Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.01.2016, Az. 4 StR 437/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 17695

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Gegenstand

Erneute Bildung der Gesamtstrafe: Gesamtstrafenbildung nach Zurückverweisung; Beschwer des Angeklagten durch fehlerhafte Einbeziehung mehrerer, untereinander nicht gesamtstraffähiger Vorverurteilungen


Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. Juni 2015 wird verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hatte die Angeklagte mit Urteil vom 19. August 2014 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des [X.] „vom 6. Dezember 2012“ (richtig: 6. März 2012) und der Strafe aus dem Urteil des [X.]s Essen vom 1. Februar 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Ferner hatte es sie wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, sie im Übrigen freigesprochen und die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den teilweisen [X.] der Strafe angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 28. Januar 2015 hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und im [X.] mit den Feststellungen aufgehoben.

2

Nunmehr hat das [X.] Essen die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung „unter Einbeziehung der rechtskräftig verhängten Einzelstrafen aus der Verurteilung des [X.]s Essen vom 19.08.2014“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

3

1. Schuld- und Strafausspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung weisen keinen die Angeklagte [X.] Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

4

2. Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat Bestand. Er ist zwar fehlerhaft, die Angeklagte ist hierdurch aber nicht beschwert.

5

Die im Ersturteil des [X.]s Essen vom 19. August 2014 verhängten Einzelstrafen ([X.] drei und einmal zwei Monate für am 13. und am 26. Februar 2013 begangene Taten), aus denen die [X.] dort die zweite Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gebildet hatte, durfte das [X.] im angefochtenen Urteil zwar nicht einbeziehen (vgl. zu der auch deshalb fehlerhaften, weil nicht nach § 55, sondern nach § 54 StGB vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung: [X.], StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 5 mwN). Denn insofern kam dem Urteil des [X.]s Essen vom 1. Februar 2013 weiterhin Zäsurwirkung zu, da – worauf der [X.] in anderem Zusammenhang zutreffend abstellt – nach Aufhebung und Zurückverweisung für eine schon im ersten Urteil nach § 55 StGB gesamtstrafenfähige Entscheidung die Vollstreckungssituation im Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Entscheidung maßgeblich ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 [X.]; [X.], aaO, § 55 Rn. 6a). Es ist deshalb ohne Bedeutung, dass die Angeklagte die im Urteil des [X.]s Essen vom 1. Februar 2013 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten inzwischen vollständig verbüßt hat (UA S. 7).

6

Die Beschwer eines Angeklagten durch die unterlassene Einbeziehung von Einzelstrafen kann aber entfallen, wenn eine Zäsurwirkung für eine einzubeziehende Verurteilung hätte beachtet werden müssen und deshalb mehrere Gesamtstrafen zu bilden gewesen wären (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 7. April 2006 – 2 StR 63/06, [X.], 232). Das ist hier der Fall.

7

Denn für die wegen der mit Urteil des [X.]s Essen vom 1. Februar 2013 abgeurteilten schweren räuberischen Erpressung verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und die nunmehr wegen der versuchten gefährlichen Körperverletzung festgesetzte Freiheitsstrafe von drei Monaten könnte allenfalls eine (nachträgliche) Gesamtstrafe von zwei Jahren und einem oder zwei Monaten verhängt werden. Zudem würde die im Ersturteil des [X.]s Essen vom 19. August 2014 verhängte zweite Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten fortbestehen, da mit den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen wegen der erst nach dem 1. Februar 2013 begangenen Taten keine Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 StGB möglich wäre. Ferner würde die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten aus dem Urteil des [X.] vom 6. März 2012 zwar nicht „wieder aufleben“, obwohl die dort verhängten Einzelstrafen fehlerhaft – weil eine Gesamtstrafenlage nach § 55 Abs. 1 StGB mit der am 5. Oktober 2012 begangenen schweren räuberischen Erpressung tatsächlich nicht bestand – in die Entscheidung des [X.]s Essen vom 1. Februar 2013 einbezogen worden waren; vielmehr hätte das [X.] insofern selbst eine neue weitere Gesamtfreiheitsstrafe aus den dortigen Einzelstrafen von [X.] vier Monaten bilden müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2000 – 5 StR 651/99, [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7; zur Korrektur einer solchen fehlerhaften Gesamtstrafenbildung auch: [X.], Beschluss vom 26. September 2013 – [X.] Ws 254/13 u.a., [X.], 75). Diese könnte jedoch nur fünf bis sieben Monate betragen. Damit würden bei richtiger Gesamtstrafenbildung mindestens zwei Jahre und ein Monat, sechs Monate sowie fünf Monate verhängt werden müssen bzw. fortbestehen. Die nunmehr bestehenden bzw. verhängten Gesamtstrafen von zwei Jahren und vier Monaten sowie sieben Monaten beschweren die Angeklagte daher nicht.

8

3. Auch die [X.] der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat Bestand.

9

Zwar kann das Revisionsgericht auf eine zulässig erhobene und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende Revision des Angeklagten das Urteil aufheben (vgl. [X.], Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, [X.]St 38, 362 f.), ohne dass es auf eine Beschwer des Angeklagten ankommt (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Januar 2009 – 3 [X.], [X.]R StGB § 64 Ablehnung 11 mwN). Jedoch ist die Wertung des [X.]s, die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt biete keine hinreichende Erfolgsaussicht, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

[X.]                               Roggenbuck                           [X.]

                           Mutzbauer                                [X.]

Meta

4 StR 437/15

14.01.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 30. Juni 2015, Az: 52 KLs 13/15

§ 54 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB, § 349 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.01.2016, Az. 4 StR 437/15 (REWIS RS 2016, 17695)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17695

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