Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.07.2014, Az. V B 1/14

5. Senat | REWIS RS 2014, 3795

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Gegenstand

Übergehen eines ordnungsgemäß gestellten Beweisantrags - Aufhebung eines Beweisbeschlusses - Unterlassene Zeugenvernehmung - Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung


Leitsatz

NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann .

Tatbestand

1

[X.]. [X.]ie Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform der [X.]bR eine [X.] Pizzeria. [X.]m Klageverfahren stritten die [X.]eteiligten über die [X.]inzuschätzung von Umsätzen.

2

Mit [X.]eweisbeschluss vom 16. Oktober 2013 beschloss das [X.]inanzgericht ([X.][X.]), [X.]eweis zu erheben über den [X.]inkauf und die Zubereitung von [X.] sowie der buchhalterischen [X.]rfassung der [X.]rlöse durch Vernehmung des [X.], des [X.], des [X.], des [X.], des [X.], des [X.] und des [X.] als Zeugen.

3

Mit [X.]eschluss vom 30. Oktober 2013 änderte das [X.][X.] den [X.]eweisbeschluss vom 16. Oktober 2013 dahingehend, dass [X.]eweis erheben werden sollte über

1.    

die Zubereitung der [X.]önerspieße durch Vernehmung des [X.] und des [X.] als Zeugen,

2.    

die [X.]ehauptung der Klägerin, in der Vergangenheit hätten wiederholt Kunden von [X.] auf ihre [X.]estellung hin Spieße erhalten, die den Namen der Klägerin auf den [X.]tiketten trugen durch Vernehmung des [X.] als Zeugen.

4

Zur [X.]egründung der Änderung des [X.]eweisbeschlusses führte das [X.][X.] u.a. aus, die Zeugen [X.] und [X.] seien nach [X.]uskunft der Klägerin in [X.]aft und könnten so kurzfristig nicht mehr geladen bzw. vorgeführt werden.

5

[X.]n der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2013 vernahm das [X.][X.] [X.] und [X.] als Zeugen. [X.]usweislich der Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung wurde [X.] nicht als Zeuge vernommen. [X.]er Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte in der mündlichen Verhandlung die Vernehmung der Zeugen [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.] als Zeugen und rügte vorsorglich bereits das Übergehen der [X.]eweisanträge als Verfahrensfehler.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der [X.]inanzgerichtsordnung --[X.]O--).

7

1. Es liegt ein von der Klägerin in der erforderlichen [X.]orm (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O) dargelegter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

8

Das [X.] hat seine aus § 76 Abs. 1 [X.]O folgende Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, indem es entgegen dem [X.]eweisbeschluss vom 30. Oktober 2013 [X.] nicht als Zeugen vernommen hat und indem es den von der Klägerin gestellten Antrag auf Vernehmung des [X.], des I, des [X.] und des [X.] als Zeugen übergangen hat.

9

a) Dabei führt, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht bereits die Aufhebung des [X.]eweisbeschlusses vom 16. Oktober 2013 durch den [X.]eschluss vom 30. Oktober 2013 zu einem Verfahrensfehler, weil die Aufhebung eines [X.]eweisbeschlusses ebenso im Ermessen des [X.]erichts steht wie dessen Erlass ([X.]eschluss des [X.]undesfinanzhofs --[X.][X.]H-- vom 27. August 2001 VII [X.] 4/01, [X.][X.]H/NV 2002, 76; vgl. auch [X.][X.]H-[X.]eschluss vom 30. September 2013 XI [X.] 69/13, [X.][X.]H/NV 2014, 166).

b) Das [X.] durfte aber nicht ohne weiteres auf die mit [X.]eschluss vom 30. Oktober 2013 beschlossene Vernehmung des [X.] verzichten. Denn durch einen [X.]eweisbeschluss entsteht eine Verfahrenslage, auf die die [X.]eteiligten ihre Prozessführung einrichten dürfen. Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht eher ergehen wird, bis der [X.]eweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Zwar ist das [X.]ericht nicht verpflichtet, eine angeordnete [X.]eweisaufnahme in vollem Umfang durchzuführen. [X.] es von einer [X.]eweisaufnahme absehen, muss es aber zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung vor Erlass des Urteils die von ihm durch den [X.]eweisbeschluss geschaffene Prozesslage wieder beseitigen. Dazu hat es für die [X.]eteiligten unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass es den [X.]eweisbeschluss als erledigt betrachtet ([X.][X.]H-[X.]eschlüsse in [X.][X.]H/NV 2014, 166; vom 19. Dezember 2012 XI [X.] 84/12, [X.][X.]H/NV 2013, 745; vom 2. August 2013 XI [X.] 97/12, [X.][X.]H/NV 2003, 1791). Das ist nicht geschehen.

c) Das [X.] durfte auch den [X.]eweisantrag der Klägerin nicht übergehen.

Ein ordnungsgemäß gestellter [X.]eweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das [X.]eweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das [X.]eweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in [X.]rage stehende Tatsache zugunsten des [X.]eweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige Rechtsprechung, z.[X.]. [X.][X.]H-[X.]eschlüsse vom 2. Oktober 2013 III [X.] 56/13, [X.][X.]H/NV 2014, 62; vom 5. November 2013 VI [X.] 86/13, [X.][X.]H/NV 2014, 360; vom 29. [X.]uni 2011 X [X.] 242/10, [X.][X.]H/NV 2011, 1715). Keiner dieser Ausnahmegründe lag hinsichtlich des im Streitfall gestellten [X.]eweisantrags vor.

Der Klägervertreter hat den [X.]eweisantrag in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß gestellt. Die [X.]eweismittel waren nach dem insoweit maßgeblichen materiellen Rechtsstandpunkt des [X.] (vgl. hierzu [X.][X.]H-[X.]eschlüsse in [X.][X.]H/NV 2014, 62; vom 14. [X.]anuar 2011 III [X.] 96/09, [X.][X.]H/NV 2011, 788) auch nicht unerheblich.

aa) Das [X.] hat ausweislich der Urteilsbegründung von der Vernehmung des [X.] und des I abgesehen, weil die [X.]eweisanträge als wahr unterstellt werden könnten. Der Unsicherheit, die mit der Vertauschung von Etiketten verbunden sei, werde durch einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 5.000 € ausreichend Rechnung getragen. Damit unterstellt das [X.], dass die Vernehmung der Zeugen [X.] und I nicht zu einer 5.000 € übersteigenden Korrektur führen werde. Auch wenn dies möglicherweise unwahrscheinlich erscheinen mag, verstößt das [X.] mit dieser Annahme gegen das Verbot der vorweggenommenen [X.]eweiswürdigung.

bb) Das [X.] hält auch den Antrag auf Vernehmung des [X.] und des [X.] zu Unrecht für unerheblich, weil es im Rahmen der eigenen Schätzung davon überzeugt sei, dass die in den Produktionslisten ausgewiesenen Warenmengen … regelmäßig den Warenmengen entsprachen, die die Klägerin zuvor auch bestellt hatte. Auch insoweit nimmt das [X.]ericht eine vorweggenommene [X.]eweiswürdigung vor, weil es zu der im [X.]eweisbeschluss vom 16. Oktober 2013 noch für entscheidungserheblich erachteten [X.]rage des Einkaufs und der buchhalterischen Erfassung der Erlöse eine Auffassung zugrunde legt, die sich durch die Vernehmung der Zeugen möglicherweise als unzutreffend herausstellen könnte. Zudem hat das [X.], worauf die Klägerin zu Recht hinweist, in seinem geänderten [X.]eweisbeschluss vom 30. Oktober 2013 den Eindruck erweckt, dass der [X.]eweisbeschluss hinsichtlich der Zeugen [X.] und [X.] in erster Linie aufgehoben wurde, weil sie wegen deren Inhaftierung "...so kurzfristig nicht mehr geladen bzw. vorgeführt..." werden konnten. Das aber ist kein ausreichender [X.]rund, um von der Vernehmung abzusehen.

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 1/14

24.07.2014

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 7. November 2013, Az: 5 K 200/12, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 81 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.07.2014, Az. V B 1/14 (REWIS RS 2014, 3795)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3795

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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