Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.10.2013, Az. II B 31/13

2. Senat | REWIS RS 2013, 1889

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Gegenstand

Absehen von der Vernehmung eines geladenen Zeugen; Widerlegung einer tatsächlichen Vermutung


Leitsatz

1. NV: Will das FG von der Vernehmung eines geladenen, aber am Erscheinen in der mündlichen Verhandlung aus terminlichen Gründen gehinderten Zeugen endgültig absehen, muss es dies für die Beteiligten unmissverständlich zum Ausdruck bringen, wenn es nicht zu Recht annehmen kann, es sei aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei, dass sich die Beweisaufnahme erledigt habe.

2. NV: Zur Widerlegung einer tatsächlichen Vermutung genügt es, wenn Tatsachen nachgewiesen werden, die einen anderen Geschehensablauf möglich erscheinen lassen.

Tatbestand

1

I. [X.]ie Sache befindet sich im [X.]. Im [X.] hatte das Finanzgericht ([X.]) die Klage im Wesentlichen abgewiesen. [X.]er [X.] ([X.]) hatte das Urteil des [X.] durch das Urteil vom 30. Juli 2008 II R 37/07 ([X.]/NV 2009, 44) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Zur [X.]egründung hatte der [X.] ausgeführt, der Gegenstand des Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) sei zwar das Grundstück in dem noch zu schaffenden baureifen Zustand gewesen. [X.]as [X.] habe auch die Höhe der Gegenleistung zutreffend ermittelt. Noch nicht abschließend entschieden werden könne aber, ob die Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 3 GrEStG in der im Jahr 1993 geltenden Fassung in Höhe eines Teilbetrags von [X.] % zutreffend verwehrt worden sei. [X.]a sich die [X.]eteiligung der [X.] und E an der [X.] (GbR), deren Gesamtrechtsnachfolgerin die Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) sei, innerhalb eines kurzen Zeitraums nach dem Grundstücksübergang verringert habe, bestehe die widerlegbare Vermutung, dass die Grundstücksübertragung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem die Veränderung der Gesellschafterstellung bereits abgesprochen gewesen sei. [X.]er Klägerin sei Gelegenheit zu geben, diese Vermutung zu widerlegen und nachzuweisen, dass die Absprache zwischen den Gesamthändern, weitere Neugesellschafter über die ursprünglich vereinbarte 50 %-Grenze hinaus aufzunehmen, erst nach dem Übergang des Grundstücks auf die GbR getroffen worden sei. [X.]er [X.] verwies in diesem Zusammenhang u.a. auf sein Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 72/94 ([X.]E 181, 344, [X.] 1997, 87).

2

[X.]as [X.] lud im [X.] auf einen [X.]eweisantrag der Klägerin hin als [X.], [X.], [X.] und [X.] und bestimmte den Termin zur mündlichen Verhandlung und [X.]eweisaufnahme auf den 19. Februar 2013. Als Gegenstand der Vernehmung wurde die Frage angegeben, wann im Jahr 1993 die Absprache zwischen den Gesamthändern der GbR getroffen wurde, weitere Neugesellschafter über die ursprünglich vereinbarte 50 %-Grenze hinaus aufzunehmen.

3

[X.]a die [X.] und [X.] dem [X.] anzeigten, sie seien am Erscheinen zum Termin am 19. Februar 2013 verhindert, teilte ihnen das [X.] mit, der Termin sei durch richterliche Verfügung aufgehoben worden. [X.]ie Ladung zu dem aufgehobenen Termin sei damit gegenstandslos. [X.]ie [X.]eteiligten erhielten hiervon Ablichtungen.

4

Auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2013, in der die Zeugen [X.] und [X.] vernommen worden waren, wies das [X.] die Klage erneut im Wesentlichen ab. Es führte zur [X.]egründung aus, die Vermutung, dass die Verminderung der [X.]eteiligung der Gründungsgesellschafter an der GbR über 50 % hinaus auch in Höhe von [X.] % bereits bei der Grundstücksübertragung auf die GbR abgesprochen gewesen sei, habe die Klägerin nicht mit Erfolg widerlegt. Es fehlten entsprechende Nachweise.

5

[X.]ie Klägerin stützt ihre [X.]eschwerde wegen Nichtzulassung der Revision u.a. darauf, dass das [X.] nicht ohne Vernehmung von A und [X.] als Zeugen hätte entscheiden dürfen. [X.]ie Vorentscheidung weiche zudem von näher bezeichneten Entscheidungen ab, nach denen die Widerlegung einer tatsächlichen Vermutung nicht den vollen Gegenbeweis erfordere. Vielmehr genüge es, wenn Tatsachen und [X.]eweismittel dargelegt würden, die einen anderen Geschehensablauf möglich erscheinen ließen.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

7

1. Der von der Klägerin den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechend geltend gemachte Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O liegt vor. Das [X.] hat der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) versagt, indem es ihr vor Erlass des Urteils nicht mit der erforderlichen Klarheit zu erkennen gegeben hat, dass es nicht mehr beabsichtigte, die [X.] und [X.] zu vernehmen.

8

a) Durch einen [X.]eweisbeschluss entsteht eine Verfahrenslage, auf welche die [X.]eteiligten ihre Prozessführung einrichten dürfen. Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht ergehen wird, bevor der [X.]eweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Zwar ist das Gericht nicht verpflichtet, eine angeordnete [X.]eweisaufnahme in vollem Umfang durchzuführen. [X.] es von einer [X.]eweisaufnahme absehen, muss es aber zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung vor Erlass des Urteils die von ihm durch den [X.]eweisbeschluss geschaffene Prozesslage wieder beseitigen. Dazu hat es für die [X.]eteiligten unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass es den [X.]eweisbeschluss als erledigt betrachtet ([X.]FH-[X.]eschlüsse vom 3. Dezember 2002 X [X.] 26/02, [X.]FH/NV 2003, 343; vom 27. August 2010 III [X.] 113/09, [X.]FH/NV 2010, 2292, und vom 19. Dezember 2012 XI [X.] 84/12, [X.]FH/NV 2013, 745, Rz 15).

9

Ein Hinweis darauf, dass der [X.]eweisbeschluss nicht oder nicht vollständig ausgeführt werde, kann allerdings entbehrlich sein. Hierfür genügt es jedoch nicht, dass die [X.]eteiligten allgemein in [X.]etracht ziehen müssen, das [X.] werde von der [X.]eweisaufnahme absehen. Die [X.]eteiligten können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht ergehen wird, bevor der [X.]eweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Abweichendes kann nur gelten, wenn das Gericht zu Recht annehmen kann, es sei auch aus der Sicht der [X.]eteiligten zweifelsfrei, dass sich eine angeordnete [X.]eweisaufnahme erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedürfte ([X.]FH-[X.]eschlüsse vom 19. Januar 2012 X [X.] 4/10, [X.]FH/NV 2012, 958, Rz 19, und in [X.]FH/NV 2013, 745, Rz 17). Wenn Zeugen zu einem Vernehmungstermin aus terminlichen Gründen nicht erscheinen können, hat dies für sich genommen noch nicht zur Folge, dass sich ihre vom Gericht als erforderlich angesehene und deshalb durch [X.]eweisbeschluss angeordnete Vernehmung erledigt (vgl. [X.]FH-[X.]eschluss in [X.]FH/NV 2013, 745, Rz 16).

b) Gleiches gilt auch dann, wenn kein [X.]eweisbeschluss ergangen ist, sondern ein Zeuge gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 [X.]O zur mündlichen Verhandlung geladen wurde. Auch in einem solchen Fall können die [X.]eteiligten grundsätzlich annehmen, dass das Gericht die Zeugenvernehmung als erforderlich ansieht und kein Urteil erlässt, bevor diese durchgeführt wurde ([X.]FH-[X.]eschluss vom 2. August 2013 XI [X.] 97/12, [X.]FH/NV 2013, 1791). Ein [X.]eweisbeschluss ist nach § 82 [X.]O i.V.m. § 358 der Zivilprozessordnung nur dann erforderlich, wenn die [X.]eweisaufnahme ein besonderes Verfahren (einen besonderen Termin) erfordert. Dies ist nicht der Fall, wenn die Zeugenvernehmung im Rahmen der mündlichen Verhandlung stattfinden soll ([X.]FH-[X.]eschluss vom 8. November 2006 VI [X.] 62/06, [X.]FH/NV 2007, 468). Das bedeutet aber nicht, dass das Gericht von der Vernehmung eines Zeugen, der zwar geladen worden war, aber aus terminlichen Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung und [X.]eweisaufnahme erscheinen konnte, ohne weiteres, insbesondere ohne unmissverständlichen Hinweis an die [X.]eteiligten von dessen Vernehmung absehen kann, es sei denn, das Gericht kann zu Recht annehmen, es sei auch aus der Sicht der [X.]eteiligten zweifelsfrei, dass sich die [X.]eweisaufnahme erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedürfte ([X.]FH-[X.]eschluss vom 2. August 2013 XI [X.] 97/12, [X.]FH/NV 2013, 1791).

c) Das [X.] hat demnach dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, dass es die Vorentscheidung erlassen hat, ohne die [X.]eteiligten zuvor unmissverständlich darauf hingewiesen zu haben, dass es nicht mehr beabsichtige, die [X.] und [X.] zu vernehmen. Ein solcher Hinweis lässt sich weder den Akten des [X.] noch der Niederschrift über die mündliche Verhandlung entnehmen. Das [X.] hatte die Abladung der [X.] und [X.] nicht damit begründet, dass ihre Aussagen als Zeugen nicht benötigt würden, sondern mit dem (unzutreffenden) Hinweis darauf, dass der Termin vom 19. Februar 2013 durch richterliche Verfügung aufgehoben worden sei.

Ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass die [X.] und [X.] nicht mehr vernommen werden sollen, war auch nicht entbehrlich. Weder aus den Akten noch aus der Sitzungsniederschrift ist ersichtlich, dass es auch aus der Sicht der [X.]eteiligten zweifelsfrei gewesen sei, dass sich die zunächst beabsichtigte Vernehmung der [X.] und [X.] erledigt habe. Dass diese Zeugen zur mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht erschienen waren, begründete für sich genommen keine Erledigung einer [X.]eweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen. Das [X.] konnte auch nicht daraus, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift den Antrag auf Vernehmung der [X.] und [X.] nicht ausdrücklich wiederholt hat, mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass sich deren Vernehmung aus der Sicht der Klägerin erledigt habe. Von einer solchen Erledigung hätte das [X.] vielmehr nur dann ausgehen dürfen, wenn es aufgrund der durchgeführten [X.]eweisaufnahme die nach den Ausführungen im [X.]FH-Urteil in [X.]FH/NV 2009, 44 begründete tatsächliche Vermutung als widerlegt angesehen hätte.

Die Vorentscheidung kann auch auf dem Verfahrensmangel beruhen. Hätte das [X.] die Klägerin darauf hingewiesen, dass es die [X.] und [X.] nicht mehr vernehmen wolle, hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, dem zu widersprechen und in der mündlichen Verhandlung den schriftsätzlich gestellten [X.]eweisantrag zu wiederholen. Einer Aussage des [X.] könnte zudem deshalb besondere [X.]edeutung zukommen, weil er Gründungsgesellschafter der GbR war.

2. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die nach dem [X.]FH-Urteil in [X.]FH/NV 2009, 44 begründete tatsächliche Vermutung, dass die Verminderung der [X.]eteiligung der Gründungsgesellschafter an der GbR in einem Umfang von insgesamt 90,066 % und nicht lediglich von 50 % bereits bei der Einbringung des Grundstücks in die GbR abgesprochen war, nicht nur durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass die Absprache zwischen den Gesellschaftern, weitere Neugesellschafter über die ursprünglich vereinbarte 50 %-Grenze hinaus aufzunehmen, erst nach dem Übergang des Grundstücks auf die GbR getroffen wurde. Es genügt vielmehr, wenn die Klägerin Tatsachen nachweist, die einen anderen Geschehensablauf möglich erscheinen lassen. Dies hat der [X.]FH zwar in dem Urteil in [X.]FH/NV 2009, 44 nicht ausdrücklich erwähnt; es ergibt sich aber aus der [X.]ezugnahme auf das [X.]FH-Urteil in [X.]FHE 181, 344, [X.]St[X.]l II 1997, 87, in dem dies in Abschn. [X.] am Ende ausgesprochen wurde.

3. Es erscheint sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen; denn im Streitfall ist von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten (vgl. [X.]FH-[X.]eschluss in [X.]FH/NV 2013, 745, Rz 22, m.w.N.).

Meta

II B 31/13

17.10.2013

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 19. Februar 2013, Az: 11 K 11266/08, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 79 Abs 1 S 2 Nr 6 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.10.2013, Az. II B 31/13 (REWIS RS 2013, 1889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1889

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