluss auf die Höhe der ver-hängten Einzelstrafen. Der Senat schließt aus, dass das [X.] noch mil-dere Einzelstrafen verhängt hätte, wenn es daneben die Maßregel angeordnet hätte.

[X.]
Dölp
[X.]

Berger
Mosbacher

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Meta

5 StR 439/17

15.11.2017

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2017, Az. 5 StR 439/17 (REWIS RS 2017, 2322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2322

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2 StR 78/16

3 StR 421/16

2 StR 24/17

4 StR 635/10

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