Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.08.2023, Az. X B 121/22

10. Senat | REWIS RS 2023, 5482

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Gegenstand

Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines ordnungsgemäß gestellten Beweisantrags


Leitsatz

NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 04.05.2022 - 4 K 1430/17 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) erbrachte in den Streitjahren 2005 bis 2010 Dienstleistungen für die Durchführung von großen Familienfesten (unter anderem Zurverfügungstellung der Veranstaltungshalle, der Speisen und Getränke, Dekoration, Fotografen, Musiker). Ihren Gewinn ermittelte sie durch [X.]innahmen-Überschuss-Rechnung.

2

Die Klägerin schloss mit ihren Auftraggebern schriftliche Verträge, in denen ein Gesamtbetrag für die Leistungen der Klägerin ausgewiesen war. Die Leistungen der Klägerin wurden in der Regel am [X.] vom jeweiligen Auftraggeber in bar bezahlt. Den Geldempfang quittierte die Klägerin auf den Vertragsurkunden. In ihrer Gewinnermittlung erfasste sie jedoch nicht diese [X.]eträge, sondern geringere [X.]innahmen, die sich aus von ihr erstellten Rechnungen ergaben, die sie ihren Auftraggebern jedoch nicht zugeleitet hatte.

3

Im [X.] an eine Steuerfahndungsprüfung änderte der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) die für die Streitjahre ergangenen [X.]escheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb, den [X.] und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen [X.]. Als [X.]innahmen setzte es die von der Klägerin quittierten beziehungsweise die sich aus Zeugenvernehmungen ergebenden [X.]eträge an, ferner schätzte es zusätzliche [X.]etriebsausgaben im Umfang von 10 % der angesetzten Mehreinnahmen. Dies führte zu erheblichen Gewinnerhöhungen.

4

Im [X.]inspruchs- und Klageverfahren brachte die Klägerin in erster Linie vor, bei den an Fotografen, Musiker und andere Dienstleister gezahlten [X.]eträgen handele es sich um durchlaufende Posten, die in ihrer Gewinnermittlung weder als [X.]innahmen noch als Ausgaben zu erfassen seien. Hilfsweise seien für die an diese Dienstleister gezahlten [X.]eträge in erheblichem Umfang weitere [X.]etriebsausgaben zu berücksichtigen.

5

In der Klageschrift beantragte die Klägerin unter anderem die Vernehmung ihres [X.]hemanns ([X.]) zu zahlreichen näher bezeichneten Tatsachen. Am 07.03.2022 beschloss das Finanzgericht ([X.]), durch Vernehmung des [X.] [X.]eweis zu erheben "über die Aufwendungen, die der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Gewerbebetrieb … in den Jahren 2005 bis 2010 dem Grunde und der Höhe nach entstanden sind, und über die Abwicklung und die buchhalterische [X.]rfassung der entsprechenden Zahlungsvorgänge". Nachfolgend berief sich [X.] auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, so dass das [X.] den [X.]eweisbeschluss in der mündlichen Verhandlung aufhob.

6

[X.]benfalls in der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin, ihren seinerzeitigen [X.]uchhalter ([X.]) als Zeugen zu vernehmen für die "schriftsätzlich dargelegten [X.]eweisthemen, für die bislang [X.] als Zeuge benannt war" und "zu den im bisherigen [X.]eweisbeschluss enthaltenen [X.]eweisthemen".

7

Das [X.] wies die Klage ab. [X.]ei den Zahlungen für Leistungen Dritter handele es sich nicht um durchlaufende Posten, weil sie nicht in fremdem Namen und für fremde Rechnung vereinnahmt und verausgabt worden seien. Ausweislich der abgeschlossenen Verträge sei die Klägerin selbst verpflichtet gewesen, diese Leistungen zu erbringen. Die Höhe der vom [X.] angesetzten [X.]innahmen sei nicht zu beanstanden. Zusätzliche [X.]etriebsausgaben über die vom [X.] geschätzten [X.]eträge hinaus seien nicht zu berücksichtigen, weil die Klägerin hierzu weder Verträge noch Rechnungen oder Zahlungsnachweise vorgelegt habe. Der Antrag auf Vernehmung des [X.] sei abzulehnen, weil die Frage, wie dieser die Zahlungsvorgänge buchhalterisch erfasst habe, für die [X.]ntscheidung unerheblich sei. Maßgeblich sei nicht die buchhalterische [X.]rfassung der [X.]innahmen und Ausgaben, sondern deren tatsächliche Höhe. Hierfür habe die Klägerin jedoch keinen [X.]eweis durch Vernehmung des [X.] angeboten. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass [X.] hierzu werde Angaben machen können.

8

Mit ihrer [X.]eschwerde rügt die Klägerin einen Verfahrensmangel.

9

Das [X.] hat sich zu der [X.]eschwerde nicht geäußert

Entscheidungsgründe

II. Die [X.]eschwerde ist begründet. [X.]s liegt ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die [X.]ntscheidung des [X.] beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] hat die ihm nach § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung des [X.] nicht nachgekommen ist.

a) [X.]in ordnungsgemäß gestellter [X.]eweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das [X.]eweismittel für die zu treffende [X.]ntscheidung unerheblich, das [X.]eweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des [X.]eweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 12.02.2018 - X [X.] 64/17, [X.]FH/NV 2018, 538, Rz 11, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

b) Keiner dieser Ausnahmegründe lag hinsichtlich des im Streitfall gestellten [X.]eweisantrags vor.

aa) Das [X.] hat die Ablehnung des [X.]eweisantrags in erster Linie damit begründet, die Klägerin habe keinen [X.]eweis für die tatsächliche Höhe der [X.]innahmen und Ausgaben angetreten. Dies ist indes nicht nachvollziehbar, da der [X.]eweisantrag ausdrücklich die im vorangegangenen [X.]eweisbeschluss in [X.]ezug auf [X.] vorgesehenen [X.]eweisthemen einschloss. In diesem [X.]eweisbeschluss waren als [X.]eweisthema unter anderem "die Aufwendungen, die der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Gewerbebetrieb … dem Grunde und der Höhe nach entstanden sind" genannt. Damit war jedenfalls die tatsächliche Höhe der [X.]etriebsausgaben ausdrücklich Gegenstand des in der mündlichen Verhandlung gestellten [X.]eweisantrags der Klägerin auf Vernehmung des [X.].

bb) Soweit das [X.] zusätzlich anführt, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass [X.] zur Höhe der [X.]etriebsausgaben Angaben werde machen können, handelt es sich um eine unzulässige verbotene [X.]eweiswürdigung. Im Übrigen hat das [X.] weder begründet noch ist sonst ersichtlich, weshalb nach seiner Auffassung zwar [X.] Angaben zu den [X.]etriebsausgaben hätte machen können --dies ergibt sich aus dem vom [X.] gefassten [X.]eweisbeschluss--, nicht aber [X.].

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und [X.]ntscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X B 121/22

09.08.2023

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 4. Mai 2022, Az: 4 K 1430/17, Urteil

§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.08.2023, Az. X B 121/22 (REWIS RS 2023, 5482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5482

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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